Stenographisches Protokoll

710. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

 

Mittwoch, 9. Juni 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Stenographisches Protokoll

710. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Mittwoch, 9. Juni 2004

Dauer der Sitzung

Mittwoch, 9. Juni 2004: 9.02 – 19.56 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Tierschutzgesetz erlassen sowie das Bundes-Verfassungsgesetz, die Gewerbeordnung 1994 und das Bundesministerienge­setz 1986 geändert werden

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) – (SE-Gesetz – SEG) erlassen wird sowie das Aktiengesetz, das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsgebüh­rengesetz, das EWIV-Ausführungsgesetz, das Genossenschaftsrevisionsgesetz 1997 und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Gesellschaftsrechtsände­rungsgesetz 2004 – GesRÄG 2004)

3. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanz­dienstleistungen an Verbraucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz – FernFinG) er­lassen wird und das Konsumentenschutzgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz sowie das Wertpapieraufsichtsgesetz geändert werden

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem familien- und erbrechtliche Bestimmungen des all­gemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs und des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht sowie das Gebührenanspruchsgesetz 1975 geändert werden (Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz 2004 – FamErbRÄG 2004)

5. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den freien Dienstleistungs­verkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich geän­dert wird

6. Punkt: Bundesgesetz über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz und die Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988

7. Punkt: Bundesgesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Untersuchungshaft und im Strafvollzug getroffen werden

8. Punkt: 17. Sportbericht 2000

9. Punkt: 18. Sportbericht 2001–2002

10. Punkt: Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Mi­nisterkabinett der Ukraine über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik


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710. Sitzung / Seite 2

11. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz und das Landesvertragslehrergesetz 1966 geändert werden

12. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Mutterschutzgesetz 1979, das Väter-Karenzge­setz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitszeitgesetz, das Angestelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden

13. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsge­setz geändert wird

14. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geändert wird

15. Punkt: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG) erlassen und das Bundesgesetz über die Gleich­behandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (Gleichbehandlungsgesetz) geändert werden

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Burgenländischen Landtages betreffend die Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes in den Bundesrat ................................................................................ 10

Schreiben des Präsidenten des Steiermärkischen Landtages betreffend die Wahl eines Ersatzmitgliedes für die dritte Stelle in den Bundesrat .................................................................................... 10

Angelobung der Bundesrätin Andrea Fraunschiel .................................................... 11

Ersuchen des Bundesrates Stefan Schennach auf Unterbrechung der Sitzung          63

Sitzungsunterbrechungen .................................................................................  63, 145

Schlussworte des Präsidenten Jürgen Weiss ........................................................ 170

Personalien

Verhinderungen .............................................................................................................. 10

Fragestunde (103.)

Inneres .......................................................................................................................... 11

Dr. Franz Eduard Kühnel (1335/M-BR/04); Roland Zellot, Stefan Schennach, Karl Boden

Anna Schlaffer (1341/M-BR/04); Mag. John Gudenus, Dr. Ruperta Lichtenecker

Christoph Hagen (1340/M-BR/04); Elisabeth Kerschbaum, Harald Reisenberger, Franz Wolfinger

Mag. Bernhard Baier (1336/M-BR/04); Engelbert Weilharter, Stefan Schennach, Anna Schlaffer

Ewald Lindinger (1342/M-BR/04); Johann Höfinger, Christoph Hagen, Elisabeth Kerschbaum


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710. Sitzung / Seite 3

Stefan Schennach (1339/M-BR/04); Harald Reisenberger, Dr. Franz Eduard Küh­nel, Mag. John Gudenus

Johann Höfinger (1337/M-BR/04); Ing. Siegfried Kampl, Eva Konrad, Anna Schlaffer

Helmut Wiesenegg (1343/M-BR/04); Christine Fröhlich, Christoph Hagen, Elisa­beth Kerschbaum

Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger (1338/M-BR/04); Ing. Siegfried Kampl, Eva Kon­rad

Wolfgang Schimböck (1344/M-BR/04); Helmut Kritzinger, Christoph Hagen, Eva Konrad

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse .......................................................................... 30

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................................................................. 30

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen an den Bundes­minister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend 65. Störfall in Temelίn und unzureichende Information der österreichischen Be­völkerung darüber (2206/J-BR/04) ..................... 114

Begründung: Albrecht Konecny ................................................................................. 114

Bundesminister Dipl.-Ing. Josef Pröll ...................................................................... 117

Debatte:

Karl Boden .................................................................................................................. 122

Gottfried Kneifel ......................................................................................................... 124

Dr. Ruperta Lichtenecker .......................................................................................... 127

Dr. Peter Böhm ........................................................................................................... 128

Ewald Lindinger ......................................................................................................... 130

Ing. Siegfried Kampl .................................................................................................. 132

Elisabeth Kerschbaum .............................................................................................. 132

Bundesminister Dipl.-Ing. Josef Pröll ...................................................................... 134

Wolfgang Schimböck ................................................................................................ 135

Manfred Gruber .......................................................................................................... 137

Ludwig Bieringer ...............................................................................................  139, 144

Stefan Schennach ...................................................................................................... 140

Albrecht Konecny .............................................................................................  142, 145

Hans Ager ................................................................................................................... 144

Entschließungsantrag der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuverhandlung des Melker Protokolls – Zurückziehung                                              123, 144

Entschließungsantrag der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend EURATOM-Revisionskonferenz – Ablehnung (namentliche Abstimmung) ...........................  123, 146

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung .................................... 146


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710. Sitzung / Seite 4

Entschließungsantrag der Bundesräte Gottfried Kneifel, Dr. Peter Böhm, Kol­leginnen und Kollegen betreffend die weitere Vorgangsweise zur Reform des EURATOM-Vertrages in Richtung Umweltverträglichkeit und Ausstieg aus der Kernenergie – Annahme (E 189-BR/04)  126, 147

Verhandlungen

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem ein Tierschutzgesetz erlassen sowie das Bundes-Verfassungs­gesetz, die Gewerbeordnung 1994 und das Bundesministeriengesetz 1986 geän­dert werden (446 d.B., 2/A, 5/A, 9/A, 12/A und 509 d.B. sowie 7044/BR d.B. und 7045/BR d.B.) ................................................................................... 30

Berichterstatter: Josef Saller ........................................................................................ 31

Redner:

Roland Zellot ................................................................................................................. 31

Ing. Hermann Haller ..................................................................................................... 33

Helmut Wiesenegg ....................................................................................................... 34

Mag. John Gudenus ..................................................................................................... 35

Stefan Schennach .................................................................................................  37, 59

Bundesministerin Maria Rauch-Kallat ...................................................................... 39

Johann Höfinger ....................................................................................................  41, 61

Dr. Elisabeth Hlavac ..................................................................................................... 43

Ing. Siegfried Kampl .................................................................................................... 45

Elisabeth Kerschbaum ................................................................................................ 47

Staatssekretär Franz Morak ........................................................................................ 49

Martina Diesner-Wais .................................................................................................. 51

Ewald Lindinger ........................................................................................................... 52

Engelbert Weilharter .................................................................................................... 55

Staatssekretär Dr. Reinhart Waneck .......................................................................... 56

Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg ............................................................................ 58

Albrecht Konecny ........................................................................................................ 60

Ludwig Bieringer .......................................................................................................... 61

Entschließungsantrag der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Maßnahmenpaket für die heimische bäuerliche Landwirt­schaft zur erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tierschutzgesetzes – Ableh­nung ............................................................................  60, 64

Entschließungsantrag der Bundesräte Sissy Roth-Halvax, Ing. Siegfried Kampl, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Maßnahmenpaket für die heimi­sche bäuerliche Landwirtschaft zur erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tier­schutzgesetzes – Annahme (E 188-BR/04) ............  62, 64

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. den in Artikel 1 des gegenständlichen Beschlusses des Nationalrates enthaltenen Verfassungs­bestimmungen im Sinne des Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zu­stimmung zu erteilen ...................................................................................................... 63

Gemeinsame Beratung über

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesell­schaft (Societas Europaea – SE) – (SE-Gesetz – SEG) erlassen wird sowie das Aktiengesetz, das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsge­bührengesetz, das EWIV-Ausführungsgesetz, das Genossenschaftsrevisionsge-


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710. Sitzung / Seite 5

setz 1997 und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Gesell­schaftsrechtsänderungsgesetz 2004 – GesRÄG 2004) (466 d.B. und 488 d.B. sowie 7046/BR d.B.) ....................................... 64

Berichterstatterin: Johanna Auer .................................................................................. 64

3. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistun­gen an Verbraucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz – FernFinG) erlassen wird und das Konsumentenschutzgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz so­wie das Wertpapieraufsichtsgesetz geändert werden (467 d.B. und 490 d.B. so­wie 7047/BR d.B.)   ............................................................................................................................... 64

Berichterstatterin: Johanna Auer .................................................................................. 65

Redner:

Sonja Zwazl ................................................................................................................... 65

Wolfgang Schimböck .................................................................................................. 65

Engelbert Weilharter .................................................................................................... 67

Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer .................................................................... 68

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 2, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 69

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 3, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 69

Gemeinsame Beratung über

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem familien- und erbrechtliche Bestimmungen des allgemeinen bür­gerlichen Gesetzbuchs und des Bundesgesetzes über das internationale Privat­recht sowie das Gebührenanspruchsgesetz 1975 geändert werden (Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz 2004 – FamErbRÄG 2004) (471 d.B. und 489 d.B. sowie 7048/BR d.B.)   ............................................................................................................................... 69

Berichterstatter: Christoph Hagen ............................................................................... 69

5. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Bundesgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich geändert wird (377/A und 492 d.B. sowie 7049/BR d.B.)                69

Berichterstatter: Wolfgang Schimböck ....................................................................... 70

6. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz und die Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988 (472 d.B. und 491 d.B. sowie 7050/BR d.B.) ...................................................................................................... 69

Berichterstatter: Christoph Hagen ............................................................................... 70

7. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Untersu­chungshaft und im Strafvollzug getroffen werden (376/A und 493 d.B. sowie 7051/BR d.B.) ..................................................................... 69

Berichterstatter: Wolfgang Schimböck ....................................................................... 70

Redner:

Anna Schlaffer .............................................................................................................. 70

Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger ............................................................................... 72


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710. Sitzung / Seite 6

Stefan Schennach ........................................................................................................ 73

Dr. Peter Böhm ............................................................................................................. 75

Mag. Susanne Neuwirth .............................................................................................. 78

Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer .................................................................... 79

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 4, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 82

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 5, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 82

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 6, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 82

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 7, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................. 82

Gemeinsame Beratung über

8. Punkt: 17. Sportbericht 2000 (III-231-BR/2002 d.B. sowie 7052/BR d.B.) ................ 82

Berichterstatter: Theodor Binna ................................................................................... 83

9. Punkt: 18. Sportbericht 2001–2002 (III-257-BR/2004 d.B. sowie 7053/BR
d.B.) ................................................................................................................................ 82

Berichterstatter: Theodor Binna ................................................................................... 83

Redner:

Karl Bader ..................................................................................................................... 83

Theodor Binna .............................................................................................................. 84

Roland Zellot ................................................................................................................. 86

Elisabeth Kerschbaum ................................................................................................ 87

Staatssekretär Mag. Karl Schweitzer ......................................................................... 88

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 8, den 17. Sportbe­richt 2000 zur Kenntnis zu nehmen ......................................................................................................................................... 90

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 9, den 18. Sportbe­richt 2001–2002 zur Kenntnis zu nehmen ........................................................................................................................... 91

10. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Ab­kommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Ministerkabi­nett der Ukraine über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik (371 d.B. und 481 d.B. sowie 7054/BR d.B.) ..................... 91

Berichterstatter: Karl Bader .......................................................................................... 91

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem Beschluss des Nationalrates im Sinne des Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfas­sungsmäßige Zustimmung zu erteilen ......................................... 91

11. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz und das Landesver­tragslehrergesetz 1966 geändert werden (390 d.B. und 485 d.B. sowie 7043/BR d.B. und 7055/BR d.B.) .......................................................... 91

Berichterstatterin: Herta Wimmler ................................................................................ 92


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710. Sitzung / Seite 7

Redner:

Karl Bader ..................................................................................................................... 92

Ana Blatnik .................................................................................................................... 93

Roland Zellot ................................................................................................................. 95

Eva Konrad ................................................................................................................... 96

Mag. Susanne Neuwirth .............................................................................................. 97

Bundesministerin Elisabeth Gehrer .......................................................................... 98

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 100

12. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Mutterschutzgesetz 1979, das Väter-Karenzgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitszeitgesetz, das Angestelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden (399 d.B. und 483 d.B. so­wie 7056/BR d.B.)                   100

Berichterstatter: Ing. Siegfried Kampl ....................................................................... 100

Redner:

Dr. Ruperta Lichtenecker .......................................................................................... 101

Martina Diesner-Wais ................................................................................................ 102

Dr. Erich Gumplmaier ............................................................................................... 104

Eva Konrad ................................................................................................................. 106

Michaela Gansterer .................................................................................................... 108

Anna Schlaffer ............................................................................................................ 109

Staatssekretärin Ursula Haubner ............................................................................. 112

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 114

13. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz geän­dert wird (415 d.B. und 507 d.B. sowie 7057/BR d.B.) ............................................................................................................................. 147

Berichterstatter: Ing. Siegfried Kampl ....................................................................... 147

Redner:

Manfred Gruber .......................................................................................................... 147

Dr. Franz Eduard Kühnel ........................................................................................... 149

Engelbert Weilharter .................................................................................................. 150

Elisabeth Kerschbaum .....................................................................................  151, 157

Herta Wimmler ........................................................................................................... 153

Dr. Ruperta Lichtenecker .................................................................................  153, 158

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein .................................................................. 155

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben .................................................................................................. 159

Gemeinsame Beratung über

14. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geändert wird (285 d.B. und 498 d.B. sowie 7058/BR d.B.)                159

Berichterstatterin: Johanna Auer ................................................................................ 159


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710. Sitzung / Seite 8

15. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbe­handlungsgesetz – GlBG) erlassen und das Bundesgesetz über die Gleichbe­handlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (Gleichbehandlungsgesetz) geän­dert werden (307 d.B. und 499 d.B. sowie 7042/BR d.B. und 7059/BR d.B.) ..... 159

Berichterstatterin: Johanna Auer ................................................................................ 159

Redner:

Mag. Susanne Neuwirth ............................................................................................ 159

Sissy Roth-Halvax ...................................................................................................... 161

Eva Konrad ................................................................................................................. 163

Mag. John Gudenus ................................................................................................... 166

Bundesminister Dr. Martin Bartenstein .................................................................. 167

Bundesministerin Maria Rauch-Kallat .................................................................... 169

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 14, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................ 169

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 15, gegen den vorliegen­den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ................................................................ 170

Eingebracht wurden

Anfragen der Bundesräte

Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Führerschein im Scheckkartenformat (2203/J-BR/04)

Jürgen Weiss, Anna Elisabeth Haselbach, Dr. Peter Böhm, Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Grenzgänger- und Praktikantenabkommen mit Tschechien (2204/J-BR/04)

Günther Prutsch, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend drohende Benachteiligung für Spezialkulturen – am Beispiel Kürbisanbau (2205/J-BR/04)

Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend 65. Störfall in Temelίn und unzureichende Information der österreichischen Bevölkerung darüber (2206/J-BR/04)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bun­desräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend TOP 23 der Tages­ordnung der Ministerratssitzung vom 14. April 2004 (1983/AB-BR/04 zu 2181/J-BR/04)

der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1984/AB-BR/04 zu 2162/J-BR/04)

des Bundesministers für Justiz auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1985/AB-BR/04 zu 2166/J-BR/04)


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710. Sitzung / Seite 9

des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit auf die Anfrage der Bundesräte Alb­recht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1986/AB-BR/04 zu 2171/J-BR/04)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1987/AB-BR/04 zu 2160/J-BR/04)

des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1988/AB-BR/04 zu 2169/J-BR/04)

des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechts­gutachten und ähnliche Arbeiten (1989/AB-BR/04 zu 2161/J-BR/04)

der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur auf die Anfrage der Bundes­räte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutach­ten und ähnliche Arbeiten (1990/AB-BR/04 zu 2163/J-BR/04)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1991/AB-BR/04 zu 2164/J-BR/04)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1992/AB-BR/04 zu 2165/J-BR/04)

des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1993/AB-BR/04 zu 2167/J-BR/04)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft auf die Anfrage der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1994/AB-BR/04 zu 2168/J-BR/04)

der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen auf die Anfrage der Bundesräte Alb­recht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend Studien, Rechtsgutachten und ähnliche Arbeiten (1995/AB-BR/04 zu 2170/J-BR/04)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Wolfgang Schim­böck, Kolleginnen und Kollegen betreffend Auswirkungen der Steuerreform auf kleine Unternehmungen (1996/AB-BR/04 zu 2174/J-BR/04)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Jürgen Weiss, Christoph Hagen, Kolleginnen und Kollegen betreffend steuerliche Geltendmachung sozialer Spenden (1997/AB-BR/04 zu 2176/J-BR/04)

des Bundesministers für Finanzen auf die Anfrage der Bundesräte Wolfgang Schim­böck, Kolleginnen und Kollegen betreffend Auswirkungen der Steuerreform auf Städte und Gemeinden als lokale Investoren für die regionalen Klein- und Mittelbetriebe (1998/AB-BR/04 zu 2177/J-BR/04)



Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 10

Beginn der Sitzung: 9.02 Uhr

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich eröffne die 710. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der letzten Sitzung ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Günther Kaltenbacher, Günther Molzbichler und Roswitha Bachner.

Mandatsverzicht und Angelobung

 


Präsident Jürgen Weiss: Eingelangt ist ein Schreiben des Burgenländischen Landta­ges betreffend die Wahl des Mitgliedes Andrea Fraunschiel und des Ersatzmitgliedes Walter Temmel in den Bundesrat sowie ein Schreiben des Steiermärkischen Landta­ges betreffend Wahl des Ersatzmitgliedes für die dritte Stelle in den Bundesrat.

Hinsichtlich des Wortlautes dieser beiden Schreiben verweise ich auf die im Sitzungs­saal verteilten Mitteilungen, die dem Protokoll dieser Sitzung angeschlossen werden.

Die Schreiben haben folgenden Wortlaut:

„Der Präsident des Burgenländischen Landtages

Zahl: 1006/4-XVIII.Gp.2004

Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates

An den Präsidenten des Bundesrates

Parlament Dr.-Karl-Renner-Ring 3, 1017 Wien

Der Burgenländische Landtag hat in seiner 44. Sitzung der XVIII. Gesetzgebungs­periode am 27. Mai 2004 Frau Andrea Fraunschiel, geb. 8. Mai 1955, 7000 Eisenstadt, Dorffmeisterstraße 18, zum Mitglied und Herrn Walter Temmel, geb. 28.10.1961, 7521 Bildein, Hauptstraße 32, zum Ersatzmitglied des Bundesrates gewählt.

Der Landtagspräsident

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„Reinhold Purr

Präsident des Steiermärkischen Landtages

Graz, am 2. .Juni 2004

Herrn

Jürgen Weiss

Präsident des Bundesrates Dr. Karl-Renner-Ring 3, A-1017 Wien

GZ: LTD-W 1/34-2004

Sehr geehrter Herr Präsident!

In der Sitzung des Steiermärkischen Landtages am 25. Mai 2004 wurde Manfred Kainz als Ersatzmitglied für die dritte Stelle in den Bundesrat gewählt.


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Ich beehre mich, Ihnen dies zur Kenntnis zu bringen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen“

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Präsident Jürgen Weiss: Das neu gewählte Mitglied ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich die Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich gelobe“ zu leisten sein.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel und den Namensauf­ruf.

 


Schriftführerin des Bundesrates Sissy Roth-Halvax: Ich rufe Frau Andrea Fraun­schiel auf: „Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie ge­wissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

 


Bundesrätin Andrea Fraunschiel (ÖVP, Burgenland): Ich gelobe.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich begrüße das neue Mitglied recht herzlich in unserer Mit­te. (Allgemeiner Beifall.)

Fragestunde

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zur Fragestunde.

Bevor ich jetzt – um 9.03 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen beginne, weise ich darauf hin, dass ich die Fragestunde im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten, um die Behandlung aller mündlichen Anfragen zu ermöglichen, bis zu 120 Minuten erstre­cken werde.

Bundesministerium für Inneres

 


Präsident Jürgen Weiss: Die 1. Anfrage, 1335/M, wird an den Herrn Bundesminister für Inneres gestellt.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Kühnel, um Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1335/M-BR/2004

„Welche Vorteile bietet die Erweiterung der EU um unsere östlichen Nachbarn im Hin­blick auf die Sicherheitssituation in Österreich?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Wir haben eine ganze Reihe von Veränderungen durch die Erweiterung der Europäischen Union, und zwar vor allem im Sicherheitsbereich und im Fremdenbereich. Wir werden EU-Binnenland, und das hat ganz massive Auswirkungen im Fremdenbereich:


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Es hat positive Auswirkungen auf die Situation Österreichs, weil wir dadurch die Dub­lin-II-Verordnung anwenden können, wonach ein Asylwerber im ersten Land, das er auf europäischem Boden betritt, sein Asylverfahren durchzuführen hat.

Zum Zweiten haben wir die gute Schengen-Grenze, die wir unter Assistenz des Bun­desheeres und unserer Grenzgendarmen weiter zur Gänze aufrechterhalten.

Und wir bekommen die EU-Außengrenze dazu, die nach europäischen Kriterien von unseren neuen Mitgliedsländern gesichert werden muss. Wir haben neben dem Sicher­heitsgurt Schengen-Grenze damit einen zweiten Sicherheitsgurt, der seit 1. Mai er­richtet wird und eine zusätzliche Maßnahme gegen importierte Kriminalität aus Ländern wie Moldawien, Ukraine, aber auch aus Ländern des Balkans darstellt.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

 


Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Welche Entwicklungen zeigten sich seit dem EU-Beitritt der östlichen Nachbarländer im Hinblick auf die illegale Migra­tion und die Schlepperkriminalität?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Was die illegale Migration betrifft, so haben wir im ersten Monat bei den Asylwerbern ganz massive Rückgänge, insbe­sondere bei tschetschenischen Asylwerbern; der Rückgang beträgt 80 bis 85 Prozent. Das heißt, dass die europäischen Regelungen greifen, dass die Flüchtlinge, die insbe­sondere aus dem russischen Gebiet kommen, in Polen, in Tschechien, in der Slowakei, so wie das auch die europäischen Regelungen vorsehen, ihre Asylverfahren durchfüh­ren.

Was die Schlepperkriminalität betrifft, darf ich darauf verweisen, dass wir in einem guten Zusammenwirken mit tschechischen, slowakischen und ungarischen Behörden gerade in diesen Tagen einen großen Schlepperring aufdecken konnten. Es wurden da sehr, sehr viele chinesische Immigranten nach Österreich gebracht, die illegal in Öster­reich sind, die nicht berechtigt sind, hier Aufenthalt zu nehmen. Dass wir das aufde­cken konnten, ist ein Erfolg dieser Zusammenarbeit.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Zellot.

 


Bundesrat Roland Zellot (Freiheitliche, Kärnten): Herr Bundesminister! Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien sind als unmittelbare Nachbarstaaten Österreichs seit 1. Mai 2004 zwar EU-Mitgliedstaaten, aber keine Schengen-Staaten. Bis wann rechnen Sie damit, dass diese Länder sämtliche Anforderungen erfüllen, um Schen­gen-Staat zu sein?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Wir haben hier zwei Vergleichszahlen: Österreich hat drei Jahre gebraucht, bis die Schen­gen-Fazilitäten gegolten haben; Finnland hat sechs Jahre gebraucht. Ich gehe davon aus, dass jedenfalls mit einer Dauer zu rechnen sein wird, wie das in etwa bei den fin­nischen Kollegen der Fall war. Das bedeutet, dass wir gegen Ende des Jahrzehnts ernsthaft über eine Schengen-Reife unserer Nachbarländer nachdenken werden müs­sen.

Klar ist, dass es unterschiedliche Qualitäten und Geschwindigkeiten gibt. So dürfen wir feststellen, dass Länder wie Slowenien sehr gut unterwegs sind, dass es aber bei an­deren Ländern durchaus noch etwas gibt, was aufzubauen ist. Das werden wir sehr genau beobachten. Schon allein aus technischen Gründen kommt eine Aufhebung der Schengen-Grenze vor Mitte 2007 nicht in Frage.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Schennach.

 



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Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Nach den Feiern des 30. April zum 1. Mai anlässlich der EU-Erweiterung ist eine ge­wisse Ernüchterung, kann man sagen, eingetreten. Daher meine Frage: Wann erwar­ten Sie die Umsetzung von Schengen, Schengen plus, für unsere neuen EU-Nach­barn? Bis wann werden diese Verträge gemacht? Bis wann rechnen Sie mit einer Umsetzung, oder sehen Sie auch eine Verkürzung dieses Prozesses?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Zuerst: Ich habe rund um den 1. Mai an vielen entsprechenden Veranstaltungen und Feiern teilgenommen. Ich habe dabei eine sehr nüchterne Atmosphäre festgestellt, Herr Bundesrat. Ich habe wenig nicht nüchterne Menschen getroffen, sondern Menschen, die sehr bewusst und mit großem Verantwortungsgefühl ein für die Friedenssituation Europas ganz wichtiges Fest mit­einander begangen haben, und zwar grenzüberschreitend.

Zu Ihrer Frage kommend darf ich festhalten, dass wir davon ausgehen, dass die Vor­aussetzungen gegen Ende dieses Jahrzehnts erfüllt sein werden.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Boden.

 


Bundesrat Karl Boden (SPÖ, Niederösterreich): Welche Auswirkungen hat die EU-Erweiterung auf die geplante Zusammenlegung der Bezirksgendarmeriekommanden, und zwar im Hinblick darauf, dass in den Grenzbezirken die Kriminalität weiterhin im Steigen begriffen ist?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Keine, Herr Bundesrat, da keine Zusammenlegung von Bezirksgendarmeriekommanden geplant ist.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zur nächsten Anfrage, 1341/M.

Ich bitte die Fragestellerin, Frau Bundesrätin Schlaffer, um Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1341/M-BR/2004

„Wie beurteilen Sie die zynische und menschenverachtende Meinung des so genann­ten Menschenrechtssprechers der ÖVP Ellmauer (ÖVP-Pressedienst, OTS170, 1.6.2004), wonach sogar ein Betrag von 4,88 Euro pro Tag und Zivildienstleistendem für dessen Verpflegung ausreichend ist?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister! Bevor ich Ihnen das Wort erteile, möchte ich Folgendes festhalten: Es sei dahingestellt, ob eine keinen Gegenstand der Vollziehung betreffende und hinsichtlich unterstellter Menschenverachtung im Bereich eines Ordnungsrufes liegende Frage Inhalt der Fragestunde sein kann. Sie wurde aber von der Bundesratsdirektion als zulässig entgegengenommen und war daher aufzuru­fen. Ich bitte aber, bei Zusatzfragen entsprechend darauf Rücksicht zu nehmen.

Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Ich kenne das von Ihnen zitierte Schriftstück nicht. Ich kenne aber ein Gutachten von Herrn Universitätsprofessor Dr. Werner Pfannhauser vom 4. Mai 2004, in dem Dr. Pfannhauser als zuständiger Ökonom und Gesundheitsökonom (Bundesrat Ko­necny: Der Herr Professor Pfannhauser ist kein Ökonom!) als Verpflegungsentgelt für die Gruppe der Schwerarbeiter 6,06 €, für die Gruppe der durchschnittlich Werktätigen


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5,45 € und die Gruppe der Leichtarbeiter 4,88 € festlegt. (Bundesrat Konecny: Unge­heuerlich!)

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Zusatzfrage? – Bitte.

 


Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Halten Sie selbst dieses Einkom­men für ausreichend, um seinen Lebensunterhalt damit bestreiten zu können?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich bin Innenminister und nicht Ge­sundheitsökonom, aber ich vertraue den Gesundheitsökonomen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen. – Bundesrat Konecny: Er ist nur keiner! – Hei­terkeit bei Bundesräten der SPÖ.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Gudenus. – Bitte.

 


Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Inwieweit sind Zivildiener zur­zeit an die Verpflegsmöglichkeit ihrer Dienststellen angeschlossen?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich kann da aus meiner eigenen Zivildienstzeit referieren. Selbstverständlich kann ein Großteil der Zivildiener innerhalb ihrer Zivildienstorganisation verpflegt werden – und wird es auch. Das hat sehr gute innerbetriebliche und auch sehr gute ökonomische und für den Zivildiener auch sehr gute persönliche Konsequenzen, weil es damit möglich ist, neben seinem Dienst die Geselligkeit der Kollegen und eine, wie ich aus eigenem Erleben weiß, sehr gute Ver­pflegung zu genießen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Dr. Lich­tenecker.

 


Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Herr Minister! In Oberösterreich ist es uns Grünen gelungen, im Rahmen der Verpflegsgeldregelung für die Zivildiener 11,60 € pro Tag anzusetzen, die beste Regelung österreichweit. Wäre es nicht sinnvoll, diese Regelung von den Trägerorganisationen in Ihr Ressort zurück­zuholen und dafür zu sorgen, dass es eine ordentliche Verpflegsgeldregelung gibt?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Frau Bundesrätin! Bekanntlich sind die Lebenshaltungskosten unterschiedlich, je nachdem, ob man sich in Vorarlberg be­findet oder im Südburgenland, und daher ist es aus meiner Sicht sinnvoll und richtig und wird auch von mir unterstützt und selbstverständlich auch in der Form respektiert, wie es das österreichische Parlament beschlossen hat. Dabei ist von einem „angemes­senen Verpflegssatz“ die Rede. Es mag sein, dass das in einigen Metropolen Oberös­terreich anders zu handhaben ist als in manchen Dörfern Niederösterreichs.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zur 3. Anfrage, 1340/M.

Ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Hagen, um Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Meine Frage lautet.

1340/M-BR/2004

„Mit welchen finanziellen Auswirkungen können Exekutivbeamte in Zukunft im Rahmen der geplanten Umsetzung der Zusammenlegung der Wachkörper rechnen?“

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Die Umsetzung der Zusammenfüh­rung von Gendarmerie und Polizei, Zollwache und Schifffahrtspolizei hat keine gesetz-


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lichen Auswirkungen auf die dienstrechtlichen Regelungen unserer Mitarbeiter. Es ist aber durchaus möglich, dass diese Zusammenlegung Auswirkungen hat auf Grund einer Weiterentwicklung der Organisation des Dienstbetriebes und einer Neuorganisa­tion der Dienststunden. Deshalb haben wir auch seit 1. Juni einen Probebetrieb, um das Dienstsystem zu erproben. Ich bin auch den Personalvertretungen dankbar, denn die Hälfte der vier Personalvertretungen – also zwei – hat dieser Dienstzeiterprobung zugestimmt. Wir wollen ja Erfahrungen sammeln, was an diesem neuen Dienstzeitsys­tem funktioniert beziehungsweise was man adaptieren, verändern oder weiterentwi­ckeln sollte.

Ziel ist jedenfalls, dass wir mit diesem neuen Dienstzeitsystem auf der einen Seite für den Dienstgeber zur Sicherheit der Bevölkerung Flexibilität in der Weise schaffen, dass wir unsere Mitarbeiter dann dort einsetzen können, wo es für die Sicherheitssituation regional oder zeitlich bestimmt notwendig ist, andererseits, dass die soziale Absiche­rung unserer Mitarbeiter in vollem Ausmaß gewährleistet bleibt.

 


Präsident Jürgen Weiss: Haben Sie eine Zusatzfrage?

 


Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Minister! In Ihrer Erklä­rung jetzt sind Sie nicht konkret auf finanzielle Auswirkungen eingegangen. Daher möchte ich Sie noch einmal fragen: Ist mit einer schlechteren finanziellen Situation der Exekutivbeamten durch das neue Dienstzeitsystem oder die Zusammenlegung zu rechnen?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Weder Ziel noch angestrebt. (Ruf bei der SPÖ: Alles bestens! – Heiterkeit.)

 



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Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Kersch­baum.

 


Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Wird es weiterhin entsprechend planbare Überstunden für die Exekutivbeamten geben, was ja bisher ein wichtiger Teil des Einkommens war?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrte Frau Bundesrätin: Ja­wohl! Ich glaube grundsätzlich, dass das nicht die optimale Form ist, dass ein guter Teil des Gehalts eines Exekutivbeamten aus Zusatz- oder Nebengebühren – habe ich das jetzt richtig gesagt, Herr Bundesrat? (Bundesrat Dr. Böhm: Jawohl!) – besteht, denn: Immer dann, wenn jemand völlig unverschuldet diese Zusatzaufgaben nicht wahrneh­men kann, sei es wegen Krankheit oder aus anderen Gründen, kommt es zu einem ungeheuren Abfall des Gehaltsniveaus, und das ist insbesondere bei jüngeren Beam­ten, die Familie haben und gerade große Investitionen – Hausbau oder Ähnliches – getätigt haben, eine oft unüberbrückbare und eigentlich nicht verständliche Hürde. Da­her bin ich grundsätzlich dafür, dass wir unsere Gehaltsschemata so weiterentwickeln, dass sie in Richtung Fixgehalt gehen.

Was Ihre konkrete Frage betrifft, so ist es gerade ein Teil der Intention von Team 04 und der Weiterentwicklung unserer dienstlichen Organisation, mehr Flexibilität für die Verwendung von Überstunden zu erzielen – und das wäre mit diesem Dienstzeitsys­tem, das wir jetzt gerade erproben, gegeben –, damit wir für jene Situationen Kapazitä­ten schaffen, wo wir Mitarbeiter brauchen, sei es an Wochenenden, sei es an besonde­ren Orten, das heißt, bei besonderen Anlässen.

 


Klar ist – das gilt für das Jahr 2004 und auch für unsere Planungen für 2005 und 2006 –, dass wir im Bereich der Mehrdienstleistungen insgesamt nicht nur nicht kürzen wollen, sondern dort auch eine, wenn auch nicht sehr große, Erweiterung vorsehen wollen.

Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Reisenber­ger.

 


Bundesrat Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Herr Minister! Sie wissen, dass sich der Schwerpunkt der Kriminalitätsdelikte gerade in den letzten zwei Jahren auf Wien, speziell den 1. Bezirk, und Niederösterreich konzentriert. Was tun Sie dagegen? Ge­denken Sie, den Forderungen der Exekutivbeamten und der Personalvertretung nach mehr Personal nachzukommen?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Die Forderung ist berechtigt. Wir sind knapp an Personal, und jedes zusätzliche Personal ist etwas, was nicht nur die Personalvertretung, sondern auch der Innenminister begrüßt. Ich muss aber sehr klar sagen, dass wir an ein gemeinsames Regierungsprogramm gebunden sind und wir daher durch eine Weiterentwicklung der Organisation, durch eine Entlastung unserer Mitarbeiter von Nicht-Kernaufgaben der Exekutive, durch eine Weiterentwicklung auch unserer technischen Möglichkeiten zur Entlastung unserer Mitarbeiter im exekutiven Außendienst von Schreibarbeiten, Büroarbeiten und Ähnlichem einen Beitrag leisten wollen, dass unsere Mitarbeiter ihre Arbeit auch entsprechend leisten können.

Wie das mit einem Best-practice-Projekt funktioniert, zeigt die Polizeireform Wien. Ich möchte mit großem Respekt dem Herrn Polizeidirektor Stiedl und Herrn Kriminaldirek­tor Horngacher gratulieren, die in einer sehr kurzen Zeit die Polizeireform konzipiert und umgesetzt haben. Dank dieser hervorragenden Umsetzung gab es in den letzten drei Monaten jeden Monat eine Verbesserung bei der Aufklärungsrate und ein Absin­ken des Anstieges der Straftaten. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, die Millionen­stadt Wien als die sicherste Millionenstadt nicht nur Europas weiterhin im internationa­len Ranking zu positionieren.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Wolfinger.

 


Bundesrat Franz Wolfinger (ÖVP, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Sind mit der Einführung eines neuen Dienstzeitsystems Einsparungen geplant?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Nein. Wir haben im neuen Dienst­zeitsystem vorgesehen, dass wir mehr Flexibilität für den Einsatz unserer Mitarbeiter in jenen Bereichen – das gilt regional oder vom Tages- oder Wochenablauf her – be­kommen, in denen wir sie für die Befriedigung der Sicherheitsbedürfnisse der Bevölke­rung brauchen. Ich konnte in einer früheren Antwort schon ausführen, dass wir vorse­hen, die Mehrdienstleistungen, die dafür notwendig sind, nicht nur zu erhalten, sondern auch bescheiden weiterzuentwickeln.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zur nächsten Anfrage, 1336/M. Ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Mag. Baier, um Verlesung der Frage.

 


Bundesrat Mag. Bernhard Baier (ÖVP, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1336/M-BR/2004

„Welche Auswirkungen lassen sich durch das mit 1. Mai 2004 in Kraft getretene neue Asylrecht bereits feststellen?“

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Wir haben das neue Asylgesetz, wir haben auch insgesamt ein neues Asylsystem. Das besteht aus mehreren ganz wichtigen, ineinander greifenden Mosaiksteinen.

Das Erste ist: Durch die Erweiterung der Europäischen Union, wie ich schon ausführen konnte, sind wir „Binnenland“. Das bringt eine neue Situation, die positiv ist für uns.


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Zum Zweiten: Wir haben mit dem neuen Asylgesetz eine Regelung getroffen, die vor­sieht, dass jene, die Asyl brauchen, es auch rasch bekommen, und dass wir jenen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, rascher sagen können, wie ihre Rechtssituation ist und was die Konsequenzen sind, die damit verbunden sind.

Wir haben eine Neuorganisation auf Grund des neuen Asylgesetzes mit den Erstauf­nahmestellen, und wir haben eine Bundesländervereinbarung in den 15a-Verträgen getroffen, die integral in dieses System hineinwirkt.

Zu Ihrer speziellen Frage, zum Asylrecht, darf ich sagen, dass diese neue Organisation mit den Erstaufnahmestellen, der sofortigen Befragung der Asylwerber, mit dem Einlei­ten des Prozesses des Asylantrags und dessen Bearbeitung und der Rechtsberatung, die damit verbunden ist, auch bei einer letzten Visitation des UNHCR sehr positiv beur­teilt wurde. Auch die Zahlen für den ersten Monat, den wir überblicken können, für Mai, sagen, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Ich möchte allerdings vorsichtig sein und noch eine längerfristige Entwicklung abwarten, bevor wir zu einem endgültigen Resümee kommen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

 


Bundesrat Mag. Bernhard Baier (ÖVP, Oberösterreich): Wie viele Asylwerber befin­den sich noch in Bundesbetreuung, und wo sind sie untergebracht?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Derzeit befinden sich etwas über 16 000 Asylwerber in Bundesbetreuung. Das ist eine der höchsten Zahlen von in Bun­desbetreuung Befindlichen, die es je gegeben hat. Sie wissen, dass wir bei meinem Amtsantritt im Jahr 2000 in etwa 2 300 Asylwerber in Bundesbetreuung hatten. Sie sehen, dass wir damit inzwischen fast eine Verachtfachung der Zahl haben. Das be­deutet auch – und das möchte ich ausdrücklich sagen; wir haben das hier in diesem Rahmen schon öfter diskutiert – eine ungeheure Anstrengung, eine gemeinsame er­folgreiche Kraftanstrengung von Gemeinden, Ländern, NGOs und Innenministerium, denn bekanntlich tragen die Kosten der Betreuung zu 60 Prozent das Innenministerium und zu 40 Prozent die Länder.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Weilharter.

 


Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Bundesminister! Lassen sich in Bezug auf die Drittstaatenregelung bereits Auswirkungen für Österreich erkennen?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ja­wohl, sehr günstige Auswirkungen! Wir sehen sowohl darin, dass wir in guter Zusam­menarbeit mit unseren Kollegen an der Grenze, insbesondere der tschechischen und der slowakischen Grenze, rascher Abklärungen vornehmen können, als auch in der Rücknahme auf Grund der Dublin-II-Vereinbarungen, als auch in der Übernahme von Asylwerbern, die auf Grund von Eurodac erfolgt ist, eine Entlastung unseres Systems.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Schennach.

 


Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Herr Bundesminister! Sie haben am 15. Mai in der „Tiroler Tageszeitung“ gemeint: Seit dem 1. Mai hat sich gezeigt, dass wir viele direkt an der Grenze zurückweisen können.

Meine Zusatzfrage wäre: An welchen Grenzen und wie viele haben Sie seit dem 1. Mai zurückweisen können?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Das betrifft insbesondere die tsche­chische, die slowakische und die ungarische Grenze. Ich habe jetzt die Zahl nicht im Kopf; ich bitte um Verständnis dafür, aber es ist eine namhafte Zahl, wo von vornherein


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kein Anspruch besteht. Ich darf Ihnen den Fall des ersten Asylwerbers, der nach dem neuen System befragt worden ist, nur als Beispiel schildern.

Es ist ein Türke zu uns gekommen, der behauptet hat, er sei in einem verdunkelten Kastenwagen über die Grenze gebracht worden und könne daher nicht sagen, über welche Grenze er gekommen sei. Bei der Ersteinvernahme – das durften wir vor dem 1. Mai nicht machen – hat sich herausgestellt, dass irgendetwas in seinen Angaben nicht zusammenpasst. Weil wir einen begründeten Verdacht hatten, haben wir eine Gepäcks- und Personenkontrolle durchgeführt, was wir vor dem 1. Mai auch nicht machen durften. Bei dieser Gepäcks- und Personenkontrolle hat sich herausgestellt, dass dieser türkische Staatsbürger in diesem Kastenwagen offensichtlich eine AUA-Serviette gefunden hat, denn die hat er bei sich gehabt. Auf intensives Befragen auf Grund dieser AUA-Serviette hat sich herausgestellt, dass er mit einem Flugzeug der AUA in Schwechat gelandet ist, was sich von seiner ersten Darstellung sehr stark unterschieden hat und was wir nicht erfahren hätten, dürften wir nicht nach dem neuen System vorgehen.

Wir haben dann weiter intensive Gespräche mit dem Herrn geführt, und nach drei Tagen haben sich schon seine Freunde aus Vorarlberg gemeldet und gefragt: Wo bleibt er denn? Wir brauchen ihn schon dringend für die Schwarzarbeit!

Das zeigt nichts anderes, als dass es hier auf Grund eines mangelhaften Systems und auch mangelhafter Befragungsmöglichkeiten eine sehr gut organisierte Methode gege­ben hat, die wir jetzt – in diesem Bereich jedenfalls – abstellen konnten. Unser großes Ziel ist nach wie vor: Jene, die Asyl brauchen, sollen es rasch bekommen!, aber das Asylrecht ist nicht dazu da, dass andere unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Asyl in Anspruch nehmen wollen, aber in Wirklichkeit ganz andere Wege verfolgen. Das müssen wir unterbinden! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Schlaffer.

 


Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Herr Bundesminister! Wie Sie selbst ausgeführt haben, gibt es eine Artikel-15a-Vereinbarung mit den Bundesländern über die Verteilung von Asylsuchenden in den einzelnen Ländern. Demnach sollten diese seit 1. Mai nach einem nach der Einwohnerzahl gerechneten Schlüssel auf die Bun­desländer aufgeteilt sein.

Mich würde daher interessieren, wie weit die einzelnen Bundesländer die vereinbarte Quote erfüllt haben, beziehungsweise lautet meine konkrete Frage: Wie lauten in Pro­zenten die aktuellen Zahlen in den einzelnen Bundesländern?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Wenn Sie gestatten, Herr Vorsitzen­der und Frau Bundesrätin, würde ich Ihnen gerne die aktuellen Zahlen nachliefern. Ich habe sie jetzt nicht hier, aber ich würde sie gerne dem Herrn Präsidenten zur Verfü­gung stellen, damit sie dann zur Verteilung kommen können. – Moment, mein Mitarbei­ter hat sie mir gerade gegeben! Ich darf sie verlesen.

Burgenland: minus 186, Kärnten: minus 277, Niederösterreich: plus 241, Oberöster­reich: minus 282, Salzburg: minus 29, Steiermark: plus 440, Tirol: minus 573, Vorarl­berg: minus 221, Wien: plus 887.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zur nächsten Anfrage, 1342/M, und ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Lindinger, um die Formulierung der Frage.

 


Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Minister, meine Frage lautet:


Bundesrat
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1342/M-BR/2004

„Wurden trotz drastischer Personalkürzungen im Rahmen des Pfingstwochenen­des 2004 ebenso viele Verkehrskontrollen, insbesondere wegen Alkohol am Steuer und Raserei, wie in den Pfingstwochenenden der Vorjahre durchgeführt?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Herr Bundesrat, ich darf Sie beruhi­gen: Im Jahre 2004 haben wir hiefür mehr Personal als im Jahre 2003. Ich weiß nicht, wo Sie „drastische Personalkürzungen“ sehen; bei der österreichischen Exekutive kann es jedenfalls nicht sein.

Zum Pfingstwochenende 2004 wurden jedenfalls in etwa gleich viele Kontrollen durch­geführt wie zum Pfingstwochenende 2003.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister, was planen Sie gemeinsam mit dem Verkehrsminister zu unternehmen, um konsequent gegen die verheerende Zahl von Toten und Verletzten im Straßenverkehr vorzugehen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Über einen Teilerfolg können wir uns bereits freuen: Im Jahre 2003 gab es so wenige Verkehrstote, wie das zuletzt in den fünfziger Jahren der Fall war. Das ist ein Erfolg, der jedoch nicht nur auf die Be­mühungen des Verkehrsministeriums und der Exekutive zurückzuführen ist, sondern auch auf den technischen Fortschritt sowie auf die gute Zusammenarbeit mit dem Ku­ratorium für Verkehrssicherheit.

Das ist auch der Brennpunkt in der Prävention: Gerade jetzt läuft ja eine Verkehrssi­cherheitskampagne – gemeinsam mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit, mit dem ORF und einigen anderen Medien –, eine Verkehrssicherheitskampagne, die auf die Hauptrisikogruppe zielt: auf junge männliche Verkehrsteilnehmer, die insbesondere mit überhöhter Geschwindigkeit beziehungsweise unter Alkoholeinfluss fahren. Dort liegt der Schwerpunkt unserer Bemühungen hinsichtlich Prävention.

Weiters wird es auch notwendig sein, dass wir konsequent – um das auf „Neudeutsch“ zu sagen – „amtshandeln“ können, wenn das eben notwendig ist. Es gibt ja einige un­verbesserliche Verkehrsteilnehmer – allerdings sind das Gott sei Dank nur ganz weni­ge Prozent! –, die das Leben von über 95 Prozent der Straßenverkehrsteilnehmer, die sich den Verkehrsregeln entsprechend verhalten, gefährden. Diesbezüglich gibt es derzeit Überlegungen und sehr gute Gespräche mit dem Verkehrsministerium, und zwar in Richtung eines Vormerksystems, das von meinem Ressort her unterstützt wird.

 



Bundesrat
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Präsident Jürgen Weiss: Weitere Zusatzfrage? – Herr Bundesrat Höfinger, bitte.

 


Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! In wie vielen Fällen war erhebliche Geschwindigkeitsübertretung beziehungs­weise Alkohol am Steuer über das Pfingstwochenende ursächlich für Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Insgesamt gab es an diesem Wo­chenende sechs Unfälle infolge von Geschwindigkeitsübertretungen; infolge Alkohol­konsums gab es keine Unfälle mit tödlichem Ausgang. Im Zeitraum 28. bis 31. Mai 2004, an dem Pfingstwochenende also, gab es insgesamt zwölf Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang.

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Zusatzfrage? – Herr Bundesrat Hagen, bitte.

 


Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Werter Herr Bundesminister! Mit 1. Mai 2004 wurde der Zoll von der Gendarmerie übernommen. In Vorarlberg be­setzen jetzt Gendarmen die Grenzen. Herr Bundesminister, Sie wissen, dass in der Vorarlberger Exekutive sehr große Personalnot herrscht. Ich möchte Sie fragen: Durch diese Personalnot an den Zollstellen entstehen der Vorarlberger Wirtschaft täglich ...

 


Präsident Jürgen Weiss (das Glockenzeichen gebend): Bitte, auf den sachlichen Zu­sammenhang mit der Hauptfrage zu achten und die Frage zu formulieren!

 


Bundesrat Christoph Hagen (fortsetzend): Ich bin gerade dabei, meine Frage zu for­mulieren. – Herr Bundesminister, Sie wissen, dass der Vorarlberger Wirtschaft täglich ein Schaden von schätzungsweise 100 000 €, eben infolge dieser Personalnot an den Zollgrenzstellen, entsteht.

Daher meine Frage: Was gedenken Sie, Herr Bundesminister, in diesem Bereich in Vorarlberg an den Zollgrenzstellen personell zu verändern, damit dieser Schaden mi­nimiert werden kann? Auch im Hinblick darauf, dass es in Niederösterreich, und zwar im Bezirk Hollabrunn, über 50 Zöllner über dem Stand gibt, frage ich Sie, was Sie da zu tun gedenken.

 


Präsident Jürgen Weiss (das Glockenzeichen gebend): Ich bitte, keine Referate zu halten, und ich halte noch einmal fest: Herr Bundesrat, ich kann da keinen sachlichen Zusammenhang mit der Hauptfrage, die das Pfingstwochenende und das Verkehrsauf­kommen betrifft, erkennen!

Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich darf festhalten, dass über das Pfingstwochenende eine Zollabwicklung in Vorarlberg deshalb nicht durchgeführt wird, weil es da dem Schwerverkehr in Vorarlberg, wie übrigens in ganz Österreich, nicht zu fahren erlaubt ist. Ich darf mir aber trotzdem erlauben, auf Ihre Frage zu antworten. (Heiterkeit bei der ÖVP, der SPÖ und den Grünen sowie Beifall bei der ÖVP.)

Sie wissen, Herr Bundesrat, dass Zollangelegenheiten Angelegenheiten des Bundes­ministeriums für Finanzen sind. Herr Finanzminister Grasser hat mich diesbezüglich – auf Grund von Sorgen, die es in der Vorarlberger Wirtschaft gibt – auf eine Intensivie­rung der Zusammenarbeit und temporäre Mithilfe angesprochen, und ich kann dazu nur sagen: Grundsätzlich sind wir da natürlich für Gespräche offen, und es wurden und werden auch solche geführt, nur: Ziel muss es sein, dass – und da sind wir bereits einen großen Schritt weitergekommen – die Schweiz sowohl in Sicherheits- als auch in Zollfragen ähnlich behandelt wird, wie das in Bezug auf unsere Grenzen zu Deutsch­land und Italien der Fall ist.

Jedenfalls sind wir da, was Sicherheitsfragen betrifft, in den vergangenen drei Wochen einen wesentlichen Schritt weitergekommen, weil eben die Schengen-Fazilitäten von der Schweiz akzeptiert worden sind. Sie wissen ja, dass die Schweizer auf Grund ver­fassungsrechtlicher Bestimmungen da länger brauchen: In der Schweiz bedarf es hie­für entsprechender Volksabstimmungen und Mehrheitsbeschlüsse, damit das umge­setzt werden kann. Darauf warten wir. – Dann wird es da jedoch sicherlich zu einer Erleichterung kommen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Zusatzfrage? – Frau Bundesrätin Kerschbaum, bitte.

 


Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Ich hoffe, die Gen­darmerie „besetzt“ nicht wirklich die Grenzen in Vorarlberg, wie Sie das vorhin gesagt haben, Herr Bundesrat Hagen.


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Ich beziehe mich jetzt auch auf Kontrollen, allerdings nicht nur auf jene am Pfingstwo­chenende, sondern ganz allgemein. Zu Jahresbeginn gab es ja eine große Aktion, bei der die Sicherheitsstandards der LKWs kontrolliert wurden, worüber ja auch intensiv von der Presse berichtet wurde. Seither hört man jedoch nichts mehr darüber.

Meine Frage daher: Wurden diese Kontrollen in dem Maße fortgesetzt, beziehungs­weise ist zumindest geplant, das weiterzuführen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Zunächst eine sachliche Aufklärung: Die österreichische Gendarmerie ist auf Grund der Verfassung und der Rechtslage für die Grenzkontrolle zuständig, sie ist auch zuständig für die Grenzüberwachung an der grünen Grenze. Auch wenn sich der Bundesrat wünschen würde, dass wir das nicht tun: Wir sind verpflichtet, das zu tun! Und offen gestanden: Gegen österreichische Gesetze darf ich und möchte ich nicht verstoßen, auch wenn Sie sich das etwas anders wünschen, Frau Bundesrätin! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Was Ihre konkrete Frage betrifft – die habe ich jetzt vergessen, bin aber selbstver­ständlich gewillt, diese zu beantworten. (Bundesrätin Kerschbaum: LKW-Kontrollen!)

Ja, leider müssen wir feststellen, dass es insbesondere bei ausländischen LKW große Sicherheitsmängel gibt. Sie wissen, Frau Bundesrätin, dass solche Sicherheitsmängel seitens der Länder, eben auf Grund unserer Verfassung, kontrolliert und auch geahn­det zu werden haben. Diesbezüglich gibt es ja auch einen engen Verbund mit den Ver­kehrsreferenten der Länder, um solche Überprüfungen durchzuführen, und ich darf in diesem Zusammenhang nur auf die zahlreichen Landesprüfzüge und auf die diesbe­züglichen Schwerpunktaktionen hinweisen. Jedenfalls werden diese Überprüfungen intensiv weitergeführt werden.

In diesem Zusammenhang geht es auch darum, dass wir etwaige „Maut-Flüchtlinge“ in diesem Bereich sehr genau kontrollieren. Es würde jedoch keinen Sinn machen – ich möchte das durchaus mit Blick auf die Wirtschaft sagen –, den Güternahverkehr zu beeinträchtigen, sondern es geht darum, dass der internationale Verkehr, dass der Güterfernverkehr dort hinkommt, wohin er gehört, nämlich auf die Autobahnen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zur 6. Anfrage, 1339/M, und ich bitte den Fra­gesteller, Herrn Bundesrat Stefan Schennach, um die Formulierung der Frage.

 


Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister, meine Frage lautet:

1339/M-BR/2004

„Mit welchen konkreten Änderungen wird auf die massive Kritik der Begutachtungen zur Sicherheitspolizeinovelle reagiert?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Wenn ich Ihre Frage richtig verstan­den habe, dann meinen Sie mit „massiver Kritik“ die Kritik von besonderer Seite: Kritik an der Videoüberwachung und an den Schutzzonen. – Mit dieser Kritik kann ich leben, Herr Bundesrat!

Offen gestanden ist es mir völlig unverständlich und für mich nicht nachvollziehbar, dass jeder Tourist – auch der Herr Bundesrat Schennach –, wenn er zum Beispiel in Salzburg über den Domplatz geht, selbstverständlich den Verkehr dort filmen darf, die Fiaker filmen darf, den Dom filmen darf, die Passanten filmen darf et cetera et cetera. Der Bundesrat Schennach als Tourist darf all das dokumentieren, archivieren, in sei-


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nem Heimkino vorführen, einer Fernsehanstalt zur Verfügung stellen, aussenden oder auch ins Internet stellen. Das alles darf er damit machen. Doch all das, was der Herr Bundesrat Schennach als Tourist darf, darf die Polizei nicht! Die Polizei darf nur zu­schauen. Mir soll einmal jemand erklären, warum das sinnvoll sein soll! Ich jedenfalls verstehe das nicht. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich will gar nicht, dass die Polizei dieselben Befugnisse hat wie im angeführten Beispiel der Tourist Bundesrat Schennach, weil ja ein erhöhtes Schutzbedürfnis besteht. Daher sagen wir: Selbstverständlich ist das unter Zuhilfenahme eines Rechtsschutzbeauftrag­ten zu machen! Selbstverständlich unterwerfen wir uns da einer erhöhten Aufmerk­samkeitspflicht! Aber es kann nicht sein, dass im Schutz veralteter gesetzlicher Rege­lungen die Polizei nicht das nötige Handwerkszeug bekommt, um Kriminelle zu verfol­gen und zur Strecke zu bringen! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Ich hoffe nicht, dass die Polizei touris­tisch ausgestattet über den Domplatz in Salzburg marschiert. Der Unterschied zwi­schen dem Touristen Schennach und der Polizei ist die Folgekonsequenz. Deshalb noch einmal meine Frage, präzisiert – es geht da um den Reykjavik-Vorschlag oder das Reykjavik-Modell –: Ist das Ihrer Meinung nach mit der Europäischen Menschen­rechtskonvention konform?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Selbstverständlich!

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage wünscht Herr Bundesrat Reisen­berger. – Bitte.

 


Bundesrat Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Herr Minister Strasser! Laut einer Um­frage der Personalvertretung haben sich über 90 Prozent gegen das neue Dienstrecht ausgesprochen. Nicht nur die Polizei, sondern auch die Gendarmerie, welche zwei­felsohne zum Großteil Ihrer Fraktion angehört, sieht keine positiven Auswirkungen der Sicherheitspolizeigesetznovelle. Sind Sie bereit, die von den Kollegen geforderten Än­derungen auch umzusetzen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Nur zur Klarstellung und auch für das Protokoll und für die interessierten Zuhörer: Es gibt kein neues Dienstrecht! (Bun­desrat Reisenberger: Änderungen im Dienstrecht!) Es gibt auch keine Änderungen im Dienstrecht! Es gibt ein neues Dienstzeitsystem!

Soweit mir bekannt ist, hat die Personalvertretung nach den Änderungen im Dienst­zeitsystem und nicht nach den Änderungen im Dienstrecht gefragt.

Ich verstehe das! Ich verstehe die Zurückhaltung und Skepsis der Mitarbeiter. Genau aus diesem Grund führen wir eine Erprobung durch, weil wir wissen wollen, welche Auswirkungen dieses neue Dienstzeitsystem für unsere Mitarbeiter hat. Das wollen wir laufend evaluieren, auch gemeinsam und im Verein mit der Personalvertretung, weil wir bestrebt sind, miteinander die beste Lösung zu finden.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Dr. Kühnel. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Herr Bundesminister! Was erwar­ten Sie sich von der Schaffung von Schutzzonen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 



Bundesrat
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Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich glaube, dass die Schaffung von Schutzzonen nach dem Vorschlag im Sicherheitspolizeigesetz einen ganz wichtigen Mehrwert für mehr Sicherheit darstellt, und zwar vor allem für unsere Kinder in gefähr­deten Zonen, auf großen Plätzen oder auf einschlägigen Plätzen vor allem in urbanen Räumen.

Worum geht es dabei? – Es geht dabei darum, dass zum Beispiel der zuständige Schulleiter oder der zuständige Kasernenkommandant, wenn es sich um den Umkreis von Kasernen handelt, oder der zuständige Leiter eines Jugendklubs beispielsweise dann, wenn er feststellt, dass im unmittelbaren Bereich der betreffenden Einrichtung etwa fortlaufend Drogenhandel betrieben wird, die Möglichkeit hat, dass die Polizei da einschreitet, und diese hat dann in einer erweiterten Schutzzone dafür zu sorgen, dass verdächtige Personen weggewiesen werden.

Ich erwarte mir dadurch, dass es mehr Schutz und mehr Hilfe für unsere Jugendlichen und Kinder gibt! (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Mag. Gude­nus. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Können Sie sich im Rahmen der Zusammenlegung der Wachkörper eine Ausweitung der aus dem Sicherheitspolizeigesetz ableitbaren unverzichtbaren Informationsrechte des Lan­deshauptmannes vorstellen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Eine Ausweitung nicht, aber eine Fortführung der bisherigen, und das bedeutet insbesondere für die Landeshauptleute jener Bundesländer, in welchen Bundespolizeidirektionen angesiedelt sind, eine indi­rekte Ausweitung. Das bedeutet somit auch eine Ausweitung der Mitspracherechte des Landeshauptmannes von Wien.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen nun zur 7. Anfrage, 1337/M.

Ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Höfinger, um die Verlesung seiner Frage.

 


Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! Meine Frage lautet:

1337/M-BR/2004

„Welche Änderungen sind im Bereich der Bundesbetreuung mit der Umsetzung der 15a-Vereinbarung über die Grundversorgung verbunden?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Da sind einige Änderungen vorgesehen, die ich in einer vorhin gegebenen Antwort schon angesprochen habe. Durch die Artikel-15a-Vereinbarung ist endlich – nach jahrelangen Diskussionen, wo es auch oft zu Missverständnissen und zu für die Betroffenen nicht angenehmen Streitereien kam – zwischen Bund und einzelnen Bundesländern Klarheit geschaffen worden.

Es sind nun Bund und Länder gemeinsam für die Betreuung von Flüchtlingen und Asyl­werbern zuständig. Sie finanzieren das gemeinsam. Die Länder sind zuständig dafür, dass die notwendigen Quartiere vorhanden sind. Der Bund ist zuständig für die Orga­nisation, für die Abwicklung und zu 60 Prozent für die Finanzierung. Die restlichen


Bundesrat
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40 Prozent steuern die Länder bei. – Das ist in sehr knapper, geraffter Form die getrof­fene Vereinbarung.

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den Ländern für die wirklich gute Koopera­tion bedanken. Dieses völlig neue System ist am 1. Mai in Gang gesetzt worden. Es hat eine sehr gute Zusammenarbeit bei der Überwindung der einen oder anderen „Kin­derkrankheit“ gegeben, die notwendigerweise mit der Einführung eines neuen Systems verbunden ist. Wir arbeiten daran, diese zu beseitigen, und hoffen, dass das neue Sys­tem mit Ende September voll in Kraft sein wird.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Was pas­siert mit jenen Asylwerbern, die nicht zum inhaltlichen Verfahren zugelassen werden?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Das ist klar! Die Konsequenz ist folgende: Wenn es keinen Anspruch auf Asyl gibt, dann gilt wie bei jedem anderen fremden Staatsbürger das Fremdengesetz. Das heißt, wenn kein Anspruch darauf be­steht, in Österreich aufhältig zu sein, dann muss der Betreffende unser Land verlassen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Ing. Kampl. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Ing. Siegfried Kampl (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Nach welchem Aufteilungsschlüssel kommt es zur Aufteilung der Betroffe­nen auf die Erstaufnahmezentren Thalham in St. Georgen im Attergau und Traiskir­chen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Dieser Schlüssel ist sehr klar: Wir wollen in St. Georgen nicht mehr aufhältige Fremde haben, als wir das bisher hatten. Das sind in etwa 200. Diese Zahl wollen wir nicht überschreiten. Daher haben wir für entsprechende Kapazität in Traiskirchen vorgesorgt. Sollten mehr Kapazitäten notwen­dig sein – derzeit ist das aber nicht der Fall –, dann müssten wir über ein drittes Auf­nahmezentrum – das könnte am Flughafen Wien-Schwechat sein – nachdenken. Das ist aber derzeit nicht geplant.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Konrad. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Herr Bundesminister! Sie haben uns vorhin schon die aktuellen Zahlen genannt, wie die Bundesländer ihre Quote betreffend die Aufnahme von Asylwerbern erfüllen. Mich würde jetzt interessieren, welche Aktivitäten es seitens Ihres Ministeriums gibt, um die noch im Rückstand befindlichen Bundeslän­der dazu zu bewegen, dass sie ihre Quote erfüllen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Zunächst einmal möchte ich feststel­len: Es ist bei den Bundesländern nicht so, dass man sie sozusagen mit einer Kran­kenbahre zum Essen bringen muss, die können schon selber gehen. Auf jeden Fall sind wir jederzeit bereit, Unterstützung zu gewähren.

Ich habe fast täglich Kontakt mit den zuständigen Mitgliedern der Landesregierungen. Wir sprechen uns sehr genau ab. Ich telefoniere mit den Bürgermeistern jener Ge­meinden, in welchen es Probleme gibt. Wir versuchen in einem gedeihlichen Miteinan-


Bundesrat
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der dafür zu sorgen, dass ein gutes Auskommen, und zwar sowohl mit der Bevölke­rung als auch mit den Betreuten, gegeben ist.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Schlaffer. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Herr Bundesminister! Laut der von Ihnen in Beantwortung meiner Zusatzfrage zur Anfrage 4 getroffenen Aussage sind im Burgenland um 186 Asylsuchende weniger untergebracht als vereinbart. Mit Schreiben vom 27. Mai 2004 hat Ihnen Landeshauptmann Niessl mitgeteilt, dass im Burgenland zum damaligen Zeitpunkt um 100 Asylwerber mehr betreut wurden als vereinbart, wo­bei sich diese Zahl mittlerweile um weitere 50 erhöht hat.

Wie erklären Sie diese unterschiedlichen Angaben?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Irgendwer rechnet falsch. Wir wer­den uns das anschauen! (Beifall bei der ÖVP.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen nun zur 8. Anfrage. Ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Helmut Wiesenegg, um die Verlesung seiner Frage.

 


Bundesrat Helmut Wiesenegg (SPÖ, Tirol): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Präsident! Meine Frage lautet:

1343/M-BR/2004

„Garantieren Sie trotz der in Aussicht genommenen Personalreduktionen den Bestand der Gendarmerieposten und deren personelle Ausstattung mit 76 Planposten im Bezirk Reutte?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Auf Grund der Weiterentwicklung der Organisation ist da keine Änderung vorgesehen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

 


Bundesrat Helmut Wiesenegg (SPÖ, Tirol): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sie haben soeben die Absicherung von 76 systemisierten Planposten im Bezirk Reutte zugesagt. In Wirklichkeit sind auf Grund von Pensionierungen und Versetzungen nur 60 Beamtinnen und Beamte im Dienst.

Daher meine Zusatzfrage: Werden Sie die fehlenden 16 Beamtinnen und Beamten sofort nachbesetzen und auf die, wie Sie wissen, längst überfällige LKW-Kontrollstelle an der bayerischen Grenze zwischen Füssen und Reutte versetzen, also dieser auch Personal zusichern?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich glaube, Herr Bundesrat, es hat da bei Ihnen ein Hörfehler stattgefunden; das lässt sich im Protokoll leicht nachlesen. Ich habe klar und deutlich gesagt – ich wiederhole –: Auf Grund der anstehenden Ver­änderungen in der Organisation ist keine Änderung in Bezug auf die Gendarmerie­posten und die Systemisierungen im Bezirk Reutte vorgesehen. (Bundesrat Konecny: Das heißt, Sie schicken die 16 weiterhin nicht!)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Fröhlich. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 



Bundesrat
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Bundesrätin Christine Fröhlich (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister! Wird sich die Außendienstpräsenz durch die Zusammenlegung der Wachkörper verringern?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Im Gegenteil! Durch die Zusammen­legung von Gendarmerie und Polizei werden wir mindestens 400 Mitarbeiter, die der­zeit mit Schreibtischarbeiten belastet sind, für den operativen Außendienst gewinnen. Das wird eine Verbesserung der regionalen Sicherheitslage und der Präsenz mit sich bringen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die nächste Zusatzfrage zu den Verhältnissen im Bezirk Reutte stellt Herr Bundesrat Hagen. (Heiterkeit.) – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Zum Personal darf man fra­gen.

