Bundesrat Stenographisches Protokoll 651. Sitzung / Seite 101

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Erziehung durch die Eltern ist zweifellos die beste Erziehung und Pflege für die Kinder, Tatsache ist aber, daß sehr viele Kinder aus zerrütteten Familien kommen. Deshalb möchte ich auch auf die sozialpädagogischen Wohngemeinschaften und auf mancherorts noch als ungewöhnlich empfundene sozialtherapeutische Maßnahmen hinweisen, beispielsweise die sogenannte Erlebnispädagogik, die zum Ziel hat, Jugendlichen in tiefen Lebenskrisen verschiedene Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten.

Seit einiger Zeit stehe ich mit dem Leiter der "AIS Jugendbetreuung GmbH" in Klagenfurt in engem Kontakt, dieser setzt die Erlebnispädagogik seit Jahren sehr erfolgreich ein. Ich habe persönlich mehrmals Gelegenheit gehabt, an Aktionen teilzunehmen, zum Beispiel an Rafting-Touren auf der Mur, und es ist erstaunlich, zu sehen, wie Jugendliche, die aus schwer zerrütteten Verhältnissen kommen, zum Teil suchtabhängig waren oder während ihrer Kindheit sexuellem Mißbrauch ausgesetzt waren, dann oft knapp vor dem Abrutschen in kriminelle Bereiche waren, deren Zukunftsprognosen also düster bis hoffnungslos ausschauten, sich an diesen ungewöhnlichen Maßnahmen aufgerichtet haben. Sie haben dabei Gemeinschaftsgefühl entwickelt, soziale Verantwortung zu übernehmen gelernt, sie haben ihr Selbstbewußtsein gestärkt – und all das, ohne mit einem erhobenen Zeigefinger auf diese Werte hingewiesen zu werden.

Mehr als bedauerlich ist es, wenn solche Konzepte, die andernorts schon sehr erfolgreich eingesetzt werden, von Beamten aus – ich nehme an – Unkenntnis vom Tisch gewischt werden – ich spreche dabei ganz konkret von meinen Bemühungen, im oberen Murtal, also in meiner Heimat, eine ähnliche Institution zu etablieren. Ich habe oft das Gefühl, daß das Abschiednehmen von der alten Tradition der – im schlechtesten Sinne des Wortes – Fürsorgepolizei manchen sehr schwerfällt.

Obrigkeitliche Maßnahmen durch Jugendwohlfahrt zu ersetzen ist ein Weg, der zwar vom Ge-setzgeber bereits beschritten wurde, sich aber noch längst nicht im Denken vieler ausführender Organe festgesetzt hat. Ich glaube, es ist nicht damit getan, diese Möglichkeiten zu schaffen, sondern die Aufgabe des Herrn Familienministers muß es auch sein, sich um eine Bewußtseinsänderung zu bemühen. Die Skepsis in der Bevölkerung und in manchen Behörden vor neuen, vielfach ungewöhnlichen, aber durchaus erfolgversprechenden Maßnahmen, die schon erprobt worden sind, müssen abgebaut werden.

Als letzten Punkt möchte ich noch folgendes sagen: Die positiven Intentionen des Jugendwohlfahrtsgesetzes, die Bemühungen zur Bewußtseinsänderung und alle guten Absichten zusammen werden wenig fruchten, wenn nicht auch das nötige Geld bereit liegt, um Qualifikationsmaßnahmen und soziale Dienstleistungen, wie sie im Rahmengesetz des Bundes vorgesehen sind, zu finanzieren.

Meine Fraktion wird dieser Novelle die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

15.17

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Jürgen Weiss. – Bitte.

15.17

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Meine Herren Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesrat Wilfing hat bereits in seinem Debattenbeitrag auf die Problematik überschießender Regelungen im Bereich der Ausbildungsvorschriften hingewiesen. Wir kennen diese Problematik auch aus den Diskussionen im Sanitätswesen, und sie hat in den Beratungen des Nationalrates im Vorfeld dieses Gesetzesbeschlusses ebenfalls eine Rolle gespielt. Der Familienausschuß des Nationalrates hat dann allerdings von erwogenen Änderungen Abstand genommen und es im wesentlichen bei der sehr sachgerecht ausgearbeiteten Regierungsvorlage belassen.

Maßgeblich dafür war offenkundig weniger, daß man auf die Proteste der Betroffenen, der Interessenverbände – auch der Kinderdörfer beispielsweise – eingegangen wäre, die gesagt haben, darin werde überreglementiert und ein Aufwand verursacht, der vom Effekt her nicht gerecht


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