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Die Personalsituation in einem Bezirk wird festge­legt durch die Belastungsstudie, das heißt, wie viele Beamte auf Grund des Arbeitsan­falles in dem betreffenden Bezirk Dienst machen müssen. Die letzte Belastungsstudie wurde 1996 veröffentlicht. Bis wann ist mit der nächsten Belastungsstudie zu rechnen?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Wie Sie ja aus Ihrer praktischen Tätigkeit im Gendarmeriebereich wissen, hat diese Belastungsstudie nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch viel Wirbel und viel Ungemach gebracht. – Ich habe mir das im Detail angesehen, und ich glaube, dass in dieser Form eine Neuauflage nicht sinnvoll ist. Wir haben uns im Zuge der Neuorganisation, und zwar im Zusammenhang mit Team-04, die Situation österreichweit angesehen und darauf Rücksicht genommen.

Sie haben zu Recht erwähnt, dass es durch die Zusammenführung von Zoll mit Polizei und Gendarmerie zum Teil zu einer Disparität in einzelnen Regionen gekommen ist. Wir haben etwa insbesondere im südlichen Burgenland einen erhöhten Personalstand, den wir aber aus sozialen Gründen nicht in irgendeiner Form auf eine harte Dienstan­weisung hin verändern wollen. Das muss sich einspielen und wird seine Zeit brauchen.

Wir sind gerade im Probebetrieb für IPOS, das neue polizeiliche Akten- und Organisa­tionssystem, das eine wesentliche Arbeitserleichterung für unsere Mitarbeiter bringen wird und das auch die Kennzahlen für Belastungen, die im System schon integriert sind, bringen wird. Da erwarten wir uns weitere Aufschlüsse über die Belastungssitua­tion unserer Beamten.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Kersch­baum. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister! Auch ich werde mich aus Reutte wegbegeben – ich hoffe, Sie kennen sich auch in Niederösterreich aus. (Ironische Heiterkeit des Bundesrates Konecny.)

Laut unserem Wissen sind derzeit in etwa 150 Planstellen bei der Gendarmerie in Nie­derösterreich nicht besetzt – teilweise deshalb, weil die Beamten in Sondereinheiten untergebracht sind. Des Weiteren haben wir auch erfahren, dass es sehr viele Gen­darmerieposten gibt, die derzeit noch keinen Internet-Anschluss und keine weitere technische Ausrüstung haben.

 


Nun meine Frage: Werden diese 150 derzeit nicht besetzten Planstellen besetzt? Wenn ja, wann werden sie besetzt? Wann wird das BAKS 4, der technische Standard, wo auch das Internet inbegriffen ist, in allen Gendarmerieposten in Niederösterreich flächendeckend in Betrieb sein?


Bundesrat
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Präsident Jürgen Weiss: Es waren eigentlich drei Fragen. – Bitte, Herr Bundesminis­ter.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Ich kann jetzt diese Zahl nicht bestä­tigen, aber es wird ganz sicher einen Fehlbestand von systemisierten Beamten zu tat­sächlicher Dienstverrichtung geben. Die werden dann nachbesetzt, wenn wir die Be­amten haben – zum Teil haben wir sie schon.

Wenn ich hier vom Bundesrat die Aufforderung bekomme, aus dem Südburgenland die Beamten nach Niederösterreich zu versetzen, so kann ich Ihnen sagen: Ich werde das gerne prüfen! Ich glaube aber, dass es gute soziale Gründe gibt, da nicht in dieser Härte vorzugehen, sondern abzuwägen, was da sinnvoll ist und was für unsere Mit­arbeiter in einem angenehmen Umfeld geschehen soll.

Zur zweiten Frage: Kein einziger Gendarmerieposten hat einen Internet-Anschluss. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Lachhaft!) – Ja, ich habe das auch, Frau Bundesrätin, lachhaft gefunden. Das ist einer der Gründe, warum wir dringend die Zusammenfüh­rung von Gendarmerie und Polizei brauchen, denn es ist leider bis vor kurzem nicht möglich gewesen, dass eine E-Mail vom Wachzimmer in Strebersdorf zum Gendarme­rieposten in Korneuburg geschickt wird, weil es keine Verbindung gegeben hat.

Das war der technische Zustand, als wir die österreichische Exekutive übernommen haben, und das wollen wir mit „team04“ verändern, weil wir rasche Erledigungen und kurze Wege haben wollen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Boden: Was habt ihr die letzten vier Jahre gemacht? – Weiterer Zwischenruf bei der SPÖ.)

Sie haben BAKS 4 angesprochen: Das ist derzeit im Vollausbau, der Roll-out ist im Gange, und das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass wir das IPOS, das neue Sys­tem, auch bei unseren Mitarbeitern integrieren können.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zur 9. Anfrage. Ich bitte den Fragesteller, Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Bogensperger, um die Verlesung seiner Frage.

 


Bundesrat Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage passt sehr gut zu den vorhergehenden Antworten:

1338/M-BR/2004

„Wie weit sind die Arbeiten für die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie ge­diehen?“

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Wir haben die Arbeiten so weit vorangetrieben, dass wir für Entscheidungen bereit sind – für Entscheidungen, die selbstverständlich das Parlament zu treffen hat. Sobald diese Entscheidungen gefallen sind, werden wir mit den Umsetzungsvorbereitungen beginnen. Zum Teil beginnen wir schon jetzt, wie Sie an der Erprobung des Dienstzeitsystems erkennen.

Ich gehe davon aus, dass wir nach den Vorbereitungen mit der Umsetzung zur Jah­reswende 2004/2005 beginnen können. Die Umsetzung wird etwa eineinhalb Jahre dauern, sodass wir davon ausgehen, dass wir im Sommer 2006 die Umsetzung abge­schlossen haben werden können.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger (ÖVP, Steiermark): Welche weiteren Schritte sind geplant?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 



Bundesrat
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Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Der nächste Schritt ist sicher, dass wir uns sehr genau und mit großer Sorgfalt die Entwicklung des Dienstzeitsystems in der Erprobung ansehen. Sobald wir da entsprechende Ergebnisse haben, werden wir sie evaluieren und bei Bedarf eine Adaptierung vornehmen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Ing. Kampl. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


Bundesrat Ing. Siegfried Kampl (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Als Bürgermeister einer Gemeinde, in welcher Gendarmerieposten zu­sammengelegt wurden, weiß ich um die Nervosität der Bürger, die unmittelbar davon betroffen waren.

Meine Frage lautet: Welche Vorteile erhoffen Sie sich durch die Herauslösung der bis jetzt in den Sicherheitsdirektionen integrierten Landesämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und deren Unterstellung unter das Bundesamt für Verfas­sungsschutz und Terrorismusbekämpfung?

 


Präsident Jürgen Weiss: Bitte, Herr Bundesminister.

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Es gibt gute Argumente dafür, dass die Landesämter für Verfassungsschutz dem Bundesamt unterstellt werden. Diese Argumente wurden vom „team 04“ zusammengestellt und in den 25 Diskussionen mit unseren Mitarbeitern in ganz Österreich, mit über 4 000 Mitarbeitern, auch in vielen Mails, weiter verfeinert. Aber es gibt einige auch gewichtige Argumente, die durchaus für einen Verbleib der Landesämter in der Sicherheitsdirektion zu werten sind. In dieser Frage ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Wir werden diese beiden Gruppen von Argumenten nebeneinander stellen und diese Frage entscheiden. Ich gehe davon aus, dass das im Sommer der Fall sein kann.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Konrad.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Minister! Stimmt es, dass die Personalvertretung der Gendarmerie, also Mitglieder Ihrer Fraktion, sich mehrheit­lich deutlich gegen eine Zusammenlegung ausgesprochen haben?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: In einem demokratischen Miteinan­der sind Fraktionen wichtig. Das ist anzuerkennen. Aber der Minister hat darauf zu schauen, was das beste Ergebnis für alle ist. Daher kann ich Ihre Frage weder bestäti­gen noch dementieren. (Bundesrat Reisenberger: Das Ergebnis sollte man schon wissen, Herr Minister!)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Schimböck.

 


Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Wie hat sich die Anzeigenstatistik im Bereich der Eigentumskriminalität in den letzten fünf Jahren entwickelt?

 


Präsident Jürgen Weiss: Meine Frage war, ob Sie eine Zusatzfrage zur Anfrage 9 stellen möchten. Sie haben bereits die Hauptfrage zum nächsten Punkt vorwegge­nommen. Daraus entnehme ich: Sie wollten keine Zusatzfrage stellen, sondern stellen jetzt gleich die Hauptfrage zur 10. Anfrage, 1344/M. Ich bitte Sie jetzt um die Verlesung der Anfrage.

 


Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Gut, ich hatte Ihren Aufruf so aufgefasst. – Meine Hauptfrage zur 10. Anfrage lautet:


Bundesrat
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1344/M-BR/2004

„Wie hat sich die Anzeigenstatistik im Bereich der Eigentumskriminalität in den letzten fünf Jahren entwickelt?“

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Im Bereich der Deliktgruppe Delikte gegen fremdes Vermögen ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle vom Jahr 1999 bis zum Jahr 2003 von etwa 334 000 auf etwa 466 000 gestiegen. Wir hatten zum Teil bis zum Jahr 2000 einen Anstieg, im Jahr 2003 einen Rückgang des Anstieges zu ver­zeichnen, und ich freue mich, dass wir im Jahr 2004 einen weiteren Rückgang des Anstieges beobachten können. Wir hatten insbesondere in den Jahren 2001, 2002 und 2003 einen massiven Import von organisierter Kriminalität – gerade im Bereich der Deliktgruppe der Delikte gegen fremdes Vermögen. Ich bin sehr froh, dass die Maß­nahmen, die insbesondere in den Städten ergriffen wurden, wirken, dass wir da zu steigenden Aufklärungsraten und zur Abschwächung der Entwicklung der bekannt ge­wordenen Fälle kommen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

 


Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Es stellt sich natürlich folgende Frage: Es geht ja nicht nur darum, Kriminalität, gesche­hene Delikte aufzuklären, sondern auch darum, wie es in diesem Zusammenhang mit der Prävention aussieht.

Konkret lautet meine Zusatzfrage: Wie hat sich die Anzahl der Planstellen beim Krimi­nalpolizeilichen Beratungsdienst, bei der Gendarmerie und bei den Bundespolizeidirek­tionen in den letzten fünf Jahren entwickelt?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Diese Frage kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten, aber ich reiche Ihnen die Antwort gerne nach.

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Kritzinger. – Bitte.

 


Bundesrat Helmut Kritzinger (ÖVP, Tirol): Herr Minister! Ist durch die Zusammenle­gung der Wachkörper und insbesondere durch die Auflösung des Kriminalkorps eine Verschlechterung der Kriminalitätsentwicklung zu befürchten oder nicht?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Es wird eine höhere Qualität der Aufklärung und auch der Prävention – das ist eine wichtige Frage – geben. Das zeigen die Ergebnisse in Wien, wo nach dem neuen System gearbeitet wird und sehr gute Erfolge feststellbar sind.

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Zusatzfrage: Herr Bundesrat Hagen, bitte.

 


Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Wie erklären Sie die Steigerung der Kriminalitätsrate um 14,5 Prozent in Vor­arlberg im Vergleichszeitraum Jänner 2003 bis April 2004?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Zuerst muss man einfach neidlos und respektvoll anerkennen, dass Vorarlberg immer den Spitzenplatz einnimmt, was die Aufklärungsquote betrifft. Zumindest soweit ich Statistiken kenne, ist das der Fall, und das ist ein hohes Verdienst der Vorarlberger Gendarmerie und von deren Mitarbei­tern, das anzuerkennen ist. Auch jetzt, unter diesen schwierigen Bedingungen durch importierte Kriminalität, hat Vorarlberg diesen ersten Platz erhalten können, allerdings auf einem niedrigeren Niveau.

Das, was wir brauchen, ist eine Weiterentwicklung unserer Organisation, ähnlich der, wie sie in Wien bereits erfolgreich arbeitet. Ich gehe davon aus, dass die enge Zu-


Bundesrat
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sammenarbeit zwischen den Sicherheitswachebeamten und den Kriminaldienstleuten, insbesondere in den urbanen Bereichen Vorarlbergs, eine weitere Verbesserung die­ses ersten Platzes und eine Absicherung dieses ersten Platzes in der österreichischen Kriminalstatistik bringen wird.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die letzte Zusatzfrage stellt Frau Bundesrätin Konrad.

 


Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Werter Herr Minister! Warum werden im Si­cherheitsbericht hate crimes, also rassistisch motivierte Straftaten, nicht gesondert ausgewiesen, so wie das in anderen Ländern üblich ist?

 


Bundesminister für Inneres Dr. Ernst Strasser: Diese Frage werde ich prüfen. Das schaue ich mir an.

 


Präsident Jürgen Weiss: Die Fragestunde ist beendet.

Einlauf und Zuweisungen

 


Präsident Jürgen Weiss: Hinsichtlich der eingelangten, entsprechend vervielfältigten und verteilten Anfragebeantwortungen 1983/AB-BR/2004 bis 1998/AB-BR/2004 ver­weise ich auf die im Sitzungssaal verteilten Mitteilungen, die dem Stenographischen Protokoll angeschlossen werden. (s. S. 8.)

Eingelangt und von mir zugewiesen sind jene Beschlüsse des Nationalrates sowie jene Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder, die Gegenstand der heutigen Ta­gesordnung sind. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung

 


Präsident Jürgen Weiss: Auf Grund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsich­tige ich, die Debatte über die Punkte 2 und 3, 4 bis 7, 8 und 9 sowie 14 und 15 der Tagesordnung jeweils unter einem zu verhandeln.

Wir dagegen eine Einwendung erhoben? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher so vorgehen.

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Präsident Jürgen Weiss: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Professor Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend 65. Störfall in Temelίn und unzureichende Infor­mation der österreichischen Bevölkerung darüber an den Herrn Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

1. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Tierschutzgesetz erlassen sowie das Bundes-Verfassungsgesetz, die


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Gewerbeordnung 1994 und das Bundesministeriengesetz 1986 geändert werden (446 d.B., 2/A, 5/A, 9/A, 12/A und 509 d.B. sowie 7044/BR d.B. und 7045/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Saller. Ich bitte ihn um den Bericht.

 


Berichterstatter Josef Saller: Bericht des Ausschusses für Verfassung und Födera­lismus über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem ein Tierschutzgesetz erlassen sowie das Bundes-Verfassungs­gesetz, die Gewerbeordnung 1994 und das Bundesministeriengesetz 1986 geändert werden.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich kann daher auf die Verlesung ver­zichten.

Der Ausschuss für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben;

2. den in Art. 1 des gegenständlichen Beschlusses des Nationalrates enthaltenen Ver­fassungsbestimmungen im Sinne des Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Zellot das Wort. – Bitte.

 


10.10

Bundesrat Roland Zellot (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine geschätzten Damen und Herren! Das neue Bundes-Tierschutzgesetz, das in den letzten Wochen im Nationalrat einstimmig beschlossen wurde, hat in ganz Öster­reich schon seit Jahren eine große Diskussion ausgelöst.

Tierschutz ist in Österreich – das möchte ich einmal ganz klar festhalten – im Großen und Ganzen auch immer nach den gesetzlichen Bestimmungen und Vorschriften be­trieben worden. Der Tierschutz vor allem in der Landwirtschaft ist in Österreich auch als Mitgliedstaat der Europäischen Union von den österreichischen Bauern immer mus­tergültig gemäß den Bestimmungen praktiziert worden.

Dass Österreich, ob in Bezug auf die Tierhaltung, auf die Tierkennzeichnung oder auf die Hygieneverordnung, einer der mustergültigsten Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist, beweist auch die Tatsache, dass im Bereich der Landwirtschaft österreich­weit zirka 95 000 Kontrollen im Jahr durchgeführt werden. Meine geschätzten Damen und Herren! Das ist eine Zahl, wie es sie laut einer Anfrage der EU-Kommission in den anderen Mitgliedstaaten nicht gibt.

Deswegen verwundert es mich auch, dass man heute sagt, diese Maßnahmen und dieses Bundes-Tierschutzgesetz sollen das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf von Lebensmitteln stärken. – Ja, meine geschätzten Damen und Herren, denken wir doch darüber nach: Beleidigen wir damit nicht verschiedene Produktionsbereiche in der Landwirtschaft?! Hat die österreichische Landwirtschaft im Lebensmittelbereich bis jetzt „Dreck“ erzeugt – wenn wir sagen, jetzt, durch dieses neue Bundes-Tierschutzgesetz, wird alles besser?!

Meine geschätzten Damen und Herren! Auch auf diese Frage kommt die Antwort aus der Europäischen Kommission. Die Europäische Kommission will nämlich nicht mehr, dass es Kennzeichnungen zum Beispiel von Rindfleisch gibt, wo durch eine Kenn-


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zeichnung die Herkunft aus Österreich oder aus Deutschland von jener aus einem an­deren Mitgliedstaat unterschieden wird, sondern die Europäische Kommission will – und die meisten Mitgliedstaaten sind schon dafür –, dass es ein europaweit „EU“-gekennzeichnetes Rindfleisch gibt. Dann können Sie nicht mehr unterscheiden, aus welcher Form von Tierhaltung dieses Rindfleisch kommt.

Ich finde das natürlich schlecht. Deswegen stehe ich persönlich als praktizierender Tierschützer der bundesweiten Regelung des Tierschutzes positiv gegenüber. Ich ste­he auch positiv dazu – obwohl es dadurch natürlich auch zu wirtschaftlichen Schwie­rigkeiten kommt –, dass es zur Abschaffung der Käfighaltung kommt. Ich sage das hier, damit Sie auch meinen Standpunkt zum Tierschutz kennen – ich praktiziere ihn ja täglich. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine geschätzten Damen und Herren! Ich setze mich nur für jene ein, die es vielleicht nicht so leicht haben wie ich, der ich bereits seit Jahren die Laufstallhaltung, bei der die Tiere frei laufen können, praktiziere und von der Anbindehaltung abgegangen bin. Es wird natürlich sehr viele Betriebe geben, die es sich nicht richten können.

Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Ich weiß, es gibt Verordnungen betreffend diese Anbindehaltung, wo es auch Ausnahmen gibt. Aber bitte bedenken wir, dass es in der österreichischen Landwirtschaft schon 75 Prozent Nebenerwerbslandwirte gibt. Und wenn so ein Nebenerwerbslandwirt einen Hof besitzt, wo eigentlich ein Auslauf ge­rechtfertigt ist, dann frage ich mich: Wie wird es da mit der Aufsichtspflicht über diese Tiere aussehen, wenn der Landwirt untertags seiner Arbeit nachgeht und daher nicht zu Hause sein kann?

Deshalb ist aus meiner Sicht bei diesem Bundes-Tierschutzgesetz der negative Punkt die Regelung betreffend die Anbindehaltung. Die Anbindehaltung ist nichts Negatives! Anbindehaltung bedeutet mehr Kontrolle und auch mehr Hygiene. Die Freilandhaltung oder die Laufstallhaltung oder auch zum Beispiel der Austrieb von Tieren wird den Landwirten jetzt natürlich Schwierigkeiten bereiten. Ich sage heute, dass wir auch Schwierigkeiten mit den Kontrollstellen haben werden, weil das als Weidegebiet aus­gewiesene Gebiet kein Weidegebiet mehr sein wird, weil dort, wo Tiere in Massen auf­treten, die Grasnarbe so verletzt wird, dass diese Flächen von der Kontrollstelle der Agrarmarkt Austria nicht mehr als Weideland bewertet werden. Dadurch entstehen natürlich zusätzliche Schwierigkeiten.

Mit diesem Bundes-Tierschutzgesetz hat man natürlich auch ein Gesetz geschaffen, das den österreichischen Staat, den Finanzminister sehr viel Geld kosten wird, weil für massive Umbaumaßnahmen sehr viel an Mitteln aufgebracht werden muss. Es haben ja einige Bauernorganisationen große Inserate geschaltet, in denen sie die für die Landwirtschaft entstehenden Probleme aufgezeigt haben.

Meine geschätzten Damen und Herren! Einen wesentlichen Aspekt der Tierhaltung sehe ich im Bereich der Tierzoos, die auch einen Beitrag zum Tourismus leisten. Es gibt in Österreich ja zirka zwölf private Zoohalter, die keinen einzigen Cent an öffentli­chem Geld oder öffentlichen Förderungen bekommen. Diesen Zoos hat man den so genannten Tierhalter beziehungsweise einen ausgebildeten Tierpfleger verpflichtend verordnet. Meine geschätzten Damen und Herren! Ich möchte da folgenden Vergleich anstellen: Wenn heute ein Landwirt mit 100 Hektar Wald dazu verpflichtet wird, für diese 100 Hektar einen Förster aufzunehmen, dann kann er diesen Wald nicht mehr bewirtschaften, weil er das nicht mehr bezahlen kann. Ich war bei der Jahreshauptver­sammlung dabei, und dort wurden diese Probleme der Zoohalter, die ja eine Touris­musattraktion bieten, natürlich auch vorgetragen. Sie werden natürlich diese Zoos zu­sperren müssen, denn sie bekommen nicht so viele finanzielle Mittel wie ein Herr Pechlaner für den größten Tierpark Österreichs.


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Meine geschätzten Damen und Herren! Das ist eine Problematik, auf die ich auch hin­weisen möchte. Deshalb, auf Grund der von mir hier aufgezeigten Problematik, sind aus meiner Sicht, obwohl ich positiv zum Tierschutz stehe, diese beiden Punkte nicht gerechtfertigt. Ich werde vor meine Bauern hintreten und sagen: Ich gebe somit hier zu Protokoll, dass ich diesem Bundes-Tierschutzgesetz nicht die Zustimmung erteile. (Uh-Rufe bei der SPÖ. – Bundesrat Prutsch: Koalitionskrise! – Ruf bei der SPÖ: Die Koali­tion bricht auseinander! – Bundesrat Bieringer – in Richtung SPÖ –: Das wäre der Wunsch von euch!)

10.17

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ing. Haller. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.18

Bundesrat Ing. Hermann Haller (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Frau Minister! Sehr geehrte Staatssekretäre! Die Schlussworte in der Rede des Kollegen wundern mich ein bisschen, denn eigentlich war der einheitliche Tenor: Ein großer Tag für den Tierschutz, ein großer Tag für Österreich! – Ich bin selbst Landwirt und weiß, wie wir mit diesem Gesetz zu kämpfen haben werden und wie schwierig es für uns sein wird, damit umzugehen.

Aber ich glaube, dieser Beschluss vom 27. Mai, an dem im Nationalrat einstimmig ein modernes Tierschutzgesetz für Österreich verabschiedet wurde, ist trotzdem zu akzep­tieren. Es handelt sich dabei sicherlich um ein Paket von Vorschriften, die für die Bau­ern ganz an die Grenze des Machbaren gehen. Aber, Herr Kollege, wir müssen da, so glaube ich, unbedingt dem Aufruf der Gesellschaft Folge leisten, und es gilt, den Tier­schutz und die Interessen der bäuerlichen Betriebe miteinander zu verbinden. Es war für uns sicher ein schwieriger Weg, und auch die Tierschutzsprecher der einzelnen Parteien haben große Kompromisse und Abstriche machen müssen.

Tierschützer und Menschen, die mit Tieren leben, wie Sie richtig gesagt haben, hatten einen sehr unterschiedlichen Zugang zu diesem Thema, zumal es in Österreich ja Be­triebe gibt und wir diese Wetzschöpfung erhalten und diese Betriebe mit anderen Län­dern konkurrieren müssen – mit Ländern, die eigentlich überhaupt keinen Tierschutz kennen. Österreich liegt diesbezüglich, etwa was die Haltung von Legehennen betrifft, europaweit an der Spitze. Bei uns tritt diese Regelung nun drei Jahre früher als im übrigen Europa in Kraft.

Meiner Meinung nach ist das Tierschutzgesetz möglich geworden durch einen Kon­sens, bei dem die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und die Parteipolitik nicht in den Vordergrund zu stellen, weitaus überwogen hat und auch hervorzuheben ist. Ich bitte aber schon um Verständnis dafür, dass ich das allgemeine Hochjubeln des Ge­setzes nicht mittragen kann, aber als Demokrat bin ich der Ansicht, dass ich – im Un­terschied zu meinem Vorredner – schon akzeptieren muss, dass ein Konsens zustande gekommen ist und dass die Schaffung eines Tierschutzgesetzes richtig und wichtig ist.

Es ist richtig, dass drei Gruppen gefordert sind, nämlich die Landwirtschaft, der Konsu­ment sowie auch Handel und Industrie. Aber es gilt auch, dass es nur für eine Gruppe eine Verpflichtung gibt, und das ist leider die Landwirtschaft. Ich hoffe, dass all die Ver­sprechungen umgesetzt werden, da man damit rechnen muss, dass riesige Mengen zum Beispiel von Billigeiern importiert werden. Ich befürworte keinesfalls die Käfig­haltung, denn dabei handelt es sich um eine problematische Tierhaltung. Andererseits aber hat nun die EU den Weg dafür freigegeben, Tausende Tonnen Eier aus Bulgarien zu importieren.


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Zwei Probleme habe ich: mit den Betriebskontrollen und mit dem Ombudsmann. – Es ist bekannt, dass die Landwirtschaft wahrscheinlich der meist kontrollierte Bereich der österreichischen Gesellschaft ist: Marktordnungskontrollen, Veterinärkontrollen, Güte­siegelkontrollen, bereits bestehende Tierschutzkontrollen. Es ist ein Wahnsinn, wie Landwirte und Betriebsführer kontrolliert werden, der Kontrollansatz und die Kontroll­dichte sind enorm hoch.

Es war daher eine Katastrophe, dass gefordert wurde, jährlich 20 Prozent der Betriebe zu kontrollieren. Dies wäre nicht zu machen gewesen, konnte aber seitens meiner Fraktion abgewehrt werden.

Zum Ombudsmann wäre Folgendes zu sagen: Der Tierschutzombudsmann hat die Aufgabe, die Interessen des Tierschutzes zu vertreten; das ist klar. Er soll jedoch kein militanter Tierschützer sein, der als Tieranwalt eigenmächtige Befugnisse hat, wie es in den letzten Jahren viel gefordert wurde.

Ich sage ja zu einer ordentlichen Vollziehung des Tierschutzgesetzes, jedoch unter Beachtung einer hohen Unabhängigkeit und einer unparteiischen Beurteilung der Tier­haltung durch Fachleute, und appelliere an die Konsumenten, ein möglichst faires Ver­halten gegenüber den Landwirten an den Tag zu legen, sonst wird es nämlich wirklich eng! – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und des Bundesrates Zellot.)

10.22

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Wiesenegg. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.22

Bundesrat Helmut Wiesenegg (SPÖ, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Werte Frau Minister! Werte Staatssekretäre! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der untrüglichste Gradmesser für die Herzensbildung eines Volkes und eines Men­schen ist, wie sie die Tiere betrachten, und auch, wie sie sie behandeln. (Der Redner legt ein teilweise in eine Papierserviette eingewickeltes Ei vor sich auf das Rednerpult.)

Geschätzte Damen und Herren! Hohes Haus! Meines Wissens ist noch nie in der Ge­schichte des österreichischen Parlamentarismus eine Regierungsvorlage einer Regie­rung, hier in diesem Fall der ÖVP-FPÖ-Regierung, durch einen Vier-Parteien-Be­schluss im Nationalrat und – ich gehe davon aus – auch hier im Bundesrat – wurde aber soeben eines Besseren belehrt – zu Fall gebracht worden.

Darauf können wir grundsätzlich alle sehr, sehr stolz sein, meine geschätzten Damen und Herren, denn was wir als viel gepriesenen Regierungsentwurf in einer der vergan­genen Bundesratssitzungen angeboten bekamen, war kein Entwurf für ein modernes bundeseinheitliches Tierschutzgesetz, sondern, wie ich damals – und Sie wissen das alle noch genau – in der Debatte ausführte, ein „Tierverschlechterungsgesetz“, das noch dazu, wenn es so beschlossen worden wäre, die guten Landestierschutzgesetze ausgehebelt hätte – also eine Verschlechterung auf allen Ebenen.

Es hat hier in diesem Hause einen Wirbel gegeben, als ich meinte, dass es richtig und die Aufgabe des Bundesrates ist, sich vor Gesetzwerdung mit diesem Entwurf zu be­fassen. Gott sei Dank haben wir das getan. Und der Ausfluss dessen ist heute in die­sem neuen bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz zu sehen.

Heute, nach der Beschlussfassung im Nationalrat und auch hier in diesem Gremium, stehen wir vor einem bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz, das, auch wenn es sehr viele Kompromisse enthält, ein Tierschutzgesetz ist, das die richtige Richtung vorgibt und auch ein Lobbying für unsere Tiere vorsieht.


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Geschätzte Damen und Herren! Nach jahrelangem Zögern seitens der ÖVP und erst nach dem Druck der Straße und von uns Tierfreunden und Tierschützern ist es gelun­gen, dem Tierschutz auch in unserer Verfassung die notwendige Anerkennung und den Schutz zuzuordnen.

Allein dieser Umstand bildet mit allen anderen Verbesserungen in diesem neuen Ge­setz den Gradmesser, von dem ich eingangs gesprochen habe. Und ich ergänze, ge­schätzte Damen und Herren: Tierschutz ist auch Menschenschutz!

Werte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Heute ist somit auch für den Bundesrat ein historischer Tag, wenn er dem Verfassungsgesetz, das auch wesentliche Befug­nisse der Länder berührt und betrifft, seine Zustimmung gibt. Dafür danke ich in beson­derem Maße. Als langjähriger Vorsitzender eines sehr großen Tierschutzvereines in Tirol weiß ich diesen historischen Beschluss selbstverständlich zu schätzen und auch zu würdigen.

Dafür, dass wir Tierschützer im neuen Gesetz im Bereich der Nutztierhaltung und so weiter so genannte Defizite, wie zum Beispiel das weiter erlaubte Kastrieren von Fer­keln und das Abkneifen von so genannten Eckzähnen durch Laien ohne Betäubung sowie die Vollspaltenhaltung, sehen und diese weiterhin kritisieren werden, ersuche ich Sie um Verständnis. Ebenso werden wir als Verfechter des Tierschutzes, geschätzte Frau Ministerin, mit Argusaugen die Ausarbeitung der Verordnungsbestimmungen be­obachten.

Hohes Haus! Abschließend bitte und appelliere ich an die Konsumenten, dieses Bun­des-Tierschutzgesetz ebenfalls mitzutragen und Produkte zu kaufen, die diesem Tier­schutzgesetz entsprechen.

Ich habe heute, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ein Ei mitgebracht, das lacht. (Der Redner weist auf das vor ihm liegende Ei.) Es lacht deshalb, weil es aus großzü­giger Bodenhühnerhaltung kommt und daher etwas teurer ist als ein Ei aus von Tier­quälerei begleiteter Hühnerhaltung und deren Produkte. (Bundesrat Mag. Gudenus: Das ist ein Tiroler Ei!)

Nehmen wir also, geschätzter Herr Gudenus, den Tierschutz ernst und zeigen wir allen eine von humanistischen und ethischen Grundsätzen begleitete österreichische Ge­sellschaft! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ, den Freiheitlichen und den Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrat Wiesenegg überreicht der auf der Re­gierungsbank sitzenden Bundesministerin Rauch-Kallat das mitgebrachte Ei.)

10.27

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Mag. Gudenus. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.27

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Hohe Vertreter der Bundesregierung! Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass wir in wenigen Jahren, vielleicht sogar noch schneller, einmal ein bundeseinheitliches Pflegegesetz als ein Gesetz, welches die Menschen betrifft, mit ebenso starker Regierungsvertretung hier in einer Allparteien-Einigung diskutieren dürfen.

Immerhin gibt es in Österreich, glaube ich zumindest, acht Landespflegegesetze. In Wien werden die zu Pflegenden nach dem Beherbergungsgesetz untergebracht. Das heißt aber natürlich nicht, dass man im Hotel Imperial untergebracht wird, sondern lei­der in einer Anstalt, die immer wieder auf Grund menschlicher Schwächen ins Gerede kommt. Und das ist für die dort Untergebrachten sowie für deren Angehörige kein gro­ßer Genuss. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)


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Wenn wir heute dieses Thema besprechen, so habe ich auch viel Verständnis für die Einwendungen und Überlegungen des Parteifreundes und Kollegen Zellot, denn es ist natürlich nicht so, dass dieses Gesetz allen nur Freude bereitet. Es ist für jene, die von den Tieren und mit den Tieren leben müssen, eine starke Einschränkung und Er­schwernis der Arbeit. Das müssen wir anerkennen!

Es ist erstaunlich, dass die Vertreter der ÖVP-Bauernschaft, das ist immerhin die stärkste Bauernschaft im Lande, dieses Gesetz hier im Hohen Haus zumindest nicht unwidersprochen hinnehmen. Dass Sie dieses Gesetz in den internen Diskussionen auch sehr stark negativ beurteilen, nehme ich wohl an, sonst hätten Sie Ihre Aufgabe als Bauernvertreter verfehlt. Aber ich halte es für nicht ganz zielführend, wenn man hier im Hohen Haus nur das Positive des Gesetzes herausnimmt, so wie ich das tun werde. Ich habe keine Tiere zu Hause, ich lebe nicht davon. (Ruf bei den Grünen: Milben! – Ruf bei der SPÖ: Schaben!) Und die Borkenkäfer fallen zum Glück nicht unter das Tierschutzgesetz.

Kolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetz hat natürlich eine sehr lange Geschichte. Einer der Ersten, der sich des Tierschutzes angenommen hat, war ein Zeitgenosse von Nestroy und Raimund, ein bekannter Dichter: Ignaz Castelli. Dieser hat vor rund 150 Jahren gelebt und sich um den Tierschutz bemüht. Es stand damals in Wien die Frage an, ob ein eingeschnürtes Pferd mit einem Fallschirm aus tausend Meter Höhe von einem englischen Schausteller namens Corwell abgeworfen werden sollte. Und es ist ihm gelungen, diese wirklich schaurige Tätigkeit zu unterbinden. Das ist ihm gelun­gen!

Es wurden damals – das sollte man sich vielleicht in Erinnerung rufen, denn wir wissen es nur noch aus irgendwelchen Darstellungen – Hetzjagden auf Stiere, Bären und Löwen veranstaltet. Pferde und Hunde mussten überschwere Lasten schleppen. Da gab es Tiertransporte von unvorstellbarer Brutalität. Und so wurde am 10. März 1846 in Niederösterreich ein Verein gegen Misshandlung der Tiere in Wien gegründet.

Warum in Wien? – Wien war eine Hauptstadt, dorthin wurde Verpflegung gebracht, und Wien war damals auch ein Teil Niederösterreichs. Und diese Verpflegung wurde „le­bend“, unter oft unmenschlichen, um nicht zu sagen: untierischen Umständen in die Stadt gebracht!

Castelli hat sich auch darum bemüht, einen Karren auf den Markt zu bringen, in dem die Tiere beim Transport quer gestellt werden konnten, also etwas mehr Platz hatten. Es ist ihm nur mit viel Mühe gelungen, dass Transporte von Lebendtieren in die Haupt­stadt in diesem Wagen durchgeführt wurden – er hat es subventioniert.

Am 8. November 1847 wies Kaiser Ferdinand I. – ich glaube, er hieß auch „der Güti­ge“, also vielleicht deshalb – die k u. k Polizeidirektion an, jede öffentlich begangene Tierquälerei zu bestrafen. Im Jahr 1861 hat der 80-jährige Ignaz Castelli ein erstes Tierschutzgesetz angeregt, das in allen Kronländern Gültigkeit haben sollte. Jetzt sind wir nur noch sieben Kronländer, Wien und Burgenland waren keine Kronländer. Diese Kronlandschaften schaffen jetzt endlich ein gemeinsames Tierschutzgesetz – und das sei gelobt und gepriesen, bei allen Einwendungen, die man machen muss.

Natürlich wäre es nämlich schön, wenn wir hier von dem Standpunkt ausgehen könn­ten, dass am österreichischen Wesen der Tierschutz in der ganzen EU genesen sollte. Ich habe da so meine Zweifel! Und da Österreich nicht den Vorgaben des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte unterliegt, der 1800 „Der geschlossene Handels­staat“ geschrieben hat – heute noch nachzulesen in der Bibliothek in einem Reclam-Heftchen –, werden wir und jene, die in Österreich mit Tieren, Tierprodukten und Tier­zucht zu leben haben, einige Probleme haben, dieses Gesetz auch ökonomisch wirk­sam umzusetzen.


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Wir können aber nur sagen, dass die humanistische Grundhaltung, die mein Kollege Wiesenegg vorweg hervorgehoben hat, durchaus ihre Berechtigung hat. Wir wissen aber, dass das Gute, das wir heute tun, nicht nur gut ist und das Schlechte, welches wir damit überwinden wollen, nicht nur schlecht war, sondern für viele auch Nutzen brachte – auch uns Konsumenten! (Beifall bei den Freiheitlichen sowie der Bundes­rätin Ebner.)

10.34

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


10.34

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Herren Staatssekretäre! Herr Kollege Gudenus, Ihr Castelli ist mit 150 Jahren noch ein bisschen jung, denn das eigentlich allererste Mal, dass man das Tier nicht als Sache betrachtet hat, war 4 000 Jahre frü­her, nämlich im Rechtskodex des babylonischen Königs Hammurabi. Da wurde zum ersten Mal in einem Rechtskodex geschrieben, dass das Tier keine Sache sei. Und von diesem Rechtskodex herauf über Tausende Jahre läuft die Entwicklung des Men­schen und des Tieres in der Rechtsauffassung. Das ist spannend.

Liebe Freundinnen und Freunde von der ÖVP! Spannend waren jedoch auch die letz­ten elf Jahre. Ich kenne kein Gesetz, das man der ÖVP dermaßen abtrotzen musste, und das, obwohl Sie doch beides zu Hause haben beziehungsweise beides in Ihrem Lager vereinen. Sie haben famose, spannende Tierschützer und Tierschützerinnen, ich erinnere mich da zum Beispiel an Frau Nationalratspräsidentin Marga Hubinek. Ich erinnere mich an verschiedene Initiativen rund um die Katholische Kirche und das Tier, es gibt sogar bischöfliche Erklärungen und so weiter. Es gibt eine Reihe von Initiativen innerhalb der ÖVP, die immer für diesen Tierschutz eingetreten sind.

Und dann gibt es die andere Seite, die heute Kollege Haller von der ÖVP Niederöster­reich so trefflich zum Ausdruck brachte, nämlich diesen agrarisch-industriellen Kom­plex, der meint: Ja nichts regeln! Alle Tierschützer sind militant. – Sie haben ja auch gesagt, es dürfe kein Militanter Tierschutzombudsmann sein. Wann ist Frau Marga Hubinek in ihrem Leben militant gewesen? (Bundesrat Höfinger: Nein, nein!) – Sie war die erste Frau, die im Nationalrat bis zum Präsidium kam. Wenn das schon alleine mili­tant ist! Sie war also, immerhin, die erste Frau als Präsidentin des Nationalrates, aber sie war auch eine begnadete Tierschützerin.

1993 gab es eine Petition mit Hunderttausenden Unterschriften. – Nichts ist gesche­hen! 1996 gab es ein Tierschutzvolksbegehren, bei dem die Anzahl der Unterschriften mehr als verdoppelt werden konnte. – Nichts ist geschehen! Dann kam eine vorzeitige Nationalratswahl, und das einzig wirklich maßgebliche Ergebnis dieser Nationalrats­wahl, und deshalb war sie es vielleicht schon wert – nein, es gab zwei Ergebnisse; Kollege Böhm, jetzt werden Sie nicht lachen, denn das eine Ergebnis war die Verklei­nerung der FPÖ als Regierungspartner –, war der Antrag des Abgeordneten Wolfgang Schüssel, Kollegen und Kolleginnen auf ein Tierschutzvolksbegehren. Jetzt denkt man natürlich, dass ... (Bundesrat Bieringer: Gesetz! Tierschutzgesetz!) – Auf ein Tier­schutzgesetz! Danke, Kollege Bieringer, in freundschaftlicher „Trautheit“. (Bundesrat Bieringer: Der Herr Bundeskanzler braucht kein Volksbegehren!) – Gut! Aber der Herr Bundeskanzler brauchte zumindest den Antrag, so etwas zu tun.

Jetzt denkt man sich, der vorige Bundeskanzler, kurzfristiger Abgeordneter und nach­folgender Bundeskanzler wird das flugs umsetzen! Aber wieder: Es gab Marathonsit­zungen und, und, und. Selbst der Herr Staatssekretär und ich als nicht gerade Tier-


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schutzfachleute mussten hier während einer Dringlichen in Sachen Tierschutz die Klinge kreuzen. Es war aber auch eine sehr interessante Debatte.

Nun liegt es vor, und wir begrüßen es, es ist wichtig! Und es ist doch, wenn ich die Bauernschaft einmal ansprechen darf, lieber Herr Kollege Haller, das Chiffre unserer Landwirtschaft: Wir sind der Bioladen Europas. – Zu diesem Bioladen Europas kann man nicht nur A sagen, man muss auch B sagen. Man kann nicht nur sagen, wir säen so aus, sondern auch, wie wir es zum Beispiel mit unseren Nutztieren halten. Und des­halb ist es einfach wichtig, und damit hat das Etikett „Der Bioladen Europas“ eine grö­ßere Berechtigung.

Irgendwann wird das, was Kollege Wiesenegg so trefflich eingefordert hat, auf den Prüfstein kommen, nämlich das Verhalten der Konsumenten. Es nützt uns nichts, wenn die Billigeier aus, ich will jetzt keine Namen nennen, irgendwelchen billig produzieren­den Ländern die Hälfte oder nur ein Drittel des Preises kosten, die Entscheidung tref­fen letztlich der Konsument und die Konsumentin. Dazu bedarf es allerdings auch einer entsprechenden Unterstützung – in der Fachsprache sagt man Marketing, man kann es auch anders sagen: einer weiteren Informationskampagne.

Nun: Ich danke allen, die hier nächtelang darum gerungen haben. Interessant ist natür­lich, dass es von der Zuständigkeit her bei Ihnen, Frau Bundesministerin Rauch-Kallat, gelandet ist. Ich möchte nicht sagen, dass das Washingtoner Artenschutzabkommen auch die Frauen umfasst, denn die sind ja schon längst die Mehrheit auf der Welt. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Rauch-Kallat.) – Nein. Halten Sie es aus!

Ich sage einmal, Herr Kollege Haller, das ist jetzt der andere Bereich, dass man sagt: Vielleicht sollte man das Tierschutzgesetz auf Grund der Debatte nicht dem Erbfeind ausliefern, nämlich der Landwirtschaft – deshalb der Kompromiss.

Ich nehme an, die Frau Bundesministerin ... (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Hal­ler.) Selbstverständlich. Für die einen sind die militanten Tierschützer – jetzt sage ich das – der Erbfeind, für die anderen der industrielle Landwirtschaftskomplex. Ich würde sagen, beides wird nicht die Wahrheit sein: Es gibt in Österreich keine so wahnsinnig militanten Tierschützer, und es gibt sehr viele Bauern, die ihre Tiere schon längst im Sinne dieses Tierschutzgesetzes halten, was natürlich auch ein bisserl von den Betriebsgrößen abhängt.

Was mich auch als Parlamentarier natürlich ein bisserl nachdenklich stimmt, ist: Neun Landesräte in neun Landesregierungen waren dafür zuständig. Wenn ich alle Ministe­rien, die jetzt zur Materie Tier Kompetenzen haben, aufzähle, komme ich inklusive des Bundeskanzleramtes auf acht Ministerien. Da, wie ich annehme, die Frau Bundesmi­nisterin nicht daran denkt, in den Bundesländern Bundestierschutzämter einzurichten, wird die Vollziehung über die mittelbare Bundesverwaltung auf die Landeshauptleute übergehen. Da Pröll, Pühringer oder Van Staa dieses Gesetz wahrscheinlich nicht zu ihrer eigenen Materie erklären, wird es an jene Landesräte zurückgehen, die schon bisher zuständig waren. Das heißt, wir haben jetzt ein Bundes-Tierschutzgesetz, das letztlich genau von jenen vollzogen wird, die es heute auf Landesebene bereits vollzie­hen.

Das ist, meine ich, ein bisschen ein schaler Beigeschmack. Es wäre doch schöner ge­wesen, hätte man die Tierschutzkompetenzen und -materien auf Bundesebene kon­zentriert, als sie in einen Blumenstrauß von Kompetenzen aufzusplittern. Das wäre wahrscheinlich von höherer Effizienz gewesen.

Dieses Abtrotzen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, hat sich gelohnt, Sie sind doch große Schritte entgegengekommen. – Es wäre auch nicht mehr möglich ge­wesen, eine andere Position zu halten angesichts dessen, was sich die Bevölkerung


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dazu wünscht. Wir werden der Vorlage gerne zustimmen. (Beifall bei den Grünen, der SPÖ und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

10.42

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Frau Bundesminister, Sie haben das Wort.

 


10.43

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Maria Rauch-Kallat: Frau Präsiden­tin! Liebe Kollegen Staatssekretäre! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte! Als noch nicht zuständige – denn vorausgesetzt ist Ihre heutige Zustimmung zu diesem Gesetz –, aber ab In-Kraft-Treten dieses Gesetzes zuständige Bundesministerin für den Tierschutz und als langjährige ÖVP-Tierschutzbeauftragte in meinen früheren Funktionen auch als Generalsekretärin beziehungsweise als Abgeordnete dieses Hau­ses – ich durfte Fraktionsführerin im Ausschuss zum Tierschutz-Volksbegehren sein – bin ich mit dieser Frage seit langem befasst.

Es ist auch nicht der Frauenteil meines Ressorts, Herr Bundesrat Schennach, denn angesichts der demographischen Entwicklung und der Lebenserwartung der Frauen und überhaupt der Mehrheit der Frauen von 52 Prozent müssen wir ja eher die Männer unter das Washingtoner Artenschutzabkommen stellen (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP, der SPÖ und den Grünen – Zwischenrufe) – überhaupt nicht, als Frauenministe­rin kämpfe ich ja immer für den Minderheitenschutz –, sondern der zweite Teil meines Ressorts, der sich mit der Gesundheit befasst, der traditionell seit vielen Jahren die Lebensmittelsicherheit und damit natürlich auch die Lebensmittelkontrolle und die Nachverfolgung der tierischen Lebensmittel zum Inhalt hat.

Es war gewünscht, von der Kompetenzstückelung, die bisher zu beklagen war, abzu­gehen und den Tierschutz im Gesamten einem Ministerium zu überantworten. Ich werde diese Verantwortung auch sehr sorgfältig wahrnehmen, wissend, dass es nicht leicht sein wird, die berechtigten Interessen des Tierschutzes mit den berechtigten In­teressen der Landwirtschaft und der bäuerlichen Produktion in Einklang zu bringen. Ich hoffe, dass mir die mehr als 20 Jahre an politischer Erfahrung, die ich nun auch in die­sem Haus aufweisen kann, dabei helfen werden.

Herr Bundesrat Schennach! Sie haben gesagt, man musste es der ÖVP abtrotzen. Ich gebe Ihnen gewissermaßen Recht, und zwar deswegen, weil wir als föderalistisch strukturierte und vom Föderalismus überzeugte Partei – ich habe meine politische Kar­riere vor 21 Jahren hier in diesem Saal begonnen – davon überzeugt waren, dass eine bevölkerungsnahe Gesetzgebung auch auf die individuellen Ansprüche, auf die indivi­duellen Notwendigkeiten besser eingehen kann. Abgetrotzt vielleicht auch deswegen, weil wir ebenfalls davon überzeugt waren, dass wir in dieser föderalistischen Struktur auch eine Chance sehen, Tierschutzstandards in den Landesgesetzen immer wieder voranzutreiben. Das ist wie beim Naturschutz – als Umweltministerin war ich ja auch für den Naturschutz zuständig.

Es ist in der Tat ein gewisser Wettbewerb entstanden – nicht nur dadurch, dass die Käfighaltung bei Hühnern in jenen Ländern verboten war, wo es ohnehin keine Hühner­farmen gab, und die Pelztierzucht in all jenen Bundesländern, wo es ohnehin keine gab, sondern dass es doch immer wieder Bemühungen und Bestrebungen gab und in einer civil society, in einer Zivilgesellschaft, wo natürlich Tierschutzgruppen, Interes­sengruppen immer wieder aktiv werden, auch eine gewisse Chance bestand.

Ich bin sehr stolz darauf, dass meine Partei bis zum Jahr 1995 und auch danach die Artikel-15a-Verträge, und zwar nicht nur in der Heimtierhaltung, sondern auch in der Nutztierhaltung, entwickelt hat, die ja in der Tat gemeinsame Standards genormt vor-


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gegeben haben. Herr Bundesrat Wiesenegg hat uns das heute ja indirekt bestätigt, indem er gesagt hat, die bis dahin strengen Landesgesetze seien plötzlich von einem nicht so strengen Entwurf eines Bundesgesetzes abgelöst worden.

Meine Damen und Herren! Das war auch immer eines unserer Argumente: die Sorge, die wir gehabt haben – Sie haben immer nur drübergewischt, aber wir haben uns das wirklich nicht leicht gemacht, und ich gebe Ihnen Recht, Marga Hubinek, sie war meine Vorgängerin auch in der Frauenbewegung, ist eine engagierte Kämpferin, sie ist durchaus auch militant, und zwar im besten Sinne des Wortes; ich würde das nicht negativ sehen, sie war militant; als eines ihrer politischen Kinder habe ich diese Tradi­tion natürlich auch in der Frauenbewegung übernommen, weil wir Frauen auch einen anderen, vielleicht doch emotionaleren Zugang zum Tierschutz haben, weil wir über­haupt einen emotionaleren Zugang zum Leben und zu allem, was Leben ist, haben –, die Sorge, dass sich ein mögliches bundeseinheitliches Tierschutzgesetz am niedrigs­ten Level orientiert und der kleinste gemeinsame Nenner sein möge.

Wir haben Ihnen Recht gegeben. Der Druck ist auch sehr groß geworden, und zwar, weil es schwierig war, zu erklären – auch der österreichischen Bevölkerung –, dass es im Prinzip relativ egal ist, wer letztendlich die gesetzlichen Voraussetzungen schafft, denn viel wichtiger als die gesetzlichen Voraussetzungen sind der Vollzug dieses Tier­schutzgesetzes und die Kontrolle des Vollzuges dieses Tierschutzgesetzes. Jedes Gesetz ist nur so gut, wie auch seine Einhaltung gewährleistet ist. Das ist in der Si­cherheit so, das ist in der Verkehrssicherheit so, und daher wird das auch beim Tier­schutz ganz, ganz wichtig sein.

Ich möchte noch anmerken, dass es mit dem jetzt vorliegenden Tierschutzgesetz – und ich danke ganz besonders herzlich Frau Nationalrätin Dr. Ulrike Baumgartner-Gabitzer und den Abgeordneten der anderen Fraktionen für die gute Zusammenarbeit in diesem Bereich – tatsächlich zu einem gemeinsamen Vorgehen gekommen ist, dass es zu einem Vier-Parteien-Antrag im Hohen Haus gekommen ist, und ich hoffe sehr, dass dieser Vier-Parteien-Antrag auch hier in dieser Kammer ungeteilte Zustimmung findet.

Was aber jetzt wichtig ist, meine Damen und Herren, ist, dass wir im Vollzug dieses Tierschutzes das Wohl der Tiere genauso im Auge behalten wie das Wohl und die Le­bensbedingungen und die Erwerbsmöglichkeiten unserer bäuerlichen Bevölkerung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich denke, das sind wir unseren Bauern, unseren Bäuerinnen schuldig, die dafür sor­gen, dass wir in Österreich – auch in den letzten Jahren – hoch qualitative Lebensmit­tel frisch auf dem Tisch haben, Lebensmittel, die kontrolliert und getestet sind, die auch dem Wettbewerb im europäischen Raum standhalten. Nicht ohne Grund sind sie ein wichtiger Wettbewerbsfaktor im österreichischen Tourismus. Wenn Gäste zu uns kommen, dann wissen sie, dass sie in Österreich nicht nur eine saubere Umwelt vor­finden, sondern auch hoch qualitative Lebensmittel bekommen. Sie wissen, dass sie bestens versorgt werden, dass wir zu den Top drei der Wellness- und Gesundheitsdes­tinationen zählen, und wir wollen sogar Erste werden. Erst gestern haben wir ein Güte­siegel für Best Health Austria präsentiert, um die Entwicklung des Gesundheitstouris­mus zu forcieren und den Gesundheitsaspekt unserer bäuerlichen Produktionsstätten hervorzuheben.

Ich muss Ihnen an dieser Stelle ein bisschen widersprechen, Herr Bundesrat Schenn­ach: Die agrarisch industrielle Produktion ist in Österreich nicht sehr ausgeprägt. Es gibt in der Tat einige wenige, und die sind auch strengen Auflagen unterworfen. Die österreichische bäuerliche Struktur ist eine kleinräumige, ist eine – Gott sei Dank! – biologische. Wir sind Vorreiter im biologischen Landbau, in der biologischen Landwirt­schaft, und so ist auch das Ergebnis.


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Ich denke, ein wichtiger Schritt, unsere Aufgabe, die wir alle in diesem Raum und dar­über hinaus alle Bevölkerungsgruppen haben, ist, jetzt Solidarität mit unseren Bäuerin­nen und Bauern zu zeigen, indem wir das Konsum- und Einkaufsverhalten auch auf diese strengen Maßstäbe einstellen. Ich denke, das ist eine der Grundvoraussetzun­gen dafür, dass dieses Tierschutzgesetz auch ein Erfolg wird. Denn wenn wir die billi­gen, billig produzierten, industriell produzierten Eier, weil billiger, in großen Mengen nach Österreich importieren, ist nicht zu verhindern – und in einem freien Markt ist das auch nicht zu verhindern –, dass diese auch gekauft werden. Das ist nur durch unser Konsum- und Kaufverhalten zu verhindern!

Das heißt, jeder von uns stimmt täglich oder zweimal wöchentlich beim Einkauf im Su­permarkt über den Vollzug dieses Gesetzes ab. Daher bitte ich Sie alle, gemeinsam Anstrengungen zu unternehmen, auch die erforderlichen Marketingmaßnahmen zu ergreifen, damit unsere bäuerlichen Produkte von unseren Konsumentinnen und Kon­sumenten bevorzugt werden.

Noch ein Letztes, meine Damen und Herren! Herr Bundesrat Zellot, Sie haben völlig zu Recht angesprochen, dass die Schaugehege, die Tierzoos, die Wildgehege besonde­ren Herausforderungen gegenübergestellt werden. Ich darf Ihnen versichern, ich bin mir dessen bewusst. Ich bin diesem Verband eng verbunden und weiß daher, dass es in diesem Bereich große Sorgen gibt. Ich höre mir das manchmal täglich, manchmal weniger oft an. Ich werde dafür sorgen, dass diese Gehege, die ja auch ein wichtiger Faktor in der touristischen Landschaft sind, die kleinräumige Institutionen sind, erhalten bleiben und erhaltensfähig bleiben, aber selbstverständlich können wir nicht auf stren­ge Schutzmaßnahmen für die dort gehaltenen Tiere verzichten.

In diesem Sinne danke ich für die sehr konstruktive Beratung in diesem Zusammen­hang und wünsche diesem gemeinsamen Antrag gutes Gelingen. Was ich dazu beitra­gen kann und darf, werde ich gerne tun. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

10.54

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Höfinger. – Bitte.

 


10.54

Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Herren Staatssekretäre! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zweifelsfrei eine sehr wichtige und markante Entscheidung, die heute hier zum Beschluss steht. Die Zusammenführung von zehn Ländertier­schutzgesetzen in ein einheitliches Bundes-Tierschutzgesetz, um in Zukunft in Öster­reich einen gleichen Standard in der Tierhaltung zu finden, scheint mir eine wichtige Grundlage für stabile Rahmen und eine Kalkulierbarkeit für die Zukunft zu sein, um nicht weiterhin einem gegenseitigen Tierschutzwettbewerb ausgesetzt zu sein.

Tierschutz, der in den Vorberatungen zur Gänze, also nicht nur in der Nutztierhaltung, sondern auch in den Bereichen Heimtierhaltung, Zootierhaltung und so weiter, zur Dis­kussion stand, findet nun auch im Gesetz seinen Niederschlag.

Sehr geehrte Damen und Herren! Seit der Einigung in den vorberatenden Ausschüs­sen und der Vier-Parteien-Einigung im Plenum des Nationalrates wurde dieses Gesetz bereits hochgelobt und – in Bezug auf dessen Bedeutung für die Tiere, auch was den Bereich der Nutztierhaltung betrifft – als Sieg für den Konsumenten bejubelt. In diese Jubelstimmung kann ich aus momentaner Sicht leider nicht einstimmen, weil ich weiß, dass erst mit der Umsetzung der Aufgaben, die auf die heimische Landwirtschaft im Bereich der Nutztierhaltung zukommen, die eigentliche Arbeit und diese noch mit einem ungewissen Ausgang beginnt.


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Hoher Bundesrat! Im Bereich der Nutztierhaltung, also der Versorgung der österreichi­schen Bevölkerung mit frischen, qualitativ hochwertigen und unter höchsten Standards produzierten heimischen Lebensmitteln, bedarf es auf Grund der im internationalen Wettbewerb stehenden Landwirtschaft jetzt der Unterstützung und Solidarität aller in diese Kette eingebundenen Glieder. Denn wie sonst könnten wir mit diesem Gesetz mehr am Ziel vorbeischießen, als dass unsere bäuerlichen Familien die Produktion auf Grund der hohen Standards und den damit verbundenen höheren Produktionskosten, aber auch nicht zu vergessen den höheren und schwierigeren Arbeitsaufwand bei gleichzeitig niedriger Erzeugungsrate, nicht mehr aufrechterhalten können, damit die Produktion ins Ausland verlagert wird und die Versorgung mit heimischen Lebensmit­teln nicht mehr garantiert werden kann!

Damit, sehr geehrte Damen und Herren, wäre weder den Tieren noch den Konsumen­ten geholfen, denn eine Verlagerung der Tierhaltung in andere Länder mit niedrigen Standards ist eindeutig eine Unterstützung der Agrarindustrie mit ihren oft tierquäleri­schen Haltungsformen und Strukturgrößen, die es in Österreich noch nie gegeben hat, und damit auch eine Verschlechterung der Lebensmittelqualität für den heimischen Konsumenten.

Wenn Kollege Schennach – er ist jetzt leider nicht im Saal – diese Diskussion in zyni­scher Art und Weise führt und wenn wir von Seiten der bäuerlichen Betriebe diese Dis­kussion in dieser zynischen Art und Weise geführt hätten, dann läge wahrscheinlich heute kein Bundes-Tierschutzgesetz zum Beschluss vor. (Bundesrätin Dr. Lichten­ecker: Schennach war nicht zynisch!)

Ich muss mit aller Entschiedenheit die Pauschalierung aller Tierschützer, sie seien mili­tant, zurückweisen. Man darf nicht alle in einen Topf werfen. Aber wie, das möchte ich von Herrn Kollegem Schennach wissen, würde er jene Menschen beurteilen, jene selbst ernannten Tierschützer, die nachts in Betriebe eindringen, die Sachschäden verursachen, die Menschen und Tiere in Gefahr bringen und damit natürlich auch dem guten Ruf der heimischen Landwirtschaft, aber im Besonderen auch den Tierschützern selbst schaden?

Es ist sehr auffällig, wie Herr Kollege Schennach in letzter Zeit eigentlich sehr verharm­losend über Gewalttaten und Straftaten spricht. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Das stimmt nicht!) Ich denke, eine derartige Einstellung ebnet den Weg für genau diese Taten. Wir sollten uns klar davon abwenden. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Das ist eine ungeheure Unterstellung!)

Daher, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es unsere Pflicht – und dies ist nicht nur ein Appell, sondern ich mahne dies mit aller Deutlichkeit ein –, dass wir alle gemeinsam – Produzenten, Konsumenten, Handel und verarbei­tende Industrie, aber auch wir von Seiten der öffentlichen Hand, die wir dieses Gesetz heute beschließen – in Zukunft an einem Strang ziehen. Es gilt, hier ein klares Be­kenntnis zu den höheren Standards abzulegen, damit auch verbunden die Akzeptanz, auf Grund der daraus resultierenden höheren Produktionskosten auch höhere Pro­duktpreise anzuerkennen.

Marktlenkungsprogramme und eine Angleichung hoher Standards auf europäischer Ebene werden daher eine enorme Zielsetzung sein. Die Information des Konsumenten, damit diese die richtige Kaufentscheidung treffen, die Einbeziehung des Handels und der Industrie vor allem für Fertigprodukte oder den Bereich der Verarbeitung in die Verantwortung sind genauso wichtig wie die finanzielle Unterstützung von öffentlicher Seite für jene Betriebe – und ich denke da in erster Linie an Hühner haltende Be­triebe –, die auf Grund dieser neuen Gesetzeslage gezwungen sind, die Tierhaltung zu einem bestimmten Termin aufzugeben. Es muss uns wert sein, diesen bäuerlichen


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Betrieben die Möglichkeit zu geben, auch in Zukunft zu wirtschaften, um somit ein brei­tes Band an Verantwortung für die ganze Bevölkerung abzudecken.

Tierproduktion in Österreich ist nämlich der Garant für viele Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Neben jenen auf dem Bauernhof selbst werden auch viele Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich gesichert. Wir sprechen hier von 450 000 Menschen. Das sind über 12 Prozent der Erwerbstätigen in den ländlichen Gebieten insgesamt.

Die Tierproduktion ist auch die Voraussetzung für die Futtermittelproduktion und diese wiederum für die vielfältige Landschaft, die wir tagtäglich genießen, die unseren unmit­telbaren Lebensraum darstellt und auch das Aushängeschild Österreichs für den Tou­rismus ist. Nur durch diese Tierhaltung ist es möglich, die Landschaft offen zu halten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Zusammenfassend sieht man die Wichtigkeit der heimischen Nutztierhaltung für die Wirtschaft, die Arbeitsplätze, unsere Umwelt und die Kulturlandschaft sowie die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden und frischen, qualitativ hochwertigen Produkten mit einem ruhigen Gewissen, was den Tierschutz betrifft.

Wir Bauern haben diese großen Aufgaben im Zuge der Vorberatungen zu diesem Bundes-Tierschutzgesetz angenommen und stellen uns dieser Verantwortung. Ich for­dere daher auch die zuvor genannten Bereiche auf, diese Verantwortung auf allen Ebenen wahrzunehmen. (Beifall bei der ÖVP.)

11.01

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da bei dieser Debatte offensichtlich auch immer wieder Emotionen zum Tragen kommen, möchte ich nur an eines erinnern: Gestern nach dem Ministerrat hat der Herr Bundes­kanzler an alle appelliert, man möge eine Abrüstung in der Sprache betreiben. Ich nehme an, er hat das auch für unser Haus gemeint. (Beifall bei der SPÖ und den Grü­nen.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Hlavac. – Bitte.

 


11.02

Bundesrätin Dr. Elisabeth Hlavac (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass diese bundes­einheitliche Regelung im Tierschutz beschlossen wird. Ich muss sagen, ich bin ein bisschen enttäuscht über die meisten Wortmeldungen aus den Regierungsparteien, weil ich das Gefühl habe, dass Sie mit diesem Gesetz eigentlich nicht zufrieden sind und nur das, was Sie für negativ halten, herausstreichen. Ich glaube aber, dass es wirklich gut ist, dass wir nach so langen, schweren, mühsamen Verhandlungen zu einer bundeseinheitlichen Kompetenz kommen und dass uns jetzt ein bundeseinheitli­ches Tierschutzgesetz vorliegt.

Im ersten Paragraphen dieses Gesetzesbeschlusses wird postuliert, dass der Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf Ziel dieses Gesetzes sei. Und damit wird etwas ganz Wesentliches auf den Punkt gebracht. Es ist jetzt schon darüber diskutiert wor­den, wie lange es den Tierschutz schon gibt. Ich denke, das ist von den verschiedenen Kulturen abhängig. Es hat im Laufe der Geschichte Kulturen gegeben, die die Ver­wandtschaft des Menschen mit den Tieren eher mehr gesehen haben, und andere Kul­turen, die den Standpunkt vertraten oder immer noch vertreten, dass der Mensch him­melhoch über dem Tier steht, dass er darüber verfügen kann und sich die Erde und damit auch die Tiere untertan machen kann. Das ist eine Diskussion, die es im Laufe der Jahrtausende immer wieder gegeben hat.


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Es gibt zum Glück ja auch Gegenstimmen. Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass die Tiere in ihrer Würde und ihrem Lebensrecht zu achten sind. Die modernen Forschungsergebnisse geben ihnen auch Recht. Diese kamen zu der Erkenntnis, dass die Tiere, vor allem die Wirbeltiere, aber nicht nur diese, wesentlich intelligenter sind, als man angenommen hat. Sie sind imstande, Emotionen zu empfinden, sie sind nicht nur instinktgeleitet. Da gibt es jetzt sehr interessante Untersuchungen, die sicher auch unser Verhalten gegenüber den Tieren beeinflussen. Ich glaube auch, dass das Er­kenntnisse sind, die das stützen, was sensible Menschen auch selbst beobachten kön­nen, dass Tiere eben nicht eine beliebige Sache sind, mit der man verfahren kann, wie es einem gerade passt.

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass es in Österreich bisher keine Regelungen oder nicht durchaus auch gute Regelungen gegeben hätte. So wurden schon vor Jahren die Ver­steigerungsbestimmungen für Haustiere geändert. Ich kann mich noch erinnern an eine Zeit, in der ein Hund wie ein Gebrauchtwagen versteigert werden konnte. Wir haben auch strenge Tierquälereibestimmungen.

Jedes Bundesland hat ein eigenes Tierschutzgesetz. Da sind wir jetzt bei jenem The­ma angelangt, das auch die Frau Ministerin angesprochen hat, nämlich bei der Frage, ob eine einheitliche bundesgesetzliche Regelung besser als neun Landesgesetze ist. Wir LändervertreterInnen wachen ja über die Kompetenzen der Länder, aber ich den­ke, dass doch eindeutig ist, dass eine einheitliche Regelung für den Tierschutz ge­schaffen werden sollte. Die angesprochene Würde der Tiere, ihr Wohlbefinden und unsere Verantwortung sind natürlich in ganz Österreich gleich.

Die Frau Bundesministerin hat eigentlich selbst gesagt, dass die Bundesländer, für die ein bestimmter Zweig des Tierschutzes kein Problem war, strengere Bestimmungen gehabt haben als andere. Also dort, wo es keine Legebatterien gegeben hat, gab es das Verbot der Legebatterien, aber in anderen Bundesländer nicht. Das allein zeigt ja, dass es notwendig ist, das einheitlich zu regeln, und das wird jetzt geschehen.

Es ist bedauerlich, dass es so lange gedauert hat, bis es zu diesem Verhandlungser­gebnis gekommen ist, aber das ist jetzt vorbei. Der lange Weg ist bereits angespro­chen worden. Ich kann mich auch an Verhandlungen im Verfassungsausschuss des Nationalrates vor 1999 erinnern. Also es ist wirklich schon sehr lange, dass wir über diese Kompetenzveränderung reden.

Fast 460 000 Bürgerinnen und Bürger haben das Volksbegehren unterschrieben. Dar­über hinaus gibt es noch viele Menschen, die gerade in diesem Bereich sehr engagiert sind, die aber an einem Volksbegehren nicht teilnehmen können. Ich meine da die Kin­der und Jugendlichen, die sehr oft ein sehr natürliches und anständiges Verhältnis zu den Tieren haben und viel sensibler sind, und das soll man auch nicht als naiv abtun.

Es gibt aber – das lässt sich nicht leugnen – wirtschaftliche Zwänge, über die wir nicht leichtfertig hinweggehen sollen, was wir auch nicht tun. Ich bin dagegen, strenge Rege­lungen bloß deswegen zu schaffen, weil sie mich selbst nicht betreffen. Ich denke aber, dass es sehr wohl gelungen ist, eine für die Bauern akzeptable Regelung zu finden.

Ich möchte aber gerade wenige Tage vor der Wahl zum Europäischen Parlament auch darauf hinweisen, dass auf europäischer Ebene Änderungen notwendig sind, nämlich eine Umstellung in der europäischen Agrarpolitik: weg von der industrialisierten Land­wirtschaft, die schlecht für Mensch, Tier und Umwelt ist, hin zu mehr biologischer, menschen- und tiergerechter Landwirtschaft, weg von der Massenproduktion hin zur Qualität.


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Es stimmt, dass das für uns in Österreich nicht so ein Problem ist, dass es die industri­alisierte Landwirtschaft zum Glück bei uns nicht in dem Ausmaß gibt und wir im Gro­ßen und Ganzen ja auch zufrieden sind.

Sehr wichtig im Zusammenhang mit der Europäischen Union ist das Abgehen von den grauenhaften Lebendtiertransporten. Die Berichte, die wir immer wieder sehen können, darüber, wie die Tiere behandelt werden, wie grausam und grauenhaft das ist und auch wie schrecklich die Schlachtungen sind, sind etwas, was, glaube ich, jedem Tier­schützer, jeder Tierschützerin besonders weh tut.

Meine Damen und Herren! Wir wissen, dass der Beschluss dieses Tierschutzgesetzes von der Bevölkerung sehr begrüßt wird. Ich glaube, dass es auch wichtig und gut ist, zu zeigen, dass es in ernsthaften Verhandlungen möglich ist, etwas gemeinsam zu schaffen. Auch wenn das hier nicht einstimmig sein wird, was mich, wie gesagt, etwas enttäuscht, glaube ich doch, dass es wichtig ist, zu zeigen, dass es in Verhandlungen möglich ist, einen Kompromiss zu erzielen, mit dem die meisten von uns leben können und den wir mittragen können, auch wenn gar nicht so wenig offen geblieben ist. Das hat Kollege Wiesenegg bereits angesprochen. Auch Kollege Schennach hat einige Dinge erwähnt, von denen ich denke, dass sie einbezogen werden sollten.

Wir müssen aber natürlich auch an uns selbst und an die Bevölkerung den Appell rich­ten, den Inhalt dieses Gesetzes in unserer täglichen Praxis ernst zu nehmen. Ich wür­de mir wünschen, dass Tiere nicht so oft gedankenlos verschenkt werden, dass sich Menschen, die ein Tier haben, der Verantwortung bewusst sind und es nicht, wenn es unbequem wird, wie einen kaputten oder langweilig gewordenen Gegenstand entsor­gen, dass wir in der Urlaubszeit nicht von ausgesetzten Tieren hören müssen und vie­les andere mehr. Ich würde mir auch wünschen, dass das Bekenntnis zur artgerechten Tierhaltung nicht nur ein Lippenbekenntnis ist und nicht nur dann abgegeben wird, wenn es uns nichts kostet.

Wir verlangen zu Recht, wie ich meine, eine Haltung, die eine bestimmte Bewegungs­freiheit garantiert, eine hygienische Unterkunft und eine bedarfsgerechte Ernährung der Tiere. Das hat seinen Preis. Es gibt Menschen, die sich diesen Preis nicht leisten können, das müssen wir auch sehen, Frau Bundesministerin. Es gibt Arme, die sich das nicht leisten können, aber es gibt natürlich auch viele, die den Preis zahlen kön­nen.

Ich appelliere daher an jene, die es sich leisten können, diese Produkte auch zu kau­fen. Sie sind das den Tieren schuldig, auch den Landwirten, die im biologischen Land­bau Großes leisten, und man tut sich auch selbst damit etwas Gutes.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, darf ich zum Schluss kommen. Nach lan­gen Verhandlungen ist es uns endlich gelungen, ein gutes bundeseinheitliches Tier­schutzgesetz zustande zu bringen. Ich darf sagen: Ich freue mich darüber. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen sowie bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

11.13

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kampl. – Bitte.

 


11.13

Bundesrat Ing. Siegfried Kampl (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrte Frau Vorsit­zende! Geschätzte Frau Bundesministerin! Geschätzter Herr Staatssekretär! Ich könnte heute eine ähnliche Rede halten, wie ich sie vor 30 Jahren als Kammerrat oder Abgeordneter in Kärnten gehalten habe. Es würde sich nichts ändern.


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So hat sich die Situation für die Landwirtschaft doch geändert, und ich bin sehr froh darüber, dass endlich ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz geschaffen wird. Es ist zeitgemäß, es ist aber auch notwendig.

Tierschutz, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine hohe Verantwortung, Re­spekt und Würde vor der Kreatur, vielleicht haben dies viele unserer Mitbürger schon vergessen. Mit Tierschutz sollte wohl schon in der Volksschule begonnen werden. Frau Minister! Ich würde Sie bitten, dass der Tierschutzgedanke bereits in der Pflichtschule grundgelegt wird.

Wichtig im Rahmen dieses neuen Gesetzes ist auch, die Umlenkung für die Bauern zu fördern. Leider sind viele bäuerliche Menschen auf Grund einer verfehlten Agrarpolitik in der Vergangenheit gezwungen worden, ihre Landwirtschaft umzustellen, um eini­germaßen Schritt halten zu können und so das Einkommen für ihre Betriebe und ihre Familie zu sichern. Ich bin sehr froh, dass es die Länder mit der EU geschafft haben, dass durch Tierbestandsprämien, vor allem flächenbezogen, die bäuerlichen Betriebe gefördert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine der Ursachen für das Unbehagen im landwirtschaftlichen Bereich ist aber auch, dass die Bauern bei den Grundnahrungsmit­teln nur 13 Prozent von dem erhalten, was der Konsument bezahlt. Darüber sollten wir auch einmal nachdenken. Dies gilt für alle, die die Agrarpolitik mitgestalten wollen. Dass Österreich ein schönes Land ist, wie Sie, Frau Bundesminister, gemeint haben, wo sich viele Millionen Gäste wohl fühlen, ist den Bauern zu verdanken, die das Land beackern, das Land pflügen, das Land pflegen und das Land behüten.

Sehr positiv im neuen Tierschutzgesetz sind die Rahmenbedingungen für die Land­wirte, dass es möglich ist, mit Hilfe einer Umlenkungsunterstützung zeitgemäße Tier­haltung dort, wo diese nicht gegeben ist, einzuführen. Mehr Kontrolle von Tierhändlern ist sicher eine Notwendigkeit, auch eine geeignete Qualifikation von Kleintierhaltern, die meinen, Kleintiere halten zu können, aber den richtigen Umgang mit diesen Kreatu­ren nicht kennen, vor allem mit exotischen Tieren, die in vielen Haushalten bezie­hungsweise bei vielen Menschen im Mittelpunkt stehen. Mehr Sicherheit für uns alle. Vor allem bei den Tiertransporten sollte mehr kontrolliert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute ein Tierschutzgesetz be­schließen, über das wir uns alle freuen, dann ist es notwendig, das Tierschutzgesetz auch entsprechend zu sanktionieren und entsprechende Kontrollen zu machen.

Ich verweise nur auf das österreichische Straßenverkehrsgesetz. Wenn sich alle an das halten würden, was im Straßenverkehrsgesetz steht, dann würde es nicht so ein Chaos, so viele Tote und so viele Probleme auf der Straße geben. Daher ist auch die­ser Teil von besonderer Verantwortung getragen, und ich glaube, dass wir hier auch Handlungsbedarf haben.

Von den 18 Millionen Haustieren, die wir in Österreich haben, sind 2,1 Millionen Rin­der, 3,3 Millionen Schweine, 833 000 Kühe und 12 Millionen Hühner. Vor allem sind es die Hühner- und die Schweinehalter, und zwar nicht die Bauern, sondern jene, die ohne einen Quadratmeter Grund und Boden eine Produktion aufgezogen haben, wo die Massentierhaltung auf das Schärfste zu verurteilen ist. Da haben wir in Österreich schon in der Vergangenheit die größten Bedenken gehabt. Wir tun daher gut daran, dem neuen Gesetz die Zustimmung zu geben.

Vieles wird sich ja im bäuerlichen Bereich nicht umsetzen lassen. Ich denke an Betrie­be, die im Dorfbereich angesiedelt sind, deren Flächen in Streulage außerhalb des Ortes sind, da wird es das nicht geben. Wenn wir jenen bäuerlichen Menschen, die auf ihrem Hof bleiben wollen, eine Überlebenschance geben wollen, wird es notwendig


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sein, diese in Form von Ausnahmebestimmungen zu unterstützen. Aber wir sollten das nur bei solchen tun, die für die Kreatur eintreten und somit das Einverständnis von uns allen möglich machen.

Es ist aber weiters so, dass wir auch dort hart durchgreifen sollen, wo die Menschen versagen. Letzten Endes müssen die Menschen ja mit der Kreatur, mit der Natur um­gehen. Es gibt eben diese und jene Menschen. Daher wird es, wie schon gesagt, umso notwendiger sein, auf die Menschen diesbezüglich auch Einfluss zu nehmen, und zwar in allen Bereichen, dass sie die Kreatur, mit der wir leben, mit der wir, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren, auch in Zukunft leben müssen und auch leben sollen, schützen.

Denn wenn wir unsere Kreaturen nicht heute zeitgemäß schützen, dann wird es auch für uns in Zukunft sehr schwierig oder überhaupt nicht mehr möglich sein, unsere Ver­antwortung für unsere Kinder weiter wahrzunehmen. Daher ist es wichtig, diesem Ge­setz die Zustimmung zu erteilen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und den Frei­heitlichen.)

11.20

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


11.20

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren Staatssekretäre! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ein bisschen enttäuscht von dem kurzen Disput von vorhin, als Herr Kollege Höfinger gesagt hat, Stefan Schennach sei ein Gewalt verharmlosender Mensch, wo von militanten Tierschützern die Rede ist.

Aus meiner Sicht sollte dieses Tierschutzgesetz keinen Kampf zwischen Landwirt­schaft und Tierschützern darstellen, denn ich bin der Meinung, dass der Landwirt an sich ja kein Interesse ... (Bundesrat Höfinger: Das hat er aber gesagt, Ihr Kollege!) – Ich bin jetzt an der Reihe mit dem Reden, und ich bin nicht Stefan Schennach. (Bun­desrat Höfinger: Ja, ich weiß es!)

Ich bin der Meinung, dass der Landwirt kein Interesse an Tierquälerei hat, ganz im Ge­genteil. (Demonstrativer Beifall des Bundesrates Höfinger.) Aber es gibt wirtschaftliche Rahmenbedingungen, das wissen wir alle, es gibt Preisverfall, Absatzprobleme, mehr Konkurrenz als vor zwanzig Jahren. Und diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwingen die Bauern sehr wohl auch dazu, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wahr­scheinlich nicht ergreifen wollen. Ich nehme einmal an, dass ein Bauer keine Legebat­terie haben möchte, weil er in Wirklichkeit Mitleid mit dem Tier hat, das auf einem A4-Blatt ohne festen Untergrund zu stehen hat.

Wir sollten aus diesem Grund die Bauern nicht als Rohstofflieferanten oder -produ­zenten degradieren, sondern ihnen durch dieses Tierschutzgesetz die Möglichkeit geben, wirklich wieder Landwirte zu sein.

Durch dieses Gesetz ändern sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch leider nicht. Die Preise auf dem Weltmarkt werden sich dadurch wahrscheinlich auch nicht ändern, und die Konkurrenz von außen kommt auch – da haben Sie Recht. Daher finde ich es schade, dass unser Antrag, der Antrag der Grünen im Nationalrat, für die Umstellungsmaßnahmen, die jetzt notwendig sind, die Mittel aus der EU-Agrarförderung zu verwenden, abgelehnt wurde. Gerade von der ÖVP hätte ich mir nicht erwartet, dass sie das ablehnt.

Ein weiterer Punkt: Sie sagen immer wieder, dass die Konsumenten jetzt das Heft in der Hand haben, dass die Konsumenten entscheiden können. Sie sagen, wir sollen


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doch zu den Freilandeiern greifen und nicht zu den bulgarischen Billigsteiern, die aus fürchterlichen Käfigen kommen. Ich glaube nicht, dass die billigen Eier aus Bulgarien bei uns in den Regalen im Supermarkt landen werden, sondern eher in irgendeinem Kuchen oder Fertigprodukt, wo der Konsument wahrscheinlich nicht erkennen kann, dass er da eine Ware kauft, in der ein bulgarisches Ei versteckt ist, das unter fürchterli­chen Bedingungen produziert wurde. Das ist immer wieder das Risiko des Konsumen­ten.

Es gibt keine vernünftige Kennzeichnung. Wir haben die Kennzeichnung „Made in Austria“, aber das heißt nicht, dass der Inhalt dieses Produktes wirklich „Made in Austria“ ist.

Ich denke, die Konsumenten sind durch die Debatten schon seit Jahren ziemlich ver­unsichert. Die Werbung zeigt uns nur glückliche Hühner und glückliche Kühe auf der Wiese. Wenn man in Magazine schaut oder sich bei Tierschutzorganisationen infor­miert, sieht man, dass es nicht nur glückliche Hühner gibt, sondern sehr wohl auch andere. Es gibt auch in Österreich Hühner, die in sehr großen Anlagen gehalten wer­den – diese Hühnerhaltung wird jetzt zum Glück abgeschafft.

Eine weitere Regelung, die nicht durchführbar sein wird, ohne dass die öffentliche Hand finanzielle Mittel in die Hand nimmt, ist die artgerechte Haltung von Zirkustieren und Zootieren. Das Bundes-Tierschutzgesetz sieht vor, dass die Behörde dafür zu­ständig ist, dass Tiere, die im Zoo oder Zirkus nicht artgerecht gehalten werden, von der Behörde übernommen und untergebracht werden und dass der Besitzer dafür zu bezahlen hat. Das ist bei einer Katze oder einem Hund recht gut und schön und ein­fach, schwieriger wird es jedoch zum Beispiel bei einem Zirkuslöwen, einem Elefanten oder einer Schlange. Ich denke, jeder Bezirkshauptmann wird ein Problem damit ha­ben, wenn er sich den Elefanten ins Vorzimmer stellen soll. Das wird auch keine artge­rechte Haltung sein.

Deshalb mein Appell – und dieser Appell wird von einem Großteil der Tierschutzorga­nisationen in Österreich vorgebracht –: Wir brauchen dringend eine Auffangstation für diese Tiere. Und das geht einfach nicht ohne öffentliche Unterstützung. Solch eine Auf­fangstation wird sich nicht von selbst rechnen, das wird kein Privater und auch keine Tierschutzorganisation machen können.

Von der derzeitigen Aufregung um den Safaripark Gänserndorf haben Sie wahrschein­lich gehört. Ich möchte das nur kurz zusammenfassen: In den vergangenen Jahren hat sich der Safaripark Gänserndorf in etwa in eine derartige Auffangstation entwickelt. Es sind immer wieder beschlagnahmte Tiere auch von Tierschutzorganisationen dort un­tergebracht worden. Der Safaripark ist vor kurzem in Konkurs gegangen. Die Tiere sind noch immer dort, aber schön langsam geht man daran, die Tiere abzuverkaufen. – Leider, der Masseverwalter muss das machen, denn er ist nur seinen Gläubigern ge­genüber verantwortlich, dass möglichst viel Geld ins Haus kommt. Er hat an und für sich keine Berechtigung, auf irgendwelche Tierschutznormen zu achten. Deshalb wer­den die Tiere des Safariparks Gänserndorf, die irgendwann einmal zur Obhut über­nommen wurden, jetzt wieder verkauft, an Zoos, Zirkusse und auch an Privatpersonen. Davon sind auch die Baxter-Affen betroffen.

Nur kurz Folgendes dazu: Durch die verspätete Unterzeichnung des Washingtoner Artenschutz-Übereinkommens wurden diese Affen damals noch nach Österreich importiert, dadurch war das noch möglich. Es wurden Tierversuche vorgenommen. Später wurde Immuno von Baxter übernommen, Baxter stellte die Tierversuche ein und brachte die Affen im Safaripark Gänserndorf unter. Dort gab es für die Affen ein Reso­zialisierungsprojekt, und diese sind, obwohl sie erst seit zirka zwei Jahren dort sind,


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bereits wieder fähig, in Gruppen zusammenzuleben. Das ist ein sehr spannendes wis­senschaftliches Projekt.

Für genau diese Affen gibt es jetzt Interessenten aus China, die sie vielleicht wieder für die Pharmaindustrie verwenden werden. Und da stellt sich die Frage: Wo ist die Sinn­haftigkeit dieses Tierschutzgesetzes, wenn ich da nichts dagegen machen kann, wenn ich keine Möglichkeit habe, diese Affen irgendwo in Österreich unterzubringen und ihnen jene Wiedergutmachung zukommen zu lassen, die ihnen Baxter geben wollte?

Es besteht also dringend Handlungsbedarf in Bezug auf ein Auffanglager für Tiere, die auf Grund nicht artgerechter Haltung beschlagnahmt wurden. Ich denke, dass es wirk­lich notwendig ist, dass Bund und Länder dafür Geld in die Hand nehmen.

Wir haben zuerst gehört, im Zusammenhang mit Artenschutz und Tourismus erhält ein Großteil der Zoos Geld, hat öffentliches Geld zur Verfügung – ich möchte nicht wissen, wie viel Geld pro Jahr nach Schönbrunn fließt und wie viel schon in den Tiergarten Schönbrunn geflossen ist. Im Namen von Tierschutz, Bildung und Forschung muss auch ein Auffanglager für geknechtete Tiere unterstützt werden.

Es ist beim Tierschutz in Österreich bei weitem noch nicht alles pippifein. Es gibt nach wie vor kein Verbot von Vollspaltböden, die Schweine stehen ohne Stroh auf 0,7 Quadratmetern. Es gibt kein Verbot von Eingriffen an Nutztieren. Die Tiertransporte sind ebenfalls ein Problem. Ich denke, da könnte man schon durch verstärkte Kontrol­len viel erreichen, aber natürlich wäre es sehr wichtig, dass man auch auf EU-Ebene etwas dagegen unternimmt.

Dieses Bundes-Tierschutzgesetz ist trotz allem ein großer Erfolg für uns alle – acht Jahre nach dem Tierschutz-Volksbegehren und zwei Jahre nachdem es uns der Herr Bundeskanzler vor der Wahl versprochen hat. Es war schon ein paar Mal totgesagt, wird jetzt aber doch beschlossen. Das Bundes-Tierschutzgesetz ist ein Fortschritt, aber erst bei seiner Umsetzung und dem Erlass der zahlreichen Verordnungen – der Groß­teil fehlt ja noch – werden wir sehen, wie groß der Fortschritt dann wirklich ist. – Danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

11.29

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Staatssekretär Morak, bitte.

 


11.29

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Franz Morak: Frau Präsidentin! Herr Kollege Waneck! Verehrte Damen und Herren des Bundesrates! Wir haben in einer sehr schö­nen Art und Weise gesehen, dass dann, wenn alle Kräfte in diesem Lande zusammen­arbeiten, am Ende des Tages Ergebnisse vorliegen, wo sich einerseits im Grunde alle selbst wieder finden und wo man andererseits aber auch sagt: Es ist in der Republik etwas weitergegangen!

Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz betrifft 20 Millionen Tiere und 140 000 Be­triebe mit Tierhaltung; 17 Millionen Nutztiere und 3 Millionen Haustiere. Beide Seiten, wenn wir das so auseinander nehmen können – auf der einen Seite das betriebliche Bewusstsein, auf der anderen Seite das, was man das städtische Bewusstsein des Tierschutzes nennt –, sind hier eine Symbiose eingegangen, die jetzt vor uns liegt. Es ist klar, dass die Vorstellungen, die Wünsche, die Sensibilitäten der einen Seite manch­mal auf die betriebliche Realität stoßen, aber ich glaube trotzdem, dass diese Syn­these, die hier gefunden wurde, durchaus zu feiern ist.

Wenn wir uns kurz noch einmal vergegenwärtigen, was alles erreicht wurde: die Pelz­tierhaltung, die Käfighaltung für Legehennen, die dauernde Anbindehaltung, das Kupie­ren wird grundsätzlich verboten, es gibt höhere Strafen, die Tiere in Privatbesitz müs­sen in Zukunft auch artgerecht gehalten werden, die Kettenhaltung von Hunden wurde


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verboten, es gibt einen Tierschutz-Ombudsmann, und alle zwei Jahre wird es einen Tierschutz-Bericht geben, meine Damen und Herren.

Wenn wir den weiten Weg verfolgen, den dieses Gesetz hinter sich hat – vom Volks­begehren bis heute –, müssen wir feststellen, es gab viele Steine auf dem Weg bis zur Vollendung. Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Es war ein langer Weg, der heute zu einem positiven Abschluss führt. Aber nicht der Weg war das Ziel, son­dern am Ende des Weges steht ein Ergebnis, zu dem wir alle stehen können.

Bei den Ausführungen des Bundesrates Schennach ist angeklungen, dass verschie­dene Ministerien damit befasst sind. – Ja, das ist richtig, aber auch mit den Menschen sind verschiedene Ministerien befasst. Lassen wir das Revue passieren: vom Verkehr bis zur Wirtschaft und von der Bildung bis zum Sozialministerium. Es ist das logischer­weise eine Querschnittsmaterie – wie auch der Tierschutz. Deshalb hat der Bundes­kanzler die Materie Tierschutz an sich gezogen, und 15 Monate nach der Angelobung, nach einem beispiellosen Marathon haben wir ein positives Ergebnis vor uns liegen.

Lassen Sie mich Dank sagen an all jene, die meiner Meinung nach ganz wesentlich dazu beigetragen haben – auch Abgeordnete –, dass es zu diesem positiven Ergebnis kam, nämlich an Mag. Sima, Mag. Weinzinger, Abgeordneten Wittauer und Ulrike Baumgartner-Gabitzer, die in dieser Konstellation den Vorsitz geführt hat und hier eine, wie ich meine, sehr große Leistung auf parlamentarischem Gebiet vollbracht hat, aber auch hinsichtlich des Endergebnisses.

Lassen Sie mich in diesen Dank auch noch die Experten einschließen: Dr. Josef Troxler, Direktor Helmut Pechlaner und Mag. Hermann Gsandtner, die ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir dieses Gesetz heute so beschließen können, wie es uns vorliegt.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist ein Freudentag, auch wenn das aus der einen oder anderen körperlichen Haltung nicht wirklich hervorgeht, auch nicht aus der Mimik und der Optik, wenn ich hier ins Plenum schaue, aber ich meine, nach all dem, wie es sich in den Verhandlungen zu diesem Gesetz „angelassen“ hat, und auf Grund der Tatsache, dass es in diesem Bereich auch sehr große Sensibilitäten gibt, die teil­weise schon fast ins Religiöse gehen, können wir mit dem Endergebnis nach beiden Seiten hin zufrieden sein.

Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen – einfach deswegen, weil ich glaube, dass hier ein ganzer Berufsstand über seinen Schatten gesprungen ist, was meiner Meinung nach auch zum Gelingen dieses Vorhabens beigetragen hat, nämlich unsere Bauern, die damit auch über ihre Existenzgrundlage verhandelt haben, ich glaube, mit all dem Wissen und der Erfahrung, die ihnen zur Verfügung stehen, und auch mit der gesamten Schwere ihrer Anliegen. Ich möchte mich ganz ausdrücklich bei den Bauern bedanken. (Bundesrat Mag. Gudenus: Hoffentlich überleben sie, die Bau­ern, Herr Staatssekretär!) – Sie werden es!

Es wurde schon richtig angemerkt, dass jetzt der Konsument am Zug ist. Ich meine nicht Bulgarien gegen Österreich, Rumänien gegen Österreich oder der Rest der Welt gegen Österreich, sondern dass diesem Bekenntnis, das hier im Parlament so ab­sichtsvoll und aussichtsreich formuliert wurde, jetzt durch die Konsumenten entspro­chen werden muss. Das Bekenntnis des Konsumenten zur Qualität ist gefordert. Es ist auch das ein schwieriges Unterfangen, denn Sie wissen, der Leitspruch dieser Zeit heißt: „Geiz ist geil!“ Der Leitspruch dieses Gesetzes jedoch heißt: „Qualität hat ihren Preis!“

Meine Damen und Herren! Das heißt, wir sollten unsere Bauern nicht allein lassen, und es ist an Ihnen, das in den Bezirken, in den Regionen einzufordern. Lassen wir unsere


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Bauern mit diesem Gesetz nicht allein – sie haben uns zum richtigen Zeitpunkt auch nicht allein gelassen! – Danke. (Beifall bei der ÖVP, den Freiheitlichen und den Grü­nen.)

11.35

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet ist Frau Bundesrä­tin Diesner-Wais. – Bitte.

 


11.35

Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Meine Herren Staatssekretäre! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Kollege Schennach ist momentan nicht im Saal, aber ich muss sagen, es tut mir weh, wenn er von der „agrarisch-industriellen“ Landwirtschaft in Niederösterreich spricht, denn in Niederösterreich gibt es keine „agrarisch-industrielle“ Landwirtschaft.

Ich darf nur ein Beispiel aus meinem Bezirk bringen: Im Bezirk Gmünd gibt es zirka 5 700 Schweine; über der Grenze hat ein Betrieb so viele Schweine! Bei den Kühen ist es so: Der Durchschnitt liegt bei fünf bis zehn Kühen pro Betrieb. – Da kann man doch nicht sagen, dass das eine industrielle Landwirtschaft ist! (Bundesrätin Kerschbaum: Aber Legebatterien gibt es schon, oder?)

Und wenn er sagt, dass die Landwirtschaft bremst und nichts regeln möchte, dann stimmt das auch nicht, denn gerade unseren Bauern liegen die Tiere am Herzen, denn wenn sie gut mit den Tieren umgehen, dann geht es auch den Bauern gut.

Kollegin Kerschbaum, Sie haben gesagt, dass das Zeichen „Made in Austria“ nichts über die Herkunft, über die Produktion des Produktes aussagt: Das stimmt, aber es gibt in Österreich das AMA-Gütesiegel, und dieses sagt aus, dass etwas österreichi­sche Qualität ist, dass es hier produziert wurde, und zwar nach den Richtlinien und den Gesetzen, die für Österreich zutreffen.

Wir hatten bis jetzt zehn unterschiedliche Landesgesetze mit den verschiedensten Be­stimmungen zum Tierschutz, heute werden wir ein einheitliches österreichisches Tier­schutzgesetz, getragen von allen vier Parteien, beschließen. Das ist gut, denn Tier­schutz kann man nicht einseitig sehen, und daher brauchen wir Bestimmungen, die für alle Bundesländer gleich sind, aber auch für alle Tiere – egal, ob sie auf einem Bau­ernhof, im Zoo, in der Tierhaltung oder in privaten Haushalten sind.

Gerade für die Landwirtschaft ist es wichtig – in Bezug auf die „Cross Compliance“ –, dass wir Rechtssicherheit haben, von einheitlichen Standards ausgehen können. Höchst notwendig wird es aber sein, dass Tierschutz in dieser Form auch in der euro­päischen Gesetzgebung implementiert wird, damit wir von europäischen Tierschutz-Standards sprechen können.

Ich möchte einen Punkt dieser vielen Bestimmungen, der mir besonders am Herzen liegt, herausgreifen, denn das Waldviertel – die Region, aus der ich komme – ist gerade dabei, den Fremdenverkehr, den sanften Tourismus aufzubauen.

Der vom Stress geplagte Bürger kommt zu uns, kommt in unsere schöne, abwechs­lungsreiche Landschaft und genießt dort unser Klima und unsere gesundheitsbewusste Betreuung. Um das weiter anbieten zu können, ist der Rinderbestand in unserem Ge­biet sehr wichtig, denn haben wir keine Rinder mehr, dann verwaldet die Gegend immer mehr, und wir können dem Urlauber und dem Konsumenten diese schöne Land­schaft nicht mehr bieten.

Wir haben im Waldviertel größtenteils Straßendörfer mit beengten Hofställen, zerstü­ckelten Grundstücken, und 80 Prozent unserer Bauern haben eine geringe Anzahl von


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Rindern und daher Anbindehaltung. Daher sind bei vielen von den Kleinbetrieben exis­tentielle Ängste entstanden.

Ich denke, dass wir mit dieser Fassung eine Lösung für unsere Kleinbetriebe im Wald­viertel anbieten können, damit der Tierbestand weiter bestehen wird und als wirtschaft­liche Grundlage unsere Tradition sichert, und dass zwischen Tradition und Tierschutz eine Balance gefunden wurde.

Das neue Gesetz sieht ein Verbot der dauernden Anbindehaltung oder einen Auslauf oder einen Weidegang von 90 Tagen vor. Jedoch sieht das Gesetz ebenfalls vor, dass die dauernde Anbindehaltung auch künftig zulässig ist, wenn eine Unterbrechung aus technischen und rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Die Übergangsfristen ermögli­chen ebenfalls eine planbare Komponente und haben daher positive Auswirkungen.

Meine Damen und Herren! Unsere Bauern und Bäuerinnen beweisen uns tagtäglich ihren verantwortungsvollen, kompetenten und fachlichen Umgang mit den Tieren. Da­her ist es unsere Pflicht, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das auch wei­terhin möglich ist.

Ein wichtiger Punkt ist ferner der ländliche Raum und seine Weiterentwicklung, denn insbesondere im ländlichen Raum sind wir mit Arbeitsplätzen nicht gerade begütert. Dort gibt die Landwirtschaft mit ihren vor- und nachgelagerten Bereichen 450 000 Men­schen einen Arbeitsplatz.

Zum Abschluss möchte ich sagen, dass unseren Bauern das Wohl der Tiere ein gro­ßes Anliegen ist. Aber nun ist der Konsument – und ich würde sagen: jeder Einzelne von uns – dran, durch seine Kaufentscheidung nicht das Tierleid aus dem Ausland zu importieren. Ich danke dafür, dass eine so wichtige Sache wie der Tierschutz von allen gemeinsam getragen wird. (Beifall bei der ÖVP.)

11.41

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Lindinger. – Bitte.

 


11.41

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Staatssek­retär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben von den Vorrednerinnen und Vorred­nern viele positive, aber durchaus auch kritische Aspekte zum bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz gehört. Wir wissen auch, dass ohne den Druck der SPÖ viele Punkte nicht in dieses bundeseinheitliche Tierschutzgesetz aufgenommen worden wären.

Ich wundere mich natürlich nicht darüber, dass hier die bisherigen ÖVP-Rednerinnen und -Redner mit diesem bundeseinheitlichen Tierschutzgesetz keine so große Freude haben, kommen doch alle bisherigen Redner aus dem Bereich der Landwirtschaft. Es ist ja so, dass das Gesetz nicht für die Landwirtschaft gemacht wurde, sondern für die Tiere und zum Schutz der Tiere. Mir ist auch klar, dass es in der Landwirtschaft einiger Investitionen bedarf, um den neuen Anforderungen des bundeseinheitlichen Tier­schutzgesetzes gerecht zu werden. Aber da gibt es Übergangsbestimmungen und Unterstützungen für die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe.

Einige Beispiele sind ja ganz wichtig, damit wir erfahren, wie es den Tieren mit dem neuen Tierschutzgesetz geht und wie es sich auswirkt. Als ein Beispiel nenne ich das Verkaufsverbot von Hunden und Katzen in Tierhandlungen. Es ist beschämend, dass Hunde und Katzen in der Auslage zu sehen waren, um Kunden anzulocken. Wir wis­sen aber auch, was mit Hunden und Katzen immer nach Weihnachten geschehen ist: Bestenfalls sind sie in Tierheimen abgegeben worden, schlechtestenfalls an einer Autobahnraststätte – manchmal auch vor dem Urlaub – ausgesetzt worden. Dies ist mit dem neuen Gesetz nicht mehr möglich.


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Was die Diensthunde betrifft, die bis jetzt bei der Ausbildung mit Elektroschocks und mit Stachelhalsbändern, mit den so genannten Korallenhalsbändern, gezähmt wurden, ist es jetzt nur mehr möglich, die abgerundeten Stachelhalsbänder zu verwenden. Ein Kollege im Nationalrat hat ja ein anschauliches Muster zur Plenarsitzung mitgebracht – ich habe Ihnen das heute erspart, liebe Kolleginnen und Kollegen –, damit Sie wissen, dass solche Produkte bei der Zucht und beim Zähmen der Hunde jetzt noch immer erlaubt sind.

Geschätzte Damen und Herren! Bei den Rindern können wir uns nicht vorstellen, dass es noch immer so ist, dass die Rinder im Stall 275 Tage im Jahr an der Kette ange­bunden sind. Es gibt moderne Rinderhaltung mit Freihaltung, mit Freilauf. Aber es ist dies auch im neuen Gesetz noch möglich. Hier gibt es eine fünfjährige Übergangsfrist.

Kein Verbot bei Eingriffen an Nutztieren: Es ist nach wie vor erlaubt, Schwänze zu kupieren, zu kastrieren, Schnäbel zu stutzen. Es darf dies weiterhin ohne Narkose von Laien durchgeführt werden. Das darf in einer Tierhandlung durchgeführt werden, das darf von jedem, der sich das angelernt hat, durchgeführt werden.

Es gibt auch eine schlechte Regelung bei den Masthühnern und bei den Puten. Zum Beispiel dürfen 20 Masthühner pro Quadratmeter zusammengepfercht gehalten wer­den. 20 Masthühner, das ist schon eine sehr große Anzahl!

Jetzt kommen wir zu den Legebatterien. Dort ist es so: Wir lesen als Konsumenten immer wieder, dass es ausgestaltete Käfige sind, oder es sind Eier aus Boden- oder Freilandhaltung und aus einer ökologischen Haltung. Bei den Legebatterien ist es nach wie vor möglich, bis zum Ende der Übergangsregelung drei bis fünf Tiere zusammen in einem Käfig zu halten, diese können bis zu acht Etagen übereinander gestapelt wer­den und sind nur durch Drahtgitterböden getrennt. Die Eier dürfen aus dem Tierbereich abrollen, aus diesem Grund sind die Ställe schräg gestaltet, damit die Eier nicht im Tierbereich liegen bleiben. Wie groß der Platz für eine Henne ist (der Redner hält ein Blatt Papier in die Höhe): Dreiviertel einer A4-Seite groß ist der Platz in so einer Lege­batterie!

Es gibt auch die ausgestalteten und möblierten Käfige. „Möbliert“ klingt zwar schön, aber in den möblierten Käfigen stehen jeder Legehenne 750 Quadratzentimeter zu, das sind um 200 Quadratzentimeter mehr als in den herkömmlichen Käfigen. Es gibt auch ein Gemeinschaftsnest, es gibt dort bereits Sitzstangen, und es darf auch schon ein Sandbad eingebaut werden. Im Übrigen entsprechen die Bedingungen den her­kömmlichen Legebatterien.

Bei der Bodenhaltung ist das wesentlich anders. Hier dürfen neun Hennen einen Quad­ratmeter in Anspruch nehmen, und das ist ja bei neun Hennen schon sehr tierfreund­lich. Bei der Freilandhaltung ist es so, dass dort jedem Huhn 4 Quadratmeter zur Ver­fügung stehen. In der Freilandhaltung gibt es auch schon Betriebe, geschätzte Damen und Herren, die bis zu 10 000 Tiere halten.

Die schönste Form der Haltung für die Eierproduktion – wenn wir es so nennen – ist die ökologische Haltung. Im Stall teilen sich sechs Legehennen einen Quadratmeter, und es dürfen nicht mehr als 3 000 Tiere in einem Stall untergebracht sein. Diese Hal­tung soll mit dem neuen Tierschutzgesetz Eingang finden.

Das bundeseinheitliche Tierschutzgesetz kann nur ein Anfang für eine europäische Tierschutzinitiative sein. Daher ist es gut, zu wissen, wie unsere Kandidatinnen und Kandidaten für das Europäische Parlament zum Bereich des Tierschutzes stehen. Hierzu hat es eine Umfrage von der anerkannten Organisation „Vier Pfoten“ gegeben. (Bundesrat Dr. Kühnel: Also bitte! Na ja!) Diese Organisation hat an die Spitzenkandi-


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daten und an die Fraktionen der Kandidatinnen und Kandidaten für das Europäische Parlament eine Anfrage mit einem gleich lautenden Fragebogen gestellt.

Fazit: Von der ÖVP kam keine Antwort. Fazit zwei: Von der SPÖ kam eine sehr aus­führliche Antwort. Die Beantwortung der Grünen war sehr ausführlich, von der FPÖ kam eine Antwort, und von der Liste Hans-Peter Martin kam keine Antwort.

Aber Fazit war, dass noch einzelne Anfragen an die Kandidatinnen und Kandidaten darüber, wie sie zu einzelnen Themen stehen, gestellt wurden, zum Beispiel zu dem Verbot des Handels mit Katzen- und Hundefellen. Frau Ursula Stenzel spricht sich ge­gen ein Verbot aus. Frau Ursula Stenzel gab außerdem keine Antwort auf die Frage, ob sie bei der Ausrottung der Robben initiativ werden möchte. Alle anderen, zum Bei­spiel Hannes Swoboda, sind für ein Verbot des Handels mit Katzen- und Hundefellen und für eine Initiative gegen die Ausrottung der Robben. Johannes Voggenhuber ist ebenfalls dafür, nur konnte er keine Antwort bei der Robbenfrage geben, Johann Kron­berger ebenfalls gleich lautend wie Voggenhuber, und Hans-Peter Martin gab natürlich keine Antwort.

Für uns hat beim österreichischen Tierschutzgesetz auch die Fahrzeitbegrenzung eine Rolle gespielt. Hierzu wurden auch die betroffenen Abgeordneten zum Europäischen Parlament befragt. Darauf haben geantwortet, zumindest geantwortet, und sich dafür ausgesprochen: die Abgeordneten der Grünen zu 100 Prozent, die Kandidatinnen und Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei zu 100 Prozent. Die Fraktion der Europäi­schen Volkspartei hat das in einer Frage nur zu 28 Prozent befürwortet, in einer ande­ren Frage nur zu 85 Prozent; bei den Freiheitlichen 40 zu 80.

Man sieht also, dass die Einstellung der europäischen Parlamentarier in Zukunft sehr wichtig dafür sein wird, wie es mit der europäischen Tierschutzinitiative weitergehen wird, denn die Gesetzesvorhaben in der nächsten Legislaturperiode werden sein: Ver­bot der Tierversuche und an Primaten, Testen von Chemikalien ohne Tierversuche und Verpflichtung der chemischen Industrie, Daten aus Tierversuchen offen zu legen; die Haltung von Masthühnern mit Freilauf und überdachtem Außenscharraum wurde auch noch abgefragt. Das sind die Initiativen, die in der nächsten Periode kommen werden.

Ursula Stenzel: keine Antwort in allen drei Fragen. Hannes Swoboda wird sich dafür einsetzen, in allen drei Fragen die Anliegen zu unterstützen, Johannes Voggenhuber ebenfalls in allen drei Fragen, und Johann Kronberger wird dies ebenfalls in allen drei Fragen unterstützen. Hier ist die ÖVP mit ihren Anschauungen auch in Europa sehr allein.

In der Zusammenfassung der Organisation „Vier Pfoten“ wird Folgendes angemerkt: Die SPÖ und die Grünen zeigen das meiste Engagement für Tierschutzthemen, gefolgt von der FPÖ. Die ÖVP zeigt hingegen eine geringere Begeisterung für das Thema – das sieht man ja auch an der Debatte hier im Hause –, eine Ausnahme stellt insbeson­dere die Abgeordnete Marilies Flemming dar. Es wird angemerkt, dass sie als Einzige ihrer Fraktion auf die Fragen geantwortet hat. Aber sie ist ja in Zukunft an fast unwähl­barer Stelle gereiht, und vielleicht ist ihre Reihung an unwählbarer Stelle auch die Folge davon, dass sie eine Meinung hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Roth-Halvax.)

In Bezug auf die Spitzenkandidaten ist es im Sinne des europäischen Tierschutzes natürlich bedauerlich, dass weder Ursula Stenzel noch Hans-Peter Martin Zeit gefun­den haben, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Hannes Swoboda als Spit­zenkandidat der SPÖ hat die meisten schriftlichen Erklärungen zu Tierschutzproble­men unterstützt, gefolgt von Johannes Voggenhuber und Johann Kronberger von der FPÖ.


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Meine Damen und Herren! Tierschutz darf nicht an der Staatsgrenze enden, sondern muss ein europäisches Anliegen sein. Die SPÖ wird, wie in Österreich, auch in der Europäischen Union für den Tierschutz eintreten. Wir werden diesem Gesetz hier die Zustimmung erteilen, weil es ein Schritt vorwärts ist. Ein Schritt vorwärts bedeutet, auch in Europa initiativ zu werden. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

11.55

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte.

 


11.55

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Werte Damen und Herren! Ganz kurz ein Satz zu meinem Vorredner, Kollegen Lindinger: Er hat die Umfrage von den „Vier Pfoten“ zitiert und hat sie, wie ich meine, auf seine Art interpretiert, und zwar deshalb auf seine Art interpretiert, weil ich glaube: Umfrage hin oder her, man kann dazu stehen, wie man will, es wird aber damit kein Tierleid in Österreich gemindert, verringert, oder sonst etwas geschehen.

Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass es zu einer einheitlichen Vorgangs­weise betreffend ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz kommt. Es gibt viele posi­tive Gründe dafür, und viele wurden schon genannt. Daher werde ich mich in meinen Ausführungen auf zwei Punkte beschränken. Erstens begrüße ich eine bundeseinheit­liche Regelung betreffend den Tierschutz deshalb, weil für mich der Begriff tierisches Leben, Tier, Kreatur unteilbar ist und weil es in West und Ost, ob in Vorarlberg oder im Burgenland, dem gleichen Schutz und der gleichen Würde zu unterstellen ist. Zweitens begrüße ich eine bundeseinheitliche Vorgangsweise beim Tierschutz, weil Tier­schmerz, Tierleid überall gleich qualvoll und gleichermaßen zu verhindern ist.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, auch deshalb gibt es die Forderung aller im Par­lament vertretenen Parteien nach einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise beim Tier­schutz. Ich möchte hier nicht wie einige Vorredner in den so genannten Vaterschafts­streit verfallen. Nein, viel wichtiger ist mir, dass dieser erste wesentliche Schritt bun­desweit gesetzt wird.

Meine Damen und Herren! Es wurde auch angesprochen, dass es erst in jüngster Zeit diese Einigung, diesen Konsens, diese bundeseinheitliche Vorgangsweise gibt. Hier muss man natürlich auch, um der Wahrheit und der Entwicklung Rechnung zu tragen, Folgendes erwähnen: Erst als der Bundeskanzler zu Beginn der jetzt laufenden Geset­zesperiode – und für mich das erste Mal – den Begriff „bundeseinheitliches Tierschutz­gesetz“ in den Mund genommen hat, hat die Diskussion eine neue Dimension und eine neue Bewegung erhalten. Es ist leider so: Die ÖVP durfte vorher nicht! Meine Damen und Herren von der ÖVP, Sie kennen ja Ihre Stellungnahmen vom Bauernbund und von Ihren Kammervertretern aus den Ländern. Erst als innerhalb der ÖVP der bundes­einheitliche Tierschutz zur so genannten Chefsache erklärt wurde, ging im Bundes-Tierschutzgesetz und in dessen Entwicklung etwas weiter.

Aber, meine Damen und Herren, lassen wir das auch in dieser Stunde! Wichtig ist der erste Schritt, wichtig ist die richtige Grundlage, auch wenn diese erste Grundlage, das einheitliche Bundes-Tierschutzgesetz, noch einige Mängel aufweist, vor allem in den Begriffsbestimmungen und den unbestimmten Gesetzesbegriffen.

Ich zitiere aus dem Gesetz, aus § 6, den ersten Absatz: „Es ist verboten, Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten.“ – Meine Damen und Herren, wer soll definieren, ob eine Tiertötung vernünftig ist oder nicht? – Hier wird noch Handlungsbedarf sein.

Weiteres Beispiel: Ich nehme aus dem Tierschutzgesetz den § 4, auch wieder den ers­ten Absatz, aus den Begriffsbestimmungen: „Halter: jene Person, die ständig oder vor-


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übergehend für ein Tier verantwortlich ist oder ein Tier in ihrer Obhut hat“. – Alles, meine Damen und Herren, ist vorübergehend! Die Diktion „vorübergehend“ ist von der Begrenzung und auch, glaube ich, von der Rechtsbestimmung her etwas problema­tisch.

Ein weiteres Beispiel: § 16. Im dritten Absatz steht, dass die Anbindehaltung verboten ist. Gleichzeitig wissen wir aber alle, dass es für die Anbindehaltung wieder Ausnahme­regelungen in Form von Verordnungen geben soll. In Hinkunft sollte der Gesetzgeber etwas deutlicher formulieren und genau definieren, was er will.

§ 17: Füttern und Tränken. – Futter und Wasser müssen in hygienisch einwandfreier Form verabreicht werden. – Meine Damen und Herren! Die Selbstverständlichkeit von Hygiene setze ich einmal voraus. Es wäre natürlich auch das Wort „artgerecht“ hinzu­zufügen gewesen. Wir kennen nämlich verschiedene Tiere: Quasi-Vegetarier oder Pflanzenfresser, Fleischfresser und Allesfresser. Insgesamt meine ich also, dass die Anforderung hygienisch allein da wohl zu wenig sein wird.

Meine Damen und Herren! In Summe haben wir also eine ganze Reihe von unbe­stimmten Rechts- oder Gesetzesbestimmungen. Es werden Reformen und Novellen notwendig sein. Der Wermutstropfen ist also der, dass ein Gesetz eigentlich schon Novellierungsbedarf aufweist, bevor es in Kraft getreten ist, und dessen, meine Damen und Herren, sollten wir uns als Gesetzgeber bewusst sein.

Sie, Herr Staatssekretär Morak, haben heute in Ihrer ersten Stellungnahme gesagt, es sei ein langer Weg gewesen und heute seien wir am Ziel. Ich dagegen sage: Wir sind nicht am Ziel, sondern wir haben heute den ersten Schritt in Richtung Tierschutz in Österreich gesetzt.

Meine Damen und Herren! Weil das Fundament stimmt, weil der erste Schritt ein richti­ger in die richtige Richtung ist, wird meine Fraktion keinen Einspruch erheben, und wir werden diesen ersten Schritt gerne mittragen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.02

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Staatssekretär Dr. Waneck, bitte.

 


12.02

Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Dr. Reinhart Waneck: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Her­ren Abgeordnete! Ein geflügeltes Wort heißt: „Man muss die Feste feiern, wie sie fal­len!“

Ich hatte die Absicht, Ihnen etwas über meine Nase zu erzählen, aber heute in der Nacht ist die Kruste abgefallen, so dass man optisch nichts mehr wahrnimmt. Zur Vor­geschichte: Ich habe mich über den Vier-Parteien-Beschluss im Nationalrat so gefreut, dass ich das mit einem Hund derartig heftig gefeiert habe. Er hat jetzt ein Stück von meiner Nase, aber dank der Weltstadt-Medizin ist es gelungen, das mit einer Trans­plantation in weniger als drei Wochen wieder so hinzukriegen, dass man zumindest aus der Ferne nichts mehr davon sieht. (Beifall bei allen Fraktionen.)

Ich darf auch versichern, dass dem Hund nichts passiert ist, denn es gibt durchaus Menschen, die, wenn so ein Zusammentreffen stattfindet, so reagieren, dass sie sa­gen: Der Hund muss weg! Meiner Sinne mächtig habe ich sehr wohl eingesehen, dass mein Fehlverhalten mit zum Vorfall beigetragen hat. Der Hund und damit auch der Be­sitzer bleiben daher auch völlig unbehelligt. Ich meine, auch das ist Teil des Tier­schutzgedankens, dass man als Mensch nach solchen Ereignissen nicht automatisch gegen das Tier agiert. Einer der ersten Sprüche, die ich als Kind von meinen Eltern gelernt habe, war: Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz!


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Gerade in diesem Bereich haben wir noch einiges zu tun, denn wie oft geschieht es in unserer zunehmend gewalttätigen Zeit, in der sich die Gewalt nicht nur gegen die eige­ne Art richtet, sondern Frust oft auch an Tieren ausgelassen wird, dass es zu sinnlosen Quälereien kommt. Das fängt schon im Kindesalter an und setzt sich bei Erwachsenen fort.

In diesem Sinne ist es, wenn ich das jetzt ein bisschen aus der Perspektive der Hu­manmedizin betrachten darf, ein ganz, ganz wichtiges Gesetz geworden. Auch als Humanmediziner fühlt man durchaus mit den Kollegen Tierärzten mit. Wenn man mich frägt, was der Unterschied zwischen einem Humanmediziner und einem Tierarzt sei, dann pflege ich zu sagen: Der einzige Unterschied ist, dass der Tierarzt seine Patien­ten legal essen darf. Damit bin ich auch schon bei dem, was ich damit ausdrücken will: Tierhaltung ist nicht nur ein sehr wichtiger und für unsere Bauern und für die Landwirt­schaft unverzichtbarer Broterwerb, sondern natürlich auch ein wesentlicher Bestandteil unseres Konsums. Das Tier ist natürlich keine Sache, aber zum Teil werden Tiere ja auch gezüchtet, um letztlich dem Verzehr durch die Menschen zugute zu kommen. (Bundesrat Schennach: Doch keine Hunde!) Darin liegt eine hohe Verantwortung be­gründet. Eine humane Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie die ihr Anver­trauten – und das sind im Falle der Medizin nicht nur die Menschen, sondern alle Lebewesen – human behandelt. Daher existiert in meinem Sprachsatz auch das Wort „Ungeziefer“ zum Beispiel für Kakerlaken und Maden nicht, denn jedes Lebewesen in der Natur hat seine Daseinsberechtigung und auch seine Bedeutung.

Ich bin zwar inzwischen ein „verdorbener“ Stadtmensch geworden, aber ich bin als Junge und Jugendlicher in den Bergen aufgewachsen, und ich verstehe daher schon auch die Nöte der Bauern, und ich finde es auch wichtig, dass diese diskutiert werden. Gerade der Bundesrat ist das geeignetste Forum dafür, weil ja hier die Bundesländer-Interessen besonders berücksichtigt werden sollten. Ich habe mir stets ein offenes Ohr bewahrt und bin auch jetzt, nach der Beschlussfassung des Tierschutzgesetzes, in den Bergbauernbereich meiner Schladminger Tauern gereist und habe dort von den Bau­ern selber nicht viel beziehungsweise nur sehr wenig Kritik gehört. Das bedeutet: Der Konsens, den Sie mit Ihrer Entscheidung und mit der Entscheidung des Nationalrates in die österreichische Bevölkerung tragen, setzt sich auch bei jenen durch, die im Grunde am härtesten davon betroffen sind. Das wurde heute hier bereits mehrmals gesagt.

Ich möchte dem nicht mehr allzu viel hinzufügen. Ich kann mich den Ausführungen des Bundesrates Gudenus anschließen: Auch ich würde sehr froh sein, wenn es in abseh­barer Zeit gelänge, ein einheitliches Bundespflegegesetz zu schaffen. Das hat zwar nicht unmittelbar etwas damit zu tun, aber wenn ich beispielsweise heute hier aus die­sem Hohen Haus gehe, nachdem Sie doch zu einer einheitlichen Entscheidung gelangt sind, dann gehe ich wieder in meine so genannte Tintenburg zurück und überlege mir etwas zur „Beamtenhaltung“. Wenn ich mir mein Gebäude anschaue, seine weitläufi­gen Gänge und die Zimmer, in die ich hineinkomme, dann ist das einer Legebatterie durchaus ähnlich. Wir haben also sehr wohl auch im humanitären Bereich noch sehr viel zu tun.

Ich hoffe auch, dass es bei der spätestens im Herbst kommenden Gesundheitsreform gelingen wird, ebenfalls eine Vier-Parteien-Einigung zu erzielen. Das alles sind so wichtige Themen, die man nicht der Tagespolitik und damit auch der Regierungspolitik alleine überlassen sollte. Da ist es notwendig, einen österreichweiten Konsens herzu­stellen. Ich beglückwünsche Sie dazu, dass Ihnen das im Bereich des Tierschutzge­setzes gelungen ist.


Bundesrat
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Ich darf mit Worten von Henry Kissinger schließen, der gesagt hat: Ein guter Kompro­miss ist nur dann ein guter Kompromiss, wenn alle Beteiligten unzufrieden sind. – Dan­ke. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.08

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer (den Vorsitz übernehmend): Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Spiegelfeld-Schneeburg. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.08

Bundesrat Dr. Georg Spiegelfeld-Schneeburg (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Staatssekre­tär! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist heute schon sehr viel über das bundesein­heitliche Tierschutzgesetz gesagt worden. Ich denke, es ist ein gutes Gesetz, und es ist ein guter Tag für den Parlamentarismus in Österreich, weil dieses Gesetz gemein­sam beschlossen wurde und wird. Dieses Gesetz wird langfristige Auswirkungen ha­ben, es ist also sicherlich eine Investition in die Zukunft.

Weil hier heute schon einige kritische Worte gefallen sind, möchte ich doch darauf hin­weisen, dass die Hauptbetroffenen unsere Bäuerinnen und Bauern, unsere landwirt­schaftlichen Betriebe sind. Die grundlegenden Daten – 20 Millionen Tiere, davon 17 Millionen Nutztiere verteilt auf 140 000 Betriebe – sind bereits erwähnt worden. Auch daran kann man ersehen, dass es sich hiebei nicht um Agrarindustrie handelt, sondern um bäuerliche Landwirtschaft. Die Einigung, die hier zustande gekommen ist, bedeutet eine Investition, und bei dieser Investition müssen wir unsere Landwirte auch intensivst unterstützen.

Es ist hier heute auch bereits gesagt worden, es mögen sich diejenigen, die es sich leisten könnten, die etwas teureren, weil nach diesen Kriterien produzierten Lebensmit­tel leisten. Ich halte eine solche Ansicht für gefährlich. Wir sollten dafür sorgen, dass qualitätsvolle landwirtschaftliche Produkte allen Österreicherinnen und Österreichern zukommen und für sie leistbar bleiben. Dennoch muss der gerechte Preis für den Landwirt, der unter diesen Bedingungen zu wirtschaften hat, gewährleistet bleiben.

Gerade auch hier im Bundesrat ist darauf hinzuweisen – und wir alle hier sind Bundes­räte –, dass die Länder, die wir hier im Bundesrat vertreten, einen sehr entscheidenden Beitrag zu diesem Gesetz geleistet haben, und zwar dadurch, dass sie Kompetenzen abgegeben haben, um dieses einheitliche Tierschutzgesetz zu ermöglichen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es Tierschutz pur nicht gibt, sondern dass eine tiefe Verbindung besteht zwischen Tierschutz, Naturschutz, Kulturschutz, Betriebsschutz und letzten Endes Menschenschutz. Es geht also um eine einheitliche und gesamtheit­liche Sicht. Es wird notwendig sein, wenn wir heute diesen Schritt getan haben, das österreichische Tierschutzgesetz auch auf europäische Ebene zu heben und dafür einzutreten. Gerade einige Tage vor einer sehr wichtigen EU-Wahl ist, so meine ich, der richtige Zeitpunkt gegeben, zu sagen, dass diese Standards in nicht so ferner Zu­kunft europäische Standards sein sollten. Das sind wir unserem Kulturkontinent schul­dig.

In diesem Sinne ist heute ein großer Tag. Noch einmal sei all jenen, die direkt betroffen sind, nämlich den Landwirtinnen und Landwirten in unserem Land, und deren Vertre­tern dafür gedankt, dass sie einen verantwortungsvollen Weg mit allen anderen gehen, sodass es zu diesem einheitlichen Gesetz und auch zu dieser einheitlichen Abstim­mung kommen konnte. Wir sind an einem sehr guten Punkt angelangt, und es ist all denen ganz besonders zu danken, die die diesbezüglichen Verhandlungen geführt haben, die gemeinsam dieses Werk vollbracht haben. Es ist eine schöne und wichtige


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 59

Abstimmung, zu der wir jetzt sehr bald schreiten werden. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP.)

12.12

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.13

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Wortmeldung wäre eigentlich nicht mehr vorgesehen gewe­sen, aber während ich mit Kollegen Hösele den bosnischen Staatsbesuch vorbereitet habe, hat, wie ich gehört habe, Kollege Höfinger geradezu Unglaubliches von sich ge­geben.

Herr Kollege Höfinger, ich weiß nicht, wer Sie gebissen hat. Sie haben hier gemeint, ich hätte die Gewalt toleriert. Wenn ich zum Schutzheiligen gewaltsamer Tierschützer werden soll, müssten Sie mir einmal die Chance geben, dass ich welche kennen lerne. Also: Ich kenne keine. Sie kennen sie offensichtlich besser, also sind vielleicht Sie der Schutzheilige. Ich bin es sicherlich nicht!

Aber eines muss ich Ihnen schon sagen – wir machen jetzt eine so schöne Feierstunde hier –: Wenn es nicht engagierte Tierschützer gegeben hätte, die zum Beispiel Tiertransporte gestoppt hätten, illegal die Tiere von diesen Tiertransportern nach acht Stunden ohne Wasser heruntergenommen hätten – und das gegen das Gesetz, denn einen Tiertransporter auszuräumen und die Tiere zu tränken, ist ein Eingriff in Besitz­verhältnisse und eine Anmaßung –, hätten wir kein modernes Tierschutzgesetz. Ohne Leute, die den Mut haben, den Zustand von Zobelfarmen oder Legebatterien zu filmen, gäbe es diese berühmten Filme über die Grausamkeit von Tiertransporten und des Umgangs mit Tieren nicht, die Sie alle kennen und die schon von dutzenden internati­onalen Sendern abgespielt wurden. Dass das alles nicht vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder wem sonst auch immer gemacht werden konnte, ist schon klar, mein lieber Kollege Höfinger, aber ich lasse mich von Ihnen nicht zum Schutzheiligen für all diese Dinge machen.

Gleichzeitig habe ich aber, muss ich sagen, Respekt vor diesen Menschen, die sich so für Tiere eingesetzt haben, wie vielleicht wir uns alle hier zusammen nicht. Die waren nämlich tatsächlich vor Ort! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Die Frau Bundesministerin hat mir zugestanden, Frau Marga Hubinek als militant zu bezeichnen. Jetzt muss ich sagen: Sie hat Recht! Wissen Sie, dass Frau Marga Hubi­nek, als sie die Immunität verloren hat, weil sie aus dem Nationalrat ausgeschieden ist, ein ganz fürchterliches Privatverfahren um Millionen von Schillingen gehabt hat auf Grund ihres Tierschutzeinsatzes gegen die Immuno. In der Privatklage gegen Frau Marga Hubinek ging es um über 10 Millionen Schilling. Es ging damals um die Befrei­ung der Affen und, soweit ich weiß, auch noch andere Tierversuchsgeschichten. Dazu muss ich sagen: Hut ab vor solchen Leuten!

Wenn Sie die alle summa summarum mit irgendwelchen Gewaltbildern assoziieren, womöglich sogar mit Vermummten – Sie haben gesagt, dass in diesem Hohen Haus eine solche Rede keinen Platz haben dürfe, so jedenfalls hat man es mir berichtet, denn Herr Hösele und ich haben gerade über etwas anderes geredet –, dann weiß ich nicht, bei welcher Veranstaltung Sie sind und bei welcher ich bin. Aber eines möchte ich Ihnen schon sagen: Ein tief christliches Magazin des Tierschutzes – Sie werden es vielleicht nicht lesen, aber es ist ein sehr interessantes Tierschutzmagazin – erscheint vierteljährlich und heißt „Tierbefreier“. Was heißt denn das? Tierbefreier? Es ist ein sogar extrem konservatives Tierschutzmagazin, das nahezu dazu auffordert, sich für


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 60

alle Lebewesen, die gottgewollt sind, einzusetzen, auch wenn das nicht immer den Buchstaben des Gesetzes entspricht.

Wenn wir schon dabei sind, dann müssen wir einmal ein paar Leuten danken, zum Beispiel, weil der Herr Staatssekretär soeben gesprochen hat, der Arbeitsgemeinschaft „Kritische Tiermedizin“. Vielleicht erinnern sich noch viele und auch Kollege Wiesenegg daran: Die ersten Hühnereier hatten ein gelbes Dreieck. Das war eine Privatinitiative der „Kritischen Tiermedizin“, die diese Eier beklebt hat, und damit war klar, dass es sich um ein geprüftes Ei in Freilandhaltung und was weiß ich was noch handelt. Eben­falls Dank verdienen: der „Verein gegen Tierfabriken“, „For Animals“, der Österreichi­sche Tierschutzverein, die Initiativen gegen Tierversuche, WWF, die Initiativen für Tier­therapie und die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“.

Herr Kollege Höfinger! Einer davon, so kann man sagen, ist der radikalste. Ich sage Ihnen jetzt nicht welcher. Der gehört allerdings in den Dunstkreis der ÖVP, und da sit­zen mehrere Leute im Vorstand, die ihrer Partei nahe sind. Ich sage Ihnen: Dieser Ver­ein ist sehr, sehr gut und hat sehr, sehr viel getan, insbesondere was Pelztiere und anderes anbelangt.

Also hören Sie bitte auf, mir hier solche Sachen zu unterstellen. Überlegen Sie das nächste Mal, bevor Sie hier wieder so einen Angriff von wegen Gewalt und irgendwas starten. Ohne couragierte Zivilcourage – nennen wir das einmal Zivilcourage – wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

12.17

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundes­rat Konecny. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.18

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Meine Herrn Staatssekretäre! Ich habe nicht die Absicht, diese Debatte um eine weite­re Stellungnahme zu verlängern, aber eine mir nicht ganz erklärliche Vorgangsweise der ÖVP-Fraktion hat mich veranlasst, mich zu Wort zu melden, um geschäftsord­nungskonform folgenden Entschließungsantrag einzubringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Maßnah­menpaket für die heimische bäuerliche Landwirtschaft zur erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tierschutzgesetzes

Ab dem 1.1.2005 hat Österreich das modernste Tierschutzgesetz Europas. Die Eini­gung der vier Parlamentsfraktionen auf Basis der Regierungsvorlage war der entschei­dende Schritt für bundesweit einheitliche Standards in Tierschutzangelegenheiten.

Für die heimische Landwirtschaft hat das Bundes-Tierschutzgesetz besondere Bedeu­tung: Die Beschlussfassung des Bundes-Tierschutzgesetzes im Nationalrat bedeutet eine Neuorientierung für den Tierschutz in Österreich. Nachhaltiger Erfolg ist dann ge­währleistet, wenn tierschutzgerechte Produktionsweisen sich auch dauerhaft auf dem österreichischen Markt durchgesetzt haben. Den Konsumentinnen und Konsumenten kommt dabei durch ihre bewusste Entscheidung für heimische Produkte eine wichtige Rolle zu.

Die unterzeichneten Bundesräte stellen daher dem nachstehenden


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 61

Entschließungsantrag:

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, auf EU-Ebene Initiativen zu setzen, um die Tier­schutzstandards EU-weit zu harmonisieren und nach dem Vorbild der Ziele und Inhalte des österreichischen Bundes-Tierschutzgesetzes zu gestalten, Maßnahmen zu setzen, die das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf von Lebens­mitteln stärkt, die unter unseren hohen Standards produziert werden, und an den öster­reichischen Handel zu appellieren, Produkte aus artgerechter Tierhaltung in Österreich bevorzugt anzubieten und dabei eine Preisgestaltung vorzunehmen, die den hohen Produktionsstandards in der österreichischen Tierhaltung gerecht wird.“

*****

(Beifall bei der SPÖ.)

12.20

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Oder? – Doch! – Bitte, Herr Bundesrat Höfinger.

 


12.20

Bundesrat Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Damen und Her­ren! Herr Kollege Schennach, Sie haben in Ihrer Wortspende einiges, was ich in mei­ner Rede angekündigt habe, bestätigt. Ich muss ehrlich sagen: Das kann ich so nicht stehen lassen, und das ist schade!

Es ist schwierig hier zu stehen und zu sagen: Es ist etwas nicht im Rahmen des Ge­setzes passiert, und ich goutiere das, ich unterstütze das!, denn dann müssen wir uns alle die Frage stellen: Wo ist der Punkt, wo ich es nicht mehr goutiere, wenn Gesetze gebrochen werden?

Wir sind hier angelobt, und jeder von uns hat gelobt, die österreichischen Gesetze ein­zuhalten, zu respektieren. Für mich beginnen diese Gesetze zu dem Zeitpunkt, da sie niedergeschrieben sind und nicht in einem Freiraum, den wir uns alle öffnen und dann nicht mehr wissen, wo wir ihn begrenzen. Das ist der Punkt, um den es geht!

Wo endet denn der engagierte Tierschutz? Dort, wo Menschen zu Schaden kommen? Es geht nicht nur darum, dass Gebäude beschädigt werden oder vielleicht sogar Tiere zu Schaden kommen, sondern es geht ja auch um den Menschen. Sie haben diese Frage offen gelassen, und dem kann ich eigentlich keine Zustimmung erteilen, dem muss ich eine klare Absage erteilen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.22

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen? – Bitte, Herr Bundes­rat Bieringer.

 


12.22

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Frau Bundesministe­rin! Meine Herren Staatssekretäre! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das modernste Tierschutzgesetz Österreichs (Bundesrat Konecny: Das einzige! – Heiter­keit) – Herr Kollege Konecny, das können Sie nicht wegdiskutieren – steht heute hier in Verhandlung. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie einen Entschließungsantrag eingebracht haben. Mir ist dieser Entschließungsantrag aber ein bisschen zu wenig, und ich darf daher ebenfalls zu diesem Gesetz einen Entschließungsantrag einbringen. Dieser lautet:


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 62

Entschließungsantrag

der Bundesräte Roth-Halvax, Kampl betreffend ein Maßnahmenpaket für die heimische bäuerliche Landwirtschaft zur erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tierschutzgeset­zes, eingebracht im Zuge der Debatte zu Tagesordnungspunkt 1

Ab dem 1.1.2005 hat Österreich das modernste Tierschutzgesetz Europas. Die Eini­gung der vier Parlamentsfraktionen auf Basis der Regierungsvorlage war der entschei­dende Schritt für bundesweit einheitliche Standards in Tierschutzangelegenheiten.

Für die heimische Landwirtschaft hat das Bundes-Tierschutzgesetz besondere Bedeu­tung: Tierhaltung stellt die wirtschaftliche Grundlage für 140 000 heimische Betriebe dar. Für diese Betriebe bedeuten die neuen Anforderungen, die das Bundes-Tier­schutzgesetz mit sich bringt, eine große Herausforderung. Besonders tierfreundliche Haltungssysteme in der Nutztierhaltung und der Ausstieg aus der Käfighaltung machen für die Betroffenen eine betriebliche Neuorientierung und Investitionen erforderlich.

Die Beschlussfassung des Bundes-Tierschutzgesetzes im Nationalrat bedeutet eine Neuorientierung für den Tierschutz in Österreich. Nachhaltiger Erfolg ist dann gewähr­leistet, wenn tierschutzgerechte Produktionsweisen sich auch dauerhaft auf dem öster­reichischen Markt durchgesetzt haben. Den Konsumentinnen und Konsumenten kommt dabei durch ihre bewusste Entscheidung für heimische Produkte eine wichtige Rolle zu.

Die unterzeichneten Bundesräte stellen daher den nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht,

auf EU-Ebene“ – und diesbezüglich gehen wir konform, ich möchte Ihren Antrag, Herr Kollege Konecny, nur etwas erweitern – „Initiativen zu setzen, um die Tierschutzstan­dards EU-weit zu harmonisieren und nach dem Vorbild der Ziele und Inhalte des öster­reichischen Bundes-Tierschutzgesetzes zu gestalten,

Maßnahmen zu setzen, die das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf von Lebensmitteln stärken, die unter unseren hohen Standards produziert werden, und an den österreichischen Handel zu appellieren, Produkte aus artgerechter Tierhaltung in Österreich bevorzugt anzubieten und dabei eine Preisgestaltung vorzu­nehmen, die den hohen Produktionsstandard in der österreichischen Tierhaltung ge­recht wird,

die auf Grund des neuen Bundes-Tierschutzgesetzes nötig werdenden Investitions­maßnahmen (Ausstieg aus der Käfighaltung, besonders tierfreundliche Haltungssys­teme in der Nutztierhaltung) in den Verhandlungen zu den kommenden Budgets ent­sprechend den Notwendigkeiten abzusichern.“

*****

Ich bitte den Herrn Präsidenten, diesen Entschließungsantrag entgegenzunehmen und auch darüber abstimmen zu lassen.

12.25

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Schennach. – Bitte.

 



Bundesrat
Stenographisches Protokoll
710. Sitzung / Seite 63

12.25

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien) (zur Geschäftsbehandlung): Die Frakti­onsführer von SPÖ und ÖVP haben jetzt in der letzten Sekunde zwei Entschließungs­anträge eingebracht, von denen ich nicht weiß, wem sie hier im Hause vorliegen.

Ich würde ersuchen, die Sitzung so lange zu unterbrechen, bis alle Fraktionen a) die Möglichkeit haben, diese beiden Entschließungsanträge zu vergleichen und sie b) ir­gendwie physisch in Händen zu halten. (Bundesrat Konecny: Sehr gut!)

12.25

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich unterbreche die Sitzung.

(Die Sitzung wird um 12.26 Uhr unterbrochen und um 12.41 Uhr wieder aufgenom­men.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Die beiden eingebrachten Entschließungsanträge – jener des Bundesrates Konecny und KollegInnen sowie jener der Bundesräte Roth-Halvax, Kampl und KollegInnen – sind genügend unterstützt und stehen daher mit in Verhandlung.

Zum Tagesordnungspunkt selbst liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? (Bundesrat Konecny: Ich glaube, das sollt’ ich tun! – Bundesrat Schennach betritt den Sitzungssaal und begibt sich zu seinem Platz. – Bundesrat Konecny: Ach nein, jetzt muss ich mich nicht mehr melden!) – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Der gegenständliche Beschluss enthält in dessen Artikel 1 Verfassungsbestimmungen, die nach Artikel 44 Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz der Zustimmung des Bundes­rates bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bedürfen.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung notwendige Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, den im Artikel 1 des vorliegenden Be­schlusses enthaltenen Verfassungsbestimmungen im Sinne des Artikels 44 Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit unter Berücksich­tigung der besonderen Beschlusserfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest. (Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Bundesräten der Grünen, der ÖVP und der Frei­heitlichen.)


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 64

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Professor Konecny, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend ein Maßnahmenpaket für die heimische bäu­erliche Landwirtschaft zur erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tierschutzgesetzes vor.

Ich lasse diesen Entschließungsantrag der Bundesräte Konecny, Kolleginnen und Kol­legen abstimmen und bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Minderheit. Der Antrag auf Fassung der gegenständlichen Entschließung ist damit abgelehnt.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Roth-Halvax, Ing. Kampl, Kolleginnen und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend ein Maßnahmenpaket für die heimische bäuerliche Landwirtschaft zu erfolgreichen Umsetzung des Bundes-Tierschutzgesetzes vor.

Ich lasse den Entschließungsantrag der Bundesräte Roth-Halvax, Ing. Kampl, Kolle­ginnen und Kollegen abstimmen und bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Fassung der gegenständlichen Entschließung ist somit angenommen. (E 188-BR/04.)

2. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE) – (SE-Gesetz – SEG) erlassen wird sowie das Aktiengesetz, das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das EWIV-Ausführungsgesetz, das Genossenschaftsrevisionsgesetz 1997 und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Gesellschaftsrechtsänderungs­gesetz 2004 – GesRÄG 2004) (466 d.B. und 488 d.B. sowie 7046/BR d.B.)

3. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Ver­braucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz – FernFinG) erlassen wird und das Konsumentenschutzgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz sowie das Wertpa­pieraufsichtsgesetz geändert werden (467 d.B. und 490 d.B. sowie 7047/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatterin zu Punkt 2 ist Frau Bundesrätin Auer. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatterin Johanna Auer: Hohes Haus! Der Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft erlassen wird sowie das Aktiengesetz, das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das EWIV-Ausführungsgesetz, das Genossenschaftsrevisi­onsgesetz 1997 und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden, liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Es erübrigt sich daher dessen Verlesung.

Ich komme sogleich zur Verlesung des Ausschussantrages.

 


Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 65

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Der Bericht zu Tagesordnungspunkt 3 wird ebenfalls von Frau Kollegin Auer erstattet.

 


Berichterstatterin Johanna Auer: Auch der Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Fernabsatz für Finanzdienstleistungen an Verbraucher erlassen wird und das Konsumentenschutzgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz sowie das Wertpapieraufsichtsgesetz geändert werden, liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Es erübrigt sich daher dessen Verlesung.

Ich komme sogleich zur Verlesung des Ausschussantrages.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist als Erste Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte, Frau Bundesrat.

 


12.48

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf in Tagesord­nungspunkt 2 ist für mich, ist für die Wirtschaft sehr erfreulich. Einerseits erreichen wir mit der Europäischen Gesellschaft eine weitere Sicherung unseres Wirtschaftsstandor­tes. Wir ermöglichen es damit unseren großen österreichischen Leitbetrieben, die in der EU-Verordnung geregelten Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Andererseits ha­ben wir heute im Wesentlichen mit der Aktiengesellschaft und der GesmbH zwei ge­bräuchliche Formen von Kapitalgesellschaften zur Verfügung.

Zwischen diesen beiden Formen bestehen jedenfalls große Unterschiede. Es liegt nun in diesem Gesetzentwurf eine Fassung für eine kleine AG vor, und dies ist auch grund­sätzlich zu begrüßen. Es war seit jeher unser Ziel, auch für die Klein- und Mittelunter­nehmen die AG als attraktive Rechtsform zu etablieren. Es ist dies ein weiterer Schritt zur Stärkung unserer Klein- und Mittelbetriebe, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden, insbesondere unsere Familienunternehmen.

Seit Jahren wird insbesondere von Unternehmensgründern der Ruf nach einer Zwi­schenform, ähnlich der deutschen Kleinen AG, laut. In Deutschland hat die Regelung der kleinen Aktiengesellschaft als Möglichkeit für mittelständische Unternehmen zu einer Wiederbelebung der AG geführt. Erfolgsfaktor für die Annahme der Kleinen AG ist allerdings eine deutliche Kostenentlastung im Vergleich zur derzeit bestehenden Aktiengesellschaft. Um diesen Erfolgsfaktor zu gewährleisten, halte ich eine regelmä­ßige Evaluierung des Erfolges dieses Gesetzes für sehr wichtig. Ich erwarte mir auch auf Grund dieses Gesetzes einen Anstieg der AG-Gründungen, und wir werden sicher­lich den Diskussionsprozess fortsetzen und gegebenenfalls eine Anpassung vorschla­gen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

12.50

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Schimböck das Wort. – Bitte.

 


12.50

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wir stehen heute hier vor einem ganz we­sentlichen Beschluss, was die wirtschaftliche Entwicklung im europäischen Raum und


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710. Sitzung / Seite 66

damit natürlich auch insbesondere die Österreichs betrifft. Wir wissen ja, dass die Ver­einheitlichung des Gesellschaftsrechtes eine der schwierigsten Aufgaben im europäi­schen Wirtschaftsraum war. Als man sich im Jahre 2000 in Nizza auf eine Europäi­sche AG einigte, stand dem immerhin ein fast 30-jähriger Diskussionsprozess davor.

Meiner Ansicht nach müssen wir jedoch die Dinge auch etwas kritisch durchleuchten, denn wir mussten – das wurde nämlich gestern bekannt – miterleben, wie eine ganz große europäische Gesellschaft, nämlich das Unternehmen Vodafon, ein britisches Unternehmen, Mannesmann gekauft hat, und zwar um die schier unglaubliche Summe von 200 Milliarden €, und es jetzt so aussieht, dass dieser britische Konzern, diese britische Gesellschaft durch Teilabschreibungen im Umfang von 50 Milliarden € in Deutschland einen Steuervorteil von 20 Milliarden € lukrieren wird. Es gibt ja dazu be­reits Stellungnahmen sowohl von CDU- als auch von SPD-Seite. – Da wird man, glaube ich, nur Abhilfe schaffen können, wenn es eine Art rückwirkende Steuerge­setzgebung gibt. Da bin ich sogar mit dem CDU-Abgeordneten Dietrich Austermann, der das so dargestellt hat, einer Meinung.

Herr Bundesminister! Die Entwicklungen im wirtschaftlichen Gesellschaftsrecht sind wirklich sehr, sehr kritisch zu sehen, ja ich möchte das fast als Querschnittsmaterie bezeichnen, bei der man sich auch einmal all die steuerlichen Aspekte, die sich da ergeben und die zu unglaublichen Steuerausfällen führen können, vor Augen halten muss. Ich meine, das jetzt mit diesem wirklich ganz dramatischen Beispiel deutlich aufgezeigt zu haben, ein Beispiel, das ja auch parteipolitisch vollkommen außer Streit steht; daher ganz bewusst dieses Zitat von Dietrich Austermann.

Weiters zitieren möchte ich Peter Sloterdijk, will aber Kollegen Kneifel jetzt nicht in Versuchung führen, der mir einmal bei einem Zitat eines Wirtschaftstheoretikers eine „Standard“-Seite gebracht hat. Kollege Gottfried Kneifel, du brauchst jetzt nicht in der Zeitung „Standard“ das „Kulinarium“ suchen, sondern ich sage gleich dazu: Peter Slo­terdijk ist ein sehr bekannter deutscher Philosoph, der auch gerne von deinem Bun­desparteiobmann Dr. Schüssel zitiert wird. Sloterdijk hat kürzlich, als er sein neuestes Werk vorgestellt hat, gemeint, es mache sich irgendwie so eine Art „Anarchie des Kapi­tals“ in Europa und auch weltweit breit.

Ich glaube, das müssen wir in diesem Zusammenhang schon sehen, und es hat ja bei­spielsweise meine Vorrednerin zwei Gesellschaftssysteme, wie wir sie kennen, hier dargestellt: das GesmbH-Recht und das AG-Recht. Diese unterscheiden sich in ganz wesentlicher Weise von monistischen Gesellschaftsformen, wo wir ja dieses „Board­system“ kennen, in dem es eben zu einer „Verschmelzung“ von Geschäftsführung und dem eigentlichen Aufsichtsrat kommt.

Wir werden natürlich auch lernen müssen, in unserem Land mit so etwas überhaupt zu leben und umzugehen. Jeder, der sich damit auch nur ein bisschen beschäftigt hat, konnte ja gerade in letzter Zeit sehen, wie es ist, wenn dort Verwaltungsräte installiert werden. Dazu ein berühmtes Beispiel: den Verwaltungsrat im Hauptverband, wo es zwar eine Geschäftsführung gegeben hat, der Verwaltungsrat aber einerseits auch wieder irgendwelche Rechte hatte, geschäftsführend tätig zu sein. Da beginnen sie, sich auf einmal zu blockieren. Dieses leidvolle Beispiel haben ja dann die Wiener Ärzte mit diesem „berühmten“ Vertrag erfahren. – Also: Auch da muss man mit Augenmaß und großer Sorgfalt vorgehen.

Nun zu einem Punkt, der mir als Vertreter von kleineren Gewerbetreibenden sehr, sehr wichtig ist. Wir müssen, wenn wir heute in unserer Gesellschaft der Wirtschaft das Wort reden, auch daran denken, dass Schutzmechanismen für kleine Unternehmen einzurichten sind.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 67

Herr Bundesminister! In meinem Bundesland Oberösterreich ist ja vor wenigen Tagen ein an sich kleiner Fall ganz groß durch die Zeitungen gegangen, ein Fall, der aller­dings eine große Gesellschaft betroffen hat, nämlich den REWE-Konzern auf der einen Seite – und auf der anderen Seite stand, wie ja in allen Zeitungen nachzulesen war, ein kleiner und lieber Käseproduzent mit 70 Beschäftigten, nämlich die Firma Neuburger. An diesem Fall konnte man erkennen, was auf der einen Seite Macht bedeuten kann, nämlich Auslistung österreichweit, über Österreich hinaus, eben von einem großen Handelskonzern, von einem Handelsriesen.

So, wie Sie sich, Herr Bundesminister Böhmdorfer – und da haben Sie ja alle Parteien auf Ihrer Seite –, immer wieder für den Konsumentenschutz einsetzen, brauchen wir da auch irgendein Instrument in Bezug auf kleine Unternehmen. Ich denke da zum Bei­spiel an den gesamten Insolvenzbereich gerade auch im Hinblick auf kleine Unterneh­men – das wird mir meine Vorrednerin sicherlich bestätigen –, in den neuen Bereichen, in diesen so genannten Dienstleistungssektoren: Marktkommunikation, Unternehmens­beratung, IT und so weiter, wo ja 80 Prozent der selbständig erwerbstätigen Einfrau- beziehungsweise Einmannunternehmer sind; diese haben oft nur zwei, drei Kunden. Wenn eine Gesellschaft, ja wenn ein Teil einer solchen Gesellschaft insolvent wird, so kann das für nachgeordnete Lieferanten eine wirtschaftliche Katastrophe bedeuten.

Ich meine daher, dass wir Schutzmechanismen brauchen – das möchte ich jetzt gleich in diesem Debattenbeitrag einmahnen –, und zwar Schutzmechanismen für kleine und kleinste Selbständige, wird es doch auf der anderen Seite – ich weiß, da gibt es keinen Schritt mehr zurück, sondern man muss diesen Weg weitergehen – großen Unterneh­men ermöglicht, europaweit tätig zu werden.

Jedenfalls: Dabei geht es um eine schwierige Materie – und wir werden dem seitens meiner Fraktion zustimmen. Ich ersuche Sie aber, Herr Bundesminister Böhmdorfer, diese Entwicklung im Auge zu behalten und dabei aber auch einen – unter Anfüh­rungszeichen – „Konsumentenschutz“, einen „Partnerschutz“ für kleine und kleinste Unternehmen zu kreieren, denn das ist etwas, was wir wirklich dringend brauchen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! (Beifall bei der SPÖ.)

12.57

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Weilharter. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


12.57

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren! Nur ein paar Sätze zum Tagesordnungs­punkt 3, zuvor jedoch darf ich Ihnen bekannt geben, dass meine Fraktion zu den Ta­gesordnungspunkten 2 und 3 keinen Einspruch erheben wird, sondern dass wir gerne unsere Zustimmung erteilen.

Nun zum Tagesordnungspunkt 3, wie bereits angekündigt, ein paar Sätze. Meine Da­men und Herren, dabei handelt es sich nicht nur um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, sondern es muss uns bewusst sein, dass durch den modernen Datentrans­fer und durch elektronische Kommunikationseinrichtungen das Zustandekommen von Geschäften, vor allem von Finanzdienstleistungsgeschäften, von denen der Verbrau­cher immer mehr Gebrauch macht, eben bei diesem „fairen Absatz“, wie es im Gesetz heißt, geradezu Alltag in der Gesellschaft geworden ist.

Meine Fraktion begrüßt daher, dass künftig bei derartigen Rechtsgeschäften – um nur ein Beispiel aus diesem Gesetz zu nennen – verstärkter Konsumentenschutz, wie eben zum Beispiel die Information bei Vertragsabschluss oder etwa das Rücktrittsrecht von derartigen Rechtsgeschäften, innerhalb einer bestimmten Frist gegeben ist.


Bundesrat
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Ich darf mich jetzt sehr kurz fassen und dem Herrn Justizminister für diese Gesetzes­vorlage danken; ebenso bedanken möchte ich mich bei seinem Team. Bundesminister Böhmdorfer und seine Mannschaft haben da sehr rasch, sehr pflichtbewusst und sehr sorgfältig reagiert. Herzlichen Dank! – Wir Freiheitlichen tragen diese Entscheidungen gerne mit. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.59

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zum Wort gemeldet hat sich nun Herr Bundes­minister Dr. Böhmdorfer. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


12.59

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Vielen Dank, Herr Bundesrat Weil­harter, für Ihren Dank an das Justizministerium; Herr Universitätsprofessor Kathrein und Herr Mag. Auinger werden sich freuen – beide sind ja hier –, ebenso Herr Sekti­onschef Dr. Hopf.

Wir im Justizressort sind auch zunehmend stolz und selbstbewusst in Fragen des Handelsrechtes. Wir sind eigentlich ein, möchte ich sagen, legistisches und auch inhaltlich mitdenkendes „Wirtschaftsministerium“.

Wir haben das Gesellschaftsrecht bei uns, also das Aktienrecht, die kleinen Gesell­schaften, die GesmbHs. Wir haben das Kartellrecht bei uns. Wir haben einen Bundes­kartellanwalt. Wir haben natürlich das gesamte Handelsgesetzbuch. Wir haben auch das Finanzstrafrecht, haben uns auch in der Frage der Amnestie pflichtgemäß zu Wort gemeldet mit unserer Kompetenz aus dem Finanzstrafrecht heraus. Wir haben jetzt neu das Verbandsstrafrecht – das kommt in Begutachtung – und viele andere Materien auch.

Unsere Richter sind auf diesem Gebiet gebildet, kennen das EU-Recht, kennen die EU-rechtlichen Voraussetzungen und das nationale Recht und werden sich in Zukunft natürlich vermehrt mit dem Recht der neuen Mitgliedstaaten befassen müssen, weil wir ja dorthin besonderen Handelsverkehr haben.

Deshalb freut mich diese Anerkennung, die auch dem Umstand gilt, dass wir nicht nur die „kleine AG“ für die Klein- und Mittelbetriebe einführen dürfen. 97 Prozent aller ös­terreichischen Unternehmungen sind Klein- und Mittelbetriebe, wir sollten ihnen mehr Augenmerk als bisher schenken. Aber es ist auch wichtig, dass die europäische Ge­sellschaft jetzt eingeführt wird, weil jene staatenübergreifenden Unternehmungen, die sich bei uns niederlassen wollen, dann eine heimische Rechtsordnung, ein heimisches Rechtssystem vorfinden, auch was das Zusammenspiel der Geschäftsführung mit der Kontrolle anlangt. In diesem Sinne vielen Dank.

Ich sage Ihnen abschließend noch, dass wir derzeit auch ein Wirtschaftsstandortsiche­rungspaket diskutieren, das auch geeignet ist, den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken – das in unserem Sinne und zur Sicherung unserer Zukunft. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

13.01

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Auch nicht der Fall.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Beschlüsse des Nationalrates erfolgt ge­trennt.


Bundesrat
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Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2004.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz) erlas­sen wird und das Konsumentenschutzgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz sowie das Wertpapieraufsichtsgesetz geändert werden.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist ebenfalls Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit ange­nommen.

4. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem familien- und erbrechtliche Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs und des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht sowie das Gebührenanspruchsgesetz 1975 geändert werden (Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz 2004 – FamErbRÄG 2004) (471 d.B. und 489 d.B. sowie 7048/BR d.B.)

5. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Nieder­lassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich geändert wird (377/A und 492 d.B. sowie 7049/BR d.B.)

6. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz und die Änderung des Jugendge­richtsgesetzes 1988 (472 d.B. und 491 d.B. sowie 7050/BR d.B.)

7. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Untersuchungshaft und im Strafvollzug getroffen werden (376/A und 493 d.B. sowie 7051/BR d.B.)

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Wir gelangen nun zu den Punkten 4 bis 7 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Berichterstatter zu Punkt 4 ist Bundesrat Hagen. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatter Christoph Hagen: Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem familien- und erbrechtliche Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Ge­setzbuches und des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht sowie das


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Gebührenanspruchsgesetz 1975 geändert werden (Familien- und Erbrechts-Ände­rungsgesetz 2004).

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Berichterstatter zu Punkt 5 ist Herr Bundesrat Schimböck. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatter Wolfgang Schimböck: Ich berichte über den Beschluss des Natio­nalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor, ich kann daher auf die Verlesung verzichten.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­einhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Berichterstatter zu Punkt 6 ist Herr Bundesrat Hagen. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatter Christoph Hagen: Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz und die Änderung des Jugendge­richtsgesetzes 1988.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Berichterstatter zu Tagesordnungspunkt 7 ist wieder Herr Bundesrat Schimböck. Ich bitte um den Bericht.

 


Berichterstatter Wolfgang Schimböck: Ich erstatte den Bericht des Justizausschus­ses über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Untersuchungshaft und im Strafvollzug getroffen werden.

Der Bericht liegt Ihnen schriftlich vor, ich kann daher auf die Verlesung verzichten.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmen­mehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zum Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrat Schlaffer. – Bitte, Frau Bundesrat.

 


13.07

Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich gestehe der vorliegenden Fami­lien- und Erbrechtsreform ohne weiteres zu, dass sie in vielen Punkten eine wesentli­che Verbesserung mit sich bringt; sie wird daher zu einem Großteil von meiner Fraktion gutgeheißen. Da im Bundesrat jedoch – im Gegensatz zum Nationalrat – nur eine Ge-


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samtabstimmung möglich ist, können wir ein Gesetz nur im Ganzen oder gar nicht an­nehmen. Ich werde daher meine Stellungnahme auf jene Punkte im vorliegenden Ge­setz beschränken, die uns zu einer Ablehnung veranlassen.

Um wirklich zu einem großen Reformgesetz zu werden, wäre es unserer Ansicht nach erforderlich gewesen, einige seit längerem in Diskussion stehende Probleme einer Lösung zuzuführen. Im Speziellen meine ich damit die nach wie vor unbefriedigende Situation bei Lebensgemeinschaften. Die von der SPÖ seit Jahren geforderte und auch von vielen Fachleuten für notwendig erachtete Aufwertung von – und dabei meine ich sowohl die hetero- als auch die gleichgeschlechtlichen – Lebensgemeinschaften und eine entsprechende Verankerung im Erbrecht sind nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Damit verschließt die Bundesregierung weiterhin die Augen vor einer längst herr­schenden gesellschaftlichen Realität in Österreich. Das Bild einer Familie, wo die Ehe­partner durch den Bund der Ehe miteinander verbunden sind, bestimmt bedauerlicher­weise nach wie vor die Familienpolitik dieser Regierung.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen! Wie lange wollen Sie noch die Tatsache verdrängen, dass trotz gemeinsamer Kinder Paare in immer höherer Zahl ohne den Bund der Ehe zusammen leben und, wie viele Beispiele zeigen, auch glück­lich dabei sind?! (Bundesrat Dr. Böhm: Die wollen das eben so!) Eben! Daher sollte man auch in den entsprechenden Gesetzen darauf reagieren!

Ich möchte mich an dieser Stelle aber im Besonderen an den Herrn Bundesminister wenden. Herr Bundesminister, sorgen Sie bitte dafür, dass in Österreich bei Kindern endlich die Bezeichnung „ehelich“ beziehungsweise „unehelich“ nicht mehr verwendet werden muss! Uneheliche Kinder sind zwar rechtlich gesehen ehelichen weitgehend gleichgestellt, im gesellschaftlichen Umgang jedoch nach wie vor Diskriminierungen ausgesetzt. Kinder bedürfen unseres besonderen Schutzes, und Ihnen als zuständi­gem Minister obliegt es, dafür zu sorgen, dass Kind nur Kind sein darf, ja sein muss. Die Begriffe „ehelich“ und „unehelich“ sind nicht mehr zeitgemäß und gehören abge­schafft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn seit längerem über die Frage einer Beistellung von Anwälten für Kinder bei der Durchsetzung ihrer Anliegen in Zivilrechts­sachen diskutiert wird und meines Wissens schon intensiv an der Lösung gearbeitet wird, so dürfen wir trotz des berechtigten Vorhabens nicht auf die nach wie vor vorhan­dene Benachteiligung der Rechtsposition von Müttern vergessen. Frauen wird auch mit dem vorliegenden Gesetz im Abstammungsrecht kein eigenständiges Bestreitungs- und Klagerecht eingeräumt. Ich gestehe zu, dass ein generelles Klagerecht Probleme bei volljährigen Kindern schaffen würde, ich plädiere jedoch dafür, Überlegungen an­zustellen, ob nicht dennoch Müttern ein Klagerecht zuerkannt werden könnte – even­tuell eingeschränkt auf jenen Zeitraum, solange die Kinder minderjährig sind.

Diskussionswürdig wären meiner Ansicht nach auch Überlegungen zu einer verbesser­ten gesetzlichen Regelung für die Anrechnung von erbmäßigen oder erbbezogenen Vorleistungen bei Wiederverehelichung eines Elternteils. Das geltende Erbrecht für Kinder aus früheren Ehen kann für die Hinterbliebenen der letzten Ehe zu Härtefällen führen und sollte meiner Meinung nach daher sachlich und ohne berechtigte Ansprü­che in Frage zu stellen diskutiert werden.

Erben ist nicht leicht – leichter ist es, gesetzliche Diskriminierungen zu verhindern. Und da auch diese Gesetzesnovelle bestehende Diskriminierungen nicht beseitigt, ja sogar neue schafft, muss meine Fraktion diesem Gesetz leider die Zustimmung verweigern. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

 


13.12


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 72

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Dipl.-Ing. Bogensperger. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.12

Bundesrat Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte zur geplanten Neuorganisation der Bezirksgerichte in Graz sprechen.

In der Landeshauptstadt Graz haben wir derzeit drei Bezirksgerichte: das Bezirksge­richt für Zivilrechtssachen, das Bezirksgericht für Strafsachen und das Jugendgericht. Die drei Bezirksgerichte sind auf zwei Standorte in der Stadt Graz verteilt. Das Be­zirksgericht für Strafsachen und das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen umfassen in ihrer Zuständigkeit die ganze Stadt Graz und 40 Umlandgemeinden des Bezirkes Graz-Umgebung.

Derzeit gibt es in räumlicher, aber vor allem in administrativer Hinsicht große Pro­bleme, da das Strafgericht vier Richter-Planstellen, das Jugendgericht eine Richter-Planstelle, aber das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen 25,5 Richter-Planstellen inne­hat. Durch die Spaltung der Richter in die Sparten Zivilrecht und Strafrecht ist ein spar­tenübergreifender Auslastungsausgleich praktisch nicht möglich und somit ein optima­ler Einsatz in personeller Hinsicht, wie es bei anderen Gerichten der Fall ist, nicht ge­geben.

Die Idealgröße für ein Bezirksgericht für Zivilrechtssachen ist mit zwölf Richter-Plan­stellen gegeben. Das Jugendgericht mit nur einer Planstelle und das Bezirksgericht für Strafsachen mit vier Planstellen sind derzeit unterbesetzt. Mit der Neuorganisation, nämlich einem Vollbezirksgericht Graz mit einem Standort am rechten und einem Standort am linken Mur-Ufer, kann ein optimaler Einsatz der Richter gewährleistet werden.

Wie in Linz und in Wien wird das Jugendgericht auch in Graz einem anderen Gericht angegliedert. Es wird somit die geplante Reform der Jugendgerichte abgeschlossen.

Das am rechten Mur-Ufer geplante Bezirksgericht wird die Bezeichnung „Bezirksgericht Graz-West“ erhalten und für den Stadtteil rechts der Mur und die Umlandgemeinden von Graz zuständig sein. Es werden damit zirka 101 000 Einwohner der Stadt Graz, also des rechts des Mur-Ufers liegenden Teiles, und zirka 90 000 Einwohner der Um­landgemeinden ihre Zuständigkeit im Bezirksgericht Graz-West finden. – Das Bezirks­gericht Graz-Ost wird für zirka 125 000 Einwohner des östlichen Stadtgebietes zustän­dig sein.

Auf Grund der Lage von Graz, wo die innerstädtischen Verkehrsmittel wie Bus und Straßenbahn zur Verfügung stehen und die Straßen aus den Umlandgemeinden stern­förmig in Graz zusammentreffen, ist ein Standort in der Stadt Graz für die Bürger not­wendig und ideal. Weiters befinden sich andere Behörden und Wirtschaftseinrichtun­gen in der Nähe der Gerichte. Auch viele Anwälte haben ihren Sitz und ihre Kanzlei in Graz.

Die SPÖ, im Besonderen Nationalratsabgeordneter Kräuter aus der Steiermark, fordert ein Bezirksgericht in der zirka zehn Kilometer entfernten Ortschaft Kalsdorf, die südlich von Graz liegt. Aus meiner Sicht ist dies nicht vertretbar, da die Bürger aus dem Nor­den von Graz durch die ganze Stadt Graz fahren müssten, um ein Bezirksgericht Kals­dorf zu erreichen.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass sich auch die Richtervereinigung und die überwiegende Zahl der Richter für diese geplante Lösung aussprechen.


Bundesrat
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Anzumerken ist auch, dass der Rechnungshof im Begutachtungsverfahren ausdrück­lich keinen Einwand gegen das neu geplante Projekt erhoben hat.

Aus diesen Gründen wird unsere Fraktion der geplanten Neuorganisation der Bezirks­gerichte Graz zustimmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

13.15

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.16

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Bezüglich der vorliegenden Materien möchte ich ganz kurz auf den Redebeitrag von Frau Kollegin Schlaffer verweisen: Das ist die Situation, die wir haben, nämlich dass wir eben „the end of the pipe“ im Gesetzwerdungsprozess sind. – Da hoffe ich ja doch auf Reformen, die sich mit der gleichzeitigen Befassung von Bundesrat und Nationalrat im gesetzlichen Bereich schon ankündigen, was derzeit so durch die Türen des Konvents dringt.

Im Prinzip, Herr Bundesminister, sind das alles recht löbliche, notwendige und sinnvol­le Regelungen, die hier getroffen werden. Die Novellierung des Kindschaftsrechts war auf Grund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes notwendig: Ich erwähne das Klagerecht des Kindes auf Ehelichkeitsbestreitung, bei gleichzeitiger Abschaffung jenes des Staatsanwaltes, die Vaterschaftsanerkennung und den Umstand, dass jetzt auch der Mutter ein eigenständiges Antragsrecht bei der Feststellung eingeräumt wird.

Ich muss einmal der FPÖ zu Ehren sagen: Ich kenne die FPÖ parlamentarisch seit 1988, und es ist mir eigentlich bei der FPÖ noch nie eine Politik der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen aufgefallen. Ich kann nur sagen, in den Gesprä­chen, die wir zumindest mit der ÖVP hatten, war die ÖVP in diesem Punkt doch ein Stück weiter. Nun liegt hier doch eine umfangreiche Änderung des Familien- und Erb­rechtes vor, und es fehlt genau das, was Frau Kollegin Schlaffer gemeint hat: dass es hier wieder keine Regelungen in diese Richtung gibt.

Es ist eine Tatsache – wir können hundertmal die Augen zudrücken, sie sind in allen vier Parteien in etwa gleichmäßig vertreten, auch in der ÖVP, auch in der katholischen Kirche, auch in der evangelischen Kirche –: Es gibt die gleichgeschlechtlichen Bezie­hungen in unserem Land! Es sind ungefähr 15 bis 25 Prozent – je nachdem, was man da heranziehen möchte. Und es ist hier zu keiner Änderung gekommen, nicht einmal dazu, dass man den Angehörigenstatus in Spitälern hat, dass es einen Eintritt in das Mietrecht gibt, dass es die Form des Erbrechtes gibt.

Der „Hansi Hinterseer“ Deutschlands heißt Patrick Lindner. Er ist so ein Schnulzen-Sänger, aber ein berühmter, so wie Hansi Hinterseer. (Bundesrat Ager: Nichts gegen Schnulzen-Sänger!) – Also gut, er ist ein populärer Volkskunst-Sänger. Danke, Kollege Ager! Gut, dass Sie ihn kennen, denn dann wissen Sie auch seine Geschichte: Er ist bekennender Homosexueller, und nach deutschem Recht ist ihm eines möglich gewor­den: dass er und sein Lebenspartner ein Kind adoptieren konnten. Das ist mittlerweile in der deutschen Boulevard-Presse die meistgeliebte Familie Deutschlands. – Das ist Realität.

Meine Damen und Herren! Wir müssen uns dieser Situation stellen, und eine moderne Novelle muss zumindest anfangen, Antworten auf diese gesellschaftlichen Fragen zu geben. Und ich muss jetzt ehrenhalber sagen: Die FPÖ hat diesbezüglich auch nie Probleme gehabt, und insofern würde ich mir wünschen, dass unter Minister Böhmdor­fer doch noch einmal ein Vorstoß in diese Richtung kommt.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 74

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie das Problem mit der Erwachsenenadoption haben, okay, aber Kollegin Forstinger, die mit Ihnen in der Regierung saß, hat einen Wahlvater gehabt, Androsch hat einen Wahlonkel gehabt, also es kommt im Erwachsenenalter durchaus vor, dass man sich eine andere Form von Beziehungen unter Erwachsenen wünscht.

Jetzt werden Sie sagen, Herr Minister: Ja, aber das ist ein Missbrauch gewesen! Dazu muss ich Ihnen sagen: Das IPRG sieht eben nicht vor, dass man Erwachsenenadopti­onen auf das Herkunftsland abstellt. Es wird hier zwar gemacht, aber es wäre meiner Meinung nach nicht notwendig.

Wenn Sie aber jetzt hier sagen, dass es einen signifikanten Missbrauch gibt – ich betone das Wort „signifikant“! –, dann ist das etwas anderes. Im Ausschuss konnte die Signifikanz nicht herausgehört werden, dort war lediglich davon die Rede, dass es einen Missbrauch gibt. Die Signifikanz ist aber eine wesentliche Sache.

Kollege Bogensperger hat das so trocken formuliert mit den Worten: Damit wird die Reform des Jugendgerichtsbereiches fortgesetzt. – Sie wissen, Herr Bundesminister, dass ich da eine andere Position einnehme. Ich halte es für richtig, dass es fachkundig-sensible Jugendrichter gibt. Mir war das alte System lieber. Ich hoffe, dass es nicht so wie in Linz zu so genannten geteilten Richtern kommt, die halbtägig hier und halbtägig dort tätig sind. In diesem Fall wäre es sogar ein Drittel-Drittel-Drittel. Ich hoffe, dass es da zumindest zu einer Aufstockung kommt, denn eine Person sozusagen auf drei Ge­richte verteilt, das ist wahrscheinlich ein bisschen schwierig.

Jetzt komme ich zu einem ganz großen Punkt. – Zunächst möchte ich aber sagen, Herr Bundesminister: Ich bedanke mich für den sehr kundigen Beamten, den Sie in den Ausschuss geschickt haben. Ich meine das ernst. Das war eine sehr spannende Diskussion. Ich glaube, die Analyse von Ihnen und von mir ist die gleiche, wie wir es schon in gemeinsamen Gesprächen festgestellt haben.

Der Punkt ist der: Es ist in den Strafvollzugsanstalten tatsächlich eine Notsituation ein­getreten, und zwar mit einem enormen Überbelag. Ich weiß, dass das dem Bundesmi­nister Sorge macht. Es macht ihm zu Recht Sorge – bei über 130 Prozent Belag in Wien. Das ist für alle Beteiligten, und zwar sowohl für die Unterzubringenden als auch für die Betreuer, unerträglich.

Das, was Sie nun hier vorschlagen, ist eine Notaktion. Ich bin Ihrer Meinung, was die Not betrifft, aber nicht, was die Aktion anlangt. Wenn Sie sagen, das hätten wir aber schon einmal gemacht – das war 1992 und 1993; damals war die FPÖ nicht in der Re­gierung, es gab eine andere Regierungskonstellation –, dann muss ich sagen: Das ist tatsächlich richtig!

Aber wenn schon so eine Not da ist, dann könnte man doch ein paar prinzipielle Fra­gen damit verknüpfen, und zwar zum Beispiel: Gibt es nicht eine Möglichkeit, die be­dingten Entlassungen im Sinne einer großzügigeren Form zu überdenken? Ich weiß, dass in der Sache, die wir hier jetzt machen, beim Strafantritt schon eine Großzügigkeit eingeräumt wird. Ich kann Ihnen da nur sagen: Ich geben Ihnen Recht, für Jugendliche, die eine Haftstrafe antreten müssen, aber einen Lehrabschluss zu machen haben, ist es tatsächlich eine sehr sinnvolle Maßnahme, zuerst die Lehre fertig machen zu kön­nen und erst dann die Haftstrafe antreten zu müssen, damit man keine sozialen Drop-Outs hat. – Das ist, sage ich auch, völlig richtig!

Aber in einer prinzipiellen Frage, Herr Bundesminister, möchte ich Sie ersuchen, in einen wirklich breiten Dialog einzutreten – das können wir jetzt nicht klären, das weiß ich schon; im Ausschuss haben wir sehr intensiv darüber diskutiert –, und das ist die Frage einer Neubewertung der Deliktsqualifikation der Gewerbsmäßigkeit.


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710. Sitzung / Seite 75

Diese Deliktqualifikation der Gewerbsmäßigkeit ist sozusagen ein Hund, und zwar in Bezug auf folgendes Faktum: Kaum kommt die Gewerbsmäßigkeit dazu – und es kommt leider ein junger Mensch, aber auch ein Mensch fortgeschrittenen Alters relativ schnell in die Gefahr der Gewerbsmäßigkeit, auch wenn ihm als Täter nicht einmal bewusst ist, was ihm da droht –, ist der Sprung plötzlich ein riesiger, nämlich vom Strafrahmen her.

Ich rege an, dass wir in eine juristisch-politische Diskussion eintreten über die Frage: Was ist bei einem Jugendlichen „gewerbsmäßig“, und was ist bei einem Erwachsenen „gewerbsmäßig“, und was ist, verknüpft mit Hehlerei, tatsächlich „gewerbsmäßig“? Ich schlage vor, dass wir da ein abgestufteres Strafsystem finden, als wir es jetzt haben. Wir haben sozusagen ein Podest, dann kommt die Gewerbsmäßigkeit und schon „knallt“ es auf Jahre hinauf.

Ich kann da nur sagen, im Zusammenhang mit der Jugendgerichtsbarkeit: Die Ge­werbsmäßigkeit ist wirklich ein Übel. – Herr Kühnel, Sie brauchen jetzt keinen Zwi­schenruf zu machen, weil ich Ihnen schon im Ausschuss gesagt habe: Selbstverständ­lich ist jeder Mensch, der eine Tat begeht, ob er Ihnen oder mir das Handy stiehlt, ob er Ihnen oder mir eine CD aus dem Auto stiehlt, dafür verantwortlich und soll auch be­straft werden – oder ermahnt werden, wie es das Jugendgesetz auch noch ermöglicht. Das soll in einer abgestuften Form geschehen.

Aber bei manchen kommen sozusagen Karrieren durch ein Mitläufertum zustande. Es ist so, dass diese bis zu dem Moment, ab dem sie mitgelaufen sind, nie auffällig waren, und plötzlich wird durch das Mitläufertum und den Folgen daraus die Straftat mit einer Gewerbsmäßigkeit verknüpft. Manchmal bekommen dann Jugendliche im Gefängnis erst die Ausbildung zum Delinquenten.

Herr Bundesminister! Ich weiß, dass auch Ihnen das Sorgen macht. Es wird zum Bei­spiel in Wien und Umgebung die U-Haft geradezu epidemisch ausgesprochen, wäh­rend man in Salzburg, in Tirol oder in Vorarlberg da äußerst zurückhaltend agiert. Da­her darf ich Sie ersuchen, erstens die Praxis der allzu früh ausgesprochenen U-Haft zurückzudrängen und zweitens in eine Diskussion über die Frage einzutreten, ob man den Begriff der Gewerbsmäßigkeit nicht doch in eine ein bisschen abgestuftere Form bringen könnte.

In diesem Sinne, Herr Bundesminister, kann ich sagen: Es sind in diesen Gesetzen – einem stimmen wir auch gerne zu – zwar sehr viele positive Dinge erledigt, aber da wir am „end of the pipe“ sind, können wir hier nicht jedem Gesetz zustimmen. (Beifall bei den Grünen.)

13.27

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Dr. Böhm. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


13.28

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Verehrte Damen und Herren des Hohen Hauses! Las­sen Sie mich aus dem vielfältigen Paket der justizpolitischen Reformvorhaben, das uns heute zur Beschlussfassung vorliegt, primär das Familien- und Erbrechts-Änderungs­gesetz 2004 herausgreifen.

Im Anschluss an ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, das die bisher geltende gesetzliche Regelung des Rechts der Bestreitung der ehelichen Geburt partiell für ver­fassungswidrig erklärte, war dieses familienrechtliche Teilgebiet in verfassungsgemä­ßer Weise neu auszugestalten.


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710. Sitzung / Seite 76

Bereits zuvor war es auch meine persönliche fachliche Überzeugung als Rechtslehrer, dass das im alten Recht bestehende exklusive Bestreitungsrecht des Ehemannes der Mutter das von der Ehelichkeitsvermutung betroffene Kind, wie meines Erachtens auch die Mutter – da stimme ich mit Frau Kollegin Schlaffer völlig überein –, in einer mit Arti­kel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Recht auf Familie, und in weiterer Folge mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem An­spruch auf rechtliches Gehör, unvereinbaren Weise mediatisiert hat.

Das mit der Neuregelung verankerte eigene Antragsrecht des Kindes auf Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann seiner Mutter, also seines bisherigen rechtlichen Vaters, ist daher vorbehaltlos zu begrüßen. Der Mutter ist in diesem Verfahren bereits durch das reformierte Außerstreitverfahrensrecht Parteistellung eingeräumt worden.

Ebenso ist dem Entfall der überholten, aus der Zeit des Deutschen Reiches stammen­den Klage- und Antragsbefugnisse des Staatsanwaltes auf Bestreitung der ehelichen Abstammung zuzustimmen.

Weiters führte die Beseitigung der früher die Ehelichkeitsvermutung auch nach Schei­dung der Eltern begründenden Geburt eines Kindes innerhalb der damals geltenden Frist zu einem Reformbedarf.

Die seither notwendige Klage auf Feststellung der Ehelichkeit soll durch die Möglichkeit der Anerkennung der Vaterschaft ergänzt und insofern ersetzt werden. (Präsident Weiss übernimmt wieder den Vorsitz.)

Zugleich wird die intakte, das heißt soziale Familie ausreichend dadurch geschützt, dass der allfällige biologische Urheber des Kindes, das als eheliches Kind des Ehe­mannes der Mutter gilt, zwar seine außereheliche Vaterschaft anerkennen kann, diese Erklärung aber nur dann rechtliche Wirksamkeit erlangt, wenn weder die Mutter noch das gesetzlich vertretene Kind der Anerkennung der Vaterschaft widerspricht.

Bei im Ausland abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnissen wird freilich künftig darauf zu achten sein, dass sie nicht zur Umgehung der im österreichischen Recht stark ein­geschränkten Adoptionen führen dürfen.

Erstmals wird auch das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verankert. Das verdanken wir Grundsatzerkenntnisses des deutschen Bundesverfassungsgerich­tes und des österreichischen Verfassungsgerichtshofes und wird von unserer Fraktion voll bejaht.

Wir alle stimmen auch darin überein, dass der die Vermutung der unehelichen Ab­stammung auslösende Beweis der Beiwohnung gegenüber den immer mehr entwickel­ten, nahezu schon Gewissheit herstellenden Sachbeweisen, wie den Blutgruppentests und insbesondere der DNA-Analyse, deutlich zurückgedrängt worden ist.

Die Stärkung der Informations- und der Mitwirkungsrechte der Kinder erforderte zudem die Neuregelung der Geschäftsfähigkeit nicht Eigenberechtigter in Fragen ihrer Ab­stammung und der Abstammung von ihnen. Dass dem volljährigen eigenberechtigten Deszendenten die alleinige Antragslegitimation in Bezug auf die Klärung seiner Ab­stammung zukommen soll, versteht sich wohl von selbst. Parteistellung wird seiner leiblichen Mutter in diesem Verfahren stets auch dann gewährt sein.

Die Einschränkung der Adoption erwachsener Personen erklärt sich aus den in der Praxis der Vergangenheit in statistisch signifikanter Zahl aufgetretenen Missbräuchen, insbesondere zur Erschleichung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Scheinadop­tionen traten vermehrt an die Stelle der zuvor gebräuchlichen Scheinehen. Daher soll künftig neben dem Recht des Annehmenden auch auf die Zulässigkeit der Adoption nach dem Personalstatut des zu Adoptierenden abgestellt werden.


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Der zu begrüßenden Beseitigung aller Befugnisse des Staatsanwaltes im Abstam­mungsrecht steht die gebotene Klarstellung der Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers als Kollisionskurator, das heißt als Sachwalter bei widerstreitenden Interessen, gegen­über.

Auf dem Gebiet des Erbrechts ist die Reduktion des außergerichtlichen Zeugentesta­ments auf die Form eines Nottestaments in außergewöhnlichen Situationen, also nur noch im Notfall, bis maximal drei Monate nach Wegfall der Notlage, hervorzuheben, erwies sich doch das rein mündliche Testament in der Praxis als allzu konfliktträchtig und missbrauchsanfällig und führte daher in daraus resultierenden Rechtsstreitigkeiten zu vielfach nahezu unlösbaren Beweisproblemen.

Voll gelungen erscheint auch die Neuregelung des Zusammenhangs zwischen der Feststellung der Abstammung, also auch der Feststellung nach dem Tod des Vaters, und dem Erbrecht.

Weniger bin ich persönlich hingegen von der Notwendigkeit oder auch nur Erwünscht­heit der Beseitigung des gesetzlichen Erbrechts von Neffen und Nichten des Erblas­sers zugunsten des überlebenden Ehegatten überzeugt. Das deshalb, weil mangels eigener Kinder und vorverstorbener Geschwister die genannten Seitenverwandten die nächsten Angehörigen in der kognatischen Familie sind. Will man damit die Familien­bande und die Wahrung des Familienbesitzes bewusst noch weiter als bisher aushöh­len? – Mir ist auch bekannt, dass gewerbetreibende Unternehmer mangels eigener direkter Abkömmlinge ihren Betrieb vielfach ihren Neffen oder Nichten übertragen wol­len. Gewiss können sie das auch in Form testamentarischer Verfügung bewirken, frei­lich in steuerrechtlich nachteiliger Weise.

Demgegenüber war der Schutz des überlebenden Ehegatten bisher ohnehin schon ausreichend geschützt. Dazu verweise ich auf das gesetzliche Vorausvermächtnis in Bezug auf Ehewohnung und ehelichen Hausrat, auf das vorrangige gesetzliche Erbrecht und sogar Pflichtteilsrecht gegenüber anderen Familienmitgliedern, insbeson­dere der Seitenverwandtschaft. Aber alles in allem kann ich im Hinblick auf die Testier­freiheit auch mit dieser Neuregelung durchaus leben.

Zu einer weiteren Gesetzesform will ich mich ganz kurz fassen. Die Novelle zum Bun­desgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäi­schen Rechtsanwälten in Österreich legt fest, bei welchem Oberlandesgericht Rechts­anwälte der Beitrittsländer, die in Österreich tätig werden wollen, eventuelle Zusatzprü­fungen abzulegen haben und wie ihre Bezeichnung in ihrer eigenen Sprache zu lauten hat.

Das Bundesgesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Unter­suchungshaft und im Strafvollzug getroffen werden, stellt eine Notmaßnahme dar, wie sie schon 1992 und 1993 angewendet wurde. Untersuchungshäftlinge und die zu kur­zen Freiheitsstrafen Verurteilten können auch bis dahin in Strafvollzugsanstalten an­gehalten werden. – Herr Kollege Schennach hat dazu schon vieles ausgeführt.

Im Bereich der Neugestaltung der Gerichtsbarkeit sollen die Organisation der Bezirks­gerichte in Graz und die Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988 novelliert wer­den. Das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen, das Bezirksgericht für Strafsachen und das Jugendgericht Graz sollen im Jahr 2005 zusammengelegt und im Jahr 2006 in zwei Vollbezirksgerichte geteilt werden. Das wird einerseits der Gerichtsorganisation in Wien und in Linz entsprechen, andererseits die räumlichen Verhältnisse der bestehen­den Gerichte und die verkehrsmäßige Zugänglichkeit verbessern. An der Spezifik der Jugendgerichtsbarkeit soll und wird sich nichts ändern, weil ausgebildete Jugendrichter diese Materie weiter betreuen werden, wie das auch im Gerichtsorganisationsgesetz festgelegt ist.


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Insgesamt begrüßt meine Fraktion daher all diese Vorlagen, die rechtstechnisch einmal mehr höchst professionell ausgearbeitet worden sind, wofür den hohen Beamten des Ressorts aufrichtig zu danken ist (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP), und sie wird ihnen daher gerne ihre Zustimmung erteilen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.37

 


Präsident Jürgen Weiss: Als Nächster erteile ich Frau Bundesrätin Mag. Neuwirth das Wort. – Bitte.

 


13.37

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beziehe mich auf Tagesordnungspunkt 4, nämlich das Familien- und Erbrechts-Änderungs­gesetz 2004. Dieses Gesetz, das am 27. Mai 2004 gegen die Stimmen der SPÖ verab­schiedet wurde, enthält zwei Schwerpunkte: das Abstammungsrecht und das Erbrecht.

Im Abstammungsrecht wird auf Grund eines Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisses eine neue Norm geschaffen, wonach das Kind ein eigenes Recht auf Feststellung ha­ben soll, dass es nicht vom Ehemann der Mutter abstammt.

Weiters soll die Klage- und Antragsbefugnis des Staatsanwaltes auf Ehelichkeits­bestreitung beseitigt werden, wie wir schon gehört haben, sowie vor allem für kurz nach der Scheidung geborene Kinder eine neue Möglichkeit der Vaterschaftsanerken­nung eingeführt werden.

Es soll auch eine ausgewogene Regelung zwischen dem Recht des Kindes auf Kennt­nis der eigenen Abstammung sowie dem Schutz der intakten sozialen Familie geschaf­fen werden. – So weit, so gut.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich arbeite seit beinahe 20 Jahren engagiert in ver­schiedensten Bereichen der Frauenpolitik. Für mich ist deshalb eine Tatsache sicher nicht akzeptabel, und zwar die Tatsache, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe von einem Rechtsverfahren ausgeschlossen wird, nämlich die Frauen, die die Kindesmütter sind. Die Rolle, die die Frau in diesem Gesetz spielen darf, ist für mich absolut unzu­reichend! (Zwischenruf.) – Kommt schon noch, Herr Kollege.

Diese Gesetzesänderung dient wieder einmal nur den Interessen der Männer und ver­bessert deren rechtliche Situation. Weder für die Bestreitung der ehelichen Abstam­mung noch für die Klage auf Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind ist eine eigene Klagslegitimation der Mutter vorgesehen. Meiner Ansicht nach sollte die Mutter während der Minderjährigkeit des Kindes ein eigenständiges Klagerecht haben, während ihr Klagerecht, wenn das Kind volljährig ist, an die Zustimmung des Kindes gebunden sein soll.

Die Feststellung der Vaterschaft wird durch dieses Gesetz zu einer Angelegenheit zwi­schen Vater und Kind. Die Mutter bleibt bestenfalls Vertreterin des minderjährigen Kin­des – und sonst, wenn das Kind erwachsen ist, unbeteiligte Dritte. Ihr selbst wird das Recht, selbst eine Klage einzubringen, verweigert.

Das Gesetz räumt dem Mann, der das Kind anerkennen will, das Recht ein, seine ge­netische Vaterschaft zu beweisen. Wir haben das im Ausschuss auch diskutiert. Wenn das Wohl der sozialen Familie im Vordergrund stehen soll – und so ist uns das dort auch erläutert worden –, so halte ich es für äußerst kontraproduktiv, wenn ein plötzlich auftretender leiblicher Vater in eine intakte „Patchwork“-Familie eindringt und auf sei­nen eigenen Rechten besteht.


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Außerdem besteht für mich auch ein Widerspruch darin, dass die uneheliche Mutter mit dem unehelichen Vater zwar eine gemeinsame Obsorge vereinbaren, Schritte zur Feststellung seiner Vaterschaft aber nicht setzen darf.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich weise auch darauf hin, dass auch das Frauenmi­nisterium diese Forderung eingebracht hat und ein eigenes Antragsrecht der Frau ein­gefordert hat. Dass diese Forderung von der Frauenministerin nicht unterstützt wurde, halte ich für absolut bedauerlich.

Zusammenfassend kann ich zu diesem Punkt nur Folgendes sagen: Die Frauenrechte werden im Abstammungsrecht weiter verachtet. Der genetische Vater darf alles, die Mutter darf nichts. – So ist die rechtliche Situation.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der zweite Teil bezieht sich auf das Erbrecht. Hier wurden erfreulicherweise, Herr Minister, wesentliche – auch von der SPÖ aufgezeig­te – Mängel beseitigt, so zum Beispiel die Regelung, dass uneheliche Kinder, deren Abstammung noch nicht festgestellt ist, aber auch eheliche Kinder, deren Ehelichkeit bestritten wird, vom Erbrecht nach ihrem wahren Vater ausgenommen sind. Allerdings muss der Antrag ziemlich schnell, nämlich innerhalb einer Frist von zwei Jahren, nach dem Tod des betreffenden Mannes gestellt werden.

Weiters wird das gesetzliche Erbrecht von Neffen und Nichten des Erblassers zuguns­ten der überlebenden Ehefrau beseitigt – ebenfalls eine gute Sache.

Ich möchte auch noch einmal betonen, dass ich es in diesem Zusammenhang absolut bedauerlich finde, dass sich leider eine von der SPÖ und anderen seit Jahren geforderte Aufwertung von verschieden- wie auch gleichgeschlechtlichen Lebensge­meinschaften und eine diesbezügliche Verankerung im Erbrecht nicht einmal in An­sätzen in diesem Gesetz finden, was aus meiner Sicht zumindest eine Diskriminierung dieser Lebensformen bedeutet. Wir werden aus diesem Grund diesem Gesetz nicht zustimmen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

13.42

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Böhmdorfer das Wort. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


13.42

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Herr Professor Dr. Böhm ist sehr genau und sehr prägnant auf alle Materien eingegangen, und ich verweise auf seine Ausführungen, weil sie wie immer von einer besonderen Kompetenz gezeichnet waren.

Zu Ihnen, Frau Abgeordnete Mag. Neuwirth, möchte ich schon sagen: Das, was Sie so – meines Erachtens – überenergisch einfordern, ist in Wirklichkeit kein Manko, son­dern es wurde hiezu sehr viel und sehr ausführlich diskutiert. Ich gebe zu, man kann in Nuancen dieser oder jener Auffassung sein, aber eines stimmt nicht: dass irgendje­mand diskriminiert wird, denn: Die Mutter kann – und das Wesentliche ist: auch ohne gerichtliche Genehmigung –, solange das Kind minderjährig ist, ihre Anträge stellen. Wenn das Kind großjährig ist, kann dies das Kind machen.

Ihr mir heute zum ersten Mal konkret zu Ohren gekommener Vermittlungsvorschlag, dass nach der Großjährigkeit des Kindes die Mutter mit Zustimmung des Kindes – da es schon großjährig ist – den Antrag stellen kann, ist nur eine Komplizierung, denn: Wenn das Kind das will, dann stimmt es zu. Wenn es das aber will, dann kann es das auch selbst machen! – Das ist also kein Fortschritt, und es handelt sich hier auch um keine Diskriminierung. Es gibt hier einfach eine andere Auffassung im Nuancenbereich, aber es erfolgt hier, um Gottes Willen, wirklich keine Schlechterstellung von bestimm-


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ten Bevölkerungsgruppen, so wie Sie das hier gesagt haben. (Beifall bei den Freiheit­lichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

Zu Frau Bundesrätin Schlaffer möchte ich Folgendes sagen: Sie sprechen von einer Aufwertung der Lebensgemeinschaften, soweit es nicht verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften beziehungsweise Ehen sind.

Es ist eben so, dass es die gesellschaftspolitische Auffassung dieser Bundesregierung, und zwar beider Regierungsparteien, ist, dass keine völlige Gleichstellung erfolgen soll. Das ist eine Auffassung, die diese Regierung hat, und dieser Auffassung wird sie auch treu bleiben. Aber auch hier wird niemand diskriminiert, denn schon jetzt können die Lebensgemeinschaften Verträge schließen, wenn sie das wollen. Jeder kann sich heute jeden Partner suchen, und kein Gesetz dieses Landes hindert ihn daran, mit diesem von ihm gesuchten Partner einen Vertrag abzuschließen.

Zum Beweis dafür, dass es diesen Bedarf, den Sie einmahnen, nicht wirklich in dieser Größenordnung gibt, möchte ich Ihnen sagen, dass die Verträge sehr wenig bis kaum geschlossen werden. Die Leute leben eben zusammen, weil sie es dürfen und nicht diskriminiert sind – oder leben nicht zusammen. Das ist in diesem Land möglich. Das, was Sie hier als schwerwiegendes Manko einfordern, besteht in Wirklichkeit nicht.

Wenn Herr Bundesrat Schennach sagt, es werden 15 bis 25 Prozent sein, dann haben Sie eine Grauzone von 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Sie nicht nennen kön­nen. – Bitte, wenn man das so wenig eingrenzen kann, warum soll man dann einen eigenen Vertragstypus schaffen, zumal trotzdem gerade diese Leute Verträge schlie­ßen können, soweit sie wollen? (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Es geht ihnen um das Erbrecht (Bundesrat Schennach: Natürlich geht es ums Erb­recht!), und da sage ich Ihnen: Das kann nicht eine Sache der Liebe sein, ob man jemandem mit oder ohne gesetzliche Erbberechtigung etwas vererbt oder nicht vererbt. (Bundesrat Schennach: Na, bei der Wohnung?) So kann es doch nicht sein. Dann sagen Sie gleich, es geht nur ums Geld! – Das ist eine Differenz, die uns vielleicht in dieser Frage wirklich trennt.

Auch wenn die Boulevard-Presse jemanden liebt – das ist das tollste Argument, das ich heute gehört habe, muss ich schon sagen –, ist das kein Zeichen dafür, dass wir einen gesetzlichen Handlungsbedarf haben. Das glaube ich schon. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bundesrat Schennach: ... dass Mauern im Kopf fallen!)

Abgesehen davon, dass das ja auch vermarktet wird und sich wiederum beim Geld niederschlägt.

In Graz gibt es einen Jugendrichter, und dieser ist nicht geteilt. Am System der Ju­gendgerichtsbarkeit wird sich auch in Zukunft nichts ändern, es sei denn, es gibt Ver­besserungsmöglichkeiten.

Wir haben die Jugendgerichtsbarkeit verbessert. Ich sage es noch einmal – obwohl es schön langsam für diejenigen, die es wissen, nicht mehr erträglich ist, weil man das immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen muss –: Wir haben zirka 60 Betten für Jugendliche im Jugendgerichtshof Wien gehabt, den wir mittlerweile aufgeben muss­ten. Wir benötigen derzeit permanent 170 Betten und/oder mehr, und wir wären im größten Chaos der österreichischen Justizgeschichte, wenn wir diesen Jugendge­richtshof beibehalten hätten. Bitte nehmen Sie das wirklich zur Kenntnis.

Ich danke für das Lob der kundigen Beamten. Herr Sektionschef Dr. Hopf ist hier, den haben Sie mit gemeint. Gemeint haben Sie auch Herrn Dr. Manquet – ich werde es ihm ausrichten; er ist heute nicht hier, weil er im Ministerium arbeitet.


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Ich gehe hier auch auf die Frage der bedingten Entlassung ein. Bitte fordern Sie das ruhig, aber schauen Sie auch nach Belgien: Dutroux hat im Jahr 1989 13,5 Jahre Strafhaft bekommen. Nach drei Jahren hat man ihn 1992, am 1. April – ich habe die Fakten genau studiert –, bedingt entlassen. 1995 wurde er wieder verhaftet, und jetzt wird gegen ihn verhandelt – Sie wissen, warum.

Das ist auch ein Ergebnis vorzeitiger und vorschneller bedingter Entlassung. (Bundes­rat Schennach: Aber, Herr Minister, ...!) Da bin ich lieber in der anderen Richtung vor­sichtig und bin den österreichischen Richtern dankbar, dass sie von diesem Institut nicht zu leichtfertig Gebrauch machen! (Bundesrat Schennach: Aber, Herr Bundesmi­nister, darf ich ...?) Das muss man auch dazusagen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bundesrat Schennach: Nur einen Satz: Dass Sie jetzt mit der Keule des schlimmsten Falles Europas kommen, das ist ein bisschen arg!)

Sie müssen sich, da Sie keinen anderen Fall genannt haben, an diesem Fall messen lassen. (Bundesrat Schennach: Na ja, ...!)

Sie sollen nur wissen: Das Problem geht ja viel weiter. – Ich gehe jetzt auf Sie ein. – Wir schicken heute – der Zufall will es so – an alle Anstalten Europas, wenn nicht so­gar der gesamten Welt – die Liste ist wirklich sehr lang – einen Fragebogen aus, in dem wir anfragen: Wie viele Inländer habt ihr in den Gefängnissen und wie viele Nicht-Inländer?, Habt ihr eine bedingte Entlassung, und wie macht ihr davon Gebrauch?, weil wir, die österreichische Justiz, in der EU erreichen wollen, dass wir zu halbwegs gleich­förmigen Vollzugssystemen kommen.

Das ist nämlich wieder die Voraussetzung dafür, dass die Mitgliedstaaten der EU ihre eigenen Staatsbürger in ihren Strafhaften vollziehen. Ich sehe nicht ein, dass wir aus der EU allzu viele Strafhäftlinge haben, die wir auch in unserem Land nicht resozialisie­ren können. – Bei diesem Thema sind wir also leider sehr firm. Ich möchte nur nicht hier die Gelegenheit dazu missbrauchen, allzu sehr von den eigentlichen Themen ab­zuschweifen. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

Was die Gewerbsmäßigkeit anlangt, Folgendes: Reden Sie aber in diesem Fall auch – und gerade als Grüner – mit der Wirtschaft! Ich habe voriges Jahr eine Zahl bekom­men, und dieser Zahl zufolge werden 4 Milliarden € – 4 Milliarden €! – im Handel durch Diebstahl rechtswidrig entfernt – bitte, reden Sie mit dem Handel! –: ein Drittel durch Kunden, ein Drittel durch Angestellte, ein Drittel durch Lieferanten. Ein guter Teil davon geht durch ständige, wiederholte Angriffe, auch in an sich kleineren Mengen, verloren. Deshalb gibt es bei uns traditionell das Institut der Gewerbsmäßigkeit. Es gibt dieses auch in den anderen Ländern, und es muss einfach so sein.

Es führt das nicht zu überzogener Untersuchungshaft. Ich nenne Ihnen eine Zahl, da­mit Sie sehen, dass das keinesfalls überzogen sein kann: Wir haben derzeit 270 bis 370 rumänische Staatsbürger in unseren Gefängnissen. Wissen Sie, wie viele Grenz­übertritte von Rumänen wir haben? – Drei Millionen bis vier Millionen jährlich! Es kann also nicht so sein, dass wir in der Untersuchungshaft überzogen reagieren, denn von der genannten Zahl sind ohnedies nur zirka die Hälfte Untersuchungshäftlinge, die an­deren sind Strafhäftlinge. – Das möchte ich hier auch betont haben.

Was die Lehrberufe – ich muss darauf eingehen – anlangt: In unseren Jugendstrafan­stalten können die Jugendlichen natürlich ihre Lehrberufe zu Ende führen.

Insgesamt kann ich Ihnen sagen: Nützen Sie die Möglichkeit, mit uns zu sprechen! Es genügt ein Anruf – einige Tage später sitzen wir zusammen. Ich setze mich gerne mit Ihnen zusammen. Sie sollen wissen, dass wir sehr bemüht sind, die öffentliche Sicher­heit in diesem Lande aufrechtzuerhalten – manchmal auch mit unbeliebten Maßnah-


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men, aber wir haben immer gute Argumente. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheit­lichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.51

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Offenkundig ebenfalls nicht.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Beschlüsse des Nationalrates erfolgt ge­trennt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz 2004.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung von europäischen Rechtsanwälten in Österreich geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen nun zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz über die Organisation der Bezirksgerichte in Graz und die Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Wir gelangen schließlich zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 27. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem vorübergehende Maßnahmen für die Anhaltung in Untersuchungshaft und im Strafvollzug getroffen werden.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

8. Punkt

17. Sportbericht 2000 (III-231-BR/2002 d.B. sowie 7052/BR d.B.)

9. Punkt

18. Sportbericht 2001–2002 (III-257-BR/2004 d.B. sowie 7053/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zum 8. und 9. Punkt der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

 


Berichterstatter zu Punkt 8 sowie zu Punkt 9 ist Herr Bundesrat Boden. Ich bitte ihn um die Berichte. – Der Berichterstatter ist offenkundig nicht anwesend. Ich bitte daher den Ausschussvorsitzenden, Herrn Bundesrat Binna, um Erstattung der Berichte.


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Berichterstatter Theodor Binna: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Sport­angelegenheiten betreffend den 17. Sportbericht 2000.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Sportangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den 17. Sportbericht 2000 zur Kenntnis zu nehmen.

Weiters erstatte ich den Bericht des Ausschusses für Sportangelegenheiten betreffend den 18. Sportbericht 2001–2002.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Sportangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den 18. Sportbericht 2001–2002 zur Kennt­nis zu nehmen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Bader das Wort. – Bitte.

 


13.55

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute die Sportberichte für das Jahr 2000 und für die Jahre 2001 und 2002 vorliegen haben, so kann man, denke ich, bei diesen Berichten durchaus davon sprechen, dass in diesem Bereich und in diesen Zeiträumen Großartiges in Bezug auf Sport in Österreich gelungen ist. Ich darf gleich vorweg auch allen recht herzlich danken, die für die Erstellung der Berichte ver­antwortlich waren.

Der Herr Bundeskanzler hat insbesondere im Bericht für die Jahre 2001 und 2002 aus­geführt, dass der Sport eine sehr große Bedeutung für die Gesellschaft hat. Er bietet auf der einen Seite ein sehr gutes, ideales Übungsfeld für die jungen Menschen, um Regeln und Normen spielerisch zu erlernen und unterschiedliche Standpunkte auszu­handeln. Der Sport lebt auch von der gegenseitigen Akzeptanz, und Fairplay ist etwas, was wir vom Sport her sehr gut kennen, was im Sport eine große Bedeutung hat und ohne das der Sport eigentlich nicht funktionieren könnte.

Sport hilft aber auch, Vorurteile abzubauen, und ist sicherlich auch – ich möchte das ausdrücklich unterstreichen – eine besonders gute Möglichkeit der Integration. Gerade im Bereich der Integration erleben wir immer wieder, dass der Sport in vielen Berei­chen der erste Zugang für Asylwerber auch in unserem Land ist.

Ich möchte aber zu all dem noch besonders hinzufügen, dass aus meiner Sicht der Sport eine ganz wesentliche Bedeutung vor allem im Bereich und im Hinblick auf die Volksgesundheit hat. Daher danke ich auch dafür, dass so viele Initiativen gesetzt wur­den. Die Bedeutung im Hinblick auf die Volksgesundheit schätze ich deswegen so hoch ein, weil ich denke, dass auch die Gesundheitsreform, die wir derzeit diskutieren, ganz wesentlich davon abhängen wird, wie sehr die Menschen bereit sind, Eigenver­antwortung wahrzunehmen und sich auch entsprechend körperlich fit zu halten.

Dieser Eigenverantwortung im Hinblick auf die Ausübung des Sports messe ich inso­fern besondere Bedeutung bei, als ich mir immer wieder das Gejammere und die Dis­kussion über die Einsparung und Kürzung von Leibesübungsstunden an den Schulen anhören muss. Ich gebe zu, dass ich damit natürlich keine Freude habe und dass in diesem Bereich auch an meiner Schule keine Einsparungen durchgeführt wurden. Ich glaube aber, dass dieses Thema, wie es auch im Nationalratsausschuss diskutiert


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wurde, nicht generalisiert werden kann, weil es ganz einfach auch Ausdruck der Auto­nomie an den Schulen ist. Aber es kann nicht so sein, dass man auf der einen Seite immer mehr Autonomie, immer mehr Mitsprache fordert, Eigenverantwortung für die Bürger und auch für die Lehrer fordert – und dann, wenn diese Verantwortung nicht in dem Maße, wie man es selbst vielleicht haben möchte, wahrgenommen wird, nach zentralen Regelungen schreit. Jene, die das tun, haben in meinen Augen den Sinn von Autonomie ganz einfach nicht kapiert.

Andererseits meine ich, dass die Verantwortung der Eltern auch noch mehr eingefor­dert werden muss. Ich erinnere mich auch an Elternsprechtage an der Schule, wo im­mer wieder Eltern gekommen sind und gesagt haben: Meine Kinder sitzen den ganzen Tag vor dem Fernseher! Meine Kinder sitzen den ganzen Tag vor dem Computer! – Ich denke, es ist auch Aufgabe der Erziehungsberechtigten, hier entsprechend auf die jun­gen Menschen einzuwirken und auch den Griff zum Aus-Knopf bei diesen Geräten zu finden.

Im Berichtszeitraum der Sportberichte wurden ganz wesentliche Impulse gesetzt, die auch noch in die Zukunft wirken werden. Ich denke nur etwa daran, dass in den Jah­ren 2001/2002 die Weichen für die Vergabe der Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2008 an Österreich und die Schweiz gestellt wurden. Es wurden unter dem The­ma „Challenge Athen 2004“ zahlreiche Fördermaßnahmen gesetzt, die zu mehr Olym­piamedaillen bei den Sommerspielen führen sollen und deren Erfolg wir in Kürze hof­fentlich bestätigt bekommen werden. Weiters wurden, was ich für ganz wesentlich hal­te, auch im Bereich des Behindertensports sehr gute Impulse gesetzt.

Einen wesentlichen, großen Teil des Sportberichts stellen die Sportförderungen dar. Die großartigen Siege, die unsere Sportler in diesen Jahren erreicht haben, bestätigen die Erfolge, die mit diesen Sportförderungen in Verbindung stehen. Sie reichen, wie Sie ja wissen, von Weltmeistern, zum Beispiel Werner Schlager in Tischtennis oder Nikola Hartmann, die auch noch Europameisterin im Frauenringen war, über die National­mannschaft im Damenhandball als Dritte der Weltmeisterschaft bis zu zahlreichen Olympiasiegern im Segeln, in Langlauf und Schi Alpin. Diese sportlichen Erfolge unse­rer Athleten wurden von der Republik Österreich noch zusätzlich gewürdigt, indem zahlreiche Ehrenzeichen und Orden vergeben wurden.

Insgesamt können wir also, denke ich, bei den heute vorliegenden Sportberichten, die wir zur Kenntnis nehmen wollen, von eindrucksvollen Berichten sprechen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

14.01

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Binna. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


14.01

Bundesrat Theodor Binna (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bader, ich kann mich deinen Worten nur anschließen und möchte mich an dieser Stelle auch namens meiner Frak­tion für die Ausführung der Sportberichte auf das Allerherzlichste bedanken.

Wie immer ist dies ein ganz wichtiges Thema, vor allem der ebenfalls von dir schon angesprochene Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit. Ich möchte dazu aus dem Vorwort des Herrn Staatssekretär Schweitzer im Sportbericht zitieren, dem ich hundertprozentig zustimme. Ich zitiere:

„Die aktive Ausübung von Sport von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter hinein erhöht das Einsparungspotenzial im Bereich der Krankheitskosten nachweislich sehr wesent­lich. Der Sport leistet damit einen klar quantifizierbaren Beitrag zur Verbesserung der


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volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der weit über seine Bedeutung als Tourismus- und Unterhaltungsfaktor hinausgeht.“ – Konkret sprechen wir von einer Summe von 268,9 Millionen €.

Es ist, weil es eben nicht nur reine Sache des Sportes ist, daher wichtig, Kooperatio­nen mit dem Gesundheitsressort oder auch mit dem schulischen Ressort, dem Unter­richtsministerium einzugehen, denn, wie der Herr Staatssekretär schreibt, es beginnt „von Kindesbeinen an“. Ich glaube, wir alle kennen die Statistiken, wonach die 11- bis 14-Jährigen, darunter speziell die Hauptschüler, gravierende Haltungsschäden haben, vor allem deshalb, weil sie immer mehr vor dem Computer sitzen, aber auch auf Grund von Umwelteinflüssen und anderen Ursachen.

Aber ich stehe nicht hier, um zu kritisieren, sondern ist stehe hier, um noch einmal da­zu zu ermuntern, mit diesen Ministerien beziehungsweise Ressorts Kooperationen zu finden und diesen Weg zu verbessern, der sicherlich ein sehr guter ist.

Ein mir wichtiges Thema sind die Nachwuchsförderungen. Dazu möchte ich allerdings auch Kritik anbringen. Es heißt immer: Die besten Trainer zum Nachwuchs!, aber das erfolgt leider nicht in dem Ausmaß, wie ich persönlich es mir wünsche. Es gibt sehr wohl sehr gute und qualifizierte Trainer, aber nicht in dem Ausmaß, wie es für den Nachwuchs erforderlich ist.

Positiv anmerken möchte ich, dass das Budget für den Nachwuchs im Sportbereich von 523 244 € im Jahr 2001 auf 567 000 € im Jahr 2002 erhöht wurde. Was ich aller­dings nicht verstehe – Herr Staatssekretär, vielleicht könnten Sie mir darauf eine Ant­wort geben –, ist, warum die Verbandsförderungen im Nachwuchsbereich von 2001 auf 2002 um zirka 60 000 € verringert worden sind. Dies steht so im Sportbericht.

Noch kurz zwei Dinge, wie ich sie mir auch nicht wünsche – und ich denke, die öster­reichische Bevölkerung hat ein Recht darauf, sämtliche Großveranstaltungen im ORF zu sehen: Die Entwicklung, wie sie sich in der österreichischen Bundesliga derzeit er­gibt, dass ein privater Fernsehsender die Fußballspiele überträgt, ist in meinen Augen nicht im Sinne des Erfinders. Ich glaube, alle Österreicherinnen und Österreicher ha­ben ein Recht darauf, bei allen Sportveranstaltungen die Leistungen unserer österrei­chischen Sportler bewundern zu können. (Zwischenruf.) – Das ist sicherlich eine Frage des Preises, aber wir alle zahlen doch Steuern und Gebühren, oder? (Bundesrat Bie­ringer: Das ist richtig! ...!)

Ein kurzes Beispiel noch aus meiner Heimatgemeinde: Dort wurde vor zwei Jahren ein neues Sport- und Freizeitzentrum errichtet (Ruf bei der SPÖ: Aus Holz!) – aus Holz, ja! (Beifall eines Bundesrates der SPÖ) –, gefördert aus Mitteln des Landes und der Ge­meinde Bad Aussee. Vor zirka 20 Jahren war das gesamte Grundstück dem Bund ge­schenkt worden, und zwar unter der Prämisse, dass die Erhaltungskosten von der Gemeinde Bad Aussee zu tragen sind und sämtliche Vereine in Bad Aussee die Mög­lichkeit haben, dort gratis Sport zu betreiben.

Nach der Errichtung dieses Zentrums ist voriges Jahr, im Juni 2003, der Gemeinde ein Schreiben ins Haus geflattert, in dem die so genannte BIG, die Bundesimmobilienge­sellschaft, auf Grund der Erhöhung der Wertigkeit dieses Grundstückes einen Pacht­zins von jährlich 35 000 € verlangt. (Rufe bei der SPÖ: Au! Stolz!) Das ist, glaube ich, nicht der richtige Weg, um spezielle Nachwuchsförderung zu betreiben!

Die Gemeinde Bad Aussee hat sich daher nach schwierigen Verhandlungen mit der BIG dazu entschlossen, dieses Grundstück von der BIG um 183 000 € zurückzukau­fen. Dieses Grundstück ist jetzt wieder im Gemeindeeigentum. Aber ich glaube, es wäre besser gewesen, mit diesen 183 000 € die Jugend zu fördern!


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Ein Beitrag in eigener Sache noch: Ich bin selbst Obmann eines großen Vereines. Wir treten in Kooperation mit Fachärzten und veranstalten selbst im Rahmen des Vereins ohne Förderungen Gesundheitschecks. Das ist, glaube ich, der richtige Weg!

Zur Dokumentation, Herr Staatssekretär, unsere Vereinszeitung. (Bundesrat Binna überreicht Staatssekretär Mag. Schweitzer eine Zeitung.) – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

14.07

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Zellot. Ich erteile ihm das Wort.

 


14.07

Bundesrat Roland Zellot (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine geschätzten Damen und Herren! Es ist wie vielen meiner Vor­redner auch mir ein Bedürfnis, zu erwähnen, dass Sport, sportliche Tätigkeit insgesamt für Volksgesundheit und sinnvolle Freizeitbeschäftigung, vor allem unserer Jugendli­chen, ein wesentlicher Faktor unserer Gesellschaft ist.

Es darf aber nicht vergessen werden, dass Sport nicht nur eine sportliche Betätigung ist, sondern auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in Österreich, und zwar vor allem deshalb, weil der Sport auch einen wesentlichen Beitrag zum Tourismus und zu den einzelnen Großveranstaltungen leistet.

Ich glaube und bin völlig überzeugt davon, je erfolgreicher Sport betrieben wird, je er­folgreicher er in einer verantwortungsvollen Art und Weise von den zuständigen Minis­terium betrieben wird, desto wesentlicher und positiver wird natürlich auch sein Beitrag für ganz Österreich sein.

Meine geschätzten Damen und Herren! Der Sport geht nicht nur von einem Ministerium aus, und das ist für mich heute, wenn ich zu diesem Sportbericht Stellung nehme, wichtig festzustellen. Ich möchte diesen Anlass auch dazu nützen, Folgendes zu sa­gen: Erfolgreicher Sport hat immer ein Fundament von vielen kleinen, begeisterten, motivierten, ehrlichen und ehrenamtlichen Sportfunktionärinnen und -funktionären, die ein wesentlicher Kleinmotor sind und die bis in das zuständige Ministerium bezie­hungsweise in die Sportreferate der einzelnen Bundesländer hinwirken.

Zu einer erfolgreichen Sportnation gehören natürlich die sportliche Betätigung und die Motivation zum Sport in der Bewegungserziehung, wie zum Beispiel in den Kindergär­ten oder, wie es mein Vorredner schon erwähnt hat, bei den Leibesübungen. Ich muss in meiner beruflichen Tätigkeit immer wieder feststellen, dass es unter den Jugendli­chen, die ihren Präsenzdienst absolvieren, sehr viele gibt, die, wenn sie körperlich etwas stärker gefordert werden oder wenn ein Leistungstest durchgeführt wird, damit man sehen kann, wie belastbar diese Frau oder dieser Mann ist, erkennen lassen, dass sie die Fitness des eigenen Körpers eigentlich vernachlässigt haben.

Es muss meiner Ansicht nach auch in der Schule eine positive Einstellung zum Sport vermittelt werden. Es muss auch die Lehrkraft eine positive Einstellung zum Sport haben, dann wird sich der Sport auch durch das Fach Leibesübung verbessern. Ich glaube, das ist eine wesentliche Voraussetzung.

Dieser Bericht zeigt auch, dass es für den Sport wichtig ist, die richtigen Kräfte in Aus­bildung, Fortbildung und Kursen weiterzubilden, damit Leistungssport verschiedene Grundlagen hat und nicht gesundheitsschädigend ist.

Im Großen und Ganzen ist ein erfolgreicher Sport natürlich auch von den Förderungs­mitteln abhängig. Meiner Ansicht nach ist der Konfliktpunkt bei den Förderungsmittel immer Folgender: Wenn man sich als politischer Verantwortlicher in einem Referat


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dafür entscheidet, dass man mehr den Leistungssport fördert, dann bleibt natürlich der Breitensport beziehungsweise der Sport in den verschiedenen Vereinen, die nicht die notwendige Unterstützung geben, auf der Strecke. Es ist immer gut, da einen guten Mittelweg zu finden.

Ich bin natürlich auch stolz darauf, dass es, was den Breitensport betrifft, Herr Staats­sekretär, eine Aktion unter dem Motto „Fit für Österreich“ gibt, die ein wesentlicher Mo­tivationsfaktor ist. Vielleicht können Sie uns noch sagen, wie da der Stand der Dinge ist, denn wir möchten nicht nur von der Vergangenheit reden, sondern auch darüber, wie die Zukunft ausschaut, und wie sich die größeren Veranstaltungen, wie zum Bei­spiel die Fußball-Europameisterschaft, auf unser Land auswirken werden.

Einen wesentlichen Punkt noch, den ich bei der Sportförderung zu erwähnen verges­sen habe: Man soll natürlich auch jenen, die, ob kleiner oder großer Verein, in ihre eigene Tasche greifen, für die Sponsortätigkeit des österreichischen Sports ein Danke­schön sagen, was ich hiermit von diesem Platz aus mache. Das ist sehr wichtig! Die Existenz eines Vereins oder die Frage, ob dieser Verein dann einen weiteren Sprung nach oben machen kann, hängt oft davon ab, ob jemand einen Hauptsponsor findet.

In diesem Sinne möchte ich mich bei allen, die an diesem Sportbericht gearbeitet ha­ben, recht herzlich bedanken, vor allem bei allen politischen Verantwortlichen und klei­nen Funktionären, die ein wesentlicher Bestandteil unseres erfolgreichen Sports in Österreich sind. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.12

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Elisabeth Kersch­baum. Ich erteile ihr das Wort.

 


14.12

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Herr Kollege Zellot, ich wollte nur fest­stellen, dass Sport auch für Erwachsene wichtig ist. Sie haben vorhin so betont, dass er besonders für die Jugendlichen wichtig ist. Ich denke, für die Erwachsenen ist be­sonders jener Sport wichtig, den man auch im Grünen ausführen kann.

Zu den Ausführungen des Kollegen Bader bezüglich der Schulautonomie wollte ich noch sagen: Jetzt bei den Stundenkürzungen auf Schulautonomie zu pochen und zu sagen: Wir wollen ja viel Autonomie!, das ist so, als würde ein Fabrikant seine Beleg­schaft zusammenrufen und sagen: Jeden Zehnten von euch werfe ich raus, aber ihr dürft euch glücklicherweise selber aussuchen, wer das ist! – Ich weiß nicht, ob das so eine positive Autonomie ist.

Zur Aussage über Integration durch Sport, etwa durch Fußball: Wenn die Kids auf den Wiesen herumkicken, dann hat das – das sehe ich auch so – etwas mit Integration zu tun. Ich war mit meinem kleinen Sohn voriges Jahr bei einem Fußballmatch, und zwar spielten da, glaube ich, Rapid gegen Graz, und da habe ich von Integration oder von Toleranz überhaupt nichts gemerkt. Ich denke, das ist schon auch ein Problem, das man einmal ansprechen sollte. (Ruf bei der SPÖ: Das waren aber nur die Grazer! – Heiterkeit.) – In diesem Fall waren die Rapidler schlimmer, aber die Grazer waren auch nicht ohne. Ich habe mich wirklich gefürchtet. (Bundesrat Gruber: Da war eh nicht sicher, ob Österreicher mitgespielt haben!)

Aber jetzt zurück zum Sportbericht, um den es eigentlich geht. Wir haben da zwei dicke Sportberichte bekommen, beide sind sehr informativ, in beiden sind sehr viele Zahlen enthalten. Im Sportbericht 2000 waren Zahlen, die zum Glück 2001 und 2002 schon drinnen sind, nicht enthalten, und zwar geht es um die Aufteilung der besonderen Sportförderungsmittel. Es wurde von uns immer urgiert, dass diese fehlen. Für 2001


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und 2002 ist zumindest die Aufgliederung der BSO-Mittel drinnen, aber jene von ASKÖ, ASVÖ, Sportunion und des Österreichischen Fußballverbandes fehlen noch.

Meines Wissens gibt es keinerlei Nachweis über die Aufteilung dieser Mittel. Da es aber so ist, dass diese Mittel nicht dem Spitzensport zugute kommen sollten, sondern eher dem Breitensport, wäre gerade eine solche Aufgliederung sehr wichtig. Deshalb werden wir auch dem Bericht 2000 nicht zustimmen, jenem für 2001/2002 schon.

Korrigieren Sie mich, wenn die Kritik, die ich nun anbringe, vielleicht so nicht ganz stimmt! Ich habe es nur kurz durchgesprochen. Meines Wissens ist es so, dass diese besonderen Sportförderungsmittel von einem Gremium kontrolliert werden, das sich aus genau jenen Vereinen zusammensetzt, die kontrolliert werden. Ich denke, es wäre einmal zu überdenken, ob man da nicht etwas ändern sollte, denn sich selbst zu kon­trollieren passt nirgends besonders gut! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.15

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn Staatssekretär Mag. Schweitzer das Wort. – Bitte.

 


14.16

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Mag. Karl Schweitzer: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Danke für die sehr konstruktiven Wortmeldungen. Ich werde mich einerseits bemühen, die gestellten Fragen zu beantworten, und ande­rerseits werde ich ein wenig auf unsere bisherige Tätigkeit eingehen.

Es ist tatsächlich so, dass die Mittelvergabe von jenen kontrolliert wird, die sie auch bekommen. Wir sind sehr darum bemüht, eine Änderung zustande zu bringen, aller­dings bedarf es dazu entsprechender Mehrheiten, die wir bisher für unser Anliegen noch nicht gefunden haben. Ich glaube aber, es ist in den letzten Monaten derart viel im österreichischen Sport in Bewegung geraten, dass wir auch das zustande bringen werden.

Wenn ich die beiden Bereiche teile – hier der Spitzensport, da der Breitensport –, so darf ich festhalten, dass wir insbesondere im Spitzensport die Fördermittel zum einen erhöhen, zum anderen auch konzentrieren konnten. Wir haben jetzt Vorbereitungspro­gramme für die großen Sportereignisse eingerichtet, egal ob das jetzt Athen 2004 ist oder die Europameisterschaft 2008, die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt, die in Österreich stattfinden wird.

Das Projekt Athen 2004 sieht vor, dass alle, die Chancen bei Olympia haben, in ein speziellen Förderprogramm fallen und wirklich enorme Mittel bekommen, um sich op­timal darauf vorzubereiten. Es ist nicht selbstverständlich, dass zum Beispiel unsere Beachvolleyballer, die Medaillenchancen haben, die Möglichkeit haben, sich vor Ort auf das Turnier vorzubereiten, um nicht während des Wettkampfes von den lokalen Gegebenheiten überrascht zu werden. Das Gleiche gilt insbesondere für die Segler, die durch spezifische Förderungen die Möglichkeit gehabt haben, schon zwei Jahre vorher die Windreviere, die besonderen Eigenheiten des Windreviers kennen zu ler­nen.

Oder: Unser jetzt so erfolgreicher Spitzenschwimmer Rogan hat von uns die Mittel da­für bekommen, aus dem Studentenheim in eine private Wohnung in Kaliforniern ziehen zu können, weil ihm das ein großes Anliegen war. Er hat gesagt, dass er sich dann viel besser auf seine Aufgaben vorbereiten kann. Es hat tatsächlich gestimmt, denn mit zwei Goldmedaillen und einer Silbermedaille bei den Europameisterschaften in Madrid, die erst vor kurzem stattgefunden haben, war er der erfolgreichste Teilnehmer dort überhaupt.


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Ein Unterdruckzelt für unsere Dauerleistungssportler, mit dem sie Höhentraining simu­lieren können, ist ebenfalls das Ergebnis einer ganz gezielten Spitzensportförderung.

Das Gleiche haben wir mit unserer Fußballnationalmannschaft vor. Mit dem Projekt „Challenge 2008“ stellen wir spezifische Mittel zur Verfügung, um insbesondere im sportwissenschaftlichen, im sportmedizinischen Bereich das Optimum auszuschöpfen, damit wir in die Geschichte der Europameisterschaft 2008 nicht nur als Teilnehmer im eigenen Lande eingehen, sondern als organisierende Nation auch entsprechend er­folgreich abschließen.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass das Thema „Sport und Volksgesundheit“ in vermehr­tem Ausmaß angesprochen wurde, und wäre sehr froh, wenn sich auch die Nicht-Sportinteressierten einmal bewusst machten, was der Sport als Dienstleister am Ge­sundheitssystem tatsächlich bringen könnte.

Was wir jetzt haben, was wir jetzt verwalten und was unfinanzierbar ist, ist ein „Krank­heitssystem“. Die Kosten für dieses „Krankheitssystem“ steigen enorm! Bereits 11 Pro­zent des Bruttoinlandproduktes geben wir in Österreich für dieses „Krankheitssystem“ aus. Wenn wir nur diejenigen, die an diesem System verdienen, nämlich die Ärzte, die Apothekerkammer, die Pharmaindustrie, darüber diskutieren lassen, wie man das Ganze reformieren könnte, dann werden wir keinen Schritt weiterkommen, dann wer­den über Chefarztpflicht: ja oder nein? reden, dann werden wir über den verstärkten Einsatz von Generika reden, dann werden wir über Leistungskürzungen und Beitrags­erhöhungen reden. – Ich glaube, das macht keinen Sinn. Dann werden wir weiterhin „kranke Kassen“ haben, dann werden wir weiterhin riesige Defizite machen.

Wenn es wirklich darum geht, einen neuen Ansatz zu finden, dann brauchen wir den Sport als Dienstleister am Gesundheitssystem. Es gibt genügend Studien – eine der letzten wurde von uns in Auftrag gegeben, von Professor Felderer umgesetzt –, die sagen, dass hier ein enormes Einsparungspotential angebohrt werden könnte. Profes­sor Felderer spricht von 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Unsere Antwort darauf lautet: Sport soll auf der Ebene des Breitensports eine wesent­lich größere Rolle spielen. Dazu brauchen wir keine zusätzlichen Förderungen von der öffentlichen Hand für den Sport, denn wir erschließen auch eine neue Einnahmequelle für den Sport als Dienstleister am Gesundheitssystem.

Wir haben unter dem Titel „Fit für Österreich“ bereits die Kleinsten in das Programm miteinbezogen. Ich bin dem Herrn Bürgermeister von Wals sehr dankbar. Er ist Bür­germeister einer Gemeinde, in der unser „SportKids“-Programm bereits umgesetzt wurde. Es wird für die Drei- bis Sechsjährigen ein zusätzliches Bewegungsprogramm angeboten. Gemeinsam mit ASVÖ Salzburg haben wir jetzt schon mehrere derartige Projekte realisiert.

Das Gleiche ist bereits im Burgenland passiert mit Unterstützung des Landeshaupt­mannes und einzelner Gemeinden. Das Gleiche passiert in Wien. Das Gleiche passiert bereits in Vorarlberg, in Hohenems, und auch in Tirol konnten wir bereits einige Pro­jekte installieren. Es geht darum, den Kleinsten ihrem Alter entsprechend und vor allem polysportiv möglichst viel Bewegung anzubieten, um damit den Grundstein für ein lebenslanges Sporttreiben zu legen. Die Schlagzeilen, dass Fettleibigkeit bei den Kin­dern eine immer stärker auftretende Krankheit ist, immer wieder zu lesen und nur den Kopf zu schütteln, das ist mir zu wenig. Da muss etwas getan werden! Sollte es Ge­sundheitspolitiker hier im Bundesrat geben, die den Sport als solchen Dienstleister noch nicht erkannt haben, dann ist das jetzt die Gelegenheit dazu.

Zweiter Bereich: Schule und Verein. Die Frau Bundesminister wird mit mir einer Mei­nung sein, dass wir im Bereich der freiwilligen Nachmittagserziehung diese Zusam-


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menarbeit zwischen Schule und Verein forcieren müssen. Eine entsprechende En­quete, vor kurzem in Wieselburg stattgefunden, hat erste Ergebnisse erzielt. Es wird durch das Zusammenarbeiten mit den Vereinen ein verstärktes Sportangebot in die Schulen gebracht. Ich glaube, dass das auch sehr sinnvoll ist, was die Freizeitgestal­tung unserer Jugendlichen insgesamt betrifft.

Der größte Einsparungsfaktor für unser „Krankheitssystem“ liegt eindeutig im Betriebs­sport. Wir versuchen, über die Gesundheitsvorsorge in den Betrieben, durch betriebli­che Gesundheitsförderung sehr, sehr vieles zu bewegen – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sind in Verhandlungen mit dem Hauptverband, der uns signalisiert hat, dass er bei entsprechenden Sportangeboten bereit ist, auch einen finanziellen Beitrag zu leisten. Über die Gebietskrankenkassen besteht sogar schon die Möglichkeit. Ich glaube, es ist § 47 des Sozialversicherungsgesetzes, der uns die Möglichkeit schafft, Sportprogramme auch aus den Gebietskrankenkassen heraus zu finanzieren.

Erst heute ist unser Mobilitätsbus auf Tour gegangen; es geht in diesem Zusammen­hang um die ältere Generation. Einfache Tests sollen zeigen, wo die Defizite sind. Be­ratungsgespräche sollen zeigen, wie man diese Defizite wieder behebt. Man muss wis­sen, dass 80 Prozent aller Stürze bei Senioren nicht von irgendwo herab oder über irgendetwas drüber, sondern einfach so beim ganz normalen Gehen passieren und wieder 80 Prozent der Gestürzten dann enorme Kosten verursachen, weil die „Repara­tur“ so teuer ist. Mit entsprechenden Ausgleichsübungen, reinen Balanceübungen, rei­nen Bewegungsübungen aber können wir einen Großteil dieser Stürze verhindern. Dieses einfache Beispiel zeigt, was hier an Einsparungspotential vorhanden ist, und deshalb kommen wir auch mit diesem Mobilitätsbus in die Bundesländer, um auf all das aufmerksam zu machen.

All diese Bereiche werden von Sportwissenschaftern begleitet und ausgewertet. Wir werden dann Berechnungen auf der Basis dieser neuesten Daten anstellen, um zu zeigen, wie groß das Sparpotential für das „Krankheitssystem“ ist, wie groß die Mög­lichkeit für den Sport ist, einen Beitrag zur Sanierung des „Krankheitssystems“ zu leis­ten, um wieder zum Gesundheitssystem zu kommen, wie groß die Möglichkeit ist, aus den „kranken“ Kassen wieder „gesunde“ Kassen zu machen!

Ich hoffe, dass ich hier nicht nur das eine oder andere interessierte Ohr gefunden ha­be, sondern auch den einen/die eine oder den anderen/die andere Unterstützer/in für unsere Vorhaben. Wir wollen den Sport als Dienstleister am Gesundheitssystem etab­lieren, gemeinsam mit den großen Dachverbänden, die damit eine wunderbare Auf­gabe haben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

14.24

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Die Abstimmung über die gegenständlichen Berichte erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den 17. Sportbericht 2000.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhel­ligkeit. Der Antrag ist angenommen.


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Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den 18. Sportbericht 2001 – 2002.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist ebenfalls die Stim­meneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

10. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Abkommen zwi­schen der Regierung der Republik Österreich und dem Ministerkabinett der Ukraine über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik (371 d.B. und 481 d.B. sowie 7054/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zum 10. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Karl Bader. Ich bitte ihn um die Berichterstattung.

 


Berichterstatter Karl Bader: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Ministerkabinett der Ukraine über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik.

Der Bericht des Ausschusses liegt in schriftlicher Form vor, ich kann mich daher auf die Verlesung des Ausschussantrages beschränken.

Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem Beschluss des Nationalrates im Sinne des Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bun­des-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

 


Präsident Jürgen Weiss: Wortmeldungen liegen keine vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen nun zur Abstimmung.

Da der vorliegende Beschluss Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regelt, bedarf er der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung über den Antrag, gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

Ich lasse nunmehr auch über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zu­stimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist ebenfalls Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist angenommen.

11. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz und das Landesvertragslehrerge-


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setz 1966 geändert werden (390 d.B. und 485 d.B. sowie 7043/BR d.B. und 7055/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zum 11. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Herta Wimmler. Ich bitte sie um die Berichter­stattung.

 


Berichterstatterin Herta Wimmler: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Bil­dung und Wissenschaft über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz und das Landesvertragslehrergesetz 1966 geändert werden.

Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, es erübrigt sich daher dessen Verlesung.

Ich komme sogleich zur Verlesung des Ausschussantrages.

Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Karl Bader das Wort.

 


14.29

Bundesrat Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorlie­gende Gesetzentwurf hat zwei wesentliche Änderungen zum Inhalt: zum einen die Än­derung bei der Leiterinnen- und Leiterbestellung an den Pflichtschulen, zum anderen die Dienstnehmerschutzbestimmungen für die LandeslehrerInnen.

Zum Ersten, zur Leiterbestellung an den Pflichtschulen: Mit dieser Gesetzesänderung wird es nun auch möglich, dass provisorisch pragmatisierte Landeslehrerinnen und ‑landeslehrer eine Leiterstelle bekommen können, dass ihnen eine solche verliehen werden kann. Für Vertragsbedienstete bestand schon bisher diese Möglichkeit, und somit wird in gewisser Weise auch eine Ungleichheit beseitigt.

Es soll aber vor allem auch eine gewisse Vakanz dadurch vermieden werden, falls sich ein Lehrer im definitiven Dienstverhältnis nicht dazu entschließen kann, sich zu bewer­ben. Dies kommt fallweise natürlich im ländlichen Raum in kleinen Schulen immer wie­der vor.

Diese Regelung ist aus unserer Sicht auch deshalb notwendig, weil wir die von der SPÖ im Ausschuss VI des Österreich-Konvents zur Reform der Verwaltung geforderte Schulgröße von mindestens 300 Schülern klar ablehnen, die kleinen Schulen im ländli­chen Raum erhalten wollen und nicht schon unsere Pflichtschüler zu Pendlern machen wollen.

Eine zweite und sehr wesentliche Verbesserung bei dieser Gesetzesänderung betrifft den Dienstnehmerschutz bei den Landeslehrern. Das entspricht nicht dem Gemein­schaftsrecht, und durch diese Änderung sollen, eben durch vorbeugenden Bedienste­tenschutz, Dienstunfälle, Berufskrankheiten und sonstige arbeitsbedingte Krankheiten vermieden werden.

Es ist ganz einfach so, dass Regelungen des Arbeitnehmerschutzes, wie sie in vielen anderen Bereichen gang und gäbe sind, auch für LandeslehrerInnen eingeführt wer­den. Bisher gab es in den Pflichtschulen für Arbeitnehmer unterschiedliche Regelun­gen: Zum einen gab es für Schulwarte und Reinigungskräfte diesen Schutz bereits; das


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liegt in diesem Fall hauptsächlich in der Kompetenz der Dienstgeber, des Schulerhal­ters, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Für die LandeslehrerInnen hat nun de­ren Dienstgeber Sicherheitsvertrauenspersonen zu bestellen sowie eine angemessene sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung einzurichten.

Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner müssen zur Verfügung stehen. Ich hoffe nur, dass es in der Praxis zu einer Koordination und zu keinen Kuriositäten kommt, auch wenn es da unterschiedliche Dienstgeber gibt. Es könnte nämlich durchaus der Fall eintreten, dass auf der einen Seite für Schulwarte und Reinigungskräfte und auf der anderen Seite für LandeslehrerInnen verschiedene Sicherheitsfachkräfte und ver­schiedene Arbeitsmediziner ein und denselben Arbeitsplatz und die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu überwachen haben.

Dass dies natürlich auch mit Kosten verbunden ist, vorwiegend für die Schulerhalter, liegt klar auf der Hand, und ich hoffe nur, dass es bei diesem Thema nicht auch zu so haarsträubenden Aussagen kommt wie bei dieser Diskussion über Schülerquoten, wo beispielsweise ein Personalvertreter der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter in Niederösterreich in seinen Aussendungen, und zwar wider besseres Wissen, argumen­tiert hat, dass der Finanzausgleich in Österreich den Ländern und Gemeinden von der Regierung „aufgezwungen“ wurde. (Bundesrat Gruber: Hat er vielleicht gar nicht Un­recht gehabt!) – Dazu kann man nur sagen: Auch in diesem Bereich stehen Personal­vertretungswahlen vor der Tür! Jedenfalls ist es so, dass der Finanzausgleich gemein­sam ausverhandelt wurde und dass auch die SP-regierten Bundesländer diesem ihre Zustimmung erteilt haben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

14.32

 


Präsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Blatnik das Wort. – Bitte.

 


14.33

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Frau Minister! Gospod pre­sident! Gospa ministrica! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates, drage cla­nice in clani zveznega sveta! Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten befürworten das Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz und das Landesvertragslehrergesetz aus dem Jahre 1966 geändert werden, denn dies ist not­wendig. Als Lehrerin kann ich nur sagen: nicht nur notwendig, sondern sehr, sehr wich­tig.

Jede Arbeitnehmerin/jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf einen Arbeitsplatz, der geschützt ist und so Dienstunfälle, Berufskrankheiten und sonstige arbeitsbedingte Er­krankungen vermieden werden – und allen ein Arbeitsplatz ohne gesundheitliche Be­einträchtigung ermöglicht wird.

Jeder Arbeitgeber/jede Arbeitgeberin hat dafür zu sorgen, dass dies gewährleistet wird. Und dies soll nun auch für die Schulen gelten, und zwar für die Lehrerinnen und Leh­rer, wie ja mein Kollege Vorredner bereits gesagt hat, auch für das Reinigungsperso­nal, für die Schulwarte, aber, worauf vergessen wurde: Vielleicht denken Sie auch ein­mal an unsere Schülerinnen und Schüler!

In einer Klasse befinden sich im Unterricht nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch selbstverständlich Schülerinnen und Schüler – und mir liegen unsere Schülerin­nen und Schüler sehr, sehr am Herzen.

Um hier einige praktische Beispiele zu nennen – ich bin selbst Berufsschullehrerin –: Welche Belastung, welche gesundheitliche Belastungen bei meinen Kolleginnen und Kollegen, bei den Schülerinnen und Schülern, die in einer Kfz-Werkstätte lehren bezie­hungsweise unterrichtet werden, oder die zum Beispiel in einer Tischler-/einer Tischle-


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rinnen-Werkstätte gelehrt werden, aber auch bei den Karosserie-Bautechnikern, bei den Schlosserinnen und Schlossern auftreten, können Sie sich sicherlich vorstellen, meine Damen und Herren. All diese Belastungen – Lärm, Staub, Schweiß, Rauch et cetera – gefährden die Gesundheit der Menschen enorm.

Ein weiteres ganz großes Problem stellt die Frage dar, wie groß die Klassen bezie­hungsweise wie viele Schüler in diesen untergebracht sind. Sehr oft – ich betone: sehr oft – gibt es ein Raumproblem, Sicherheit bedarf jedoch auch sehr viel an Platz.

Ich sehe diese Schutzbestimmung auch breiter gefächert, nämlich auch als Beitrag zum Umweltschutz; ebenso sehe ich das als Teil einer Erziehungsaufgabe, denn wenn wir in den Schulen sorgsamer mit den Abfällen umgehen, schützen wir die Umwelt, somit auch uns Lehrerinnen und Lehrer, aber auch unsere Schülerinnen und Schüler.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erwarten von der Gesetzgebung, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Gesundheit und gutes Wohlbefinden für alle garantieren sollen: für Lehrerinnen und Lehrer, für das Raumpersonal, für die Schulwarte, aber bitte nicht zum Schluss, sondern an erster Stelle für unsere Schüle­rinnen und Schüler.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hoffen nur, dass – und dies wäre wie­der so typisch für die jetzigen Regierungsparteien – diese wichtige Aufgabe nicht nur an eine so genannte Sicherheitsvertrauensperson abgeschoben wird. Eine Sicherheits­vertrauensperson, die vom Dienstgeber bereitzustellen ist, muss eine sehr gute Ausbil­dung haben. Allerdings ist nirgends festgehalten, wann, wo und wie diese Ausbildung erfolgen soll. Dieser Sicherheitsvertrauensperson müssen jedenfalls alle Behelfe und Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie diese wirklich verantwortungsvolle Aufgabe erfüllen kann.

Ein Problem habe ich schon angesprochen: dass sich nämlich nirgends eine Bestim­mung findet, wann, wo und wie die Ausbildung erfolgen soll. Der zweite Punkt ist: Diese Sicherheitsvertrauensperson erhält keine finanzielle Abgeltung.

So schaut die Politik der jetzigen Regierungsparteien vor allem im Bildungsbereich aus! Wir haben bereits im Rahmen der Diskussion über den Sportbericht gehört, dass Turnstunden gestrichen wurden. Im vergangenen Jahr wurden nicht nur Turnstunden gestrichen, sondern zwei weitere Stunden, so im Sinne dieser „Schülerentlastungsver­ordnung“. Auf der einen Seite mehr verlangen, auf der anderen Seite weniger bezah­len, vieles streichen: Das ist typisch für die jetzige Bundesregierung!

Geld, meine Damen und Herren, dürfte niemals ein Problem sein, wenn es um Bildung, Sicherheit und Gesundheit unserer Lehrerinnen und Lehrer, unserer Schülerinnen und Schüler geht.

Ein Punkt, den wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr positiv sehen, ist die Änderung des Landesvertragslehrergesetzes. In Zukunft werden auch Landesver­tragslehrer und Landesvertragslehrerinnen die Möglichkeit haben, sich um eine Leiter­stelle zu bewerben, wenn sie den Anforderungen entsprechen. Dies war bis jetzt leider nicht möglich. Ich frage mich nur, warum die jetzige Bundesregierung dies nicht schon früher gemacht hat – und bezeichne dies als eine Reparatur des Versagens der jetzi­gen Regierungsparteien.

Ich kenne sehr viele Landesvertragslehrerinnen und Landesvertragslehrer, die wirklich gut sind, die fachlich gut sind, die pädagogisch gut sind und selbstverständlich auch Führungskompetenz nachweisen können. Diese hatten bis dato keine Chance, sich um eine Leiterstelle zu bewerben. Jetzt ist es Gott sei Dank möglich.


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Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind Alter, Dienstjahre und Prag­matisierung kein Verdienst, sondern für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratin­nen zählen für eine Leiter- oder Leiterinbestellung Leistung und Qualifikation.

Ich möchte da ein Beispiel aus Kärnten bringen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozial­demokraten bemühen uns sehr darum, dass in den zweisprachigen Volksschulen im Minderheitenschulgebiet die Direktorin oder der Direktor beide Sprachen spricht, denn nur so kann er oder sie den Pflichten eines Direktors beziehungsweise einer Direktorin nachkommen.

Erlauben Sie mir, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Änderung des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes sowie dem Gesundheitsschutz für unsere Leh­rer und Lehrerinnen, aber auch für unsere Schüler und Schülerinnen zustimmen, ob­wohl einige Punkte noch nicht ausgereift sind.

Erlauben Sie mir, eine kurze Zusammenfassung in meiner Muttersprache zu bringen, nicht, weil ich polarisierend wirken will, nicht, weil ich mit dem Kopf durch die Wand gehen will, nicht, weil ich Macht ausüben will, sondern ganz einfach deswegen, weil ich euch eine Sprache, die slowenische Sprache, näher bringen will, und die slowenische Volksgruppe ist in Österreich eine anerkannte Volksgruppe. Auch in der Verfassung ist in Form einer Staatszielbestimmung verankert, dass die Sprachen und Kulturen der anerkannten Minderheiten gepflegt, geschützt und gefördert werden sollten. (Bundes­rätin Blatnik setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.) – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

14.43

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Zellot. Ich erteile ihm das Wort. (Ruf – in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Bundesrates Zellot –: Haben Sie es verstanden? – Bundesrat Zellot: Nein, ich habe sie nicht ver­standen, aber ich habe damit kein Problem!)

 


14.43

Bundesrat Roland Zellot (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Ich habe dafür auch Verständnis, es wird ja in Kärnten eine europa­weit anerkannte gute Minderheitenpolitik gemacht, was von meiner Vorrednerin auch zur Sprache gekommen ist, natürlich auch im schulischen Bereich. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Somit habe ich auch kein Problem damit, wenn sie in einer anderen Sprache spricht. Wir leben ja in dieser Sprachwelt und sind damit auch täglich konfron­tiert.

Meine geschätzten Damen und Herren! Ich habe mich ebenfalls zur Änderung des Landesvertragslehrergesetzes beziehungsweise des Landeslehrer-Dienstrechtsgeset­zes zu Wort gemeldet, die zwei Dinge umfassen: die Leiterbestellung und natürlich den Dienstnehmerschutz. Ich möchte die Änderung bei der Leiterbestellung auch als Erfolg der Bundesregierung bezeichnen. Dass Landesvertragslehrer auf eine Leiterstelle ernannt werden können, ist ein Beweis dafür, dass die Bundesregierung genau das macht, was auch meine Vorrednerin gesagt hat: Es wird die Leistung eines Bewerbers anerkannt. Somit kann jemand, auch wenn er eine andere Position einnimmt, auf eine Leiterstelle ernannt werden.

Der zweite Punkt: der Dienstnehmerschutz. Für Berufsschulen, die eine Ausbildung für verschiedene verarbeitende Berufe anbieten, ist bereits gesetzlich festgelegt, wie eine Schulklasse im Bereich der Ausbildung für Schweißen oder wie eine Lehrklasse im Bereich Metall verarbeitende Berufe ausgestattet werden muss.

Ich glaube, in diesem Dienstnehmerschutzgesetz geht es auch um die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Das Dienstnehmerschutzgesetz im Landeslehrerbereich ist natür-


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lich zu begrüßen, weil es mittlerweile auch an jenes der Privatwirtschaft angeglichen wurde. Dieser Dienstnehmerschutz findet auch im Schulbereich Eingang. Ich glaube, das ist auch wichtig, denn man muss ja bedenken, dass die Schüler nur eine gewisse Zeit in diesem Ausbildungszentrum arbeiten müssen, während die Lehrer dort längere Zeit verbringen. Es ist richtig, wichtig und auch als Erfolg zu bezeichnen, dass in die­sem Bereich des Dienstnehmerschutzes auch auf die Ausbildungspersonen Rücksicht genommen worden ist. – Recht schönen Dank. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.46

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Konrad. Ich erteile ihr das Wort.

 


14.47

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben ja schon ausführlich über diese Änderung im LehrerIn­nendienstrecht gesprochen. Im Grunde handelt es sich dabei um die Umsetzung einer EU-Richtlinie, um eben Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz zu garantieren.

Ich habe mir das durchgelesen und war ein wenig verwundert. Es ist ja klar, dass diese Änderung in erster Linie auf Berufsschulen und nicht so sehr auf allgemeinbildende Pflichtschulen zutrifft. Ich war trotzdem ein wenig verwirrt, dann festzustellen, dass explizit Klassenzimmer offenbar nicht als Arbeitsplatz des Lehrers, der Lehrerin gese­hen werden, weil in Klassenzimmern diese Schutzbestimmungen dezidiert nicht anzu­wenden sind, auch nicht im Konferenzzimmer.

Dann hat bei mir dieser Gedankengang eingesetzt: Gut, wenn das Klassenzimmer nicht der Arbeitsplatz von Lehrern ist und auch das Konferenzzimmer nicht der Ar­beitsplatz von Lehrern ist, wo ist er dann? Ich glaube, es ist schon ein Problem in der Arbeitsrealität von Lehrerinnen und Lehrern, dass sie ihren Arbeitsplatz zumindest zur Hälfte meistens zu Hause haben, wo sie selbst diesen Arbeitsplatz einrichten müssen, auch relativ viele Ausgaben für die Ausstattung haben, sich auch sehr viel Literatur anschaffen und so weiter, ständig sämtliche Unterlagen von einem Ort zum anderen schleppen müssen. Dieses Problem gibt es ja auch bei Schülerinnen und Schülern, diese Belastung durch schwere Schultaschen, die jeden Tag transportiert werden. Diese Arbeit, die Lehrerinnen und Lehrer zu Hause verrichten, hat also sicher diverse Nachteile.

Auch für die Eltern wäre es, glaube ich, angenehmer, wenn Lehrerinnen und Lehrer auch am Nachmittag in der Schule erreichbar wären. Am Vormittag hat nicht jeder Zeit, um Gespräche, die manchmal nötig sind, mit Lehrerinnen und Lehrern zu führen. Am Nachmittag erreicht man sie dann fast nicht mehr. Ich denke, es wäre sicher eine gute Idee, wenn man sich überlegen würde, dass Schulen Arbeitsplätze für Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stellen. Da würde es meiner Meinung nach auch reichen, wenn sich zwei Personen einen Schreibtisch oder einen Computer teilen. Das würde einer­seits für die Schule diverse Erleichterungen bringen, und auch für die Eltern wäre es angenehmer. Für die Lehrerinnen und Lehrer wäre es sicher eine Erleichterung, weil sie dann eben zu Hause keinen Arbeitsplatz einrichten müssten.

Das wäre nur eine kleine Anregung, die sich jetzt zwar nicht unbedingt direkt auf die­ses Dienstrecht bezieht, aber vielleicht kann man das auch einmal mit andenken. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

14.49

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Mag. Neuwirth. Ich erteile ihr das Wort.

 



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14.49

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Novellie­rung des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes und des Landesvertragslehrergesetzes waren notwendig, weil die Dienstnehmerschutzbestimmungen bei den Landeslehrerin­nen und Landeslehrern nicht den einschlägigen EG-Richtlinien auf dem Gebiet des technischen und arbeitshygienischen Bedienstetenschutzes entsprachen und Öster­reich auch von der EU-Kommission erfolgreich beim Europäischen Gerichtshof geklagt worden war.

Es handelt sich bei diesen Vorschriften um Mindestvorschriften mit dem Ziel, durch vor­beugenden Bedienstetenschutz Dienstunfälle, Berufskrankheiten und sonstige arbeits­bedingte Erkrankungen zu vermeiden, wie sie auch dem ArbeitnehmerInnenschutz zugrunde liegen.

Nun sollen weisungsfreie Sicherheitsvertrauenspersonen, die die Arbeitnehmer in Fra­gen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes vertreten, und Präventivfachkräfte bestellt werden. Als Präventivfachkräfte zur sicherheitstechnischen und arbeitsmedizi­nischen Betreuung sind eigene weisungsfreie Sicherheitskräfte und eigene Arbeitsme­diziner zu ernennen. Die diesbezüglichen Maßnahmen auf personeller Ebene sind vom Dienstgeber – also von den Ländern – in Form von geeigneten Ausführungsbestim­mungen zu erlassen.

Wo bauliche Adaptionen notwendig sind, ist von den Ländern dafür Sorge zu tragen, dass diese Maßnahmen von den Gemeinden dort, wo sie Schulerhalter sind, durchge­führt werden. Die Kosten der Umsetzung tragen also die Länder und Gemeinden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist natürlich alles notwendig und wird von uns auch unterstützt, aber ich möchte trotzdem als Vertreterin eines Bundeslandes darauf hinweisen, dass dadurch das notwendige Budget für die Schulen zwangsläufig höher werden muss, was eine neuerliche Belastung der Städte und Gemeinden bedeutet – und das in einer Situation, die den Gebietskörperschaften, bedingt durch den Einnah­menentfall durch die Steuerreform, ohnehin einen weiteren massiven Sparkurs auf­zwingt. Wie die immer mehr werdenden Leistungen der Städte und Gemeinden in Zu­kunft finanziert werden können, wird ja hoffentlich bei den kommenden Finanzaus­gleichsverhandlungen geklärt werden – ich hoffe sehr darauf.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der im Nationalrat von der SPÖ eingebrachte Ent­schließungsantrag, in dem die zuständigen Regierungsmitglieder aufgefordert werden, für die Verbesserung des Dienstnehmerschutzes sowohl der Landes- als auch der BundeslehrerInnen – und eine solche bin ich selbst – umgehend Sorge zu tragen und zu veranlassen, dass dem Nationalrat geeignete Gesetzesvorschläge vorgelegt wer­den, fand bedauerlicherweise keine Mehrheit. Dabei wäre die Klärung von einigen Punkten – einen hat meine Vorrednerin gerade angesprochen –, wie zum Beispiel die Ausdehnung des Dienstnehmerschutzes auf die Unterrichtsräumlichkeiten, unbedingt notwendig, denn, ehrlich gesagt, ich ad personam weiß auch nicht, wo ich die von mir geforderte Dienstleistung erbringe, wenn nicht in meinem Arbeitsraum, nämlich dort, wo sich die Schülerinnen und Schüler befinden, also im Klassenzimmer und im Konfe­renzzimmer, wo ich meine Vor- und Nachbereitungsarbeiten mache.

Es gibt aber noch andere Punkte, die dringend einer Klärung bedürfen, so zum Beispiel die Haftungsfrage bei Unfällen und Beschädigungen und Sanktionsmaßnahmen ge­genüber dem Dienstgeber beziehungsweise Schulerhalter bei Säumigkeit oder Nicht­einhaltung gesetzlicher Bestimmungen. Es wäre wichtig, endlich einmal Mindeststan­dards für LehrerInnen-Arbeitsplätze festzulegen oder die Freiwilligkeit der Funktion von Sicherheitsvertrauenspersonen beziehungsweise die Übernahme der Tätigkeit von


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Präventivfachkräften durch Lehrerinnen und Lehrer. Es geht auch um die Frage der Bereitstellung zeitlicher Ressourcen für diese Tätigkeit sowie die bereits genannten Schulungsmaßnahmen, die ungeklärt sind. Es geht auch um die Frage der Festlegung, dass im Landeslehrer-Bereich auch Schulwarte diese Tätigkeit für die Lehrerinnen und Lehrer übernehmen können, und um andere Fragen mehr.

Es wäre dringend nötig gewesen, sich mit all diesen Problemen zu beschäftigen und eine geänderte Regierungsvorlage vorzulegen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass dafür die erforderliche Mehrheit nicht vorhanden war.

Trotz dieser Mängel stehen wir natürlich zum Gesundheitsschutz für Lehrerinnen und Lehrer und werden heute diesem Gesetz auch zustimmen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundesministerin! Bevor es aber so weit ist, lassen Sie mich noch ein Wort zu den nicht zustande gekommenen Verhaltensregeln sagen. Die Diskussion darüber bedauere ich sehr. Es war und ist bedauerlich, dass sich die Regierungsparteien nicht dazu durchringen konnten, der berechtigten Forde­rung der SPÖ Rechnung zu tragen, bisherige Verhaltensvereinbarungen, die oft gegen den Wunsch – gegen den dezidierten Wunsch! – der Schülerinnen und Schüler erlas­sen wurden, aufzuheben, sodass sich die SPÖ im Nationalrat außerstande sah, der an sich sinnvollen besseren Möglichkeit der Mitbestimmung von Schülerinnen und Schü­lern bei Erlassung einer Hausordnung ihre Zustimmung zu geben. Es hätte nämlich dann an den Schule quasi zwei Sorten von Hausordnungen gegeben: die einen, die mit den SchülerInnen gemacht worden sind, und die anderen, die gegen den Willen von Schülerinnen und Schülern gemacht worden wären.

Ich hoffe doch, Frau Bundesministerin, dass es diesbezüglich einen zweiten auch Mehrheit findenden Weg geben wird. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

14.55

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Frau Bundesministerin Gehrer das Wort. – Bitte.

 


14.55

Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Herr Präsident! Hohes Haus! Zu den Ausführungen meiner Vorrednerin möchte ich Folgen­des bemerken: Wir bringen gerne den Antrag bezüglich der Verhaltensvereinbarungen wieder ein. Ich stelle aber fest, es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Hausordnung und einer Verhaltensvereinbarung.

Eine Hausordnung hat es immer schon gegeben, da steht drinnen: Schuhe ausziehen, Patschen anziehen, Kleider in den Kleiderschrank hängen et cetera. Eine Verhaltens­vereinbarung ist etwas viel Weitergehendes! Da sollen die Schulpartner miteinander vereinbaren: Wie gehen wir miteinander um? Dazu ist festzustellen: Was sind die Defi­zite an der Schule? Wo ist es notwendig, eine Verhaltensvereinbarung zu schließen? Worauf werden wir im kommenden Schuljahr besonderes Augenmerk legen? – Solch eine Verhaltensvereinbarung ist wie eine Vereinbarung des guten Tones an den Schu­len. Und es ist sehr bedauerlich, dass Sie diesem Vorschlag nicht zugestimmt haben. Wenn Sie Ihre Meinung geändert haben, dann können wir den Antrag gerne wieder einbringen.

Zur Frage der Sicherheitsvertrauensleute: Ich glaube, dass sich manche Abgeordnete der SPÖ nicht ganz im Klaren darüber sind, wie die Zuständigkeiten aussehen. – Die Sicherheitsvertrauensleute sind zuständig für die Sicherheit der Lehrer und Lehrerin­nen in den Räumlichkeiten, wo sich die Lehrer und Lehrerinnen im Rahmen ihrer Arbeit aufhalten, so zum Beispiel im Konferenzzimmer.


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Für die Schulräume gibt es allerstrengste Vorschriften in allen Schulbauordnungen aller Bundesländer, für die Turnsäle gibt es allerstrengste Vorschriften in allen Schul­bauordnungen, ob das die Bundes-Schulbauordnung oder die Landes-Schulbau­ordnung ist. Darin sind die strengsten Sicherheitsvorkehrungen vorgesehen. Für jeden Werkraum in einer Landesberufsschule gibt es strengste Vorschriften für Abgasbelas­tung, Lärmbelastung, Staubbelastung. Schauen Sie sich einmal an, welche Werk­stätten die Länder einrichten! Darin finden sich Absaugevorrichtungen, alle haben Ge­hörschutz auf. Es gibt einen eigenen Schutz für die Jugendlichen, die den Beruf des Tischlers lernen. Wir haben sogar strengste Sicherheitsbestimmungen für die einzel­nen PCs, die in den Schulen aufgestellt werden. Da werden für die Jugendlichen spe­zielle Vorkehrungen getroffen, damit ja nichts passieren kann. Das heißt, für die Klas­senräume und Werkstätten gibt es allerstrengste Vorschriften im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit.

Die jetzigen Sicherheitsvertrauensleute erfüllen ihre Aufgabe im besonderen Bereich, besonders auch im Bereich des Konferenzzimmers. Sie haben zu schauen: Ist das Licht ordnungsgemäß? Sind die Arbeitsbedingungen gut? Sind die Stühle so, dass sie auch gesundheitsfördernd sind? – Das ist also ihre Aufgabe!

Und, meine Damen und Herren, das ist Aufgabe der Schulerhalter! Da erfolgt über­haupt keine Verlagerung von irgendwelchen Kosten, sondern das ist Aufgabe der Schulerhalter. Wenn baulich etwas zu ändern ist, dann ist eben in Gottes Namen für die Volksschule die Gemeinde zuständig. Ich kenne viele Bürgermeister und Bürger­meisterinnen, die natürlich die Sicherheit optimieren, die natürlich darauf schauen, dass sie in ihren Volksschulen, in den Hauptschulen optimale Sicherheitsvorkehrungen haben. Also ich bitte Sie wirklich, das nicht alles zu vermischen!

Subsidiarität und Eigenständigkeit der Bundesländer wollen wir ja nicht angreifen. Wir wollen ja keinen neuen Zentralismus – oder wollen Sie das? –, wir wollen doch, dass die Länder, die Gemeinden ihre Aufgaben wahrnehmen. Der Bund hat die Aufgabe, für größtmögliche Sicherheit dieser Arbeitnehmer in den übrigen Räumlichkeiten zu sor­gen.

Was ich auch noch mitnehme aus dieser Diskussion, ist: dass die grüne Bundesrätin Eva Konrad gesagt hat, sie findet es richtig, dass die Lehrer und Lehrerinnen den gan­zen Tag an der Schule sind. – Ich glaube, dass es sehr viele Lehrer und Lehrerinnen gibt, die es sehr schätzen, dass sie eigentlich eine Arbeitszeit haben, wo sie sich sehr viel selbst einteilen können, wo sie praktisch auch am Abend Arbeiten daheim erledi­gen können. Ich glaube nicht, dass es alle Lehrer und Lehrerinnen goutieren würden, wenn sie wirklich den ganzen Tag in der Schule sein, acht Stunden dort verbringen und ihre gesamten Aufgaben dort erledigen müssten.

Wer die Realität kennt, der weiß, dass Lehrer und Lehrerinnen, wenn ein Elternteil sie sprechen möchte, sehr wohl am Nachmittag um 17 oder 18 Uhr eine individuelle Sprechstunde mit den Eltern ausmachen. Es stimmt also nicht, dass die Eltern am Vor­mittag kommen müssen, sondern es ist sehr wohl so, dass man individuelle Sprech­stunden ausmacht.

Nun noch ein Wort zum Finanzausgleich, der für die Jahre 2005, 2006, 2007 wieder neu zu verhandeln ist. Der Finanzausgleich ist ein partnerschaftliches Übereinkommen zwischen den Bundesländern und dem Bund, wie die Geldflüsse aus Steuermitteln gehandhabt werden. Da haben das letzte Mal alle neun Landeshauptleute mit dem Bund die Vereinbarung geschlossen, dass die Abrechnung der Pflichtschullehrer nach einem gewissen Verhältnis geschieht: für 14,5 Volksschüler ein Lehrer, für 10 Haupt­schüler ein Lehrer. Das ist die Zielvorgabe, die ich einzuhalten habe. Das haben die Länder ausverhandelt.


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Mein Bestreben ist es nun, den Landeshauptleuten klarzumachen, dass eine weitere Erhöhung der Verhältniszahlen für die Schulen nicht mehr zuträglich ist, dass wir die Basis, die wir jetzt haben, für unsere Schulen erhalten müssen. Mit dieser Basis kön­nen wir gut arbeiten. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Weiters möchte ich, dass jedes einzelne Land seine Gesamtfinanzen erhält, um selbst damit zu wirtschaften. Wir haben derzeit ein Abrechnungssystem mit diesen Verhält­niszahlen, das einen enormen Aufwand darstellt, das sehr viel Arbeit bedeutet. Ich glaube, es wäre gut, wenn sich die Landeshauptleute und der Finanzminister zu einer partnerschaftlichen Vereinbarung bereit fänden, wonach die Länder die Finanzen über­nehmen und dann selbst diese Finanzen in ihrem Bundesland auch richtig aufteilen, die Gehälter auszahlen und selbst damit wirtschaften. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.01

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Die Debatte ist daher ge­schlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Hand­zeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

12. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mutterschutzgesetz 1979, das Väter-Karenzgesetz, das Landarbeitsge­setz 1984, das Arbeitszeitgesetz, das Angestelltengesetz, das Gutsangestellten­gesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz und das Arbeitsmarkt­förderungsgesetz geändert werden (399 d.B. und 483 d.B. sowie 7056/BR d.B.)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zum 12. Punkt der Tagesordnung.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Kampl übernommen. Ich bitte um den Be­richt.

 


Berichterstatter Ing. Siegfried Kampl: Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrte Frau Staatssekretär! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Mutterschutzgesetz 1979, das Väter-Karenzgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984, das Arbeitszeitgesetz, das Ange­stelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz, das Bauarbeiter-Urlaubs- und Abferti­gungsgesetz und das Arbeitsmarktförderungsgesetz geändert werden.

Der Ausschussbericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke. – Wir gehen in die Debatte ein.

 


Als Erste zum Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. – Bitte.


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15.04

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Ich als überzeugte Frauenpolitikerin stehe heute schweren Herzens vor Ihnen, weil das Recht auf Teilzeit meiner Meinung nach eine zentrale Forderung in der Frauen- beziehungs­weise in der Familienpolitik ist, die jetzt vorliegende Fassung jedoch nicht befriedigend, nicht so weit gehend und nicht so ausreichend ist, dass wir dem zustimmen können.

Es gibt zwei Hauptgründe, die nach langer und intensiver Auseinandersetzung und Prüfung für uns ausschlaggebend waren: Der erste Grund ist, dass es nur Unterneh­mungen betrifft, die mindestens 20 Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter haben. Und das zweite wichtige Argument ist, dass eine Voraussetzung ist, dass der Betreffende bereits drei Jahre in diesem Unternehmen gearbeitet haben muss.

Man darf nicht vergessen, dass immerhin ein Drittel der MitarbeiterInnen in Betrieben mit weniger als 20 MitarbeiterInnen arbeitet. Es wäre fein gewesen – überhaupt für Sie, Frau Staatssekretärin, als ehemalige Frauenlandesrätin aus Oberösterreich –, ein Mo­dell zu entwickeln, mit dem es tatsächlich gelungen wäre, auch kleinere Unternehmun­gen mit einzubeziehen.

Es ist klar, dass das unter Umständen nicht ganz einfach ist, aber: Wo ein Wille, da auch ein Weg! Hirnschmalz und Innovationsfreude plus Kompromissfähigkeit führen meist dazu, dass es gute Lösungen gibt. So könnte man beispielsweise auch Anreiz­systeme schaffen, die es in kleineren Unternehmungen ermöglichen, den Mitarbeite­rInnen Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, beziehungsweise könnte man natürlich auch ein Anrecht darauf schaffen.

Zum Zweiten, zur Betriebszugehörigkeit: Diese Hürde ist schon sehr gravierend, denn immerhin sind fast zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer davon betroffen. Gerade junge Menschen, die sich in der Einstiegsphase in ihr Berufsleben befinden, sind in der Regel damit konfrontiert, dass es kürzere Beschäftigungsverhältnisse und mehr Wechsel gibt. Das ist ja auch klar, verständlich, gut, und die Wirtschaft profitiert auch davon.

Eines darf man ja nicht vergessen: Die Arbeitsgesellschaft – Sie wissen das – befindet sich im Umbruch. Der Arbeitsmarkt ist sehr dynamisch, und es ist ganz klar, dass es auch – ob das gut oder schlecht ist, sei jetzt dahingestellt – zu kürzeren Beschäfti­gungsverhältnissen kommt. – Das sind einmal die beiden Hauptkritikpunkte.

Ein weiterer Punkt ist, dass es nicht möglich ist, dieses Recht auf Teilzeit in Anspruch zu nehmen, wenn sich der Partner oder die Partnerin in Karenz befindet. Das finde ich nicht wirklich familienfreundlich.

Bei diesem Gesetz generell von einem Rechtsanspruch zu sprechen ist schwierig, meine Damen und Herren, denn Sie wissen, dass das aus betriebsorganisatorischen Gründen vom Betrieb abgelehnt werden kann – und dann wird das wieder zum Pro­blem der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Frau Staatssekretärin Haubner, Sie wissen, es geht um die generelle Vereinbarung von Beruf und Familie. Da gibt es eine ganze Palette, die wir bei der Tätigkeit dieser Regierung schmerzlichst vermissen, mit der man aber wirkliche Akzente setzen könn­te: Ausbau der Kinderbetreuungsplätze, Schaffung flexibler Formen der Kinderbetreu­ung, Förderung der Väterkarenz, Schaffung von Anreizen zur Errichtung von Betriebs­kindergärten, Vaterschaftsurlaub bei der Geburt eines Kindes, generell das Thema Halbe/Halbe, gesellschaftliche Bewusstseinsarbeit, um die Hausarbeit – die Männer hier sollten nicht so betroffen schauen – tatsächlich gerecht aufzuteilen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)


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Frau Staatssekretärin! Ein zentraler Punkt in dieser Diskussion, damit es überhaupt möglich ist, dass Frauen oder auch Männer Teilzeit in Anspruch nehmen und dass es da zu einer gerechteren Lösung kommt, ist die gleiche Einkommenssituation von Frau­en und Männern. Wir bewegen uns jedoch – wir waren im Bundesrat jetzt mehrmals damit konfrontiert, entsprechende Berichte zu diskutieren – von diesem Ziel weg. Es ist zunehmend zu beklagen, dass die Einkommensdisparität zwischen Frauen und Män­nern zunimmt. Das ist ein Punkt, den diese Regierung schleunigst in Angriff nehmen sollte, an dem sie arbeiten muss. Das heißt gleiche Chancen für Frauen im Berufsle­ben, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Karriereförderung in den Betrieben, aber ebenso auch die Absicherung aller Arbeitsverhältnisse als zentraler Punkt.

Das, was wir im Moment ebenso schmerzlich vermissen, auch im Kontext mit der kon­junkturellen Lage, ist eine Steigerung der AMS-Mittel, speziell zur Reduktion der Frau­enarbeitslosigkeit.

Obwohl ich glaube, dass das Recht auf Teilzeit wichtig ist, möchte ich in diesem Kon­text darauf hinweisen, dass schon klar ist, dass das teilweise ein Schritt in Richtung Armutsfalle ist, insbesondere im Alter, insbesondere mit dieser Pensionsreform. Das muss man einfach mit berücksichtigen und auch klarstellen, was das auch heißen kann.

Auf Folgendes möchte ich noch hinweisen: Ich persönlich – aber es sind ja auch einige UnternehmerInnen und Unternehmensvertreter anwesend – kenne einige Unterneh­mungen, die weniger als 20 MitarbeiterInnen haben, sogar weniger als fünf, die es sehr vorteilhaft finden, Teilzeitbeschäftigte zu haben. Sie finden das ausgesprochen effi­zient, ökonomisch, sozial und so weiter. Also auf die Begründung, warum das nicht für alle möglich ist, bin ich neugierig, denn die war mir persönlich nicht zugänglich bezie­hungsweise für mich nicht nachvollziehbar. Aber ich denke, Sie werden es mir sagen – vielleicht Frau Diesner-Wais.

Abschließend sei noch einmal Folgendes angemerkt: Frau Staatssekretärin, ich be­daure es sehr, dass es zu keiner Lösung gekommen ist, der wir auch frohen Herzens zustimmen können – wir hätten es wirklich gerne getan –, aber es ist nicht aller Tage Abend, und wir können, Frau Staatssekretärin, weiter daran arbeiten. – Danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

15.11

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Diesner-Wais. – Bitte.

 


15.11

Bundesrätin Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren im Bundesrat! Faktum ist: Wir werden immer älter, die Zahl der Geburten wird immer geringer, und dadurch kommen die verschiedensten Systeme, die wir haben, ins Wanken, angefangen von den Kindergärten bis hin zu den Schulen, zum Gesundheits- und Pensionssystem. Die demographische Entwicklung fordert uns daher auf, familienpolitische Maßnahmen einzuleiten, um dem entgegenzutreten.

Für junge Familien ist es einfach wichtig, dass sie Beruf, Weiterentwicklung und auch Familie vereinbaren können. Um dies zu gewährleisten, sind nicht nur Kinderbetreu­ungsplätze wichtig, sondern ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das wir schnüren müssen. Einige Sachen können wir diesbezüglich schon anbieten, aber es ist natürlich vorteilhaft, das Ganze noch zu erweitern.

In diesem Zusammenhang können wir schon Folgendes vorweisen: das Kinderbetreu­ungsgeld, das wir haben, die Steuerreform, die wir erst in der letzten Sitzung zuguns-


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ten der Familien beschlossen haben (Bundesrat Schennach: Na geh! – weitere Zwi­schenrufe bei den Grünen), die speziell zugeschnittenen Kinderbetreuungsangebote, von Kinderhäusern über Kindergärten bis hin zu den Tagesmüttern, die Familienhos­pizkarenz. (Bundesrat Schennach: Das ist okay!) Weiters – Frau Minister Gehrer war vorhin hier – die Erweiterung der Nachmittagsbetreuung in den Pflichtschulen um 20 Prozent im nächsten Jahr, die wir vor nicht allzu langer Zeit beschlossen haben, und heute die Elternteilzeit.

Es ist wichtig, wie Sie, Frau Kollegin Lichtenecker, schon gesagt haben, dass man nicht durch Teilzeitarbeit in die Armutsfalle tappt, dass man den Familien also keine Vorschriften macht, sondern sie frei aus den verschiedensten Modellen wählen lässt, sodass sie individuell nach ihren Bedürfnissen das Richtige entscheiden und auch an­nehmen können.

Ab 1. Juli 2004 gibt es das Recht auf Elternteilzeit bis zur Vollendung des 7. Lebens­jahres des Kindes in Betrieben mit über 20 Beschäftigten, wie Sie schon gesagt haben, und bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als drei Jahren, wobei die Zeit des Mut­terschutzes und der Karenz in die drei Jahre mit eingerechnet wird, weshalb es nicht stimmt, wenn Sie sagen, die Grenze sei relativ hoch, sodass sie nicht jeder erreichen könne, denn dadurch reduziert sich diese Zeit doch um einiges. (Bundesrätin Kersch­baum: Na aber wenn es den Mann betrifft!) Wenn es den Mann betrifft, dann nicht (Bundesrätin Kerschbaum: Wir wollen ja die Männer mit einbeziehen, das ist ja wich­tig!), wenn es die Frau betrifft, schon. Ja, die Männer wollen wir auch mit einbeziehen.

Wenn Sie nun sagen, dass viele Betriebe nicht die Größe haben, dass die Leute das Recht darauf haben, dann kann ich Ihnen nur sagen: In 92 Prozent der Betriebe sind weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigt, also gilt das eigentlich nur für 8 Prozent der Be­triebe, aber in diesen 8 Prozent der Betriebe sind 74 Prozent der Arbeitnehmer tätig. Das heißt, mehr als zwei Drittel können das in Anspruch nehmen. (Ruf bei den Grünen: Nein!)

Es wurden von Ihnen auch die Klein- und Mittelbetriebe sehr stark angesprochen. Bei diesen ist es natürlich wesentlich schwieriger, dass jemand in Teilzeit geht, da sie in relativ kurzer Zeit einen Ersatz finden müssen (Bundesrat Schennach: Das ist richtig!), damit sie konkurrenzfähig bleiben und alle Arbeitsläufe auch weiterhin gewährleistet sind. Aber andererseits ist es doch so, dass die Beziehung zwischen den Arbeitneh­mern und den Arbeitgebern in den Klein- und Kleinstbetrieben wesentlich besser ist und sich viele Sachen leichter regeln lassen als in Großbetrieben. In den Kleinbetrie­ben ist es ja, glaube ich, momentan schon so – das haben Sie auch angesprochen –, dass das teilweise praktiziert wird. Ich meine, manche Regelungen, die für Großbe­triebe notwendig sind, weil dort sonst etwas nicht möglich wäre, sind für Kleinbetriebe nicht erforderlich. (Bundesrat Schennach: Aber es ist halt nur dem Goodwill ausge­setzt!) – Aber ich glaube, es ist besser, es gibt eine vernünftige Basis zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern und es wird so vereinbart, als es wird von oben herab bestimmt und es werden dann Ausreden dafür gesucht, warum man es nicht einhalten kann. (Bundesrat Schennach: Nur: In den Konfliktfällen?) – Konfliktfälle wird es wahrscheinlich in beiden Fällen geben.

Ich glaube, die Elternteilzeit gibt uns Chancen, das Berufsleben familienfreundlicher zu gestalten, aber auch die Chance, dass man die Väter wesentlich stärker in die Kinder­betreuung einbezieht.

Da von Ihnen auch der Vaterschutzmonat angesprochen wurde, und zwar in dem Sinn, dass der Vater zu Hause bleiben kann: Ich glaube, das geht am Sinn der Sache vorbei. Mutterschutz heißt für mich, dass sich die Frau nach der Geburt erholen kann, dass sie mit dem Kind zusammenfindet, dass sie zu stillen beginnt, dass sie in dieser Zeit Ruhe


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hat. Daher ist der Mutterschutz für die Mutter da. Der Vater kann sich ja einbringen, denn er kann ja in der ersten Woche in Pflegeurlaub gehen, und er kann sich auch noch danach einbringen, denn er kann in der zweijährigen Karenzzeit auch seinen Dienst leisten. Daher ist es nicht unbedingt notwendig, dass wir da noch etwas Zusätz­liches einführen, denn Sie sagen ja selbst, für viele Frauen gibt es einfach das Hinder­nis, dass man sagt: Ich will keine Frau einstellen, denn die könnte schwanger werden und dann in Karenz gehen! Sollen wir dieses Hindernis auch für die Männer aufbauen? (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Gleiches Recht für alle!) – Ich meine aber trotzdem, dass es nicht notwendig ist. (Bundesrat Schennach: Das ist eine Benachteiligung der Frauen!)

Abschließend: Meine Damen und Herren! Es ist wichtig, dass für unsere Familien Maß­nahmen gesetzt werden, die familienfreundlich sind, die die Koexistenz von Familie und Beruf fördern, aber dem Arbeitnehmer und auch dem Arbeitgeber keine Nachteile bringen. Daher macht es Sinn, gemeinsam mit der Wirtschaft familienfördernde Pro­jekte auszuarbeiten. Dieses Elternteilzeitmodell ist ein Beitrag unter vielen, die pro­phezeite demographische Entwicklung zu ändern. Daher werden wir diesem Gesetz zustimmen – wir halten es auch für gut. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

15.18

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zum Wort gemeldet: Herr Bundesrat Dr. Gumplmaier. – Bitte.

 


15.19

Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretär! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Das heute vorliegende Gesetzespaket, mit dem eigentlich ein Recht auf Elternteilzeit im Vorschulalter gesichert werden sollte, ist dem Grunde nach eine Uraltforderung der Sozialdemokraten. Wir werden dem daher zustimmen, obwohl wir den Schritt für we­sentlich zu klein halten. Der Schritt ist zu klein, der Schritt ist mutlos. Er bringt tatsäch­lich kaum eine Verbesserung für die Bedingungen der Familien. Wir stimmen zu, weil die Richtung stimmt.

Die Regierungsvorlage beweist nur eines: Die SPÖ hat Recht mit ihrer langjährigen Forderung, in der Familienförderung die richtige Richtung einzuschlagen, nämlich die Rahmenbedingungen für die Familien zu verändern. Die Rahmenbedingungen werden vor allem am Arbeitsplatz eingeengt.

Sie haben einen halbherzigen Schritt gesetzt, in Wirklichkeit kapitulieren Sie vor der Wirtschaft. Vermutlich müsste hier vor allem der so genannte Wirtschafts- und Arbeits­minister als großer Verhinderer Rede und Antwort stehen. Sie beweisen mit der Schmalspur-Ausgabe, dass kurzfristige Kostenargumente in Wirklichkeit höhere Priori­tät als die Familien haben.

Warum sind wir unzufrieden? – Die Kritik kann zusammengefasst werden: nur Betriebe über 20 Dienstnehmer. Das Gegenargument wurde von einer der Vorrednerinnen schon erwähnt: Die Teilzeitquote, von Frauen zum Beispiel, steigt mit der Kleinheit der Betriebe. Wenn daher von der Regierung als Argument angeführt wird, dass es die Betriebe vor unvorhergesehene Probleme stellen würde, wenn man die Elternteilzeit auch für die kleinen Betriebe einführen würde, dann muss ich sagen, dies ist eigentlich durch die Realität, durch die Wirklichkeit schon widerlegt. Denn es sind gerade die Kleinbetriebe, die jetzt schon Teilzeitbeschäftigte haben. (Bundesrätin Gansterer: Nicht nur! Das hat auch mit der Familiensituation zu tun! Nicht nur!) – Ja, nicht nur. Aber wenn als Argument die Steuerbarkeit und Unvorhersehbarkeit ins Treffen geführt wird, dann muss ich sagen: Die Betriebe unter 20 Beschäftigten beweisen schon jetzt, dass die Personalplanung durchaus bewältigbar ist. Daraus ergibt sich, dass in Wirk-


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lichkeit eigentlich andere Argumente zählen, nämlich dass man vor der Wirtschaft kapi­tuliert und sich nicht getraut, wirklich den Familien Priorität zu geben.

Mit der Bindung an die dreijährige Betriebszugehörigkeit, zusammengefasst: mit dem Ausschließen aller Arbeitnehmer in Betrieben unter 20 Dienstnehmern, schließen Sie in Wirklichkeit 77 Prozent der Arbeitnehmer, der Väter und Mütter, von dem Anspruch aus. (Bundesrätin Gansterer: Das stimmt nicht!) Von einem Rechtsanspruch zu reden, ist daher nicht erlaubt! (Bundesrätin Gansterer: Man muss den Unterschied zwischen Betrieben und Mitarbeitern sehen! – Bundesrat Konecny: Das ist einer der wichtigsten Unterschiede!)

Warum ist dieser Schritt so halbherzig und bringt nicht die Lösung, die Sie erhoffen? – Meine Vorrednerin hat von der Korrektur der demographischen Entwicklung gespro­chen. Das heißt, man wünscht sich mehr Gebärfreudigkeit, man wünscht sich Familien mit mehr Kindern. Wir alle wünschen uns das, aber das würde einen herzhaften Schritt benötigen, einen herzhaften Schritt, der tatsächlich die Stimmung verändert und den potenziellen Müttern und Vätern signalisiert: Es gibt eine Priorität der Familie!

Reden wir über uns. Ich nehme an, die meisten unter uns, auch unter den Männern, die sich noch Reste an Sensibilität, Zugang zu eigenen Empfindungen, Wahrnehmung und Gefühlen bewahrt haben, können das eigentlich unglaubliche Glücksgefühl be­schreiben, den Reichtum, den es bedeutet, mit Kindern Zeit zu verbringen, Kinder her­anwachsen zu sehen, auch wenn es nur Stunden sind, in denen man die Spontaneität und die Entwicklung erlebt. Jeder von uns kann vermutlich auch über die wehmütigen Gefühle sprechen, wenn man zurück in den nüchternen, sachlich-rational dominierten Arbeitsalltag muss. Meistens sind es aber die Frauen, die auch die anderen Gefühle kennen, wenn sie entnervt vom wochenlangen alleinigen Betreuen von Kindern froh sind, wieder Abstand in der Arbeit zu bekommen.

Das heißt, die eigentliche Überforderung der Familien liegt in der Einseitigkeit der Be­lastung – meistens der Frauen – und in der Dauer der Belastung. Überforderte Eltern sind eine der Hauptursachen für die immer weiter steigende Scheidungsrate; mittler­weile sind wir bei 43,2 Prozent. Eine Untersuchung aus jüngster Zeit zeigt, dass 46,4 Prozent der Männer eigentlich eine aktive Väterrolle übernehmen möchten. 38 Prozent könnten sich auch vorstellen, in Karenz zu gehen und dafür ein Jahr lang die Karriere auf Eis zu legen. (Bundesrat Schennach: Aber?) Das könnten sie sich vorstellen. Aber ein deutscher Familienforscher sagt zum Beispiel: Unter diesen Rah­menbedingungen wäre eine Entscheidung einer Familie irrational, weil es die finanziel­len Möglichkeiten total einschränkt.

Die Wünsche der Väter sind durchaus zu verstehen, weil man das Glücksgefühl einer stärkeren Teilhabe am Innenleben der Familie kennt. Wir wissen aber gleichzeitig, dass Appelle nichts nützen, es müssen die Bedingungen verändert werden. Die Bedin­gungen zu verändern heißt: ein Recht und nicht eine Gnade auf Elternteilzeit! Andere Länder haben uns das vorgelebt – ich erwähne die skandinavischen –, es braucht das Papa-Jahr. Dazu gab es einen Antrag der SPÖ im Nationalrat, der niedergeschmettert wurde.

Sie verlagern die Verantwortung nach wie vor ins Private. Die Politik ist es aber, die die Bedingungen verändern muss. Wie gesagt, ein deutscher Familienforscher hat dieser Tage in einem Interview im „profil“ festgestellt, dass es die Kräfte der Kleinfamilie über­steigt, allein mit der Bewältigung der Kindererziehung zurechtzukommen. Auch wenn sie sich als Paar zu Beginn vornehmen, die Familienaufgaben gleichwertig zu verteilen, schlittern sie alle nach der Geburt des Kindes in die ungleiche Verteilung, und die Spi­rale beginnt.


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Wir wissen, Kinder sind auch Mädchen und Buben und brauchen das Rollenvorbild von Vater und Mutter. Wir wissen, es täte uns allen als Erwachsenen gut, für unsere eigene psychische Gesundheit mehr Zeit für Begegnungen mit Kindern zu haben. Dies wäre gut für die psychische Gesundheit der Gesellschaft. Die Geschäftswelt, die Wirtschaft erinnert sich zum Mutter- und Vatertag gelegentlich daran – allerdings unter anderen Erwartungen –, dass Familien aus zwei Elternteilen bestehen. Der Grund dafür ist wohl kaum der gleiche, nämlich dass die Zuwendung, die die Gesellschaft der Elternaufgabe widmen soll und worin sie sie unterstützen soll, eine andere sein müsste.

Familien brauchen Zuwendung, Unterstützung und eine konkrete Veränderung der Rahmenbedingungen. Wir könnten es uns leisten, denn wir leisten uns auch die Repa­raturkosten. Wir leisten uns auch die Folgekosten, die dabei entstehen, zum Beispiel einerseits durch eine Doppelbotschaft. Die von uns doch mehr oder weniger konserva­tiv-katholisch – das meine ich in diesem Fall nicht wertend – bestimmte idealisierende Familie mit Kind bringt die Menschen in eine Situation, die sie zwar wollen, in der sie aber ständig erleben und die Erfahrung machen, dass sie es allein nicht schaffen, wenn sie nicht im Verband einer Großfamilie sind, und scheitern.

Die Ergebnisse sind psychosomatische Erkrankungen bei Kindern und bei Eltern, ver­haltensgestörte Kinder, Burnout-Syndrom, erhöhter Medikamentenverbrauch, Zunah­me der Depressionen. Das sind die Folgekosten, die wir uns auch leisten. Das soll uns bewusst sein.

Zum Abschluss: Die konservative Ideologie – es möge sich angesprochen fühlen, wer will – hat das Familienideal permanent auf einer großen Fahne vor sich hergetragen. Aber mit dem eher kleinlichen Gesetzentwurf, mit dieser Regierungsvorlage reden Sie zwar wieder einmal vom Wert der Familie, in Wirklichkeit beweisen Sie jedoch, dass Ihnen die Familie wenig wert ist. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

15.31

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Konrad. – Bitte.

 


15.31

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Die Idee wäre ja gut. Die Idee ist auch nichts besonders Neues, sondern schon vor vielen Jahren und danach immer wieder diskutiert und angeregt worden. (Bundesrätin Gansterer: Aber warum ist sie damals nicht umgesetzt worden?) Die Frage ist, was jetzt umgesetzt wird. (Bundesrätin Gansterer: Damals nicht?) Ent­schuldigung, die Idee ist gut, nur wie sie umgesetzt wird, ist schon wieder so traurig, dass man sagt: Es tut eigentlich mehr weh, wenn man dabei zuschauen muss. (Wider­spruch bei der ÖVP.)

Es gibt daran vor allem zwei Probleme, die auch Kollegin Lichtenecker schon erwähnt hat: einerseits diese Frist, dass man drei Jahre in dem Betrieb beschäftigt sein muss, andererseits, dass eigentlich zwei Drittel der Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen einfach aus diesem Gesetz herausfallen.

Diese Dreijahresfrist ist besonders schwierig. Ich denke mir, wenn junge Menschen studieren, ihr Studium abschließen, dann eine Arbeit beginnen und eine Familie grün­den wollen, ist es nicht selbstverständlich, dass sie zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren in einem Betrieb beschäftigt sind. Der Arbeitsmarkt ist flexibel, der Arbeitsmarkt verlangt von den Menschen, flexibel zu sein. Berufe werden immer öfter gewechselt, die Ar­beitsstellen wechseln, die Realität hat sich geändert. Aber dieser Entwurf entspricht dem nicht. Die Dreijahresfrist ist eine große Hürde für sehr viele Menschen, die des­halb dieses Gesetz nicht in Anspruch nehmen können.


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Die andere Frage betrifft diese Grenze von 20 Beschäftigten pro Betrieb. Da ist die Argumentation der Regierungsparteien meiner Meinung nach doch ein wenig un­schlüssig. Einerseits sagt man, die Wirtschaft verkraftet das nicht, deshalb braucht es diese Grenze von 20 Beschäftigten. Andererseits hört man dann wieder: In kleinen Be­trieben macht man sich das ohnehin aus. Das widerspricht sich. Was trifft jetzt wirklich zu? – Wenn Sie sagen, die Wirtschaft verkraftet das nicht, dann sagen Sie es wenigs­tens laut, und behaupten Sie bitte nicht, dass Sie eine Vereinbarkeit schaffen, die ja so nicht geschaffen wird. In dieser Hinsicht ist dieses Gesetz nämlich nur Kosmetik. Wenn Sie der Meinung sind, dass die Wirtschaft vorgeht, dann geben Sie das zu, das ist eine legitime Meinung. Nur wird das wahrscheinlich nicht zu Ihrer Familienfreundlichkeit passen, die sich die ÖVP immer auf die Fahnen schreibt.

Dieses Gesetz ist wieder einmal einer von diesen vielen kleinen, feinen Mechanismen, die auch dazu führen, dass Frauen zu Hause gehalten werden. Dieses Gesetz trifft nämlich vor allem wieder Frauen. (Bundesrätin Gansterer: Der Ausdruck „zu Hause gehalten“ ist schlimm! – Ruf bei der ÖVP: Zu Hause bleiben!) Na ja, „zu Hause bleiben“ klingt so, als wäre es die absolut freie Entscheidung, ob ich einen Beruf oder eine Fa­milie haben möchte. (Bundesrätin Gansterer: ... keinen braucht!) Entschuldigung, den Vergleich haben jetzt Sie gebracht, den habe ich ganz sicher nicht gebracht. (Bundes­rätin Gansterer: Aber wenn Sie sagen, dass Frauen „gehalten werden“! Was bedeutet das, bitte?)

Das heißt, dass einfach die finanzielle Realität der ausschlaggebende Grund ist, war­um die Frau zu Hause bleibt. Das heißt, sie wird von Sachzwängen zu Hause gehalten, und sie hat nicht die freie Entscheidung, ob sie Karriere machen möchte oder ob sie bei der Familie bleibt. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Widerspruch bei der ÖVP.)

Es gibt in diesem Gesetz zum Beispiel eine Passage, die es dem Dienstgeber erlaubt, aus betriebsorganisatorischen Gründen die Teilzeit zu verweigern, auch wenn man einen Anspruch darauf hätte. Das kommt vor allem Betrieben mit Filialen zugute. Zum Beispiel der Handel ist wahrscheinlich einer der Hauptprofiteure dieser Regelung. Im Handel sind zu 70 Prozent Frauen beschäftigt.

Wo, frage ich mich, sind eigentlich die Maßnahmen, damit Männer in Teilzeit gehen? – Wenn Sie sagen, es geht um Vereinbarkeit, dann müsste man doch irgendwelche Re­gelungen finden, die dazu führen, dass Männer verstärkt die Teilzeit annehmen. Es sind ja schon jetzt sehr viele Frauen in Teilzeit, also das Problem, dass Frauen Teil­zeitbeschäftigungen nicht annehmen würden, kann es nicht sein. Wenn Sie von Ver­einbarkeit und von Familienfreundlichkeit reden, müsste es darum gehen, auch Männer in die Teilzeitbeschäftigungen zu bringen und dazu anzuregen, dass auch sie mehr am Leben der Familie teilnehmen.

Diese Maßnahmen, um Männer aufzufordern, fehlen mir einfach. Zum Beispiel die Re­gelung, dass man Teilzeit dann nicht in Anspruch nehmen kann, wenn der Partner oder die Partnerin in Karenz ist: Es sind eben meistens die Frauen in Karenz, und das ist eine Realität, die zum Beispiel vom Einkommen des Mannes und der Frau abhängt. Das haben wir an dieser Stelle schon oft genug diskutiert, dass es da einen gewaltigen Unterschied gibt und dass die Realität einfach so ausschaut: Wenn man es sich durch­rechnet, wird der Mann arbeiten gehen und die Frau in Karenz gehen, und wenn die Frau in Karenz geht, kann der Mann auch diese Teilzeit nicht in Anspruch nehmen. Wenn Sie sagen, das ist familienfreundlich – eine Verbesserung ist es jedenfalls nicht! Man braucht in diesem Falle keine Gender-Mainstreaming-Expertinnen oder -Experten, um festzustellen, dass dies wieder einmal die Lebensrealität von Frauen nicht berück­sichtigt und dass mehr Frauen als Männer nicht von diesem Gesetz werden profitieren können.


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Zu diesem anderen Argument, das wir auch vorhin gehört haben, dass man sich das in kleinen Betrieben sowieso ausmachen kann: In der Realität ist es ja schon so, dass kleine Betriebe einen viel höheren Anteil an Teilzeitbeschäftigungen haben. Das heißt, es ist möglich, in kleinen Betrieben ist die Teilzeitbeschäftigung zu haben. Wenn man es sich also sowieso ausmachen kann, was spricht denn dann gegen einen Rechtsan­spruch? – Das war jetzt eigentlich eine rhetorische Frage.

„Rechtsanspruch“ ist nämlich meiner Meinung nach in diesem Gesetz generell zu viel gesagt. Den gibt es eigentlich nicht einmal für die Personen, die nicht schon sowieso vom Gesetz ausgeschlossen sind. Im besten Falle sieht es nämlich so aus, dass der Rechtsanspruch für zwei Drittel der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer von Anfang an sowieso schon nicht gilt und nicht existiert, und bei dem Drittel, das ihn noch hätte, kann der Dienstgeber im Zweifelsfall sagen: Aus betriebsorganisatorischen Gründen verweigere ich die Teilzeit. – Wenn Sie das als Rechtsanspruch bezeichnen, sind wir verschiedener Meinung.

Dieses Gesetz ist wie viele andere von dieser Regierung als Meilenstein bezeichnet worden. Meilenstein ist es keiner, schon gar kein familienpolitischer, vielleicht eher ein Mosaiksteinchen, nämlich ein weiteres Mosaiksteinchen in einer Frauenpolitik, die vom klassischen Modell des Familienerhalters Vater und der Kinder versorgenden Mutter ausgeht, und ein weiteres Mosaiksteinchen einer Frauenpolitik, die, anstatt eine Ver­einbarkeit von Beruf und Familie zu fördern, bestenfalls aus Alibiaktionen besteht. Wenn wir schon von Steinen reden, es ist auch ein Stolperstein im Leben von vielen jungen Menschen, vor allem jungen Menschen, die ihre Lebensrealität und ihre Le­bensplanung immer mehr sozialen und finanziellen Zwängen unterordnen müssen.

Wenn wir schon davon reden, dass wir mehr Kinder brauchen und dass Kinder so toll für das Land sind – ja, da haben Sie Recht. Aber dann muss man auch die Vorausset­zungen schaffen. Es genügt nicht, sich mehr Kinder zu wünschen, sondern dann muss man sich die Lebensrealität von Familien anschauen und sich überlegen, was sie wirk­lich brauchen, damit das Familienleben besser funktioniert und damit es auch mehr Kinder geben wird. (Beifall bei den Grünen.)

15.38

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Gansterer. – Bitte.

 


15.38

Bundesrätin Michaela Gansterer (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich hier mehrmals angesprochen gefüllt und musste mich spontan zu Wort melden.

Ich möchte einmal vorausschicken, dass ich natürlich die Klein- und Mittelbetriebe ver­trete, dass ich aber jedes familienfreundliche Gesetz, das wir beschließen, absolut be­grüße. Ich spreche eben nicht nur als Unternehmerin, sondern auch als Mutter von drei Kindern. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.) Aber die Pro­bleme, die sich in den Klein- und Mittelbetrieben ergeben, sind einfach anders als in großen Betrieben. (Bundesrat Gruber: Die können es sich ja richten! – Weitere Zwi­schenrufe bei der SPÖ.)

Da könnte es jetzt passieren, dass ich meine Redezeit erstmals überschreite, weil es dazu so viel zu sagen gibt. Ich werde versuchen, mich auf das Wesentliche zu be­schränken. Es ist in einem kleinen Betrieb einfach anders als in einem großen Betrieb. Es wurde hier schon öfters erwähnt, dass man sich viel mehr absprechen kann.

Da funktioniert es einfach mehr über die Kommunikation als über das Gesetz. Das praktiziere ich selbst auch so. Auch in unserem Betrieb gibt es viele Teilzeitangestellte.


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Was für mich gilt, muss aber noch lange nicht in jeder Branche möglich sein. (Bundes­rat Schennach: Genau!) Daher ist das Problem eines solchen Gesetzes auch, dass man viele junge Unternehmer verunsichert, die es sich dann einfach nicht mehr zu­trauen, ein Unternehmen zu gründen.

Frau Kollegin Konrad! – Ich möchte gar nicht übermäßig lange sprechen. Sie sagen zum Beispiel, mehr Männer bleiben berufstätig und gehen auf Grund der Einkommens­situation nicht in Karenz. Das ist leider teilweise noch richtig, und ich werde auch im­mer und egal wo dafür eintreten, dass da gleiche Einkommensverhältnisse geschaffen werden. Das ist überhaupt kein Thema: gleiche Qualifikation, gleiche Bezahlung! – Das ist für mich ganz klar. (Beifall bei den Grünen.)

Bei mir – in der Privatwirtschaft – ist das aber auch absolut der Fall. Ich unterscheide nicht zwischen einer Köchin und einem Koch oder einem Kellner und einer Kellnerin. Da gibt es keinen Unterschied, und dafür trete ich ein. Daher hoffe ich, dass das immer besser wird.

Zum Schluss die Frage – und damit bin ich eigentlich schon fertig –: Was brauchen wir oder was fehlt uns, um mehr Kinder zu bekommen? – Vielleicht die Liebe zu den Kin­dern! – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

15.41

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Schlaffer. – Bitte.

 


15.41

Bundesrätin Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen – heute im Besonderen jene von ÖVP und FPÖ! Gestatten Sie mir einen weiter hergeholten Beginn meiner Rede.

In wenigen Wochen beginnt die Urlaubszeit. Sollten Sie über Ihr Urlaubsziel noch un­schlüssig sein, nehmen Sie meine Empfehlung an. (Bundesrat Schennach: Burgen­land!) – Das Burgenland wäre auch ein guter Tipp, aber besuchen Sie Schweden und Finnland. (Bundesrat Schennach: Zu teuer!) Genießen Sie die schönen Landschaften, nehmen Sie sich aber auch die Zeit, sich über die in diesen Ländern gegebene zeitge­mäße und effiziente Familienpolitik zu informieren.

Sie würden dann vielleicht verstehen, warum vor allem Schweden zum Beispiel bei einer um vieles höheren Quote von berufstätigen Müttern gleichzeitig eine wesentlich höhere Geburtenrate als Österreich aufweist. Sie würden aber auch erfahren, dass trotz eines sowohl quantitativ als auch qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsange­botes sowie eines nicht bloßen Scheinrechts auf Teilzeitbeschäftigung, trotz des so genannten „Papa-Monats“ und einer gegenüber Österreich um das Zehnfache höheren Inanspruchnahme einer Väterkarenzzeit und vielem mehr die Wirtschaft noch immer nicht zusammengebrochen ist. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Persönlich hat mich in Finnland besonders beeindruckt, welch hohen Stellenwert Kin­der und Familien mit Kindern genießen. Ich weiß nicht, ob Sie es selbst schon erlebt haben: Wenn Sie bei einem Inlandsflug einchecken, werden Sie verwundert feststellen, dass zuerst die Familien mit Kindern zum Einsteigen aufgefordert werden. Es ist dort selbstverständlich, dass diesen die besten Plätze im Flugzeug – sprich die Plätze in der ersten Reihe – zugewiesen werden. (Bundesrätin Gansterer: Das ist aber nicht Gesetz!) – Nein, aber es ist ein Ausdruck dessen, wie die Gesellschaft in diesen Län­dern mit Familien umgeht, und dass die Gesellschaft in diesen Ländern so familien­freundlich ist, ist auch eine Folge der familienfreundlichen Politik, die dort vorherrscht. (Bundesrätin Roth-Halvax: In welchem Alter gehen die Schweden in Pension? Das müssen Sie auch dazusagen!)


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Sie würden bei einer Studienreise in den Norden Europas aber vermutlich auch eine Antwort auf viele in Österreich bestehende Probleme bekommen und vielleicht auch Mut für umfangreichere familienpolitische Maßnahmen fassen können. Wir könnten dann über Gesetzesvorlagen diskutieren, die wirkliche Verbesserungen bringen, und müssten nicht die Frage aufwerfen, wie wir bei so kleinen Schritten jemals das Ziel einer effizienten Familienpolitik erreichen sollen.

Wir haben von den Kolleginnen Diesner-Wais und Gansterer schon gehört, warum Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten vor unlösbaren Problemen des Personalein­satzes stünden, wenn auch dort ein Recht auf Teilzeit eingeführt würde. Ich kann dem nur entgegenhalten, dass es gerade – und da spreche ich wirklich alle Politikerinnen in diesem Raum an – an uns Politikerinnen liegen muss, nicht nur von Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reden, sondern gerade dort, wo wir selbst die Möglichkeiten haben, auch mit gutem Beispiel voranzugehen.

Ich selbst bin Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde. Wir haben derzeit sieben weib­liche und einen männlichen Gemeindebediensteten (Bundesrätin Roth-Halvax: Das ist der Amtsleiter!), also ein ganz kleines Gemeindeamt, wie vielleicht bei Ihnen auch. (Bundesrätin Roth-Halvax: Ist das der Amtsleiter?) – Hören Sie zu! Im Bereich der Verwaltung arbeiteten bis Anfang des Jahres zwei Frauen. Eine davon – die Leiterin des Gemeindeamtes – hat im Februar dieses Jahres nicht einmal fünf Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder zu arbeiten begonnen, und zwar nicht nur Teilzeit, sonder auch mit flexibler Arbeitszeit. Sie würden staunen, kämen Sie zu mir aufs Ge­meindeamt: Sie würden ein Büro vorfinden, in dem ein Kinderbett steht!

Nicht sie hat mich darum ersucht, sondern ich habe ihr angeboten, dass sie ihr Kind speziell dann, wenn sie keine andere Betreuungsmöglichkeit hat, mitnehmen kann. Sie werden es nicht glauben: Mutter und Kind fühlen sich wohl, und ich verfüge über eine überaus motivierte Mitarbeiterin.

Für die Zeit dieser Teilzeitbeschäftigung habe ich zusätzlich bewusst ebenfalls die Mut­ter eines Kleinkindes beschäftigt. Beide stimmen ihre Arbeitszeit aufeinander ab, und es gibt keine Probleme. Nicht unerwähnt möchte ich den angenehmen Nebeneffekt lassen, dass es zudem zwei zufriedene Väter gibt, die in ihrer Freizeit immer wieder unentgeltliche Arbeit für die Gemeinde verrichten, wie zuletzt zum Beispiel beim Bau eines Kinderspielplatzes.

Ich wollte mit diesem Beispiel – entschuldigen Sie noch einmal, dass ich auch ein we­nig persönlich und in eigener Sache so ausführlich darüber gesprochen habe – einfach auch zeigen, dass wir SozialdemokratInnen nicht utopische Forderungen aufstellen, sondern den Mut und vor allem den Willen zur Umsetzung nicht nur einfordern, son­dern auch haben und dass wir selbst auch innovative Ideen umsetzen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben.

Um künftig zumindest einem kleinen Teil betroffener Eltern eine Verbesserung ihrer Situation zu ermöglichen, wird meine Fraktion dieser Gesetzesnovelle, wie bereits be­kannt gegeben, zustimmen.

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist heute auf Grund meines Wechsels in den burgenländischen Landtag die Zeit gekommen, Abschied vom Bundesrat zu nehmen. – Ob es ein Abschied für immer sein wird, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass ich gerne Mitglied des Bundesrates war und die Zeit, die ich hier verbringen durfte, für mich wichtig und auch lehrreich war.

Ich danke Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit. Ich danke aber auch meinen Frak­tionskolleginnen und -kollegen für die Unterstützung sowie für das Gefühl der Akzep­tanz und des Wohlbefindens, das ich in all der Zeit empfinden durfte.


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Mehr als drei Jahre Mitgliedschaft im Bundesrat haben mir aber gezeigt, dass es vor allem an uns selbst gelegen ist, die Bedeutung des Bundesrates außerhalb dieser Mauern aufrechtzuerhalten beziehungsweise an ihr festzuhalten und sie auch zu ver­treten.

Aussagen wie, die besten Leute schicke man in die Landtage, die weniger guten in den Nationalrat und die völlig überflüssigen in den Bundesrat, schmerzen, und ich meine, dass diesen entschieden entgegenzutreten ist. (Bundesminister Dr. Bartenstein: Sol­che Leute sind nicht ernst zu nehmen! – Bundesrat Konecny: Hirschmann!) – Wen es interessiert: Hirschmann heißt der Herr, der das gesagt hat – den Steirern sehr wohl bekannt.

Ich wollte das absichtlich ohne Namensnennung erwähnen. Für mich ist das auch nicht der Zeitpunkt, persönliche Attacken oder Angriffe zu reiten, sondern es ist einfach auch ein Appell an Sie alle, die Sie hier sitzen, und vielleicht auch an die, die noch kommen, wirklich alles dazu beizutragen, dass der Ruf des Bundesrates nicht bleibenden Scha­den nimmt. Es fördert meiner Meinung nach den Bundesrat in seiner Außenwirkung auch nicht wirklich, wenn von Bundesräten Aussagen wie, ich weiß nicht, was ich im Bundesrat mache, in Medien zitiert werden. (Bundesrat Dr. Böhm: Wer sagt das?)

Ich selbst kann Ihnen versprechen, dass ich mich so wie bisher auch zukünftig für den Weiterbestand und guten Ruf des Bundesrates einsetzen werde.

Im burgenländischen Landtag warten neue Aufgaben auf mich. Ich hoffe – ja, ich glau­be –, dass mir bei deren Bewältigung die im Bundesrat gesammelten Erfahrungen hel­fen werden.

Bevor ich mich verabschiede, möchte ich ein, wie ich glaube, in der Geschichte dieses Hauses erstmaliges und hoffentlich nicht letztmaliges Ereignis festhalten: Wenn auch nur für eine Sitzung – aber immerhin! – wird heute erstmals ein Bundesland im Bun­desrat ausschließlich von Frauen vertreten. Ich danke dem Burgenland, dass es das zustande gebracht hat. Es sind Kollegin Fraunschiel, Kollegin Auer und ich. Das Bur­genland hat nur drei Sitze, aber immerhin: Ich glaube, das ist eine großartige Leistung! (Allgemeiner Beifall.)

Ich möchte von dieser Stelle aus Kollegin Fraunschiel nochmals alles Gute und eine schöne und für sie persönlich zufrieden stellende Zeit im Bundesrat wünschen. Ihnen allen darf ich für die weitere Zukunft alles Gute, vor allem Erfolg und Zufriedenheit wünschen. Sollte es sich so ergeben, dass ich nach der nächstjährigen Landtagswahl im Burgenland wieder in den Bundesrat entsendet werde, wird mich dies mit Freude und nicht mit Gram erfüllen. – Nochmals danke und alles Gute! (Allgemeiner Beifall.)

15.52

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Verehrte, liebe Kollegin Schlaffer! Ich möchte es natürlich nicht verabsäumen, auch von dieser Stelle aus ein ganz herzliches Danke für fast vier Jahre Arbeit im Bundesrat zu sagen.

Wir alle wissen, Kollegin Schlaffer war immer eine engagierte Rednerin zu sehr vielen Tagesordnungspunkten. Zu den verschiedensten Bereichen hat sie auch in den Aus­schüssen ihren Beitrag geleistet. Sie war aber auch eine Kollegin, die nicht nur klar ihre Meinung gesagt hat, sondern die auch immer bereit war, den anderen die Hand zu reichen. Liebe Kollegin Schlaffer, vielen herzlichen Dank für – ich darf das Du-Wort verwenden – deine Arbeit hier im Hause und alles erdenklich Gute in der neuen Tätig­keit von uns allen! (Allgemeiner Beifall.)

 


Frau Staatssekretärin, ich darf Sie bitten, das Wort zu nehmen.


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15.53

Staatssekretärin im Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Ursula Haubner: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren des Hohen Bundesrates! Ich darf mich den guten Wünschen an Kollegin Schlaffer für eine neue politische Periode anschlie­ßen. Ich weiß, wie schwer einem letztendlich der Abschied aus dem Bundesrat fällt, denn auch ich war zwei Jahre lang Bundesrätin und habe das Amt mit großem Selbst­bewusstsein getragen. Ich muss sagen, ich habe für meine politische Arbeit sehr viel im Bundesrat gelernt und möchte diese Zeit wirklich nicht missen. Ich denke, Ihrem Redebeitrag war zu entnehmen, dass Sie es auch so sehen. Ich wünsche Ihnen auch alles Gute! (Allgemeiner Beifall. – Bundesrätin Schlaffer: Danke!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heutige Beschluss ist, glaube ich, trotz allem, auch wenn nicht alle mitstimmen, von einem großen Konsens getragen. Einer­seits haben alle bisherigen Rednerinnen und Redner gesagt, dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Zu klein!) – Dass manche mit der Größe des Schrittes nicht zufrieden sind, darüber lässt sich diskutieren (Bundesrätin Konrad: Das ist eine Tatsache!), aber der Weg stimmt.

Andererseits ist aus den Redebeiträgen auch hervorgegangen, wie wichtig uns allen Familien und entsprechende Rahmenbedingungen für Familien und für Kinder sind, damit wir eine kindergerechte und familienfreundliche Gesellschaft erreichen.

Es hat mir auch sehr gut gefallen, was Sie, Herr Kollege Gumplmaier, über die Väter gesagt haben, die mindestens genauso wichtig sind wie die Mütter und die ihren Kin­dern so viel Liebe und Sensibilität entgegenbringen können. Es ist richtig, dass wir den Vätern mehr Chancen geben müssen, die erste Zeit auch wahrnehmen zu können.

Im Familienprogramm dieser Bundesregierung haben wir den Vätern eine ganz große Bedeutung beigemessen, denn Kinder brauchen einfach Väter, und wir müssen die Möglichkeiten der Väter verbessern.

Ein erster Schritt ist sicher das Kinderbetreuungsgeld, das wir für sechs Monate für den zweiten Elternteil vorgesehen haben. Die Väter haben so die Möglichkeit, für sechs Monate diese Aufgaben wahrzunehmen, wobei sie auch zwei Mal wechseln können – zwei Mal drei Monate oder vielleicht auch öfter, aber mindestens zwei Mal muss ge­wechselt werden.

Ich denke, das ist ein wesentlicher Aspekt. Wenn immer gesagt wird, das ist alles zu wenig und das passt alles nicht, dann möchte ich schon darauf hinweisen, dass die letzten 10, 15 und 20 Jahre nicht so viel für Familien getan wurde wie jetzt seit dem Jahr 2000 – unabhängig von den finanziellen Leistungen, die durch das Kinderbetreu­ungsgeld wesentlich ausgeweitet wurden.

Schon die erste große Steuerreformmaßnahme hat die Familien entsprechend entlas­tet. Dazu kommt das Recht auf Elternteilzeit, das heute beschlossen werden soll und das auch zeigt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Herzstück dieser Fa­milienpolitik ist. Ich bitte also darum, die Kirche im Dorf zu lassen.

Mir gefallen die Beispiele aus den nordischen Ländern schon. Ich bin zwar nicht auf Urlaub, aber im Rahmen einer Reise in Frankreich gewesen, an der auch einige Mit­glieder der parlamentarischen Ausschüsse beziehungsweise auch der Familienorgani­sationen teilgenommen haben, und wir haben uns die Situation in Frankreich ange­schaut. Dabei haben wir auch für uns sehr viel mitgenommen.

Eines muss man aber schon sagen: Die Familienpolitik, die dort und auch in den nordi­schen Ländern gemacht wird, ist nicht von heute auf morgen entstanden. Das ist alles nicht innerhalb von vier Jahren geschehen, sondern Jahrzehnte hindurch sind diese


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Maßnahmen Schritt für Schritt gesetzt worden. Ich glaube, wir sind in Österreich eben­falls auf einem richtigen Weg dahin. Man kann nicht innerhalb kurzer Zeit all das nach­holen, was – wenn Sie mir erlauben – in der Vergangenheit verabsäumt wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Das heute behandelte Gesetz über das Recht auf Teilzeit ist auf jeden Fall eine we­sentliche Verbesserung dessen, was wir bisher hatten. Ich darf vielleicht nur noch einmal in Erinnerung rufen: Bisher gab es Elternteilzeit bis zum vierten Lebensjahr des Kindes, und sie war nur ohne Karenz möglich. Wenn die Eltern die Karenz in Anspruch genommen haben, haben sich diese vier Jahre noch einmal verkürzt. Jetzt haben wir diese Karenzzeit mit eingebunden, und zwar unabhängig von der Teilzeit – ein wesent­licher Schritt.

Wir haben erreicht, dass beide Elternteile gleichzeitig das Recht auf Teilzeit in An­spruch nehmen können, und wir haben in gemeinsamen Verhandlungen mit der Politik und Wirtschaft erreicht, dass Teilzeit nicht prozentuell gemessen wird, sondern dass es auch unter diese Regelung fällt, wenn sich die „Lage“ der Arbeitszeit verändert. Dabei kann die Arbeitszeit insgesamt unter Umständen 90 Prozent oder sogar 100 Prozent der früheren Arbeitszeit betragen.

Wir haben weiters erreicht, dass die Rückkehr für Mütter und Väter auf die ursprüngli­che Arbeitszeit möglich ist.

Ich denke, das sind praktische Lösungsansätze, denn, meine Damen und Herren, was nützt das beste Gesetz, wenn es in der Praxis nicht exekutiert wird? Wir können nicht immer den Ball von der Familie zur Wirtschaft oder den Unternehmern spielen und die Interessen gegeneinander stellen. Wir brauchen die Unternehmen und die Wirtschaft als Partner, dann kann es funktionieren.

Dass es funktioniert, zeigt sich ja auch bei unserer familienpolitischen Maßnahme, dem „Audit Familie und Beruf“, wo Kleinstbetriebe bis zu großen Industrieunternehmen frei­willige Vereinbarungen schaffen und freiwillige Maßnahmen mit ihren Mitarbeitern set­zen und beide Teile – sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter – zu den Gewinnern gehören.

Meine Damen und Herren! Das muss der richtige Weg sein, und die Elternteilzeit, so wie sie jetzt vorliegt, ist ein richtiger Baustein – oder Mosaikstein, wie immer Sie es nennen wollen – in der familienfreundlichen Arbeitswelt.

Kollegin Lichtenecker hat gesagt: „Es ist nicht aller Tage Abend.“ – Da gebe ich Ihnen Recht, denn es wäre schrecklich in der Politik, wenn man alles abhaken und sagen würde: Das ist erledigt, und da denken wir nicht mehr weiter! Wir haben weitergedacht, und wir werden weiterdenken, denn wir werden gerade dieses Recht auf Elternteilzeit wissenschaftlich begleiten, nach zwei Jahren die Ergebnisse der Evaluierung vorlegen und dann feststellen können: Was hat es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gebracht? Was hat es den Unternehmen gebracht? Müssen wir noch etwas nachbes­sern, optimieren? Oder was immer auch dann das Ergebnis sein wird. Wir werden es also aufmerksam begleiten, wir werden es uns anschauen, und zwar auch, was die Anreize anbelangt. Es sind ja Anreize für kleine Betriebe enthalten, verschiedene För­dermöglichkeiten. Auch auf diesem Gebiet haben wir die richtigen Weichen gestellt.

Daher, meine Damen und Herren, danke ich jenen, die heute diesem Gesetz ihre Zu­stimmung geben, weil wir damit in der Familienpolitik zeigen, dass uns Familie nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern dass wir alle wissen, dass Familie mit der Be­rufswelt zu vereinbaren eine unabdingbare Forderung ist. Aber eines muss ich schon auch sagen: Es muss letztendlich die Entscheidung der Eltern, der Mütter bleiben, ob sie beides miteinander vereinbaren oder für einige Zeit zu Hause bleiben wollen. Damit


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sie das wirklich entscheiden können, dafür hat die Politik die Rahmenbedingungen zu schaffen, aber die Verantwortung hat jeder Einzelne, hat jede einzelne Mutter, jeder einzelne Vater. Die Angebote müssen jedoch vorhanden sein, damit Wahlfreiheit ge­währleistet ist. Elternteilzeit ist ein derartiges Modell. Daher sage ich danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

16.02

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke, Frau Staatssekretärin.

Ich habe mit zwei Fraktionsvorsitzenden, mit Kollegen Bieringer und Kollegen Koneny, darüber gesprochen, dass wir die Abstimmung über diesen Tagesordnungspunkt noch durchführen, obwohl ich im Prinzip um 16.00 Uhr die Dringliche hätte aufrufen müssen.

Wir kommen daher jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt Mutter­schutzgesetz, Väter-Karenzgesetz.

Ich ersuche jetzt jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrats keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit ange­nommen.

Ich unterbreche jetzt die Verhandlungen zur Tagesordnung. Nach der Behandlung der Dringlichen Anfrage gelangen wir dann zum Tagesordnungspunkt 13.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesmi­nister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft betreffend 65. Störfall in Temelίn und unzureichende Information der österreichischen Be­völkerung darüber (2206/J-BR/2004)

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zur Behandlung der Dringlichen Anfrage 2206/J-BR/2004.

Diese ist inzwischen allen Bundesräten zugegangen. Es erübrigt sich daher deren Ver­lesung durch die Schriftführung.

Ich erteile jetzt Herrn Bundesrat Professor Konecny als erstem Anfragesteller zur Be­gründung der Dringlichen Anfrage das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


16.03

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Meine Herren Bun­desminister! Meine Damen und Herren! Es hat am Sonntag im Kernkraftwerk Temelín den 65. Störfall gegeben. Es hat in den späten Nachmittagstunden des Montag eine Information durch den Herrn Bundesminister an die österreichische Öffentlichkeit ge­geben, nachdem es davor eine sozusagen inoffizielle Information durch den AKW-Beauftragten des Landes Oberösterreich gegeben hat. Dieser Sachverhalt, aber natur­gemäß auch die gesamte Thematik der österreichischen Atompolitik ist Gegenstand dieser Dringlichen Anfrage.

Lassen Sie mich vorweg Folgendes feststellen: Ich gehe hoffentlich zu Recht davon aus, dass es zwischen den politischen Parteien unseres Landes einen Konsens dar­über gibt, dass wir nicht nur für uns selbst, für unser eigenes Land – nicht ohne Schmerzen, wie man im historischen Rückblick sagen kann – zu der Überzeugung gekommen sind, dass Kernkraft kein Erfolg versprechender und sicherer Weg der Energieversorgung ist, und wir stützen uns mit dieser Meinung auf einen breiten Kon­sens in der Bevölkerung.


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Wir haben eine zweite Grundtatsache zu berücksichtigen, nämlich: Dieser Konsens in Österreich ist kein Konsens in Europa, nicht zwischen den Regierungen, aber auch nicht zwischen den Völkern, auch wenn es summa summarum zumindest eine große Gruppe der Bevölkerung der Europäischen Union gibt – über Mehrheiten will ich nicht spekulieren –, die dieser in Österreich vorherrschenden Auffassung sind.

In dieser besonderen Situation, in der letztlich ein Staat der Union mit einer breiten Unterstützung der Bevölkerung eine bestimmte Politik zu betreiben versucht, ist Ko­operation, Überzeugungsarbeit, Nutzung rechtlicher Möglichkeiten und viel Fingerspit­zengefühl angebracht. Das ist uns durchaus bewusst!

Ich möchte daher ausdrücklich sagen, dass weder in der Debatte dieser Dringlichen Anfrage noch in irgendeinem anderen Forum diese Debatte in die Richtung entgleisen soll, dass es nun einmal mehr zu einer Frontstellung gegen die Tschechische Republik kommt und dass in einfachster – um nicht zu sagen: in primitivster – Art und Weise Attacken geritten werden. Die Konfrontation zwischen diesen beiden Ländern und zwi­schen jeder anderen möglichen Gruppierung bringt mit Sicherheit nicht das von uns gewünschte Ziel.

Diese Notwendigkeit und diese Bereitschaft, mit Fingerspitzengefühl und auch mit Ver­ständnis für die andere Seite vorzugehen, können jedoch nicht bedeuten, dass wir im Grundsatz von unserer Meinung abweichen. Ich darf in Klammern dazusetzen, dass ich sehr, sehr glücklich war – und ich nehme an, das kann ich für meine ganze Fraktion sagen –, als an einem bestimmten Punkt in der Auseinandersetzung um Temelín die sehr demonstrativen, sehr überzogenen und des Fingerspitzengefühls absolut entbeh­renden Aktionen an der tschechischen Grenze vernünftigerweise eingestellt worden sind. Aber es ist klar – und Sie verzeihen mir diese kleine Abzweigung –, dass wir es selbstverständlich nicht hinnehmen können, wenn ein anderes Mitgliedsland der Euro­päischen Union, und sei es auch nur beim lauten Nachdenken eines Ministers, über­nommene Verpflichtungen aus dem Beitrittsvertrag – ich meine die Slowakei – in Frage stellt. Da haben wir einen Rechtsstandpunkt erreicht, an dem wir um jeden Preis und mit aller Entschiedenheit festzuhalten haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

In dieser verhältnismäßig günstigen Situation sind wir gegenüber der Tschechischen Republik nicht. Nicht nur wir, sondern viele haben seinerzeit davor gewarnt, das „Mel­ker Abkommen“, das uns in Wirklichkeit der Mitbestimmung beraubte und auf die Rolle eines Informierten zurückschraubte, als Lösung zu akzeptieren. Auch der konkrete Störfall und auch die konkrete Informationspolitik der tschechischen Seite haben ge­zeigt, dass dieses Abkommen vage und für die österreichische Seite eindeutig nicht ausreichend ist. Ich gebe zu, dass das eine im Wesentlichen historisierende Feststel­lung ist, denn dieses Abkommen ist unterzeichnet, aber es ist unter der Kritik großer Teile der fachlichen und politischen Öffentlichkeit Österreichs unterzeichnet worden.

Ich bin nicht der Auffassung, dass für einen Störfall dieser Größenordnung, der immer­hin zum Austritt von hoch radioaktivem Wasser aus dem Primärkreislauf führte und nach den bisher vorliegenden Berichten zwei Räume des AKW Temelín kontaminierte, wirklich eine 72-stündige Frist bis zu einer Information von tschechischer Seite aus­reicht. Was die „Melker Vereinbarung“ anlangt, hat die tschechische Seite korrekt ge­handelt – überkorrekt, kann man ruhig sagen; 25 Stunden waren es meines Wissens; stimmt das, Herr Minister, wenn ich Sie außer der Reihe fragen darf? (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Ich werde es dann beantworten! Zirka 24 Stunden!) okay, gut –, also es wurde die vertragliche Vorgabe weit unterschritten. Das ist auch ein Beweis dafür, wie großzügig – nicht für Österreich! – die Bestimmungen dieser Vereinbarung festge­legt sind.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 116

Wenn Austritte aus dem Primärbereich einer 72-stündigen Meldefrist unterliegen und die 24-stündige Meldefrist – auch nicht wirklich gerade die Expresslösung – für schwerste Vorfälle reserviert ist, dann handelt es sich um ein aus österreichischer Sicht absolut unzureichendes und sogar gefährdendes Übereinkommen. Auch wenn wir in diesem Fall auf die Bereitschaft und damit auf den guten Willen der Tschechischen Republik angewiesen sind, ist es sicherlich notwendig, auf dieses Thema zurückzu­kommen.

Herr Bundesminister! Ich habe nicht die Absicht, die Fragen vorzulesen. Wir werden nach Beantwortung durch Sie die Gelegenheit haben, darüber weiter zu diskutieren, aber es ist schon klar, dass dann weitere Stunden vergangen sind. Ich halte es für problematisch, das damit zu begründen – Sie haben es getan –, dass Sie keine Panik in der Bevölkerung auslösen wollten. Paniken entstehen selten durch sachgerechte, konkrete Informationen. Wenn sie entstehen, dann ist der Auslöser dafür Nichtwissen, das Ahnen und das Gerücht. Einem Gerücht und einer Verunsicherung der Bevölke­rung kann man am besten durch frühestmögliche autoritative, korrekte und konkrete Information entgegentreten.

Ich bin nicht der Meinung, dass das in diesem Fall geschehen ist, und ich bitte – auch das ist ein Bezug auf eine Frage –, Ihre Beweggründe detaillierter darzustellen. Wenn der zuständige Minister – und ich bewege mich im Rahmen dessen, was bisher be­kannt ist – gestützt auf die Tatsache, dass die österreichischen Meldestellen keine er­höhten Werte auswiesen, das der österreichischen Bevölkerung zum ehestmöglichen Zeitpunkt mitgeteilt hätte, dann wüsste ich nicht, wodurch da eine Panik hätte ausge­löst werden sollen. Wenn in Medien und in Form von Gerüchten im lokalen Bereich von einem Störfall in Temelín die Rede ist und es keine Stellungnahme des zuständigen Ministers gibt, dann ist das wesentlich verunsichernder! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Aber es ist schon klar – und ich habe es einleitend gesagt –: Dieser Störfall ist für uns darüber hinaus auch ein nicht willkommener, aber notwendiger Anlass, um einmal mehr über die Erfolgsaussichten der Atompolitik, wie sie von Österreich derzeit betrie­ben wird, zu sprechen.

Ich mache Sie schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir zu einem ganz konkreten und sehr bedeutsamen Aspekt dieser Antiatompolitik einen Entschließungsantrag einbrin­gen werden, um dessen Unterstützung wir Sie ausdrücklich ersuchen.

Es ist nicht zu übersehen, dass – und hier mache ich keine parteipolitischen Unter­schiede – es im Konvent und nachfolgend im Europäischen Parlament zu einem für eine Anti-AKW-Politik bedeutsamen Fortschritt gekommen ist, indem eben der EURATOM-Vertrag bei der Vereinheitlichung der Vertragswerke der Union nicht in den einheitlichen Vertrag aufgenommen, sondern abgespalten wurde. Das ändert zunächst einmal noch nichts – Mitgliedskreise et cetera verändern sich dadurch nicht –, aber es schafft die Möglichkeit, in zwei europäischen Rechtsbereichen unterschiedlich vorzu­gehen. Der EURATOM-Vertrag wird, wenn das hoffentlich alles beschlossen sein wird, nicht mehr Bestandteil des Gesamtvertragswerks der künftigen europäischen Verfas­sung sein, sondern ein eigenständiges Vertragswerk, das daher naturgemäß auch die Möglichkeit in sich birgt, eine eigenständige und daher aus unserer Sicht weniger um­fassende Entwicklung zu nehmen.

Damit aber dort etwas in Gang kommen kann, ist es notwendig, dass die durchaus mögliche Revisionskonferenz der EURATOM-Signatarstaaten stattfindet. Es ist keine Wahlkampfpolemik, obwohl einem das jetzt auch unterstellt wird, wenn man guten Tag sagt, aber es ist zutiefst betrüblich ... (Heiterkeit. – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Oje, oje! Nein also wirklich!) Na ja, es ist ja schon ein Lob für die Regierung, wenn der Tag ganz gut ist, zumindest werten Sie das so. (Neuerliche Heiterkeit.)


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 117

Wenn Sie sich das Abstimmungsverhalten im Europäischen Parlament anschauen, dann werden Sie sehen, dass es eben zu den Sündenfällen mancher den großen Re­gierungsparteien angehörender Europaparlamentarier gehört, dass sie bei der betref­fenden Abstimmung nicht für die Abhaltung, zwingende Vorschreibung einer solchen EURATOM-Revisionskonferenz eingetreten sind. Die Abspaltung des Vertrags als sol­che ändert noch nichts. Erst dann, wenn sich die Signatarstaaten auf eine Revision der Vertragsform und der Vertragsinhalte verständigen – und das wäre eine politische Auf­gabe, gerade auch für die österreichische Bundesregierung –, kann sich dort etwas ändern.

Daher haben wir für heute einen Entschließungsantrag vorbereitet, der ausdrücklich den Bundeskanzler und die Außenministerin ersucht, als Mitglieder des Europäischen Rats dafür zu sorgen, dass eine solche Revisionskonferenz auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Allgemeinen Rats gestellt wird, und in der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt eine konkrete Terminierung dieser Konferenz zu betreiben.

Auch jetzt wieder: Das schaltet Temelín nicht ab, das weiß ich, aber es bringt die Mög­lichkeit, den Komplex der europäischen Atompolitik auf höchster Ebene, nämlich jener der Signatarstaaten, erneut zu diskutieren und zu versuchen, um jenen vermutlich nicht ganz großen Schritt weiterzukommen, der heute politisch möglich ist.

Ich meine, dass es dieser ganz bewusst bar jeder Verurteilung oder jeder polemischen Formulierung textierte Entschließungsantrag verdient, von Ihnen politisch ernsthaft geprüft zu werden, um in diesem Bereich zu einem europäischen Kurswechsel zu kommen, von dem ich ausgehe, dass wir ihn alle in gleicher Weise wollen und dass wir uns darauf verständigen könnten.

Herr Bundesminister! Ich will nicht vorab polemisieren. Jeder von uns – auch ich – hat die Möglichkeit, sich nach Ihrer Anfragebeantwortung zu Wort zu melden und das zu sagen, was er für notwendig hält. Ich werde daher an diesem Punkt meine Begrün­dung – und es ist eine Begründung – beenden. Es ist die Begründung für eine Anfrage, die darauf aufbaut, dass uns der Vorfall in Temelín zutiefst alarmiert hat in Bezug auf dieses konkrete, in seiner Hybridtechnologie problematische Kernkraftwerk. Mit Hybrid­technologie meine ich die Vereinigung von alten, zumindest in der Vorform existieren­den Technologien und die draufgemotzte westeuropäische Technologie. Aber ich nehme das auch zum Anlass, wir nehmen es zum Anlass, die Frage der europäischen Atompolitik ganz neutral und ganz ohne Polemik zu thematisieren.

Es wäre ganz schön, wenn der Bundesrat in einer Zeit, in der sich die Parteien – alle – mit Verbalinjurien überbieten – ich habe da heute wieder eine schönes aktuelles Bei­spiel, das ich wegen seiner inhaltlichen Belanglosigkeit nicht zitieren will, vom APA-Ticker bekommen –, es wäre ein schönes Zeichen, wenn der Bundesrat in einer Frage dieser nationalen Bedeutung zu einer einheitlichen politischen Meinung kommen könn­te. Ich wäre darauf stolzer als auf jeden politischen Punkteerfolg, wenn unsere Anfrage das auslösen könnte. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

16.22

 


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung der Dringlichen An­frage hat sich Herr Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bun­desminister.

 


16.22

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Tag, meine sehr geehr­ten Damen und Herren! (Heiterkeit.) Zur heutigen Dringlichen Anfrage möchte ich detailliert Stellung nehmen, anfangs aber auch noch einiges klarstellen.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 118

Sie haben das in Ihren Ausführungen schon angesprochen: Was die konsequente Anti­atompolitik in Österreich betrifft, gibt es keine Unterschiede in unserer Zielrichtung. Wir verfolgen seitens der Bundesregierung diesen Antiatomkurs in Europa konsequent, und wir legen auch allen unseren umweltpolitischen und politischen Entscheidungen, die wir zu treffen haben, diesen Kurs und diese unausgesprochene Vereinbarung in der Ablehnung der Kernkraft zugrunde. Die Sicherheit der Bevölkerung steht für mich und steht für uns in dieser Frage absolut im Vordergrund. Jede Entscheidung wird an dieser Frage gemessen.

Zur Frage 1 Ihrer Dringlichen Anfrage:

Die Information der tschechischen Atomaufsichtsbehörde ist im Wege der Bundes­warnzentrale im Innenministerium in meinem Ministerium am 7. Juni 2004 um 13.48 Uhr eingetroffen.

Gleichzeitig, so wie das in den Ablaufplänen auch vorgesehen ist, wurden diese Infor­mationen an alle relevanten Ressorts übermittelt, zum Beispiel an das Bundesministe­rium für Gesundheit und Frauen, an das Bundesministerium für Landesverteidigung und an andere. Umgehend und sofort!

Sofort nach Übermittlung wurde von meinen zuständigen Beamten auch der Kontakt mit der tschechischen Atomaufsichtsbehörde hergestellt, um nochmals mündlich die Bestätigung zu erhalten, dass es zu keinerlei Freisetzung von radioaktiven Stoffen ge­kommen ist.

Diese Meldung aus Tschechien wurde auch dadurch unterstützt, dass alle Frühwarn­systeme und auch das österreichische Frühwarnsystem, das wir in Temelín haben, im relevanten Zeitraum keine Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt gemeldet ha­ben. Also eine kongruente Meldung aus Tschechien mit den Daten, die wir vor Ort messen.

Zu den Fragen 2 bis 4:

Auf Grund der Erstmeldung vom Montag und der österreichischen Messergebnisse war klar, dass es zu keinerlei Gefährdung – und ich bitte, hier auch wirklich, trotz Wahl­kampfzeiten, mit Augenmaß (Bundesrat Mag. Gudenus: Richtig!) zu bewerten – der österreichischen Bevölkerung oder der Umwelt kommen konnte – zu keiner Zeit im Ablauf dieses Tages (Beifall bei der ÖVP) – und die radioaktive Kontamination auf zwei Räume innerhalb des Kontrollbereiches des Kernkraftwerkes beschränkt blieb.

Daraus leitet sich auch die Antwort auf die Frage ab: Warum hat der Bundesminister keine Meldung über die APA hinausgegeben? – Wir haben alle Maßnahmen – Bun­deswarnzentrale, Länderwarnzentralen, Ministerieninformation – so durchgeführt, wie im Ablauf vorgesehen, und zwar transparent, offen und klar kommuniziert.

Zur Frage 5:

Das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wurde, wie üblich, von der Bun­deswarnzentrale zeitgerecht – ich habe das schon gesagt – mit allen anderen betroffe­nen Bundes- und Landesdienststellen informiert. Darüber hinaus war auf Grund des Ereignisses sowie des Nichtanschlagens unseres Frühwarnsystems klar, dass kein wie immer gearteter Anlass für Maßnahmen, die von der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen zu setzen wären, gegeben war.

Zu den Fragen 6 und 7:

Da hier offensichtlich erhebliche Missverständnisse bezüglich der im „Melker Protokoll“ vereinbarten Info-Hotline vorliegen, erlauben Sie mir, dass ich detaillierter auf die Frage Berichtswesen, Informations-Hotline, Messstellen eingehe.


Bundesrat
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Auf internationaler Ebene ermöglicht das Übereinkommen vom 26. September 1986 – eine Folge der Tschernobyl-Debatte – über die frühzeitige Benachrichtigung bei nukle­aren Unfällen, dem Österreich angehört, den Mitgliedstaaten, bei einem nuklearen Unfall in einem anderen Staat möglichst frühzeitig Schutzmaßnahmen einzuleiten.

Die Benachrichtigungspflicht im Rahmen dieses Übereinkommens ist auf Unfälle be­schränkt. In Ergänzung und Erweiterung dieses Internationalen Übereinkommens ent­halten die bilateralen Nuklearinformationsabkommen, die zusätzlich dann noch ge­macht wurden und die wir mit den kernenergiebetreibenden Nachbarstaaten abge­schlossen haben, Bestimmungen, die diesen internationalen Informationsweg durch eine direkte bilaterale Kontaktaufnahme abkürzen.

Als Kontaktstelle fungiert in allen diesen Fällen die Bundeswarnzentrale des Bundes­ministeriums für Inneres. Sie ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr besetzt.

Darüber hinaus, zusätzlich zu diesen internationalen und bilateralen Abkommen, ver­fügt Österreich über ein dichtes Messnetz von über 300 Messstationen, die unabhän­gig von beziehungsweise in Ergänzung zu konkreten Meldungen jeden Anstieg von Radioaktivität unmittelbar anzeigen. Das heißt, wir haben ein Berichtssystem auf Grund von multilateralen internationalen Abkommen, wir haben bilaterale Abkommen mit Meldepflicht, und wir haben über 300 eigene Messstationen. Wir sind mit unserem Messnetz auch mit ähnlichen Messnetzen in der Tschechischen Republik, in der Slo­wakischen Republik, in Ungarn und in Slowenien verknüpft. Für Temelín haben wir sogar noch eine eigene Messstelle in Budweis und haben auch Zugriff auf alle Mess­stellen, die die Tschechische Republik zum Beispiel in ihrem Land betreibt, die alle 10 Minuten über unsere Anlage in der Frühwarnzentrale abgerufen werden. – Ich den­ke, dass das eine klare Aufstellung für diesen Bereich ist.

Die im Rahmen des „Melker Protokolls“ vereinbarte Info-Hotline – zusätzlich noch zu all diesen Dingen, die ich aufgezählt habe – ist ein zusätzliches Informationssystem, das Österreich auch mit Meldungen versorgt, die nicht unmittelbar sicherheitsrelevant sind. Ich sage das noch einmal: Diese Info-Hotline versorgt uns zusätzlich mit Meldungen, die nicht unmittelbar sicherheitsrelevant sind. Vor diesem Hintergrund erscheint mir die Frist von 72 Stunden für die im Melker Protokoll angeführten Arten von Ereignissen durchaus ausreichend.

Sie haben mehrmals von „Störfällen“ gesprochen. Das war kein Störfall, sondern in der Bemessung ein Ereignis, für das im „Melker Protokoll“ 72 Stunden auch entsprechend vorgesehen sind, selbst wenn auch mir persönlich – ich habe das auch in einem Tele­fonat eben erst vor einer halben Stunde mit dem tschechischen Außenminister bespro­chen – eine möglichst rasche Information über solche Ereignisse wünschenswert er­schiene, weswegen ich, wie gesagt, in dieser Richtung auch an die Tschechische Re­publik beziehungsweise an den tschechischen Außenminister telefonisch herangetre­ten bin.

Im Übrigen verweise ich darauf, dass das „Melker Protokoll“ in der rechtsverbindlichen Vereinbarung von Brüssel eine Fortsetzung fand und weiter konkretisiert und präzisiert wurde.

Zur Frage 8:

Auch wenn auf Grund des Widerstandes einiger weniger Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Union die Einklagbarkeit der Vereinbarung von Brüssel in Fortsetzung von Melk vor dem EuGH nicht realisiert werden konnte, so bleibt dieses Abkommen doch ein rechtlich verbindlicher Vertrag zwischen der Regierung der Republik Öster­reich und der Regierung der Tschechischen Republik.


Bundesrat
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Darüber hinaus verweise ich darauf, dass wesentliche Ergebnisse aus dem „Melker Prozess“ in den  WPNS-Bericht, Nukleare Sicherheit im Kontext der Erweiterung, aus dem Jahr 2001 eingeflossen sind. Umgekehrt decken sich die Empfehlungen dieses Berichtes weitgehend mit dem im Annex I der Vereinbarung von Brüssel enthaltenen Sicherheitsziel, wenn diese, dem Charakter einer bilateralen Vereinbarung entspre­chend, präzise und umfassend ausgeführt sind. Die Sicherheit des Kraftwerkes Temelín ist daher ein europäisches Thema und wird, so wie die Sicherheit aller anderen Kernkraftwerke, auch ein europäisches Thema bleiben.

Zur Frage 9:

Auch wenn wir überzeugt sind, dass die energetische Nutzung der Kernenergie weder eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Treibhauseffektes darstellt – wo ja manche auch versuchen, eine Offensive in der Kernenergie als Lösung für Kyoto hinzustellen –noch mit dem Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen ist, müs­sen wir doch respektieren – und Sie haben das schon angesprochen, sehr, sehr vor­sichtig und ausgewogen –, dass andere Staaten andere energiepolitische Strategien verfolgen.

Wir in Österreich suchen uns unsere Energieformen auch selbst aus. Wir wollen nicht, dass jemand anderer in unserem Land über die Auswahl unserer Energieformen ent­scheidet. Das hieße es nämlich in der Gegenrichtung, wenn man das verlangen würde. Man muss also klar sagen, dass es ein nationales Thema bleiben wird. Wir sind jedoch berechtigt und auch verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der öster­reichischen Bevölkerung und der Umwelt zu ergreifen.

Dazu gehört auch das Werben für unseren Standpunkt. Wir sagen das in allen Berei­chen, in denen wir in Europa unterwegs sind. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir müssen nicht danach trachten, gehört zu werden, wir werden gehört mit unseren Anliegen in der Europäischen Union, die wir entsprechend vorbringen.

Welche Strategie verfolgen wir? – Erstens: Schließung von nicht nachrüstbaren Kern­kraftwerken, zum Beispiel der Reaktoren der ersten Generation sowjetischer Bauart wie Ignalina, Bohunice, Kosloduj; zweitens: Schaffung einheitlicher und hoher Sicher­heitsstandards für noch in Betrieb befindliche Kernkraftwerke – die ständige Sicher­heitsverbesserung auf den modernsten Standard ist Ziel und ist wichtig –; drittens: konsequente Verfolgung eines europaweiten Ausstiegs aus der Nutzung der Kernkraft.

Auch dazu ein konkretes Beispiel: Österreich hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass jene Beitrittskandidatenländer, die jetzt zum Teil bereits neue Mitglieder der Euro­päischen Union sind und die Kernkraftwerke der ersten Generation sowjetischer Bauart betreiben, Schließungsverpflichtungen eingegangen sind. Das waren keine Selbstver­ständlichkeiten. Wir haben uns dafür eingesetzt, im Rahmen des Beitritts von neuen Mitgliedsländern Schließungsverpflichtungen für alte Kernkraftwerke zu erreichen.

In dieser Legislaturperiode ging es und geht es vor allem darum, die Schließungsver­pflichtung für die Blöcke 3 und 4 des Kraftwerks Kosloduj in Bulgarien ebenso rechts­gültig im Beitrittsvertrag zu verankern, wie wir das für das Kraftwerk Ignalina in Litauen und das Kraftwerk Bohunice in der Slowakischen Republik – da haben wir gerade vor kurzem diskutiert, dass manche das jetzt nicht schließen wollen, aber es ist im Beitritts­vertrag klar drinnen – bereits erreicht haben.

Natürlich verfolgen wir auch weiterhin das Ziel einer umfassenden Reform des Euratom-Vertrages, da dieser Reform sicherlich eine Schlüsselrolle in der zukünfti­gen Gestaltung zukommt.

Klar ist, dass wir hier auf erheblichen Widerstand stoßen, und ich erinnere daran, dass jede Änderung dieses Vertrages der Zustimmung aller Mitgliedstaaten der Europäi­schen Union bedarf.


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Zur Frage 10:

Die Vorschläge der Europäischen Kommission vom November 2002 zur Aufstockung des Haftungsrahmens für Euratom-Anleihen sowie zur Änderung der Vergabericht­linien werden noch immer auf Ratsebene beraten.

Ich füge auch hinzu, dass Irland während seiner Präsidentschaft dieses Dossier nicht auf die Tagesordnung gesetzt hat und mir über diesbezügliche Absichten der kom­menden niederländischen Präsidentschaft auch noch nicht im Detail bekannt ist, ob die Frage der Euratom-Kredite in dieser Zeit behandelt werden wird. Wann es daher zu einer Aufstockung der Euratom-Kredite kommt und ob dies überhaupt der Fall sein wird, ist aus meiner Sicht derzeit völlig offen.

Die Bundesregierung hat ihre Position zum Thema „Sicherheit“ und auch zum Instru­ment der Euratom-Anleihe beziehungsweise der Euratom-Kredite im Regierungs­programm eindeutig klargestellt – bitte nachzulesen! –, und der Nationalrat hat mit Ent­schließung vom 29. Jänner 2004 diese Haltung unterstützt und präzisiert.

Auch wenn die Zuständigkeit für dieses Dossier nicht in meinem Bereich liegt, sondern im Bereich des Bundesministers für Finanzen, kann ich Ihnen versichern, dass wir in der Regierung an diesem Ziel, an dieser Ausrichtung klar festhalten.

Zur Frage 12:

Der Umstand, dass eine Übernahme der derzeit noch im staatlichen Besitz befindli­chen slowakischen Kraftwerke durch den tschechischen Konzern ČEZ im Zuge der laufenden Privatisierungsbemühungen der Regierung der Slowakischen Republik mög­lich erscheint, hat keine Auswirkung auf die grundsätzliche Ablehnung neuer Kern­kraftwerke durch die österreichische Bundesregierung. (Vizepräsident Mag. Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Natürlich beobachten wir diese Tendenzen, Gespräche und Möglichkeiten mit größter Sorgfalt, insbesondere was die Frage Beihilfen und wettbewerbsrechtliche Aspekte in dieser Debatte betrifft. Auch lassen wir keine Gelegenheit ungenutzt, klarzustellen, dass wir einen weiteren Ausbau der Kernenergie für die grundsätzlich falsche Strategie halten. Das gilt nicht nur für die Nachbarländer, das gilt für alle Länder dieser Welt, weil wir uns darin sicher sind, dass wir in dieser Energieform und in dieser Energienutzung keine Nachhaltigkeit erreichen können.

Zur Frage 13:

Natürlich bin ich im Gespräch mit den österreichischen Abgeordneten zum Europäi­schen Parlament, wobei meine Gesprächsbereitschaft nicht nur auf jene Abgeordneten begrenzt ist, die meine politische Auffassung teilen (Bundesrat Schennach: In dem Fall schon!), sondern ich sage hier ganz klar, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen meines Hauses gerne Sachinformationen, konkrete Dossiers, Informationen zur Verfü­gung stellen und ich als Anlaufstelle für alle frei gewählten Mandatare beziehungs­weise Abgeordneten jederzeit zur Verfügung stehe und auch unsere Zielsetzung – die der Bundesregierung und auch meine persönliche – Tag und Nacht diskutiere, wenn es sein muss (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Das nehmen wir gerne in Anspruch!), wenn es um die Atomkraftnutzung oder die Verhinderung dieser Nutzung geht.

Zur Frage 14:

Die klaren Positionen dieser österreichischen Bundesregierung, aber auch ihrer Vor­gänger, sind seit langem bekannt. Dies gilt für die internationale wie auch für die euro­päische Ebene und ganz besonders für die Nachbarstaaten.

Ich versichere nochmals, dass wir unsere Positionen auf allen Ebenen und bei allen Gelegenheiten mit der gebotenen Nachdrücklichkeit vertreten werden. (Abg. Schenn-


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ach: Vor allem die ÖVP-Abgeordneten! Die stimmen immer für Atom! – Bundesrat Bieringer – in Richtung des Bundesrates Schennach –: Na geh! – Abg. Schennach, replizierend: Insgesamt sieben Mal, Herr Bieringer!) Dies werden wir weiterhin so halten, auch wenn dies manchem unserer Freunde nicht gefällt und wir auf Widerstand stoßen. Im Übrigen decken sich die nuklearpolitischen Positionen der Österreichischen Volkspartei mit jenen der österreichischen Bundesregierung, wie sie unter anderem in der erwähnten Entschließung vom Nationalrat Ende Jänner 2004 zum Ausdruck kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch eines sagen: Das Thema Sicherheit für die Bevölkerung, Ablehnung der Atomkraft, Kommunikation mit den Nachbarn und Erreichen von besseren Sicherheitsstandards eignet sich nicht – das ist meine tiefe persönliche Überzeugung – zum Missbrauch in Wahlkämpfen (Bei­fall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen), um Angst zu machen, wo keine Grundlage für Angst vorhanden ist, sondern es ist klar aufzuzeigen: Wo liegen die Probleme? Wie sind sie zu lösen? Da sind wir sicherlich im Konsens. Mit Augen­maß für die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung gemeinsam zu arbeiten – das sollte unser Ziel sein! (Beifall bei der ÖVP.)

16.38

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundes­rat Boden. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


16.38

Bundesrat Karl Boden (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! – Herr Bundesminister, auch ich bin Ihrer Meinung, dass Wahlkampfzeiten nicht zum Angstmachen dienen, andererseits glaube ich aber auch, dass Wahlkampfzeiten nicht dazu dienen, der Bevölkerung etwas zu verheimlichen, etwas auf die lange Bank zu schieben oder nicht gleich zu berichten, um zu verhindern, dass die Stimmung vielleicht doch etwas gedrückt wird, oder wie auch immer.

Ich bin auch Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, Energieformen müssen in der eigenen Entscheidung der Politik jedes Landes sein. Auch da stimme ich Ihnen zu. Nur: Atom­kraft ist eine sehr heikle Angelegenheit und eine sehr sentimentale. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Nicht sentimental, sondern lebensbedrohend!)

Auch die Bevölkerung in Grenznähe ist immer wieder von Ängsten erfüllt, wenn es um die Atomkraft geht. Wie Sie ja wissen, verbreitet sich Radioaktivität unheimlich schnell, und ich glaube, da ist jede Minute kostbar, daher müssen Nachrichten so schnell wie möglich weitergegeben werden. Für meine Begriffe sind 72 Stunden um vieles zu lang. Auch die für extrem schwere Störfälle vereinbarte 24-Stunden-Frist ist meiner Meinung nach viel zu lang.

Obwohl Temelín nachgerüstet wurde, ist Temelín nicht wesentlich besser als früher. Temelín bleibt nach wie vor ein Schrottreaktor, und ich glaube, dass Temelín abge­schaltet gehört, aber nicht nur Temelín, sondern auch alle anderen Kraftwerke, die Atomstrom erzeugen. Ich bin ein vehementer Gegner der Atomkraft. Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen, ich war immer gegen die Atomkraft. Wenn man – Sie haben es schon erwähnt – etwa Tschernobyl hernimmt, so muss man sagen: Die Fol­gekosten sind enorm! Ich glaube nicht, dass man mit Atomkraft oder mit Atomstrom so viel erwirtschaften kann, dass man bei einem Unfall die Folgekosten abdecken kann. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Ich möchte daher, wie bereits angekündigt wurde, einen Entschließungsantrag einbrin­gen, der, wie ich meine, von allen Fraktionen angenommen werden sollte. Ich glaube,


Bundesrat
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dass es unbedingt wichtig ist, die Verhandlungen mit der Tschechischen Republik drastisch zu verkürzen, und bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Albrecht Konecny, Karl Boden, Adelheid Ebner, Johann Giefing, Ernst Winter, Kollegen und Kolleginnen betreffend Neuverhandlung des Melker Protokolls

Der Bundesrat wolle beschließen:

Entschließung

Der Bundesrat hat beschlossen:

Der Bundesrat

verfolgt konsequent das Ziel eines europäischen Atomausstieges und hält fest, dass dazu tiefgreifende Reformen in der EU-Nuklear- und Energiepolitik notwendig sind und

bekräftigt insbesondere das Ziel einer möglichst raschen Stilllegung grenznaher AKWs.

Der Bundesrat fasst in diesem Sinne folgende Beschlüsse:

1. Die Bundesregierung wird ersucht, alle Möglichkeiten zu ergreifen, um in Europa mittelfristig einen Atomausstieg voranzutreiben.

2. Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden im Interesse der Gesund­heit und des Lebens der österreichischen Bevölkerung ersucht, mit der Tschechischen Republik umgehend in Verhandlung zu treten, um die im Melker Protokoll vorgesehene 72-stündige Frist beziehungsweise 24-stündige Frist betreffend die Information über Störfälle drastisch zu verkürzen.

*****

Ich möchte einen weiteren Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Albrecht Konecny, Karl Boden, Kolleginnen und Kollegen betreffend Euratom-Revisionskonferenz

Die ausdrückliche Ausklammerung des Euratom-Vertrages aus der EU-Verfassung im Konventsentwurf vom Juni 2003 hat die Chance eröffnet, eine Euratom-Revisi­onskonferenz einzusetzen. Die österreichische Bundesregierung hat die Abhaltung einer solchen Konferenz binnen eines Jahres auch im Kontext der EU-Verfassungs­gebung zu ihrem Ziel erklärt. Allerdings ist bisher kein konkreter Schritt bekannt gewor­den, mit dem diese Absicht umgesetzt werden soll. Mitte Juni tagen nun neuerlich die Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister zu diesem Thema. Dies unter Umständen abschließend.

Die unterzeichneten Bundesräte stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Bundesrat wolle beschließen:

Der Bundeskanzler und die Außenministerin werden ersucht, mit allem Nachdruck die Frage einer Euratom-Revisionskonferenz auf die Tagesordnung der nächsten Sit-


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 124

zung des Allgemeinen Rates zu stellen und die Terminierung der Euratom-Revisi­onskonferenz zu betreiben.

*****

Ich fordere Sie im Sinne der Sicherheit nochmals auf: Stimmen Sie diesem Entschlie­ßungsantrag zu! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

16.44

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Die beiden vom Kollegen Boden eingebrachten Entschließungsanträge sind ausreichend unterstützt und stehen mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kneifel. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


16.44

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesminis­ter! Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus! Herr Professor Konecny, ich habe mit Aufmerksamkeit und großem Interesse Ihr Einlei­tungsstatement verfolgt, in dem Sie gesagt haben, es gebe in der Atomenergiepolitik einen Konsens in Österreich, aber nicht in Europa, und es sei bei der Behandlung die­ser Materie großes Fingerspitzengefühl notwendig. Sie haben weiters betont, dass Konfrontationen in dieser Causa zu wenig Ergebnissen und nicht zum Ziel führen.

Wir stimmen alle darin überein und halten daran fest, dass die erreichten Rechtsstand­punkte natürlich beibehalten und gefestigt werden müssen; ich denke etwa an die in­ternationalen Abkommen schon aus dem Jahr 1986, aber auch an das Melker Ab­kommen in jüngster Zeit.

Ich habe Verständnis dafür, dass unmittelbar vor einer Europawahl, vor einem Wahl­gang politischer Aktionismus Platz greift, dass eine bestimmte Wahlkampfrhetorik ein­zieht und dass bestimmte Themen vor einer Wahl besetzt werden müssen. (Bundesrat Konecny: Wo? Welche?) In letztere Kategorie fällt wohl diese heutige Dringliche An­frage.

Sie wollen unmittelbar vor der Europa-Wahl noch einmal dieses Thema festmachen. Dem steht auch gar nichts im Wege. Ich glaube, wir können das in dieser Runde ohneweiters sachlich aufarbeiten und gegenseitig Informationen austauschen.

Ich stimme wirklich mit Ihnen überein, dass in diesem Zusammenhang sehr sorgfältig umgegangen werden muss. Daher kann ich meinem Vorredner nicht folgen. Wenn wir unsere Nachbarn ständig undifferenziert beschimpfen – und Sie können mir glauben: ich komme aus Oberösterreich und kann sagen, wir sind in dieser Materie sehr stark sensibilisiert –, ihnen vorhalten, welch schlechten technologischen Standard, welch alte Technologien sie haben, und wenn wir immer von „Schrottreaktoren“ reden und so weiter, dann führt das leider zu keinem Ergebnis, fördert das nicht das Vertrauen. Ich glaube, dass hier – ganz im Sinne von Professor Konecny – mit mehr Fingerspitzenge­fühl und mehr Takt – im Sinne einer Erfolgsstrategie – vorgegangen werden muss. (Beifall bei der ÖVP.)

Es gibt ein altes Sprichwort in Österreich, das lautet: Wie du mir, so ich dir. (Bundesrat Konecny: Ich habe die Blockaden an den Grenzen nicht gemacht!) – Wir sind jetzt in einem gemeinsamen Europa. Ich sehe darin die große Chance, dieses Thema besser lösen zu können als vorher, wo wir uns bilateral beflegelt und befetzt und einander ver­schiedenste Begriffe an den Kopf geworfen haben. Diese Strategie hat bisher zu kei­nem Erfolg geführt.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 125

Daher ist es, glaube ich, notwendig, dass wir unsere europäische Verantwortung in dieser Frage der Reaktorsicherheit und der Kernenergie einfordern und in Zukunft Ernst nehmen.

Ich glaube, dass die europäische Ebene tauglicher ist, um dieses Problem zu lösen, als die allein nachbarschaftlich-bilaterale Ebene, so sehr ich nachbarschaftliche Verbin­dungen und Nachbarschaftspflege auch zwischen den Ländern pflege.

Ich habe es sehr begrüßt und mit Freude vernommen, dass im Europäischen Parla­ment bereits im vorigen Jahr eine gemeinsame Initiative gestartet wurde, die zu einem einstimmigen Beschluss aller dort vertretenen Gruppen geführt hat, um Richtlinien für die nukleare Sicherheit in Europa zu erarbeiten.

Die Kommission ist relativ rasch dieser Aufforderung nachgekommen – fast binnen Monatsfrist –, und diese Richtlinien zur Reaktorsicherheit sind jetzt im Rat.

Wir registrieren aber ebenso sensibel bei der Behandlung dieser Materie, dass es ein gemeinsames Dokument gibt, nämlich einen Brief. – Ich muss vorausschicken: Am 13. Jänner 2004 hat das Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg die Be­richte von Vidal-Quadras A5-0442/2003 mit 29 Änderungsanträgen und 41 Änderungs­anträgen nach Seppänen abgestimmt und hat sich dabei ausdrücklich für die Schaf­fung der beiden Richtlinien und damit verbindlicher rechtlicher Instrumente ausgespro­chen.

Jetzt werden sich alle fragen: Wie geht denn das weiter? Was ist damit geschehen?

Jetzt sind wir in der nächsten Etappe, beim Rat der Europäischen Union. Diese findet im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe Atomenergie statt, und im September 2003 haben Gerhard Schröder und Tony Blair ein gemeinsames Schreiben an den Kommissions­präsidenten Romano Prodi gerichtet, in dem die beiden Regierungschefs Bedenken bezüglich der beiden europäischen Richtlinienvorschläge äußerten. Als nationale Al­ternative forderten sie einen freiwilligen und nicht rechtsverbindlichen Harmonisie­rungsprozess. – Das ist in einem Schreiben von Tony Blair und Gerhard Schröder an Romano Prodi festgehalten.

Belgien, Finnland und Schweden haben sich dieser Position weitgehend angeschlos­sen. Die Reaktion darauf war ein Kompromissvorschlag der italienischen Präsident­schaft Ende Oktober 2003. Österreich bekennt sich zur Notwendigkeit der Schaffung von Richtlinien als verbindliche – verbindliche! – rechtliche Instrumente im Bereich der nuklearen Sicherheit und hat dem Rat seine Position zum Nuklearpaket im Sinne die­ser Anfang Jänner 2004 beschlossenen Richtlinie auch zugesagt und übermittelt.

Ich möchte damit aufräumen mit bestimmten Gerüchten und Legenden, wonach öster­reichische ÖVP-Abgeordnete nicht dieser Meinung wären und sich nicht dieser Linie angeschlossen hätten. Das ist Legendenbildung und stimmt nicht! Ich halte daher sehr viel davon, dass dieses Thema auf europäischer Ebene aufgearbeitet wird. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind, und ich bedanke mich für die bisherige Vor­gangsweise bei Umweltminister Pröll, der, glaube ich, richtig gehandelt hat und heute auch eingehend in diesem Hohen Hause dokumentiert hat, wie das Ministerium hier vorgegangen ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Ich bin der Überzeugung, dass Sicherheitsfragen der österreichischen Bevölkerung elementare Fragen sind und sicherlich nicht zur Panikmache geeignet sind. Diese Panne, die im Bericht genannt wurde, wurde uns zur Kenntnis gebracht, wie schon einige andere zuvor auch, sie fällt aber nicht unter die Bestimmungen des multilatera­len Abkommens aus dem Jahr 1966 im Nachhang über Tschernobyl.

Ich glaube, dieses Thema hat der Minister eingehend aufgearbeitet.


Bundesrat
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Herr Professor Konecny, Sie haben auch eine gemeinsame Linie in dieser Causa an­geregt. Ich darf deshalb einen Entschließungsantrag zu diesem Thema einbringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Gottfried Kneifel, Dr. Peter Böhm, Kolleginnen und Kollegen betreffend die weitere Vorgangsweise Österreichs zur Reform des EURATOM-Vertrages in Rich­tung Umweltverträglichkeit und Ausstieg aus der Kernenergie

Der Bundesrat wolle beschließen:

Der Bundesrat

verfolgt konsequent das Ziel eines europäischen Atomausstieges und hält fest, dass dazu tiefgreifende Reformen in der EU-Nuklear- und Energiepolitik notwendig sind;

bekräftigt insbesondere das Ziel einer möglichst raschen Stilllegung grenznaher AKWs

und ersucht die Bundesregierung,

für das Ziel eines Umstieges auf eine Energieversorgung aus erneuerbaren Energie­trägern europaweit aktiv einzutreten; die Europäische Union soll – auch in Hinblick auf die Erweiterung – zu einer gemeinsamen Politik für eine nachhaltige und umwelt­freundliche Energieversorgung verpflichtet werden;

sich für das Auslaufen und kurzfristig für die Revision des EURATOM-Vertrages im Sinne einer Elimination der Förderziele und einer völligen Neudefinition der Inhalte dieses Vertrages wie einer Forcierung erneuerbarer Energieträger und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Energienutzung, insbesondere im Hinblick auf „Aus­stiegszenarien“, einzusetzen und gleichzeitig die Fragen der Sicherheit, des Gesund­heitsschutzes, der Entsorgung, des Transports von spaltbarem Material, des Rückbaus von Atomkraftwerken und der Abfallbehandlung im EURATOM-Vertrag zu verankern.

Österreich bekräftigt seine Forderung nach Stilllegung von Kernkraftwerken, insbeson­dere solcher, die nahe der österreichischen Grenze gelegen sind. Die Bundesregierung wird daher ersucht,

gegenüber Tschechien ihre Position bezüglich eines Ausstieges aus der Kernenergie im Allgemeinen und aus dem AKW Temelín im Besonderen erneut zu bekräftigen

und so bald wie möglich in Stilllegungsverhandlungen mit der tschechischen Regierung einzutreten,

den entsprechenden tschechischen Regierungsbehörden im Zuge der Erstellung des neuen tschechischen Energiekonzeptes größtmögliche Unterstützung anzubieten, mit dem Ziel, den Ausstieg aus der Atomenergie im Allgemeinen und Temelín im Besonde­ren und den Umstieg auf die Nutzug erneuerbarer Energieträger – auch durch eine Verstärkung der Energiepartnerschaften – zu fördern,

aktiv gegen einen allfälligen weiteren Ausbau der Atomenergie in Tschechien einzutre­ten;

hinsichtlich der Umsetzung des Melker Prozesses weiterhin für eine volle Offenlegung aller relevanten Daten seitens der tschechischen Behörden einzutreten.

*****

Ich füge hinzu: Letzteres zum frühestmöglichen Zeitpunkt!


Bundesrat
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Soweit der Entschließungsantrag. – Wir haben uns bemüht, alle bisher im Diskussi­onsverlauf genannten Fakten, Daten, Wünsche, Hoffnungen, Forderungen hier einzu­bauen, und ich würde mir wünschen, dass Sie im Sinne der bisherigen gemeinsamen Vorgangsweise in diesem Hohen Haus zum Thema Energiepolitik diesem Antrag Ihre Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

16.57

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Der Entschließungsantrag der Bundesräte Knei­fel, Dr. Böhm, Kolleginnen und Kollegen ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Dr. Lichtenecker. – Bitte, Frau Bundesrat.

 


16.58

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Die Handlungsweise in dieser sehr, sehr diffizi­len Causa Temelín macht mich als Oberösterreicherin und als Mandatarin aus einem Bundesland, das unmittelbar betroffen ist, wirklich betroffen, und es macht mich auch die Inkonsequenz dieser Regierung in der Antiatompolitik betroffen, insbesondere was die Abgeordneten der ÖVP in Brüssel betrifft.

Herr Minister, Sie bezeichnen das, was in Temelín passiert ist, nicht als Störfall. Ich weiß nicht: Was war es dann? War es ein Hoppala, was da passiert ist? (Bundesminis­ter Dipl.-Ing. Pröll: Es war ein Ereignisfall!) Pammesberger zeichnet heute eine Karika­tur: oben ein normal funktionierendes Kraftwerk, unten sozusagen eine Verkettung von absoluten Missständen in einem Atomkraftwerk. Doch wir reden hier immer noch da­von, dass eigentlich „eh“ nichts gewesen ist. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das habe ich nicht gesagt!)

Aber Sie haben es nicht als Störfall bezeichnet! (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe nur die Spezifizierung genannt!) Herr Minister! Haben Sie nicht auch den Eindruck gehabt, dass gerade die Tatsache, dass Sie nicht infor­miert haben – ich unterstelle Ihnen jetzt in keinerlei Weise böse Absicht! –, erst recht zu Spekulationen geführt hat und dass diese Form von Geheimhaltung nicht dienlich war?

Die Frage ist auch jetzt, in dieser Konstellation: Welche Konsequenzen werden gezo­gen? Eines hat uns wirklich zutiefst verwundert – und so, wie ich Sie kenne, hätte ich Sie eigentlich anders eingeschätzt –: dass Sie quasi sagen, das sei eine Debatte und die Schließung von Temelín sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht zielführend. – Das ist ein­fach untragbar, Herr Minister! Das muss ich in aller Deutlichkeit sagen.

Sie kennen den klaren Handlungsauftrag des Nationalrates vom 29. Jänner, der mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen wurde und in dem es klar heißt: Der Umweltminister wird aufgefordert, so bald als möglich in Stilllegungsverhandlungen mit der tschechischen Regierung einzutreten.

Und da gebe ich Kollegen Kneifel Recht: Es ist nicht gut, das Klima anzuheizen. Es soll eine konstruktive Auseinandersetzung sein und möglichst viel Unterstützung und Hilfe geben, um Gefahrenquellen möglichst auszuschalten.

Die Frage ist – aber vielleicht können Sie das noch näher erklären, Herr Minister –: Wie haben Sie das gemeint: „nicht zielführend“, und das in der jetzigen Konstellation?

Herr Minister! Die Bevölkerung Österreichs, insbesondere die Bevölkerung Oberöster­reichs und Niederösterreichs, erwartet sich von Ihnen ganz konkret und von dieser Regierung allgemein wesentlich mehr Engagement zum Thema Anti-Atom. (Bundesrä­tin Roth-Halvax: Woher wissen Sie das von den Niederösterreichern?) Ja, es gibt


Bundesrat
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auch Grüne in Niederösterreich, nicht nur ÖVP-Abgeordnete. (Bundesrat Dr. Kühnel: Oder meinen Sie die „Kronen Zeitung“?)

Herr Minister! Die Aussage, es sei nicht zielführend, jetzt in eine Stilllegungsdebatte einzutreten – und wir haben sehr viele Kontakte zu den Anti-Atomgegnern in Tsche­chien –, ist Wasser auf die Mühlen der Temelίn-Betreiber und vermittelt keine optimale Optik. (Bundesrat Mag. Gudenus: Ein „Anti-Atomgegner“ ist eigentlich jemand, der für die Atomkraft ist!)

Zum Thema „Melker Protokoll“: Herr Minister! Vielleicht können Sie uns auch heute erklären, was mit den 4,5 Millionen € bislang geschehen ist. Wir vermissen eine ganze Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die längst anstehen. Es gibt verschiedene Haupt­sicherheitsprobleme – Sie sind sicherlich informiert –, das geht von den Ventilen bis zur Bühne, wo all diese Sicherheitsnachrüstungen bislang noch immer nicht optimal erfolgt sind.

Beim letzten Anti-Atomgipfel im Land Oberösterreich haben sich die Befürchtungen, die wir in Bezug auf die Nachrüstungen von Temelίn gehabt haben, durchaus bestätigt, nämlich dass das Ganze sehr mangelhaft vor sich geht und dass noch große Mängel festzustellen sind.

Also die Frage auch an Sie: Wann wird die konsequente Umsetzung des „Melker Pro­tokolls“ tatsächlich vorangetrieben, beziehungsweise gibt es ein erstes Ergebnis oder einen Rechenschaftsbericht zu dieser Thematik?

Nun noch zum leidigen Thema EURATOM beziehungsweise EURATOM-Kredite. Es ist ganz egal, wo, ob im wirtschaftlichen Bereich, im wissenschaftlichen Bereich, wo auch immer: Ich stärke den Bereich, in den ich Förderungen hinlenke. Und wenn es keine Förderungen für einen Bereich gibt, dann wird dieser Bereich klarerweise nicht forciert und man schwächt ihn. Aber jetzt wieder daran zu denken, tatsächlich für die Atom­kraft, und sei es für die Fertigstellung von Atomkraftwerken, Kredite zu erhöhen und in diesem Zusammenhang die ÖVP-Abgeordneten zum Europa-Parlament zu unterstüt­zen, ist untragbar.

Herr Minister! Wir erwarten uns, dass Sie sich diesbezüglich tatkräftig einsetzen und auch in Ihrer eigenen Partei dafür sorgen, dass tatsächlich eine konsequente Anti-Atompolitik in Österreich gemacht wird und entsprechende Schritte gesetzt werden. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

17.04

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Dr. Peter Böhm. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.04

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Nach all dem Wesentlichen, das von allen Vorrednern und Vorrednerinnen gesagt wurde, kann ich mich relativ kurz halten.

Zunächst räume ich vorbehaltlos ein, dass Ihre heutige Dringliche Anfrage, werte Kol­leginnen und Kollegen von der SPÖ, mir weitaus begründeter erscheint als viele Ihrer zahllosen Anfragen der letzten Zeit. (Oh-Rufe bei der SPÖ.) Ihre darin zum Ausdruck gebrachten Sorgen und Ihre Kritik an der objektiv unbefriedigenden Informationspolitik seitens der tschechischen Atombehörden und Betreiber teilt meine Fraktion und teile ich persönlich voll.

Ebenso klar distanziere ich mich freilich von der Unterstellung, der zuständige Bun­desminister habe den letzten Störfall – angeblich war es ja gar kein Störfall im techni-


Bundesrat
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schen Sinn – im AKW Temelίn bewusst vertuschen wollen. (Bundesrat Schennach: Das ist aber jetzt eine FPÖ-interne Geschichte!) Ja, das war nicht meine Aussage, aber die Dringliche Anfrage, die ja angeblich nicht Wahlkampf ist, hat sie sich zu eigen gemacht. (Bundesrat Schennach: Ist das jetzt Mölzer-Wahlkampf?)

Gerade angesichts der auf das Allernötigste beschränkten Informationen von tschechi­scher Seite bedarf es zuvor seriöser fachlicher Überprüfung, welches Ausmaß und welche Auswirkung der aktuelle Fall, sage ich jetzt wertneutral, hatte. Um eine Panik­mache ohne ausreichende Begründung, ohne die Umstände im Detail zu kennen, kann es ja wohl selbst in Wahlkampfzeiten nicht gehen.

Freilich hätte sich auch meine Fraktion eine frühere Information der Öffentlichkeit ge­wünscht. Dazu müsste allerdings zuvor das „Melker Protokoll“ revidiert werden.

Zum anderen muss ich zwei politischen Einschätzungen widersprechen, die mir in der vorliegenden Dringlichen Anfrage allzu illusionär erscheinen. So trifft es gewiss nicht zu, dass es die gegenwärtige Regierung verabsäumt habe, für den Atomausstieg in Europa Verbündete zu suchen. Wir haben sie gesucht, auch für die Reform des EURATOM-Vertrages, aber eben leider nur, das sage ich ganz offen, zu einem kleinen Teil der EU-Staaten gefunden.

Sie müssten aber redlicherweise zugeben, meine Damen und Herren von der SPÖ, dass auch die von Ihnen geführte Bundesregierung bei dieser Suche nach Partnern für das vom von mir geschätzten Bundeskanzler Vranitzky propagierte Anliegen eines atomfreien Europa oder auch nur Mitteleuropa keineswegs erfolgreich war. Sie erin­nern sich offenbar nicht allzu gerne daran.

Vor allem muss ich Ihnen wie auch den Grünen vorhalten, dass Sie das von uns, ge­nauer: von drei Landesgruppen durch die Grenznähe besonders betroffener Bundes­länder, initiierte Volksbegehren zur Stilllegung von Temelίn in keiner Weise unterstützt, ja geradezu boykottiert haben. Das lässt an Ihrem Engagement, hier die Interessen Österreichs zu vertreten, durchaus zweifeln. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Unberechtigt erscheint mir auch die Kritik an der Zustimmung zur Erhöhung des EURATOM-Kreditvolumens, obwohl ich selber auch darüber in keiner Weise erfreut war. Aus österreichischer Sicht ging es dabei ausschließlich um die technische Nach­rüstung veralteter AKWs, deren Schließung rechtlich und politisch nicht durchsetzbar war. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Das ist nicht richtig! ...) Anders als im Verhältnis zu Litauen, Bulgarien und zur Slowakischen Republik, was schon erwähnt wurde! Diesen Vorbehalt haben wir ausdrücklich erklärt.

Sosehr wir Ihrer Aufforderung auch zustimmen, dass wir mit Nachdruck für einen Aus­stieg aus der Kernenergie in Europa werben sollen, so sehr muss ich auch Ihrer zwei­ten Einschätzung widersprechen, dass – ich zitiere – ein Anti-Atomkonsens in Europa mehr als realistisch ist.

Zu meinem ehrlichen Bedauern muss ich Ihnen aus guter Kenntnis aus dem Forum für Atomfragen, aus guter Kenntnis der internen Entwicklungen innerhalb der Europäi­schen Union mitteilen: Ganz im Gegenteil: Der europäische Ausstieg ist derzeit höchst unrealistisch!

Sie beklagen ferner, dass die österreichischen EU-Abgeordneten in Brüssel nicht ge­schlossen für eine Anti-Atompolitik eintreten. Meiner Fraktion und nicht zuletzt unserem gegenwärtigen Spitzenkandidaten Hans Kronberger können Sie das wahrlich nicht entgegenhalten! Gerade sein Engagement in dieser Frage steht absolut außer Zweifel.


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Aber was haben Sie selbst erreicht? Sie müssten sich doch in der gesamteuropäischen Sozialdemokratie durchsetzen und insbesondere in jenen Ländern, in denen Sie die Regierung stellen oder maßgeblich beeinflussen, die weiterhin Atomkraftwerke betrei­ben oder sogar neue errichten, auf den Ausstieg aus der Nuklear-Industrie hinwirken. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Erst wenn Sie uns dabei erfolgreiche politische Aktivitäten nachweisen könnten, woran es durchaus mangelt, erst dann wären Sie mit dem an sich berechtigten und von uns geteilten Anliegen Ihrer Anfrage wirklich glaubwürdig. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

Insofern bleibt der schale Beigeschmack zurück, dass Sie den jüngsten Anlassfall in Temelίn dazu gebrauchen, unter Ausnützung der verständlichen Sorgen der österrei­chischen Bevölkerung für die unmittelbar bevorstehenden EU-Wahlen innenpolitisches Kleingeld zu wechseln. (Bundesrätin Roth-Halvax: Offensichtlich!) Damit schaden Sie jedoch unserem gemeinsamen Anliegen, das in unserem Entschließungsantrag formu­liert wird. Daher lade ich Sie ein, umzudenken und diesem Antrag im Sinne eines ehrli­chen nationalen Konsenses Ihre Zustimmung zu geben. – Danke. (Beifall bei den Frei­heitlichen und der ÖVP.)

17.11

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächstem erteile ich Bundesrat Lindinger das Wort. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.12

Bundesrat Ewald Lindinger (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Minister! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dir, lieber Kollege Kneifel: Ich glaube nicht – und das hat Herr Dr. Böhm bestätigt –, dass das Thema heute ein EU-Wahlthema ist. Das ist ein markantes Thema, das ganz Österreich berührt und insbe­sondere die Menschen in Oberösterreich. Ich glaube, du warst schon lange nicht mehr zu Hause (Heiterkeit bei der SPÖ), sonst wüsstest du, dass gerade in Oberösterreich diese Störfälle im AKW Temelίn die Menschen berühren. Ich glaube auch, du hast das „Neue Volksblatt“ nicht gelesen, in dem Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer die Stilllegung des AKWs fordert und diese Frage sehr wohl thematisiert wird.

Wenn von „Panikmache“ hier im Haus die Rede ist, dann möchte ich den ÖVP-Landtagsabgeordneten Gumpinger zitieren: Aus diesem Traum wird einmal ein Super-GAU. Er habe klare Hinweise, dass Umbauten vermieden und hoch sensible Leitungen einfach nicht den vorgesehenen Standards angepasst würden.

Ich glaube, hier in diesem Haus diskutieren wir sehr bewusst, wenn es um die Sicher­heit der Österreicherinnen und Österreicher geht, wenn im grenznahen Raum Störfälle auftreten. Und diese Störfälle treten ja nicht einmalig auf, sondern wir haben eine end­los lange Liste von Störfällen. Wenn in den 45 Monaten Betriebszeit des AKW Temelίn 65 Störungen aufgetreten sind, dann ergibt das eine durchschnittliche Quote von 1,5 Störungen pro Monat. Das ist nicht ein kleines Hoppala, wie es auch schon hier genannt wurde, sondern das sind schon wirklich drastische Störungen. Und wenn man noch die Zeit abzieht, in der der Betrieb eingestellt wurde, dann kommt man bei der tatsächlichen Betriebszeit auf wahrscheinlich fünf Störungen pro Monat.

Ich will Ihnen hier wirklich die lange Liste der ernsthaften Störungen ersparen, nur: Un­dichtheit im Reaktor, Austreten von Wasser, Schäden, Risse, Vibrationen, die Beton­platte unter der Turbine ist abgesunken und hat sich etwas geneigt. Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Haus, und das Haus neigt sich! – Das also sind die Störfälle, die hier aufgetreten sind.


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Und dann gibt es noch eine andere Liste, nämlich eine mit 138 Aussagen aus den letz­ten 20 Monaten, die von Mitgliedern der Regierungskoalition getroffen wurden. Es sind lauter unterschiedliche Aussagen, jeden Tag, jede Woche wird eine andere gemacht. So hat Kanzler Schüssel einen Brief an die ÖVP-Funktionäre geschickt – Herr Dr. Böhm, Sie haben ja gesagt, dass jene, die das Anti-Temelίn-Volksbegehren nicht unterstützt haben, verantwortungslos gewesen sind –, in dem er schreibt: Wer unter­schreibt, gefährdet die Anti-Atompolitik und handelt grob fahrlässig. Zudem spielt das FP-Volksbegehren der Opposition in die Hände. – Zitat Dr. Wolfgang Schüssel.

Herr Dr. Böhm! Das ist Ihr Regierungspartner, daher sehen Sie es jetzt natürlich ein wenig anders. (Bundesrat Dr. Böhm: War das Ihr Argument damals?) Sie haben vor­hin die SPÖ-Fraktion angegriffen, weil die SPÖ dieses Volksbegehren nicht unterstützt hat. (Bundesrätin Roth-Halvax: Dafür eine Empfehlung des Bundeskanzlers! – Bun­desrat Konecny: Na immer, Frau Kollegin, immer!)

Es ist für Mitglieder des Bundesrates auch sehr wichtig, die Beschlüsse des oberöster­reichischen Landtages zu kennen, denn der oberösterreichische Landtag – die ÖVP-Fraktion, die SPÖ-Fraktion und die Fraktion der Grünen – hat am 5. Juni 2003 be­schlossen, dass die Landesregierung an die Bundesregierung herantreten und diese auffordern soll, als unmittelbare Konsequenz aus dem alarmierenden ExpertInnenbe­richt über die Nachrüstmaßnahmen in Temelίn konkrete Stilllegungsinitiativen für das AKW Temelίn rasch umzusetzen und dabei vor allem direkte bilaterale Ausstiegsver­handlungen raschest zu starten. – Diesen Landtagsbeschluss kennt wahrscheinlich jeder Oberösterreicher/jede Oberösterreicherin im Bundesrat.

Geschätzte Damen und Herren! Aufforderungen der oberösterreichischen Landesre­gierung an die Bundesregierung werden nicht gehört in dieser Bundesregierung. Man wartet lieber wieder auf einen Störfall, bis diese Angelegenheit wieder thematisiert wird, und dann wird man wieder darüber reden.

Temelίn ist eine lange Geschichte des Misserfolgs des Verhandlungsgeschicks unserer Bundesregierung. (Bundesrat Dr. Böhm: Meinen Sie Vranitzky und Klima?) – Dieser Bundesregierung, habe ich gemeint, der jetzigen Bundesregierung! – Ich habe Ihnen vorhin die Aussagen zitiert, die von den Parteien gemacht wurden, und mir diesbezüg­lich auch eine Statistik gemacht: Siebenmal pro Monat wurden von den Parteien der Bundesregierung differierende Aussagen zum Thema Temelίn getätigt! Das heißt, dass diese Bundesregierung auch ein ständiger Störfall ist. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. – Bundesrat Dr. Böhm: Dann nehmen Sie Störfälle aber überhaupt nicht ernst! – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Sie eifern offensichtlich Ihren Parteikollegen im Nationalrat nach! – Ruf bei der ÖVP: „Abrüstung der Worte“ hat die Frau Präsidentin gesagt!)

Geschätzte Damen und Herren! Es ist nicht zu erwarten, dass die Serie der Temelίn-Störfälle in naher Zukunft abreißen wird. Die einzige vernünftige Option heißt: Abschal­ten für immer. Die Verhandlungen sollten jetzt aufgenommen werden. Es ist höchste Zeit für echte Ausstiegsverhandlungen mit Tschechien. Der derzeitige Weg der bloßen Informationspolitik über Schäden hat sich als unzureichend erwiesen. Im Interesse der Sicherheit der österreichischen Bevölkerung muss der Ausstieg durchgesetzt werden. Die Verharmlosung der zahllosen bisherigen Störfälle, von denen ich einige erwähnt habe, und ein konsequenzloses Lamentieren sind zu wenig.

Es darf nicht zu einer Katastrophe, zum so genannten Super-GAU kommen, und es darf auch nicht gewartet werden, bis er kommt. Ständige Risse und Brüche in be­triebswesentlichen Anlagen sind sehr ernst zu nehmen. Es haben im grenznahen Be­reich die Bewohnerinnen und Bewohner berechtigte Angst vor dieser Anlage.


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Die Bundesregierung muss sich aktiv um das Gespräch bemühen, sie muss auch mit dem Nachbarn Bayern das Gespräch suchen, denn Ministerpräsident Edmund Stoiber hat angekündigt – und das habe ich aus den Medien vernommen –, dass auch Bayern die Errichtung eines neuen Atomkraftwerkes beabsichtigt. Heuer gibt es eine gemein­same bayrisch-oberösterreichische Landesausstellung, die „Grenzenlos“ heißt, und in diesem Zusammenhang darf ich sagen: Auch Auswirkungen von Störfällen treten grenzenlos auf, sie kennen keine Grenzen. Das müsste man auch dem bayrischen Ministerpräsidenten einmal sagen und ihn ersuchen, in Bayern kein neues Atomkraft­werk zu errichten.

Ziel muss sein, es der tschechischen Republik zu ermöglichen, aus der Atomenergie­gewinnung auszusteigen und auf die Gewinnung von Energie aus anderen Energie­quellen umzusteigen, damit die österreichische Bevölkerung wieder sicher vor dem Super-GAU ist. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

17.21

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Ing. Kampl. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.21

Bundesrat Ing. Siegfried Kampl (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geschätzter Herr Prä­sident! Geschätzter Herr Bundesminister! Aus den Folgen von Tschernobyl sollten wir lernen. Der Zwischenfall von 1986 hat auch uns in Österreich, über 1 000 Kilometer davon entfernt, das Fürchten gelehrt. Eine Woche Weideverbot für Rinder, eine Woche Milchlieferverbot für alle bäuerlichen Betriebe in Österreich und ein Jahr kein Wild­fleisch auf dem Markt: Das sind nur einige Beispiele, die ich aufzeigen möchte.

Große Bedeutung hat der heute hier eingebrachte Entschließungsantrag, der zum In­halt hat, mit allem Nachdruck den Atomausstieg Tschechiens zu betreiben.

Als Kärntner Vertreter ersuche ich Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister Pröll, auch die Schließung des Atomkraftwerkes Krško in Slowenien zu verlangen. Krško liegt auf einem erdbebengefährdeten Gebiet. – Danke schön. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der SPÖ.)

17.23

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Kerschbaum. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.23

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wollte jetzt nur fragen. Den Entschließungsantrag von ÖVP beziehungsweise von FPÖ haben wir noch nicht, oder? Sehe ich das richtig? Gibt es ihn schon? (Die Frage wird vom Direktor des Bundesrates bejaht.) Können wir ihn dann auch zu Gesicht bekommen, bevor darüber abgestimmt wird? (Es wird darauf hingewiesen, dass der Antrag schon verteilt wurde.)

Herr Bundesminister! Ich muss sagen, ich war ziemlich enttäuscht, als ich in der „Kro­nen-Zeitung“ gelesen habe, dass gerade Sie derjenige waren, der uns einen Tag lang nicht mitgeteilt hat, dass im Kernkraftwerk Temelίn ein Unfall war. (Zwischenbemer­kung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.)

In der „Kronen Zeitung“ ist es anders gestanden. Ich war enttäuscht von Ihnen, denn ich habe Ihnen das nicht zugetraut.


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 133

Sie sagten, Sie hätten sofort reagiert, und Sie sagten auch, es sei nicht wirklich not­wendig gewesen, eine Meldung an die APA zu schicken, denn es sei dort nichts pas­siert. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

Es soll jedenfalls kein Störfall, kein Unfall und kein Hoppala gewesen sein, sondern ein Ereignis. Ich weiß nicht, was es gewesen sein soll, aber vielleicht können Sie noch genauer definieren, was es war. War es ein Ereignis oder ein Hoppala?

Was ist eigentlich ein „Ereignis“? – Wenn keine Gefahr ausgegangen ist und Sie sofort gewusst haben, dass keine Gefahr ausgegangen ist, warum haben Sie dann die APA nicht informiert? Gerade dann hätte man doch sagen müssen: Es war etwas, aber es ist keine Gefahr für uns ausgegangen und es kann uns nichts passieren! – Ich denke, das wäre doch eine Meldung an die APA wert gewesen.

Die Beantwortung dieser Dringlichen Anfrage hat mich, ehrlich gestanden, noch mehr enttäuscht, vor allem Ihre Aussage, dass wir akzeptieren müssen, dass andere Länder andere Energieformen haben. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Dass sie über ihre Energieformen entscheiden können!)

Sie haben gesagt: Wir müssen akzeptieren, dass andere Länder über ihre Energiefor­men selbst entscheiden – und dass sie andere Energieformen haben. Auch das haben Sie gesagt! (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll schüttelt verneinend den Kopf.)

Dazu muss ich sagen: Wenn ich etwas akzeptiere, dann finde ich mich damit ab! Es ist meiner Meinung nach nicht Ausdruck einer aktiven Antiatompolitik, wenn man sich mit diesen „anderen Energieformen“ abfindet und nichts mehr dagegen tun möchte. (Abg. Mag. Gudenus: Da können wir uns doch nicht ständig einmischen!)

Ich kann mich insofern einmischen, als man nicht sagen kann, dass uns das nichts kostet. Wir zahlen ja mit, wir haben den EURATOM-Vertrag unterschrieben, und auch wir zahlen über die EU-Mittel für die Atomenergie ein. Das heißt: Es ist nicht so, dass uns das alles nichts angeht. Gäbe es in Europa keine Atomkraftwerke, dann müssten wir auch keinen EURATOM-Vertrag haben, dann müssten wir in diesen Pott auch kein Geld abliefern. Also es ist nicht so, dass uns das alles nichts angeht!

Was mich des Weiteren noch enttäuscht hat, das war Ihre Aussage, dass sich die Re­gierung beziehungsweise alle Mitglieder der Regierung bei der Verfolgung der konse­quenten Anti-Atompolitik Österreichs ja so fürchterlich einig sind, denn ich habe ein paar Aussagen von Herrn Bundeskanzler Schüssel gehört, die dem Anti-Atomkurs nicht entsprechen, und ich würde von Ihnen gerne wissen, ob Sie sich da wirklich mit ihm so ganz einig sind. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir sagen würden, dass es in diesem oder jenem Fall nicht ganz so ist.

So hat zum Beispiel die Bundesregierung eine klare antiatompolitische Position ver­missen lassen, denn sie will zusätzlichen EU-Atom-Milliarden selbst dann zustimmen, wenn mit diesen Geldern in Bau befindliche AKWs fertig gestellt werden. – Diese Posi­tion haben ÖVP und FPÖ im Jänner 2004 per Entschließungsantrag gegen die Stim­men der Opposition festgeschrieben. (Bundesrat Dr. Böhm: Nicht für neue!)

Es gibt keine konkrete Initiative für die EURATOM-Reform. Bundeskanzler Schüssel hat sich erst vergangenen Freitag bei der Nationalratssitzung gegen einen Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag ausgesprochen. – Was war noch? (Ruf bei der ÖVP: Das reicht!) Das reicht eigentlich, ist wahr. Lassen wir es dabei! (Bravoruf und demonstrativer Beifall bei Bundesräten der ÖVP.)

Nein, da gibt es schon noch einen Punkt, nämlich: Minister Bartenstein, der zwar schon den Saal verlassen hat, hat vor kurzem gesagt, dass wir unsere Ziele im Bereich der erneuerbaren Energie und im Bereich des Öko-Stromes bereits erreicht und überschrit-


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
710. Sitzung / Seite 134

ten hätten. Er ist auch ein Mitglied der Bundesregierung, und wenn Sie sagen, alle Mit­glieder der Bundesregierung seien sich so einig, dann würde ich gerne Ihre Meinung dazu hören und möchte Sie fragen, ob Sie auch der Meinung sind, dass wir in Öster­reich die Ziele im Bereich Öko-Strom bereits überschritten haben und dass das Öko-Stromgesetz geändert werden muss. Ich hätte von Ihnen gerne eine Antwort darauf.

Außerdem hätte ich auch gerne den Antrag der ÖVP, um zu wissen, ob wir zustimmen oder ablehnen beziehungsweise wie wir bei der Abstimmung vorgehen. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ. – Vizepräsident Mag. Himmer: Ist schon un­terwegs!)

17.28

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desminister Dipl.-Ing. Pröll. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


17.28

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der Beantwor­tung der Dringlichen Anfrage nur noch ein paar Antworten auf Fragen, die ich so nicht im Raum stehen lassen kann.

Ich resümiere: Es wurden hier von manchen Bundesräten Ausdrücke wie „vertuschen“, „Schrottreaktor“, „Störfall“ und so weiter in die Diskussion gebracht. – Für mich geht es in dieser extrem sensiblen Frage der Nutzung der Atomkraft um nicht mehr und nicht weniger als um die Sicherheit der Bevölkerung, und da soll man bei den Tatsachen, bei den Möglichkeiten und bei den Chancen bleiben.

Zur Frage Störfall: Sie haben gesagt, ich hätte gesagt, es sei kein Störfall aufgetre­ten. – Man muss sich genau anschauen, worum es da international geht. Daran sollten sich auch die Bundesräte in diesem Raum halten. Es gibt eine INES-Skala, das ist die Internationale Nuklear-Ereignis-Skala, siebenstufig, an der wird alles gemessen, inter­national aufgestellt. Die Stufe eins wird zum Beispiel als Anomalie bezeichnet, ab Stufe vier als Unfall.

Und daran halte ich mich! Ich halte mich daran, welche Stufe im konkreten Fall einge­treten ist, wie dieses Ereignis zu nennen ist, und demgemäß argumentiere ich auch. Da geht es nicht um Verharmlosen, um Vertuschen, sondern da hat man zu prüfen, welcher Stufe der Skala das Ereignis zuzuordnen ist, und das hat man entsprechend zu titulieren. Dort ist nach internationalen Gepflogenheiten dafür die Bezeichnung „Störfall“ nicht zu verwenden. – Das ist der Punkt!

Es geht nicht darum, irgendetwas zu verharmlosen, zu vertuschen, zu verbergen, son­dern da hat man sich danach zu richten, auf welcher Ebene wir international in der Europäischen Union miteinander in Bezug auf Standards in der Kommunikation ver­kehren. – Das ist der Punkt, um das klarzustellen! (Beifall bei der ÖVP und den Frei­heitlichen.)

Was die Frage „Melker Prozess“ betrifft: Die Zwischenberichte haben wir veröffentlicht; auf der Homepage des UBA gibt es eine laufende Aktualisierung über das, was den „Melker-Prozess“ und Maßnahmen in Temelín betrifft, und zwar offen, transparent und für alle zugänglich. Wir haben in keiner Phase der Kommunikation mit der Tschechi­schen Republik in der Umsetzung der „Melker-Verträge“ und auch in der Kommunika­tion der Ereignisse, die eintreten – oder auch nicht –, nach den verschiedenen Bewer­tungen der Skala, irgendetwas nicht gemeldet!

Ich wehre mich aufs Äußerste gegen den Vorwurf der „Vertuschung“! Die Bundeswarn­zentrale hat diese Information bekommen, zum selben Zeitpunkt auch das Umweltmi­nisterium beziehungsweise andere Ministerien. Die Tschechen haben in dieser Mittei-


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lung klar gesagt: keine Gefahr für Mensch und Umwelt!, und unverzüglich sind die In­formationsschienen bis ins Detail des betreffenden Planes abgelaufen.

Wo ist das Thema?!, das war mein Bezug zur Frage „Wahlkampf“. Wenn Sie sagen, ich hätte gesagt, eine Diskussion über die Schließung von Temelín sei jetzt nicht ziel­führend: Ja, denn vier Tage vor einer Wahlauseinandersetzung eine emotionalisierte Debatte zwischen Tschechien und Österreich zu führen, das halte ich vom Zeitpunkt her für nicht richtig – und dazu stehe ich! (Beifall bei der ÖVP.)

Unser Ziel ist es – und das ist auch der Auftrag des Nationalrates, ist der Auftrag die­ses Hauses, den ich erfüllen werde –, zu diskutieren, und zwar sachlich und emotions­los und mit der klaren Zielsetzung, dass wir die bestmögliche Sicherheit für Öster­reichs Bevölkerung haben. Dass das so ist, da können Sie mich beim Wort nehmen!

Ich habe gesagt: Eine Diskussion ist jetzt nicht zielführend! Dazu stehe ich auch, weil ich überzeugt davon bin, dass eine aufgeheizte, emotionale Stimmung nicht zielfüh­rend und sinnvoll sind. (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Sie schaden damit den Atom­gegnern in Tschechien!)

Zur Frage Ökostromgesetz habe ich mich bereits mehrmals öffentlich geäußert. Das Ökostromgesetz ist ein Gesetz, das einen Erfolg gebracht hat. Wir sind da auf dem richtigen Weg, aber natürlich gibt es Ecken und Kanten, die wir abschleifen müssen.

Zur Frage Windenergie: Sie wissen, dass es gerade in Niederösterreich, in unserer gemeinsamen Heimat, wenn Sie wollen, noch genauer: im Weinviertel, eine massive Diskussion darüber gibt, ob Wind-Energieräder verbreitet aufgestellt werden dürfen oder nicht, und zwar im Hinblick auf Naturschutz- und andere Gründe. Ich denke, dass wir eine gemeinsame, eine vernünftige Linie finden müssen. So gesehen also: klares Bekenntnis zur Frage Ökostrom – und da trennt uns in der Zielsetzung überhaupt nichts! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

17.33

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Schimböck. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.33

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Aus­sage von Ihnen, Herr Bundesminister, hat mich etwas frappiert, Sie wurden nämlich in der Zeitung „Die Presse“ zitiert, laut der Sie angeblich gesagt haben: „Jeder Staat hat das Recht auf seine eigene Energiepolitik.“ – Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn das der juristische Status ist, in dem wir uns jetzt befinden, dann stimmt mich das schon sehr bedenklich. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Bereits die Rechtswissenschafter Maria Theresias, um so weit in der Geschichte zu­rückzugehen – Herr Professor Böhm möge mich korrigieren –, haben sozusagen das AGBG kreiert, in dem ganz klar geregelt ist, was Emissionen beziehungsweise Immis­sionen sind.

Herr Bundesminister Pröll, ich kenne die niederösterreichische Bauordnung nicht, je­denfalls kann es aber auch nach dieser nicht so sein, dass man einen Rauchfang auf­stellt, der so gebaut ist, dass es dem Nachbarn hineinraucht und man ihm die Luft ver­pestet! Das ist doch auch in Niederösterreich unmöglich! Und ähnlich ist es auch nach dem EU-Recht, denn in diesem gibt es das klare Bekenntnis zu einer Umweltpolitik. Im Artikel 174 EGVG beispielsweise findet man ganz klar, dass es auch um die Gesund­heitsförderung der Menschen und um eine Hintanhaltung jeglicher gesundheitlicher Beeinträchtigung geht.


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Sich dafür einzusetzen, Herr Bundesminister, ist weder einen Tag vor einer Wahl noch an einem Wahltag noch einen Monat oder drei Jahre vor der Wahl eine Schande, son­dern da haben, wie ich meine, schon die berechtigte Angst und die Sorge der Men­schen, insbesondere die der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher, Vorrang. Und ich nehme an, auch die Sorge der an der Grenze wohnenden Landsleute Ihres Bundeslandes Niederösterreich hat da Vorrang, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

Zu bedenken gebe ich auch, Herr Bundesminister, dass wir uns in diesem Saale, und zwar vor wenigen Stunden, intensiv damit auseinander gesetzt haben, das wirtschaftli­che Gesellschaftsrecht EU-mäßig zu gestalten. Wir sollten uns daher auch im Umwelt­bereich eine ganz klare Zielsetzung geben.

Schauen Sie sich doch diesbezügliche Urteile an! Ich habe mir Urteile nach Arti­kel 174 EGVG angeschaut, das so genannte Titandioxid-Urteil des EuGH. Es hat ja bereits zahlreiche Entscheidungen in dieser Richtung gegeben. Ich meine daher, wir sollten wirklich nicht davor zurückzuschrecken, konsequent unseren Weg zu gehen.

Vor wenigen Tagen gab es eine Aussage von Universitätsprofessor Wolfgang Kromp, den Sie alle ja sicherlich kennen, Risikoforscher an der Universität Wien, der die Lage nicht nach der von Ihnen erwähnten Tabelle beurteilt hat, Herr Bundesminister, son­dern Professor Kromp hat gesagt: Das ausgetretene Kühlwasser ist mit Sicherheit or­dentlich verstrahlt; die Anlage insgesamt ist jedoch nicht mit einem Sieb vergleichbar! – Na Gott sei Dank, kann ich da nur sagen!

Was diese 72-Stunden-Frist betrifft, Herr Bundesminister: Ich unterstelle Ihnen jetzt wirklich nicht, irgendetwas verzögert zu haben, sondern möchte sagen: Man sollte schon bedenken – und das haben wir ja im Zusammenhang mit der Tschernobyl-Katastrophe leidvoll erfahren müssen ... (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer.)

Herr Kollege, auch Sie als Bürgermeister werden das wissen: Die Verstrahlungs­verbreitung von Radioaktivität berechnet man nach Sekunden! So schaut das aus, und das wird Ihnen sicherlich jeder bestätigen. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundes­rates Bieringer.)

Nun zu einem Punkt, der mich als Wirtschaftstreibenden ein bisschen bedenklich stimmt, denn: Vom Vize-Industrieminister der Tschechischen Republik Martin Pecina hat es die klare Aussage gegeben, dass in Prag bereits Anträge eingebracht werden, das AKW Temelín auszubauen und zu erweitern, also weitere Meiler aufzustellen. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Was hat der Premierminister dazu gesagt?)

Minister Pecina hat das dann zwar etwas abgeschwächt, aber wie Sie wissen, hat der oberösterreichische Atombeauftragte Radko Pavlovec, zweifellos auch ein unverdäch­tiger Zeuge, der, glaube ich, keiner politischen Richtung zuzuordnen ist, gemeint, dass er, Pavlovec, auf Grund dieser Entwicklungen quasi Fusionsbestrebungen – Sie haben das zuvor selbst kurz zitiert – mit einem slowakischen Energieunternehmen sieht, einem Energieunternehmen, das, wie wir wissen, zwei Standorte betreibt.

Da stellt sich für mich schon die Frage – wenn ich mir diese sozusagen visionäre Energiebilanz der Tschechischen Republik ansehe, in der es heißt: Wir stehen jetzt bei 18 Prozent Atomstromanteil und eigentlich wollen wir auf 38 Prozent ausbauen! –, wie es angesichts dieser Bestrebungen weitergehen soll.

Diese aktuelle Entwicklung, in deren Zusammenhang es – und das zu Recht, muss ich sagen – große Ängste meiner oberösterreichischen Landsleute gibt, ist schon sehr, sehr bedenklich, und solche Ängste, Herr Bundesminister, schürt nicht irgendeine poli­tische Partei, sondern das ist die Situation auf Grund realer Medienberichte. Da ent­stehen doch zu Recht Ängste, wenn die Menschen erfahren, dass jetzt das Gefähr-


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dungsmoment sozusagen bei 18 Prozent liegt – und irgendwann werden es dann 38 Prozent sein.

Als Wirtschaftstreibender frage ich mich schon: Wie schaut da der finanzielle Hinter­grund aus? Diese beiden Atommeiler in Temelín, von denen eben die Rede ist, haben ungefähr 100 Milliarden Kronen gekostet, und die beiden weiteren, die noch gebaut werden sollen, werden noch einmal 150 Milliarden Kronen kosten. Ich weiß nicht, wer das finanzieren soll!

Herr Bundesminister Pröll, da ist jetzt an Sie die wirklich dringliche Aufforderung gerichtet, für eine Klärung zu sorgen, ebenso für eine lückenlose Information sowie für eine gesunde Umwelt – und dass Sie sich ganz offensiv für eine Hintanhaltung all der Risken einsetzen!

Darum ersuche ich Sie, auch im Namen meiner Landsleute in Oberösterreich, Herr Bundesminister Pröll! – Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

17.39

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Gruber. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


17.39

Bundesrat Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister, ich hoffe und erwarte, dass Sie Verständnis haben für die Sorgen der Menschen in unserem Lande.

Ich erinnere mich noch genau an die Katastrophe von Tschernobyl von vor 18 Jahren, genau war es am 26. April 1986. Am 1. und 2. Mai 1986 sind wir im Bundesland Salz­burg bei Mai-Umzügen, aber auch bei Floriani-Feiern, im Freien gestanden – und das bei strömendem Regen. Am Abend haben wir dann im Fernsehen gesehen, was in Tschernobyl passiert ist; dazwischen waren immerhin vier bis fünf Tage vergangen.

Ich bin dann ein paar Tage später nach Ungarn, nach Budapest gefahren. (Bundesmi­nister Dipl.-Ing. Pröll: Eine interessante Frage!) – Ja, darum schneide ich es auch an. – Ich war dann am 8. oder 9. April in Budapest – damals noch hinter dem Eisernen Vorhang –, und in Budapest hat man damals von Tschernobyl noch gar nichts ge­wusst!

Wir wissen heute, dass es damals kein Informationssystem in dieser Form gegeben hat. Wir wissen auch, dass die Verursacher nicht informiert haben, weil sie davon aus­gegangen sind, dass es sich um einen kleinen Störfall handelt, den man in den Griff bekommt. Und wir alle – und vor allem jene, die mit der Technik ein bisschen besser vertraut sind – wissen, dass es sehr schwer ist, in einem Atomkraftwerk zu unterschei­den: Was ist ein kleiner Störfall? Was ist ein großer Störfall? Und wozu kann sich ein kleiner Störfall ausbreiten? – Und das dürfte damals in Tschernobyl geschehen sein. Man wollte es ursprünglich nicht zugeben, dass man technologisch hinter dem Westen steht, dass man die Osttechnologie nicht im Griff hat, und wollte das damals vertu­schen.

Die Konsequenzen daraus kennen wir alle. Ich darf Ihnen hier nur sagen, Herr Bun­desminister, da Sie ja auch für die Landwirtschaft zuständig sind: Im Gasteiner Tal, am hinteren Ende im Gasteiner Nassfeld – damit man es nicht mit dem Kärntner Nassfeld verwechselt – muss heute, nach 18 Jahren, die Milch noch mit einer anderen Milch verdünnt werden, also mit Milch aus einer anderen Region zusammengeschüttet wer­den, damit man diese Milch überhaupt verwenden kann! So lange dauert das! Ange­sichts dessen darf man sich auch nicht darüber wundern, dass die Menschen heute so


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sensibel sind und dass die Menschen ängstlich sind. (Bundesrat Kneifel: Wo wurde die Milch ausgeschüttet? Wo?)

Nicht ausgeschüttet, Herr Kollege Kneifel, verdünnt – weil bis vor kurzem die Kontami­nation des Talbodens so stark war, dass die Milch der Kühe, die dort im Sommer auf der Wiese waren, verdünnt wurde. Das kann man nachprüfen! Das ist überhaupt keine Frage. (Bundesrat Dr. Kühnel: ... die Radioaktivität im Gasteinertal! Das war vielleicht schon früher!)

Lieber Herr Kollege! Du kannst vielleicht sehr gescheit sein, aber du solltest Radioakti­vität aus der Kernenergie mit den Abfallprodukten Strontium, Uranium, Cäsium unter­scheiden vom Edelgas Radon, das wir in Gastein haben! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Nur dann, wenn man das nicht tut, kann man so eine Aussage machen, wie du sie so­eben gemacht hast. (Weiterer Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Nein, man sollte das Abfallprodukt des Kernreaktors, das da herauskommt, kennen, und man sollte wissen, welches Radon-Vorkommen es in Gastein gibt, denn dann kann man solche Dinge nicht sagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe das: Herr Professor Böhm kommt hier heraus und baut Brücken. Ich verstehe es auch, warum er Brücken baut. Kollege Kneifel hat gerade vorhin von einer Abrüstung der Worte gesprochen – ich bin diesbezüglich völlig deiner Meinung. Auch die Frau Präsidentin hat das heute schon einmal gesagt. Aber bitte, wenn Ihr Koalitionspartner – der geheime Parteiobmann der FPÖ, sage ich jetzt einmal – gestern am Abend in Salzburg im Bräustüberl laut APA die Aussage gemacht hat, „Ursula Stenzel habe eine jämmerliche Rolle gespielt und in der Atompolitik versagt: In Österreich habe sie dagegen gesprochen und in Brüssel dafür gestimmt“, dann muss Sie, meine Herren von der ÖVP, das doch nachdenklich stimmen! – Darum verstehe ich auch, dass der Herr Professor hier Brücken baut. (Bundesrat Dr. Kühnel: ... schon angesoffen! – Bundesrat Konecny: Wer war ange­soffen? Das täten wir jetzt gerne wissen!)

Herr Kühnel, wenn Sie glauben, dass Herr Haider dort angesoffen war, dann ist das Ihre Feststellung. (Bundesrat Konecny: Ungeheuer! – Weitere Zwischenrufe. – Vize­präsident Mag. Himmer gibt das Glockenzeichen.) Ich würde das nicht sagen.

Meine Damen und Herren! Und genau hier möchte ich ableiten: Herr Bundesminister! Ich glaube nicht und unterstelle auch nicht, dass Sie hier versucht haben, etwas zu vertuschen, oder dass Sie das verharmlosen wollten. Überhaupt nicht! Ich glaube, es ist an der Zeit, dass man versucht, das System zu verbessern, nämlich dahin gehend, dass kleine Störfälle genauso schnell oder noch schneller gemeldet werden, dass man die Menschen informiert, weil die Folgen – wie wir ja sehen – verheerend sein können.

Ich weiß auch nicht, wie Sie es mit Ihren Parteifreunden in Deutschland halten. Ich habe nur von Frau Merkel und auch von Herrn Stoiber gehört, dass man im Falle einer Regierungsübernahme natürlich wieder Atomkraftwerke in Deutschland errichten wird, weil man auf die Atomenergie auch baut. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.) Ja. Aber ich sage es nur, weil auch hier der Hinweis gekommen ist, innerhalb der EU sollte man mit den Herrschaften reden. Wissen Sie, was man in Salzburg über die Stoiber-CSU sagt? – „C“ steht für „Cäsium“, „S“ für „Strontium“ und „U“ für „Uranium“. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

17.45

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Bieringer. (Oh-Rufe bei der SPÖ.) – Bitte, Herr Bundesrat.

 



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17.45

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schimböck, Sie kritisieren den Bundesminister, weil er gesagt hat, dass jeder Staat das Recht auf eine eigene Ener­giepolitik hat. – Ja Gott sei Dank hat jeder Staat ein Recht auf eigene Energiepolitik, denn wo kämen wir hin, wenn die Atomlobby herkommen würde und bei uns ein Atom­kraftwerk bauen würde?! Ich glaube, das wäre das Letzte, was wir in diesem Land brauchen würden! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Bundesrat Mag. Gu­denus: Sehr gut!)

Daher finde ich es ganz gut, dass das so ist.

Kollege Gruber, du hast gesagt, bei Tschernobyl sind wir nicht verständigt worden. – Das ist vollkommen richtig. Hast du vergessen, wer damals Bundesminister war? – Ich glaube, das war der ehemalige Fernsehintendant Kreuzer, der zur damaligen Zeit Ge­sundheitsminister gewesen ist und dessen Krisenmanagement da total versagt hat. Das möchte ich ausdrücklich festhalten! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Und wenn Sie glauben, da auch nur ansatzweise einen Zusammenhang mit dem Stör­fall vom vergangenen Sonntag herstellen zu können (Bundesrat Gruber: ... eine Schuldzuweisung gemacht, aber hat nicht einmal gewusst, ...! – Vizepräsident Mag. Himmer gibt das Glockenzeichen), dann täuschen Sie sich, werter Herr Kollege! Diesen werden Sie nicht herstellen können! (Bundesrat Konecny: Ungeheuer! Da re­den Sie von der Abrüstung der Worte! Das ist eine Frechheit!) – Was ist eine Frechheit, Herr Kollege? (Bundesrat Konecny: ... Redestil! Entweder haben wir eine sachliche Debatte oder ... Wirbel!) – Dann sagen Sie Ihrem Kollegen, er soll nicht dreinschreien, sodass man nichts mehr verstehen kann! Dann sagen Sie ihm das! – Das ist ungeheu­erlich! (Vizepräsident Mag. Himmer gibt das Glockenzeichen.)

Wir werden es nicht zulassen (Bundesrat Gruber: Ludwig, mach dich nicht lächerlich!), dass Sie glauben, diesen Bundesminister anblacken zu können – ich sage Ihnen das! (Bundesrat Konecny: „an...“-was?) –, dass Sie glauben, diesen Bundesminister an­schwärzen zu können! Der hat korrekt gehandelt und sofort gehandelt! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Und dafür gebührt ihm unser Dank – das möchte ich ausdrücklich festhalten –, denn um 14 Uhr wurde der Herr Bundesminister vom Vorfall in Temelίn verständigt, und so­fort darauf ist er an die Öffentlichkeit gegangen. Ein Hellseher ist er leider noch nicht (Bundesrat Gruber: Der Kreuzer auch nicht!), sodass er von solch einem Störfall schon wissen hätte können, bevor er eintritt. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Ich verstehe bei aller Schwere der Thematik dieser Atom­kraftwerke – Gott sei Dank haben wir so etwas in diesem Lande nicht – diese künstli­che Aufregung nicht (Bundesrat Konecny: Bitte?!): Drei Kubikmeter kontaminiertes Wasser sind innerhalb des Bereiches dieses Atomkraftwerkes geflossen. Die Flüssig­keit wurde aufgefangen, es ist in keiner Weise – nicht einmal ansatzweise – zu irgend­einer Verstrahlung gekommen. Es war somit keine Gefährdung von Menschen und Umwelt gegeben!

Da war es doch in Deutschland ein bisschen anders: Ich glaube, am 24. April sind in Philippsburg – das ist in Baden-Württemberg – 30 000 Liter in den Rhein geflossen! Das heißt, vom Kernkraftwerk hinaus und in den Rhein hinein! – Ja, das war ein ... (Bundesrat Konecny: Das ist ein schwaches Argument! – Zwischenrufe der Bundes­räte Kerschbaum, Gruber und Binna.) – Wer ist das? (Ruf bei der SPÖ: ... Bundes­kanzler!) Ja, ich glaube, der Bundeskanzler in Deutschland heißt Schröder – eines an­deren kann ich mich nicht entsinnen. (Bundesrat Gruber: Aber die Kernkraft haben ...!)


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Und daher verstehe ich all Ihre Aufregung nicht. Dass drei Kubikmeter ausgeflossen sind, das ist überhaupt kein Thema. Aber daraus dem Bundesminister Pröll einen Vor­wurf zu machen, das ist schon ein bisschen weit hergeholt, das sage ich Ihnen! (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Weilharter.)

Ich sage das auch als Salzburger. Vielleicht wissen Sie auch, was der Abgeordnete Pilz von den Grünen – und ich werde doch hoffentlich nicht in den Verdacht geraten, dass ich mit dem grünen Abgeordneten Pilz irgendwo in Zusammenhang zu bringen wäre (Bundesrat Schennach: Der „Gottseibeiuns“!) – gesagt hat. Der hat in München gesagt: Im Vergleich zu Isar I ist Temelίn eine hochwertige Anlage!

Meine Damen und Herren! Wenn die Anlage – laut Meinung von Pilz – in Temelίn so „hochwertig“ ist, wie Pilz gesagt hat – ich kann das nicht beurteilen, ich maße mir das nicht an (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Er ist nicht der Atomexperte!) –, dann ver­stehe ich Ihre Aufregung nicht! Ich würde mich freuen, wenn Sie sich so aufregen würden, wenn es darum geht, dass Isar I zu schließen ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

17.51

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Ich habe mir jetzt kurz überlegt, was ich zu den in der Debatte gefallenen Worten sagen möchte. Ich habe mich dafür entschieden, mich jenen anzuschließen, die gesagt haben, sie plädieren für eine Abrüstung der Wor­te, und mir eine Analyse, ob ich jetzt einen Ordnungsruf erteilen soll, zu ersparen.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Kollege Schennach – „Dr. Schennach“ hätte ich jetzt fast gesagt. (Bundesrat Schennach – auf dem Weg zum Rednerpult –: Keine Fabel!) – Bitte.

 


17.52

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Bundesminister! Lieber Ludwig Bieringer! Machen Sie so weiter, Sie sind auf einem guten Weg! Ich merke, dass Sie sich zunehmend an Peter Pilz und seiner Mei­nung orientieren. Ich kann Ihnen auch in Ihrer Funktion als Bürgermeister von Wals-Siezenheim sagen: Sie machen das richtig! Das ist ... (Zwischenruf der Bundes­rätin Roth-Halvax.)

Nein, ich danke dem Professor Konecny! Ich habe das nicht gewusst! Jetzt kann man ja viel leichter mit Bieringer diskutieren, jetzt weiß man, wo dieser Mann hinhört, wenn es um politische Meinung geht! (Heiterkeit bei Bundesräten der Grünen und der SPÖ. – Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Auf den Peter Pilz!) Super!

Lieber Herr Bundesminister! Ich habe – ich glaube, bei der vorletzten Diskussion – ge­sagt: Ich hoffe, es schadet Ihnen nicht, wenn ich sage, dass Sie ein absolutes Plus dieser Bundesregierung sind. – Auch nach dieser Sache bekräftige ich das: Sie sind nach wie vor ein Plus dieser Bundesregierung, nur, Herr Bundesminister: Es gibt zwei Dinge – nein, drei Dinge.

Das eine: Ich glaube nicht eine Sekunde, dass Sie irgendetwas vertuschen oder sonst irgendetwas Derartiges wollten – Sie sind nicht der Mann dafür. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, dann könnten Sie sagen: Aber eine Schrecksekunde habe ich als zustän­diger Minister schon gehabt, als ich um 13.48 Uhr diese Meldung bekommen habe und gewusst habe, wir sind im Finale eines Wahlkampfes! – Also eine Schrecksekunde muss da dabei gewesen sein! So cool können Sie nicht sein, Herr Bundesminister, dass da keine Schrecksekunde ... (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Nerven behalten ist das!) – Ja, ja, „Nerven behalten“! Also die Schrecksekunde war sicher da. Sagen Sie das also: Ja, es war eine Schrecksekunde da, mitten in einem Wahlkampf, der in Tschechien stattfindet, der in Österreich stattfindet.


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Und ich wünsche mir nämlich eines: dass wir über das Thema Atom diskutieren und dabei nicht wie der pawlowsche Hund, wie bei einem pawlowschen Reflex nur immer an Tschechien denken! Ich sage als Tiroler: Wir denken überhaupt nicht in erster Linie an Tschechien! Wir denken vielmehr an die Bayern, wir denken an andere, und ich habe das Gefühl: Immer, immer, immer geht es um Tschechien. Aber es ist nicht Tschechien alleine, es sind Kozloduj, Krško, Bohunice, Mochovce, Paks – und es ist auch Temelίn.

Kollege Kneifel, eines muss man schon sagen (Bundesrat Kneifel: Das steht alles im Antrag!): Temelίn ist sicherlich ein Reaktor, der geradezu auffällig ist, was die Anzahl von erheblichen Störfällen betrifft, nur: Temelín liegt halt Linz sehr nahe, man erfährt es schneller, der Melker Prozess hat das auch beschleunigt. Von Kozloduj hören wir we­sentlich weniger, und das ist sicherlich ein AKW, das wahrscheinlich nicht einmal ein Zehntel der Sicherheit von Temelίn hat – das sage ich hier einmal ganz offen. Und der Radioaktivität sind ja die Kilometer im Grunde Wurscht: Kozloduj liegt genauso vor unserer Haustüre wie Temelίn. Wir müssen einmal wegkommen von dieser Reflexdis­kussion nach dem Motto: Atomkraft ist gleich Tschechien. – Kollege Böhm, da waren Sie und Ihre Partei natürlich nicht ganz unverantwortlich. Erinnern Sie sich: Sie haben das immer junktimiert. Wir haben immer klarzumachen versucht, dass ein solches Junktim schlecht ist.

Zweitens, Herr Bundesminister: Mir fällt auf, dass es immer ein Missverständnis gibt. Sie sagen, Sie sind für eine Anti-Atom-Politik, die FPÖ sagt es, die SPÖ sagt es, die Grünen sagen es. Und dann haben Sie heute in einem Satz – zumindest mir – wieder klargemacht, worin der Unterschied besteht: Für Sie heißt Anti-Atom-Politik Sicher­heitspolitik, und für die anderen heißt es Ausstiegspolitik. Und ich glaube, dass das das grundlegende Missverständnis einer politischen Ansage ist, denn Sicherheitspolitik heißt, zu investieren in sichere Atomkraftwerke, in Standards – und Ausstiegspolitik heißt, in Alternativen zu gehen und auch in eine Übergangslösung, die möglichst sicher ist. Aber es sind unterschiedliche Ansätze.

Dann haben Sie etwas dahin gehend gesagt, dass Sie mit allen reden. Ich würde sa­gen: Sie sind auf dem besten Weg, ein zweiter Alois Mock zu werden! Der hat nämlich auch mit allen geredet und ist zu jeder Opposition gegangen, ob zum Frühstück oder auf Parteitage. Ich glaube, Sie sind auf dem besten Weg dorthin. Aber indem Sie mit allen reden, haben Sie jemanden übersehen, und das sind die eigenen sieben ÖVP-Abgeordneten! Die sind Ihnen irgendwie aus dem Blickfeld geraten, denn sonst könnte es nicht sein, dass bei sieben zentralen Atombeschlüssen im Europäischen Parlament die ÖVP-Abgeordneten immer auf der falschen Seite gestanden sind! Entweder hat ihnen das niemand gesagt, oder sie haben die Dokumente in der falschen Sprache bekommen – oder es ist ihre Meinung, dass innerhalb der Europäischen Volkspartei ein anderes Klima herrscht, nämlich im Wesentlichen ein Pro-Atom-Klima, das gerade von den Kollegen aus Bayern besonders begünstigt wird.

Ich bitte Sie, Herr Minister: Reden Sie jetzt weniger mit Sozialdemokraten (Bundesrat Konecny: Na geh!), Freiheitlichen und Grünen – etwas weniger –, und verwenden Sie jetzt nach der Wahl wesentlich mehr Zeit auf Ihre eigenen Abgeordneten, denn es darf doch nicht wahr sein, dass, wenn es um die wichtigen Frage geht, dass man EURATOM von der künftigen Verfassung herausspaltet, sieben Stimmen fehlen, und das sind die sieben ÖVP-Stimmen aus Österreich! Das darf doch einfach nicht wahr sein! Man kann doch nicht in Österreich Wasser predigen und in Brüssel Wein trinken.

Das ist es, was ich jetzt einfach zu dieser Diskussion noch anführen wollte. Das eine ist dieses prinzipielle Missverständnis: Ausstieg oder Sicherheit – beide meinen, es ist Anti-Atom-Politik. Das Zweite ist: Sie haben eine Schrecksekunde gehabt. Sagen wir es einfach, wie es ist: Es war eine Schrecksekunde da. Und das Dritte ist: Bitte, liebe


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ÖVP, ich weiß jetzt nicht, ob Ihre Mannschaft sich erneuert – Frau Dr. Stenzel scheint derzeit der Sache nicht ganz einsichtig zu sein –, aber reden Sie mit den Kollegen dar­über, dass das, was wir hier als gemeinsame Entschließungen des Nationalrates und gemeinsame Entschließungen des Bundesrates zum Ausdruck bringen, natürlich auch im Europäischen Parlament irgendwie Fuß fassen sollte und dass es nicht zu solchen Vorfällen kommen sollte. 64 Pannen in Temelίn sind schlimm, aber sieben Pannen der gesamten ÖVP-Fraktion in Brüssel – innerhalb einer kürzeren Zeit – sind nicht minder schlimm! – Danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

17.59

 


Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundes­rat Konecny. – Bitte, Herr Bundesrat. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)

 


18.00

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Sie werden es mit Fassung ertragen müssen. Es ist in der Demokratie so, dass man manchmal Dinge hören muss, die man nicht hören mag. Wenn Sie sich rechtzeitig daran gewöhnen, dann werden Sie sich in diesem Haus wohl fühlen können.

Ich möchte zunächst zwei Feststellungen treffen. Erstens: Der Herr Bundesminister hat Recht, ich habe inkorrekterweise von einem „Störfall“ gesprochen. Originellerweise kennt nämlich das Melker Protokoll dieses Vokabel nicht. Es kennt – und ich weiß ja nicht, in welcher Sprache das ursprünglich verhandelt wurde – einerseits „Ereignis­fälle“, das sind die angeblich harmlosen (Bundesrat Ing. Kampl: Bagatellen!), und es kennt „Ereignisse“. Ich nehme nicht an, dass die Autoren dieser Vereinbarung die Vermutung zugrunde gelegt haben, das sei der Normalbetrieb, denn den Begriff „Er­eignisse“ verwendet man umgangssprachlich eher nicht für außergewöhnliche und unter Umständen bedrohliche Fälle.

Natürlich haben Sie Recht, dass sich das an der internationalen Skala orientiert, aber ich darf den Damen und Herren – Sie, Herr Bundesminister, wissen das natürlich – die Mitteilung darüber, was beispielsweise ein „Ereignisfall“ ist, über den notfalls auch erst nach 72 Stunden zu berichten ist, als Zitat zur Verfügung stellen:

Der Verlust der Kontrolle über die radioaktive Quelle. – Bitte, wenn die Betreiber von Temelín, weil es hier vereinbart ist, die Kontrolle über den Reaktor verlieren, dann ha­ben sie 72 Stunden Zeit, uns das mitzuteilen. Ich habe gewisse Zweifel, ob sie nach 72 Stunden noch in der Lage sind, das mitzuteilen, wenn sie die Kontrolle über den Reaktor verloren haben – das nur zu der „harten“ und „entschlossenen“ Regelung, die das Melker Protokoll bietet. (Präsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Aber ich habe auch noch eine zweite Anmerkung zu dieser Debatte zu machen. (Bun­desrat Dr. Kühnel: Das sind aber lange Anmerkungen heute! Aber bitte!) – Herr Kolle­ge, Sie sind wie ich im Lesen wissenschaftlicher Literatur durchaus geübt, und Sie wis­sen, dass die Anmerkungen meist länger sind als der Text. (Bundesrat Dr. Kühnel: ... beim Stifter in die Schule gegangen!)

Die Redner der ÖVP – und im begrenzten Umfang gilt das ein bisschen auch für Pro­fessor Böhm – haben mich durch mangelnde Flexibilität enttäuscht. Sie haben alle ihre vorbereiteten Reden mitgehabt, und diese haben sie dann, unabhängig von dem, was hier abgelaufen ist (Zwischenrufe des Bundesrates Bieringer) – also du brauchst das Schreien nicht vorzubereiten; das kannst du immer, das ist schon richtig –, vorgebracht und nicht darauf Rücksicht genommen, was für eine Anfrage wir gestellt und auf wel­che Art wir versucht haben, diese Debatte zu führen.

Dieses Haus hat einen Mangel in seiner Geschäftsordnung: Wir haben nur das Instru­ment der Dringlichen Anfrage, um ein höchst aktuelles Thema auf die Tagesordnung


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zu bringen. Eine Aktuelle Stunde, die ein neutralerer Zugang zu einem Thema wäre, kennen wir, ich sage bedauerlicherweise, nicht. (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Das ist eine Anregung.

Wenn also die Bevölkerung in den letzten Tagen ein Thema mehr bewegt hat als unse­re parteipolitischen Kontroversen, dann war es dieses. Ich glaube, dass eine parlamen­tarische Körperschaft, die drei, vier Tage nach dem Ereignis zusammentritt, das dieses Land bewegt hat, die Verpflichtung hat, darüber zu sprechen. Üben Sie daran bitte keine Kritik! (Bundesrat Dr. Böhm: Habe ich Ihnen ja nicht ...!) – Sie nicht.

Wir haben betont und unterstrichen, dass es uns darum geht, klar zu machen und in Erinnerung zu rufen, dass wir auf der Basis einer gemeinsamen Anti-Atompolitik ste­hen. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich unter anderem oder, besser gesagt, im Kern mit der Anti-Atompolitik Österreichs und auch mit dem Melker Protokoll beschäftigt. Die Kollegen Kneifel und Böhm haben einen Antrag eingebracht, dessen literarische Ausführlichkeit unseren bei weitem übertrifft, der aber inhaltlich genau dasselbe besagt.

Ich möchte daher, um zu unterstreichen, warum wir diese Anfrage gestellt haben, den Entschließungsantrag der Bundesräte Konecny, Boden, Ebner, Giefing und Winter zurückziehen, weil wir vorhaben, Ihren Antrag zu unterstützen, der das aussagt, was auch wir für richtig halten! (Demonstrativer Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Dr. Böhm: Meine Einladung! – Bundesrat Reisenberger – in Richtung ÖVP –: Kühnel einmal ruhig! Etwas Neues im Hohen Haus! – Ruf bei den Grünen: Der Schock! – Bundesrat Reisenberger: Der Schock ist zu groß!)

Ich gebe zu, wir haben einen zweiten Entschließungsantrag gestellt, der den in der konkreten Situation notwendigen nächsten Schritt, nicht in Bezug auf Temelín, aber in Bezug auf die Anti-Atompolitik definiert. Ich darf Sie daran erinnern, dass es auch den Entschließungsantrag der Bundesräte Konecny und Boden betreffend die EURATOM-Revisionskonferenz gibt. (Bundesrat Schennach: Schimböck?!) – Nein, das ist inzwi­schen Boden geworden. Nicht böse sein, wir haben das schnell umgeschrieben, aber schon vor dem Einbringen!

Das ist nichts Nebensächliches, das ist nichts Formales, das ist ein ganz zentraler Punkt, ob – ich habe schon in meiner Begründung darauf hingewiesen – neben der Abspaltung des EuratoM-Vertrages vom europäischen Vertragswerk und damit von der künftigen europäischen Verfassung dort auch eine Revisionskonferenz eingeleitet wird, die der Politik dort eine andere Richtung geben kann. Das war eine der Streitfra­gen, der großen Streitfragen im Europäischen Parlament. Und ich bin ganz vorsichtig und füge hinzu, eine der Streitfragen, in der sich einige, nämlich sieben österreichische EP-Abgeordnete leider nicht zur Anti-Atompolitik bekannt haben! (Bundesrat Schenn­ach: Geirrt haben!) – Geirrt haben. Wollen wir das einmal unterstellen!

Diese Entscheidung ist notwendig. Sie im Rat – nur dort geht es – anzustoßen wäre wichtig. Ich lade Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP und von der FPÖ, aus­drücklich ein, unserer Aufforderung zu folgen oder, besser gesagt, unserem Beispiel zu folgen! Wir unterstützen Ihren Entschließungsantrag, und zwar nicht aus taktischen Gründen, sondern weil wir ihn einfach für richtig halten. Er deckt sich mit unserem An­trag. Es ist uns fremd, zwei inhaltlich gleichartige Anträge vielleicht sogar noch gegen­einander abzustimmen. Nein!

Wenn Sie also Ihren Text beschlossen haben wollen, dann können Sie gerne unsere Stimmen haben. Aber ich hoffe, dass Sie auch unseren Antrag unterstützen werden, und ich würde den Herrn Fraktionsvorsitzenden oder jemand anderen, der sich dazu


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legitimiert fühlt, um eine Meinungsäußerung dazu ersuchen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

18.08

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ager. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.08

Bundesrat Hans Ager (ÖVP, Tirol): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Lieber Kollege Gruber! Ich habe eine Sache, die ich gerne berichtigen möch­te, nicht so stehen lassen will. Mit vielen anderen Dingen kann man konform gehen, nur eines darf ich Ihnen als Tiroler schon sagen: Über die Bayern lassen wir nichts kommen! (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) Und über die bayerische CSU schon gar nicht! (Bundesrat Gruber: Ist ja nicht weit, man kann ja hinausziehen, wenn es so schön dort ist!) – Sie können das lustig finden oder nicht, nur: CSU für Caesium, Stron­tium und Uran zu setzen, halte ich, gelinde gesagt, für eine Frechheit und nicht pas­send in diese Abrüstung der Worte, wie man vorhin gesagt hat.

Ich darf nur in Erinnerung rufen: Bayern mit Stoiber und der CSU ist ein Musterland in jeder Hinsicht, hat vorbildliche Wirtschaftsdaten. (Bundesrat Gruber: Sie können ja hinausziehen!) – Ich weiß schon, dass Sie das nicht gerne hören. (Bundesrat Gruber: Ein „Musterland“!) Wenn einmal die Milch verschüttet ist und ... (Bundesrat Gruber: ... „Musterland“!) – Bayern ist ein Musterland! (Bundesrat Gruber: Aber Isar 1 gehört abgeschaltet, sagt der Bieringer!)

Der Rest Deutschlands – ich glaube, er ist rot-grün geführt – könnte sich glücklich schätzen, wenn er solche Zahlen hätte wie Bayern. (Bundesrat Gruber: Isar 1 in einem Musterland! – Ruf bei der SPÖ: ... ausmustern!) Also: Hören wir auf mit einem solchen, gelinde gesagt, „Quatsch“! Nur weil das vielleicht lustig ist und momentan ins Konzept passt ... (Zwischenruf des Bundesrates Todt. – Bundesrat Gruber: Also du befürwor­test die Atomkraftwerke in Bayern?!) – Das Rednerpult wird jedem zur Verfügung ge­stellt, ob er etwas Gescheites sagen will oder einen Blödsinn. Warten Sie also und ge­hen Sie nachher heraus! (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich möchte nur berichtigt haben, dass Bayern ein Musterland ist, dass Bayern ein Part­ner und ein Nachbar ist, auf den man sich verlassen kann, wo die Wirtschaft floriert, wo die Sachen in Ordnung sind. Und der Rest von Deutschland ist etwas, was ich hier nicht sagen möchte. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Todt: Eine un­fassbare Beleidigung! – Ruf: Peinlich!)

18.10

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich halte fest, dass die von Professor Konecny, Kolleginnen und Kollegen angekündigte Rückziehung des Entschließungsantrages betreffend Neuverhandlung des „Melker Protokolls“ ordnungsgemäß erfolgt ist.

Nächste Wortmeldung: Herr Bundesrat Bieringer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


18.11

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Meine Herren Bun­desminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Konecny wollte etwas über das zu erwartende Stimmverhalten der ÖVP-Fraktion hören. – Das kann ich ihm gerne sagen: Wir halten unseren Entschließungsantrag aufrecht und sehen keine Veranlassung, davon abzugehen. (Bundesrat Konecny: Ja natürlich!)

Zur Entschließung selbst: Der Bundeskanzler und die Außenministerin werden ersucht, mit allem Nachdruck die Frage einer EURATOM-Revisionskonferenz auf die Tagesord­nung der nächsten Sitzung des Allgemeinen Rates zu stellen und die Terminisierung


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der EURATOM-Revisionskonferenz zu betreiben. – Das halte ich persönlich eigentlich für überflüssig, weil Herr Bundeskanzler Dr. Schüssel und Frau Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner auch schon in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie die österreichischen Interessen im In- und Ausland 100-prozentig vertreten und von uns keinerlei Anweisungen hiezu erhalten müssen. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Kerschbaum: Was?)

18.12

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldung: Herr Professor Konecny. – Bitte.

 


18.12

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Also jetzt verstehe ich nicht mehr ganz Ihre Argumentationskette. Wir beschließen – gerne mit unseren Stimmen – eine Ent­schließung, die im Wesentlichen – daran habe ich keinen Zweifel – einen Konsens festschreibt, an den sich – ich habe das Gegenteil nicht behauptet – offensichtlich auch die Bundesregierung hält. Und diesen Auftrag müssen wir ihr erteilen.

Den konkreten Auftrag, eine bestimmte Maßnahme, die unverzichtbar ist, zu verfolgen, die Sie offenbar zu setzen beabsichtigen – im Gegensatz zu dem, was Frau Stenzel meint beziehungsweise worin sie sich „geirrt“ hat –, das wäre Ihrer Ansicht nach offen­sichtlich ein Misstrauensvotum gegen die Bundesregierung, weil man ihr etwas auf­trägt.

Entschließungsanträge, die dieses Haus in der Vergangenheit mit der gegebenen Mehrheit und mit jeder früheren Mehrheit beschlossen hat, haben immer der Bundes­regierung Recht gegeben. Es ist das Wesen einer Mehrheit, dass sie ihre Regierung in solchen Entschließungsanträgen unterstützt.

Also: Warum haben ÖVP und FPÖ den einen Antrag gestellt – und den anderen wollen Sie nicht? – Das kann ich nicht nachvollziehen!

Aber wenn es so ist – vielleicht weiß Kollege Bieringer, warum es so sein muss –, dann werden wir dieses eben kontrovers abstimmen müssen. Nicht den Ihren! Dafür sein ist richtig; politisch und atom-politisch.

Ich würde dem Herrn Präsidenten gerne einen Antrag auf namentliche Abstimmung überreichen. (Der Redner überreicht Präsident Weiss ein Dokument.)

18.14

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen hiezu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich unterbreche die Sitzung jetzt für einige Minuten, damit die namentliche Abstim­mung ordnungsgemäß vorbereitet werden kann.

(Die Sitzung wird um 18.14 Uhr unterbrochen und um 18.21 Uhr wieder aufgenom­men.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Professor Konecny und KollegInnen auf Fassung einer Entschließung betreffend EURATOM-Revisionskonferenz vor. Es ist namentli­che Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von fünf Bundesräten gestellt wurde, ist gemäß § 54 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung durchzuführen. Ich gehe daher so vor.


Bundesrat
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Ich halte noch fest, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Bundesräte Kaltenbacher, Molzbichler und Mag. Baier entschuldigt sind.

Im Sinne des § 55 Abs. 5 erfolgt die Stimmabgabe nach Aufruf durch die Schriftführung in alphabetischer Reihenfolge mündlich mit „Ja“ oder „Nein“.

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um den Aufruf der Bundesräte.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Roth-Halvax und Auer geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten bekannt.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Die Stimmabgabe ist beendet. Wir werden sogleich das Abstimmungsergebnis bekannt geben.

(Die zuständigen Beamten nehmen die Stimmenzählung vor.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.

Demnach entfallen auf den Entschließungsantrag 25 „Ja“-Stimmen, 30 „Nein“-Stimmen.

Der Antrag ist somit abgelehnt.

Mit „Ja“ stimmten die Bundesräte:

Auer;

Bachner, Binna, Blatnik, Boden;

Ebner;

Giefing, Gruber;

Haselbach, Hlavac;

Kerschbaum, Konecny, Konrad, Kraml;

Lichtenecker, Lindinger;

Neuwirth;

Prutsch;

Reisenberger;

Schennach, Schimböck, Schlaffer;

Todt;

Wiesenegg, Winter.

Mit „Nein“ stimmten die Bundesräte:

Ager;

Bader, Bieringer, Böhm, Bogensperger;

Dernoscheg, Diesner-Wais;

Fraunschiel, Fröhlich;

Gansterer, Giesinger, Gudenus;

Haller, Himmer, Höfinger, Hösele;

Kampl, Kneifel, Kritzinger, Kühnel;

Roth-Halvax;

Saller, Schnider, Spiegelfeld-Schneeburg;


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Tiefnig;

Weilharter, Wimmler, Wolfinger;

Zellot, Zwazl.

*****

 


Präsident Jürgen Weiss: Schließlich liegt ein Antrag der Bundesräte Kneifel, Dr. Böhm und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend die weitere Vor­gangsweise Österreichs zur Reform des EuratoM-Vertrages in Richtung Umweltver­träglichkeit und Ausstieg aus der Kernenergie vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag auf Fassung der gegen­ständlichen Entschließung ist somit angenommen. (E 189-BR/04.)

Fortsetzung der Tagesordnung

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich nehme die Verhandlungen zur Tagesordnung wieder auf.

13. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz geändert wird (415 d.B. und 507 d.B. sowie 7057/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 13.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ing. Kampl. Ich bitte ihn um den Bericht.

 


Berichterstatter Ing. Siegfried Kampl: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr ge­ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für Wirt­schaft und Arbeit über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz ge­ändert wird.

Dieser Antrag liegt in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als erstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Manfred Gruber das Wort.

 


18.29

Bundesrat Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Be­schluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 zum Elektrizitätswirtschafts- und -orga­nisationsgesetz hier im Bundesrat diskutieren, dann sollten wir auch die Gelegenheit wahrnehmen, über die österreichische Energieinfrastruktur und über die österrei­chische Energieorganisation zu reden.


Bundesrat
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Dieser Nationalratsbeschluss, meine sehr geehrten Damen und Herren, beinhaltet die Umsetzung einer Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie – fast ein Zungenbrecher – der EU, die bis zum Jahre 2007 die Marktintegration, den Konsumentenschutz sowie die Transparenz bei Vertragsbestimmungen wesentlich verbessern sollte. Dass dann allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ihre Stromrechnungen einigermaßen verständlich er­scheinen, möchte ich trotzdem bezweifeln. (Bundesrat Weilharter: Deshalb wird novel­liert!) – Es ist gefährlich, wenn man etwas novelliert und reformiert, es wird selten besser.

Es scheint mir daher durchaus berechtigt zu sein, sehr geehrter Herr Bundesminister, wenn das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz geändert wird, einige für uns wichtige Fragen zu stellen.

Was tun Sie, Herr Bundesminister, damit sich der Ökostromzuschlag in den nächsten Jahren nicht – wie von Ihnen selbst befürchtet – um 5 bis 6 Prozent auf die Stromrech­nungen der österreichischen Haushalte niederschlägt?

Was tun Sie, Herr Bundesminister, zumal der Stromverbrauch jährlich um 1 000 Giga­wattstunden zunimmt, um den Befürchtungen des Verbund-Vorstandsvorsitzenden Haider entgegenzuwirken, wonach wir bei der Energieversorgung vom Ausland abhän­gig werden? Dieser Zustand wird sich in den nächsten Jahren noch verschlechtern.

Wo, Herr Bundesminister, sind die Investitionen in die Erzeugerstandorte? Wo sind die Investitionen in die Hochspannungsnetze, die verhindern sollen, dass es in Österreich zu einem Stromausfall in jenem Ausmaß kommt, wie wir ihn in Amerika und in Italien bereits erlebt haben?

Wann wird die 380-kV-Ringleitung in Österreich geschlossen, um gegen Stromausfälle besser gerüstet zu sein?

Sie selbst, Herr Bundesminister, lehnen laut „Kronen Zeitung“ vom vergangenen Samstag den italienischen Weg, ein reines Importland für Energie zu werden, ab. Wo sind die Überlegungen, wo sind die Konzepte bezüglich Versorgungssicherheit? Eben diese Versorgungssicherheit, die den österreichischen Wirtschaftsstandort und damit Arbeitsplätze sichern sollte, sollte in dieser Vorlage mitgeregelt werden; ebenso eine engere korrekte Fassung des Nutzungsentgeltes.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, heute dem Beschluss des Nationalrates Ihre Zustimmung geben, dann beschließen Sie auch, dass es in Zukunft keine Zugriffe mehr gibt. Hatte bis jetzt der Netzbetreiber einen direkten Zugriff auf den Produktions­betrieb, so ist das mit diesem Beschluss nicht mehr möglich. Wir Sozialdemokraten sind daher der Auffassung – auch im Gegensatz zu den Vertretern der Grünen –: Hier lässt man eine Möglichkeit, eine Chance aus!

Es gab von uns Sozialdemokraten bereits sehr konkrete Vorschläge bezüglich einer besseren rechtlichen Grundlage, bezüglich entsprechend abgesicherter Verträge, wie anfallende Kosten geregelt werden sollten, damit es keine Rechtsstreitigkeiten gibt. Auf alle Fälle müsste auch gewährleistet sein, dass in Krisenfällen ein Zugriffsrecht auf den Stromproduzenten beziehungsweise auf das Kraftwerk gegeben ist.

Ich bin überzeugt davon, dass unsere Ansätze in unseren Entschließungsanträgen im Nationalrat sehr gut waren – leider wurden sie von den Regierungsparteien im Natio­nalrat negiert. Daher können wir auch dem Beschluss des Nationalrates nicht unsere Zustimmung geben. Wir müssen diese Vorlage ablehnen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

 


18.34


Bundesrat
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710. Sitzung / Seite 149

Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Kühnel. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.34

Bundesrat Dr. Franz Eduard Kühnel (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir uns vorhin über ein bestimmtes Thema recht echauffiert haben, sind jetzt alle offensichtlich vor lauter Erschöpfung hinausgegangen, daher stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch reden soll. Nur fürs Protokoll? (Bundesrätin Dr. Lichtenecker: Oh ja, Herr Kollege! Wir sind ganz Ohr!) – Doch. Gut, dann werde ich zumindest ver­suchen, das Thema wieder auf eine sachliche Basis zurückzubringen, denn Kollege Gruber hat eigentlich nicht zum aktuellen Thema gesprochen, sondern wollte eine generelle Energiedebatte vom Zaune brechen. (Bundesrat Gruber: Wäre auch not­wendig, Herr Kollege!)

Heute geht es um ein Gesetz, um eine Novelle zum Elektrizitätswirtschafts- und -orga­nisationsgesetz. Dieses Gesetz muss deshalb geändert werden, weil Brüssel eine Ent­scheidung getroffen hat, und diese Entscheidung wird nun in unser Rechtssystem ein­gebaut.

Was ist das Ziel dieser Brüsseler Entscheidung? – Es soll zu einer Entflechtung der Vertreibernetze kommen, denn es hat sich herausgestellt, dass sich gerade bei den Vertreibern gewisse Monopole entwickelt haben, und Brüssel ist nun einmal ein großer Feind der Monopole, hat immer Interesse daran, dass Konkurrenz entsteht. Mittelfristig, Herr Kollege Gruber, ist sicher zu erwarten, dass es, wenn Konkurrenz vorhanden ist, auch zu einer Senkung der Strompreise kommen wird, wenn es ordentlich gemacht wird.

Natürlich gibt es im Bereich der Elektrizitätswirtschaft auch vertikal gegliederte Organi­sationen – sagen wir es einmal so –, die produzieren, die verteilen, die Stromhändler sind, die zumindest lokale Monopole haben, und auch die sollen aufgebrochen werden. Brüssel ist aber nicht päpstlicher als der Papst: Es werden gewisse Zeitlimits gesetzt.

Was bedeutet das unterm Strich? – Es soll mehr Konkurrenz geschaffen werden.

Wie Sie richtig sagen, Kollege Gruber, hat Österreich in den letzten Jahren einen höhe­ren Stromverbrauch zu verzeichnen. Es ist eine Steigerung eingetreten. Im Jahre 2003 wurden 3,24 Prozent mehr elektrische Energie verbraucht. Dies würde in zehn Jahren eine beträchtliche Zuwachsmenge bedeuten. Das heißt, wir müssen danach trachten, dass wir in Österreich zusätzlichen Strom produzieren, wobei die Arten, wie man das machen kann, ja an sich bekannt sind. – Das wäre der eine Ansatz.

Der zweite Ansatz wäre, eventuell die mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor 20 Jah­ren von einem sozialdemokratischen Minister konzipierte 380-kV-Ringleitung in Öster­reich endlich zu finalisieren. Diese Leitung würde eine Reduktion der Stromverluste bedeuten.

Zweitens – und deswegen verstehe ich nicht, dass die Sozialdemokraten dem Gesetz nicht zustimmen –: Wenn entsprechend preiswerte elektrische Energie zur Verfügung steht, dann ist das eine Grundvoraussetzung für die Schaffung weiterer Arbeitsplätze. Daher müssten Sie, zumal Sie die Arbeitsmarktsituation in Österreich immer wieder so lamentabel finden, diesem Gesetz eigentlich zustimmen, aber auf Grund Ihrer Totalop­position, der Sie sich verschrieben haben, sagen Sie zu fast allem nein – außer zum Tierschutz, da waren Sie heute einstimmig dafür. (Bundesrat Gruber: Stimmt nicht, Herr Kollege! Schauen Sie sich einmal das Abstimmungsverhältnis an!)

Es gäbe noch einen weiteren Ansatz, wie wir zum Beispiel die Energiefrage lösen könnten. Hier ein praktisches Beispiel: Wir schalten hier im Saal einmal diese vier


Bundesrat
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wunderschönen Luster aus, der Strom für das Mikrophon wird abgeschaltet, das rote Licht darf nicht mehr blinken, die EDV, die hier untergebracht ist, schalten wir auch ab. – Damit wäre zum Beispiel der Sparwille des Parlaments entsprechend dokumen­tiert.

Noch besser wäre es vielleicht, die Klimaanlage abzuschalten. (Bundesrat Gruber: Ist die überhaupt eingeschaltet?) Dann würden wir wahrscheinlich vor lauter Schwitzen nicht mehr wissen, ob wir reden können (Bundesrat Gruber: Darf ich die Frage stellen, ob die überhaupt eingeschaltet ist?), aber auch das wäre zum Beispiel ein echter Bei­trag, um Energie einzusparen. Frau Kollegin Kerschbaum gibt mir in dieser Sache si­cher Recht, aber sie möchte wahrscheinlich auch gerne im klimatisierten Raum sitzen. (Bundesrätin Kerschbaum schüttelt verneinend den Kopf.) Der Bundesrat muss sich natürlich gewisse Privilegien erhalten, denn sparen sollen nach dem heiligen Sankt Florian immer die anderen.

Der langen Rede kurzer Sinn: Meine Fraktion ist dafür, dass diese Novelle beschlos­sen wird, und wird daher keinen Einspruch erheben. – Ich danke, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

18.39

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Weilharter. Ich erteile ihm das Wort.

 


18.40

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren! Kollege Gruber hat auf meinen Zwischen­ruf, in dem ich gesagt habe, deshalb wird novelliert, weil es eben diese Transparenz geben soll, sinngemäß geantwortet: Novellen sind gefährlich, weil selten etwas besser wird. (Bundesrat Gruber: Es ist nicht billiger geworden!) Herr Kollege Gruber! Ich stimme dir völlig zu. (Bundesrat Kraml: Die Haushalte wissen, dass es teurer gewor­den ist!) Es war in der Vergangenheit, als Sie noch in der Regierung waren, so. Sie wissen, Sie sind nicht mehr in der Regierung. Deshalb wird es durch diese Novelle mit Sicherheit für den Konsumenten und die Energieversorgung besser werden.

Meine Damen und Herren! Nun zur vorliegenden ElWOG-Novelle. Der Inhalt dieser Novelle ist mit Sicherheit einerseits die Entkoppelung zwischen Stromerzeugern und Netzbetreibern. Auf einen Nenner gebracht, geht es sicherlich auch darum, dass die so genannten kleinen Stromerzeuger die gleichen Chancen beim Marktzugang haben und dass ihnen dieser Marktzugang erleichtert wird.

Beides, der Zugang zum Markt, aber vor allem ein transparentes Abrechnungssystem, ist im Sinne des Konsumenten und auch Inhalt der vorliegenden Novelle. Es wurde bereits gesagt, dass diese Novelle auch einer EU-Richtlinie entspricht, deren Umset­zung bis zum Jahre 2007 erfolgen sollte.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, all dem sollte man und kann man sich nicht ver­schließen, wenn man eine gesicherte Stromversorgung für den Konsumenten will. Hundertprozentig kann man Störfälle, Pannen in der E-Wirtschaft nie ausschließen. Jedem von uns sind noch die dramatischen Stromausfälle des Vorjahres in den USA, aber auch innerhalb Europas in Erinnerung. Aber ich glaube, mit einem zeitgemäßen Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz wird die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Panne wesentlich reduziert.

Meine Damen und Herren! Da es sich dabei auch um die Entflechtung der Aufgaben von Stromerzeugern und Netzbetreibern handelt, wird auch die Aufgabe der beiden, der Stromerzeuger und der Netzbetreiber, deutlich damit definiert. Und aus dieser


Bundesrat
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Überlegung heraus wird eine Panne, wie ich sie eben angesprochen habe, eher redu­ziert. (Bundesrat Gruber: Das glaube ich aus der Praxis heraus nicht!)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gruber! Gleichzeitig wird damit auch die Stromliberalisierung angesprochen. Kollege Kühnel hat dies bereits getan. Ich frage nur: Wem dient eine Liberalisierung, wenn sie der Konsument nicht positiv spürt? Wem dient eine nicht transparente Stromabrechnung, wenn sie nur sehr schwierig oder oft gar nicht nachvollziehbar ist? – Ich glaube, den Konsumenten sicher nicht, außer wenn diese Transparenz geschaffen wird. Und in dieser Novelle wird diese Transparenz ge­schaffen, dass eben Netzkosten und Stromkosten differenziert ausgewiesen und ver­rechnet werden.

Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass die SPÖ dagegen ist. Leider – ich habe in den Protokollen des Nationalrates nachgelesen – hat sich Ihr Vorsitzender Dr. Gusenbauer zu diesem Thema verschwiegen. Er wählte eigentlich – das sieht man, wenn man im Protokoll nachliest – ein anderes Thema.

Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie! Beweisen Sie, dass Sie verant­wortungsvoll entscheiden, und stimmen Sie doch diesem ElWOG zu, damit Sie die Themenverfehlung Ihres Vorsitzenden Dr. Gusenbauer im Nationalrat einigermaßen reparieren oder, um in der Diktion beim Strom zu bleiben, in das richtige Licht rücken können.

Ich bin überzeugt davon, meine Damen und Herren – gestatten Sie mir, dass ich als Steirer das auch anspreche, das war auch Thema im Nationalrat –, dass der so ge­nannte EStAG-Skandal in der Steiermark nicht diese Dimension hätte, hätten wir in der Vergangenheit schon ein modernes, transparentes Elektrizitätswirtschaftsgesetz ge­habt, und es wäre dem Land Steiermark sicherlich nicht dieser Schaden entstanden.

Es gibt aber in dieser Causa in der Steiermark einen Untersuchungsausschuss. Des­sen Ergebnis sollten wir nicht vorgreifen. Ich bin aber überzeugt, dieser Untersu­chungsausschuss wird in der Causa EStAG in der Steiermark Licht ins Dunkel bringen.

Meine Damen und Herren! Eines steht vorweg auch schon fest: dass beim EStAG-Skandal in der Steiermark die Eigentümerverantwortung versagt hat. So war doch Landesrat Ressel von der SPÖ lange Zeit Eigentümervertreter, aber auch Landes­hauptfrau Klasnic von der ÖVP, die bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten als Eigentü­mervertreterin keinen Kurzschluss hatte, sondern, wie ich meine, einen Totalausfall, um charmant und in der Diktion der E-Wirtschaft zu sprechen.

Meine Damen und Herren! Damit es für die Bürger in Hinkunft keinen Stromausfall mehr gibt, sondern die Energieversorgung gesichert wird, damit ein eventueller Eigen­tümervertreterausfall, wie es in der Steiermark der Fall war, nicht zu Lasten des Lan­des und der Steuerzahler gehen kann, wird meine Fraktion keinen Einspruch erheben und gerne die Verantwortung für eine gesicherte Energieversorgung für alle Bürger mittragen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

18.46

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Kerschbaum. Ich erteile ihr das Wort.

 


18.46

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Ja, wir Grüne werden dieser ElWOG-Novelle zustimmen. Der Strommarkt ist liberalisiert, das kann man sowieso nicht mehr aufhalten. Jeder kann seinen Strom einkaufen, wo er will. Wir waren zwar nicht glücklich darüber und wir wa­ren auch immer gegen diese Liberalisierung. Jetzt kann man das allerdings nicht mehr ändern, und auch mit der Ablehnung dieser Novelle könnte man das nicht ändern.


Bundesrat
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Es ist in der Debatte jetzt schon ziemlich oft die Rede von diesem 380-kV-Ring gewe­sen, der uns angeblich davor bewahren würde, dass es bei uns zu Stromausfällen kommt. Ich denke, das einzige Mittel, uns davor zu bewahren, dass es bei uns zu Stromausfällen kommt, wäre eine dezentrale Stromversorgung, sodass es wirklich kleine Netze gibt – und sicherlich kein 380-kV-Ring. In den USA, wo es zu diesen Stromausfällen gekommen ist, sind es auch die Kernkraftwerke gewesen, die ausgefal­len sind, und nicht die Windräder oder sonstige erneuerbare Energien. (Bundesrat Gruber: Das ist ein bisschen Energieromantik, Frau Kollegin!) – Das ist keine Energie­romantik. Ich denke, dass ein dezentrales Energienetz sicherer ist Ausfällen gegen­über. Das ist keine Romantik, das ist ganz eindeutig und klar. Wenn ein Atomreaktor ausfällt, dann fällt viel Strom aus, wenn ein Windrad ausfällt, kann man das leichter kompensieren. Das ist keine Romantik.

Das bedeutet aber auch, dass die österreichische Anti-Atompolitik nur insofern wirk­sam ist, als wir selbst kein Atomkraftwerk haben. Wir wissen genau, wie viel Atom­strom nach Österreich importiert wird. Wir wissen, es ist bei der EVN ungefähr ein 20-prozentiger Anteil an Atomstrom in dem Strom, den wir kaufen.

Das Einzige, was wir wirklich sinnvoll unternehmen könnten, wäre eine gute, sinnvolle und intensive Förderung der erneuerbaren Energien.

Jetzt ist es aber so, dass es seit kurzem aus allen möglichen Richtungen immer wieder Angriffe auf das Ökostromgesetz gibt. Angefangen hat es mit dieser Konstellation aus Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung. Dann ist Herr Minister Bartenstein auch noch dazugekommen. Sie haben in den Raum gestellt: Wir erfüllen unsere Ziele, wir haben sie schon übererfüllt und wir produzieren schon so viel. Wir brauchen überhaupt keinen zusätzlichen Ökostrom mehr, wir haben unsere Kyoto-Ziele ohnehin schon erreicht.

Zusätzlich kommt noch dazu, dass dieser Ökostrom angeblich überhaupt nicht mehr finanzierbar ist und dass es eine unendliche Belastung der Stromkunden wäre. Eine Woche später, eine Woche nach Ihrer Meldung, dass wir uns das alles nicht mehr leis­ten können und dass wir die Ziele übererfüllen, gibt es einen Bericht der EU-Kommis­sion, der besagt, dass wir derzeit ziemlich weit entfernt von der Erreichung unseres Ziels sind und dass von einer Übererfüllung ganz sicher keine Rede sein kann.

Die Statistik Austria sagt, dass der Strompreisindex von 1998 bis 2003 für die Haus­halte von 113,9 auf 113,1 gesunken ist und dass der Strompreisindex für die Betriebe – da ist es verschieden –, also für Gewerbebetriebe, zwischen 20 und 30 Prozent gesun­ken ist. Der Verbraucherpreisindex ist im gleichen Zeitraum um 9 Prozent gestiegen. Die große Belastung des Kunden durch die Ökostromgesetze und durch den Ökostrom kann ich hier also nicht sehen.

Zu der von Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und vom Herrn Bundesminister angestrebten Änderung der Ökostrom-Förderung in Richtung nur mehr die effizienten Kraftwerke fördern ist zu sagen, etwas in dieser Art hatten wir schon einmal. Damals sind sehr viele Projekte geplant worden. Die Planungskosten sind dann sehr oft in den Rauchfang geschrieben worden, weil die Projekte eben nicht bewilligt wurden und nicht verwirklicht werden konnten. Ich denke, das wäre ein riesi­ger Rückschritt, den wir uns in Zeiten wie diesen sicher nicht leisten sollten.

Weiters ist es so, dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt auch durch erneuerbare Energien aufleben. Meines Wissens sind in Deutschland so um die 100 000 Arbeitsplätze bereits geschaffen worden. Ich meine, das sollte nicht ein Bereich sein, wo wir einen Schritt zurück machen. Uns sollten die Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien nicht egal sein.


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Es ist klar, dass die effizientesten Projekte auch bei der erneuerbaren Energie die Großprojekte sind, da werden 50 Windräder in der Gegend platziert oder irgendwelche großen Biogas- oder Biomasseanlagen. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Kampl.) – Das sind aber leider nicht die effizientesten. Im Bereich Photovoltaik werden sicher nicht sehr viele Projekte gefördert werden. – Diese Großprojekte stoßen aber bei der Bevölkerung immer mehr auf Widerstand. Ich kann es aus meiner Region, dem Wein­viertel sagen, da werden immer wieder Windparks mit fünf, zehn, 15 oder bis zu 50 Windrädern geplant, und immer wieder steht die Bevölkerung auf und sagt, das ist so eine große Belastung, das geht nicht mehr. Bei 50 Windrädern vor der Haustüre kann ich das sogar verstehen.

Ich bitte Sie daher, dass Sie unsere Energieversorgung nicht der Atomlobby überlas­sen und dass Sie sich das mit der Änderung unseres Ökostromgesetzes noch einmal gründlich überlegen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

18.52

 


Präsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Wimmler das Wort. – Bitte.

 


18.52

Bundesrätin Herta Wimmler (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Ich möchte zu den Ausführungen meines Vorvorredners einiges klarstellen.

Zur Richtigstellung der EStAG-Unstimmigkeiten. Folgendes: Wahr ist, dass die Ver­antwortung für den Skandal, so wie Sie es gesagt haben, ausschließlich in der Hand der Sozialdemokratie lag. Es war sowohl der zuständige Landesrat als auch der Fi­nanzlandesrat verantwortlich. (Bundesrat Kraml: Da schaut aber die politische Stim­mung in der Steiermark anders aus!)

Frau Landeshauptmann Klasnic hat richtig gehandelt. Sie hat den Bundesrechnungs­hof eingeschaltet. Sie hat eine aktienrechtliche Sonderprüfung verlangt, und sie hat den Ehrenkodex eingeführt. Es ist auch ein neuer Aufsichtsrat unter Leitung von Ditz von ihr bestellt worden. Der Einzige, der im Aufsichtsrat verblieben ist, ist Ihr Kollege Raidl. (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Gruber: Das ist ein Wahnsinn!)

18.53

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. – Bitte.

 


18.53

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Keine Worte zur EStAG. Ich bin Oberösterrei­cherin. In dieser Funktion stehe ich heute vor Ihnen. Wir werden diesem Gesetz zu­stimmen, weil ich prinzipiell und auch als Ökonomin davon überzeugt bin, dass es klug ist, effiziente Marktrahmenbedingungen zu schaffen und in dieser Form jetzt auch Energieproduktion und Netzbetrieb zu trennen.

Aber mir geht es auch um das Thema Versorgungssicherheit und die Funktion des Staates, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass das tatsächlich auch der Fall ist. Liberalisierungen haben de facto in Kalifornien oder genauso auch in Großbritannien zu mangelhaften Versorgungsstrukturen geführt, die schwierig zu beheben sind. Wir wissen, in diesem Bereich ist alles sehr langfristig. Da heißt es bei uns in Österreich, die Versorgungssicherheit und die Energieeffizienz natürlich entsprechend zu sichern und in diesem Zuge insbesondere – meine Kollegin hat es schon gesagt – erneuerbare Energiequellen zu forcieren.


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Wir sind in den letzten Wochen und Monaten mit enorm ansteigenden Ölpreisen kon­frontiert gewesen. Wie wir wissen, bedeutet dies nichts anderes als eine sehr schwie­rige Situation für die Produktion generell, weil wichtiger Inputfaktor und steigende Preise, was keiner brauchen kann und haben will. Es ist auch nachteilig für die Zahlungsbilanz und verlangt, dass entsprechend reagiert wird. Es ist letztendlich ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, aber auch der politischen Unabhängigkeit, sich von diesem Trend der zunehmenden Abhängigkeit von Ölressourcen abzukoppeln und erneuerbare Energiequellen zu forcieren.

Herr Minister Bartenstein! In diesem Zusammenhang wünsche ich mir als Oberöster­reicherin, wo wir dabei sind, genau diese Bereiche stark zu fördern und zu forcieren, tatsächlich berechenbare und attraktive Rahmenbedingungen für die Einspeisung von Ökoenergie. Das ist ein ganz wichtiger Wunsch in unserem Land, und ich denke, die Landeshauptleutekonferenz in Bregenz hat auch zum Ausdruck gebracht, dass sich ihre Vertreter – da hat es eine entsprechende Resolution gegeben – klar zum Ausbau und zur Förderung von Ökoenergie auf Basis des bestehenden Ökostromgesetzes bekennen.

Herr Minister! Letztendlich, denke ich mir, ist gute Politik dazu da, stabile, kalkulierbare Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Investoren – und nichts anderes sind Öko­energieproduzenten – entsprechende Voraussetzungen haben, tatsächlich zu investie­ren, und auch entsprechende Rückflüsse erwarten können.

Wenn Sie es korrekt betrachten, dann werden Sie sehen, es gibt drei wesentliche Säu­len einer ökonomisch und ökologisch effizienten Energiepolitik: Einerseits die Forcie­rung der Energieeffizienzprogramme. Ich bin überzeugt davon – Herr Dr. Kühnel ist im Moment nicht da, aber ich glaube, das betrifft auch alle anderen Fraktionen außer die Grünen –, dass man Wirtschaftswachstum ohne gleichzeitigen, parallel ansteigenden Energieverbrauch erzielen kann. Es gibt die Modelle in Richtung Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch, das wissen wir. Wir müssen also auch hier schauen, was möglich ist.

Zweitens: tatsächlich ein Ausbauprogramm für Ökoenergie. Und da fordere ich auch die Bundesräte aus den anderen Bundesländern auf, das in ihren Ländern entspre­chend zu forcieren, damit Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass das auch ermöglicht werden kann. Herr Minister! Von Ihnen und von der Bundesebene erwarte ich mir das ebenfalls.

In Oberösterreich sind wir dabei, ein sehr ambitioniertes Programm umzusetzen. Da geht es ganz konkret um 48 neue Biogas-Kraftwerke, fünf Biomasse-Großkraftwerke und natürlich um eine Effizienzsteigerung bei den Kleinwasserkraftwerken, auch um eine massive Ausbauoffensive, die wir planen, sofern die Rahmenbedingungen vom Herrn Minister gestaltet werden, dass es auch in den Bereichen der anderen erneuer­baren Energien möglich ist.

Noch einmal die dritte Säule: Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Unabhängigkeit von den Ölreserven zu erhöhen, ist es auch wichtig, den Bereich der Biomasse zu forcieren, so nach dem Motto: Der Landwirt wird zum Energiewirt. Genau da sehen wir auch eine Notwendigkeit.

Herr Minister! Noch einmal die Bitte aus ökonomischen und ökologischen Gründen und eine Bitte aus Oberösterreich: Sorgen Sie für stabile Rahmenbedingungen für das Ökoenergiewesen! – Danke. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

18.58

 


Präsident Jürgen Weiss: Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesminister Dr. Barten­stein. – Bitte.

 



Bundesrat
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18.58

Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Hohen Bundesrates! In aller Kürze. Herr Bundesrat Weilharter hat auf das EStAG-Thema Bezug genommen, und ich darf Sie in Ergänzung von Frau Bundesrätin Wimmler schon noch informieren, dass, so viel ich weiß, Frau Landeshauptmann Klasnic erst vor einigen Wochen die Eigentümervertretung der EStAG übernommen hat. Das waren zuvor andere Damen und Herren. Da dürften Sie einer Fehlinformation erlegen sein, sehr geehrter Herr Bundesrat!

Ich teile vieles von dem, was gesagt worden ist. Frau Bundesrätin Lichtenecker, die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch haben wir in Österreich seit vielen Jahren, eigentlich seit vielen Jahrzehnten. Das heißt, die Wirtschaft wächst schneller, als der Energieverbrauch wächst. Aber unter dem Strich bleibt trotzdem ein steigender Energieverbrauch.

Richtig ist, dass in letzter Zeit der Stromverbrauch etwas stärker gestiegen ist. Richtig ist weiters, dass wir uns insgesamt wiederum Gedanken machen müssen, wie wir Stromerzeugungskapazitäten in Österreich platzieren können. Im Bereich der Wasser­kraft ist das eine oder andere möglich, aber nicht das ganz Große. Im Bereich Öko­strom werden wir weitere Schritte setzen. Aber das sind kleine Schritte, wie Sie wissen, zum Teil recht teure Schritte.

Gas- und Dampfturbinen sind in Planung. Allerdings auf Basis eines Preises von etwa 3 € pro Megawattstunde ist das noch nicht leicht kalkulierbar, sagt die E-Wirtschaft. In Vorarlberg ist ein bemerkenswertes Speicherprojekt in konkreter Planung.

Das heißt, wir unterstützen das. Ich begrüße, dass die E-Wirtschaft auch wieder in Er­zeugungskapazitäten investiert; wenn es geht mit erneuerbaren Energieträgern, aber es wird nicht ganz ohne fossile Energieträger gehen. Wir sind in der glücklichen Lage, Nuklearenergie nicht einmal andenken zu müssen, weil wir in unserem Land zwischen 65 und 70 Prozent unserer Stromerzeugung aus der Wasserkraft lukrieren können. Etwas Besseres kann uns nicht passieren, denn das ist nachhaltige Energieerzeugung.

Frau Glawischnig hat an anderer Stelle gesagt, dass sich die Grünen in Sachen Öko­strom sehr wohl Effizienzkriterien vorstellen können. Frau Bundesrätin Kerschbaum hat das verneint. Ich denke, dass wenig dagegen spricht, auch in diesem Bereich Effi­zienzkriterien walten zu lassen. Warum? – Weil das, meine Damen und Herren, letzt­lich Geld – nicht des Steuerzahlers, sondern des Stromkunden ist. Man soll daher nicht leichtfertig sagen, 5 oder 6 Prozent der Stromrechnung für Ökostrom seien so wenig. – Das ist nicht wenig! Der Strompreis ist sehr sensibel, ähnlich sensibel wie der Treib­stoffpreis, der Benzin- und Dieselpreis.

Wir wollen in diesen Bereich weiter investieren, aber wir müssen gleichzeitig die Kos­ten überprüfen und bedenken, dass zum Beispiel eine Tonne durch Windenergie ein­gespartes Kohlendioxyd in Sachen Kyoto-Protokoll und Klimaschutz mit etwa 100 € pro Tonne zu bemessen ist. Im Bereich der Biomasse ist es noch etwas mehr. Im Bereich Wasserkraft – wenn ich daran denke, dass Österreicher über Joint Implementation in Bulgarien investieren, dort Wasserkraftwerke entwickeln – ist dort eine Tonne CO2 um umgerechnet 5 bis 7 € zu haben. Der Marktpreis am Beginn des Emission Tradings liegt zwischen 7 und 13 € pro Tonne. Bei Windenergie sind es etwa 100 € pro Tonne. Das muss man auch kalkulieren.

Ich bin sehr dafür, dass wir in diesem Lande langsam auch die Frage der Landschafts- und Naturbelastung durch Windkraft ins Kalkül ziehen. (Abg. Dr. Lichtenecker: Es geht nicht nur um Windkraft!) Das ist von Frau Kerschbaum und von Ihnen durchaus angesprochen worden. (Abg. Dr. Lichtenecker: Aber es geht nicht nur um die Wind­kraft!) – Ich habe jetzt zur Windkraft Stellung genommen.


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Es ist ja auch nicht so, dass wir da in Sachen Technologie oder Erzeugungskapazität in Österreich viel aufzuweisen haben. Ganz anders ist es bei der Biomasse, auch bei Biogas, dafür haben wir das Holz in den Wäldern, das zum Teil gar nicht genutzt wird. Dafür haben wir die Technologie, da haben wir die mittelständische Wirtschaft, die technologisch extrem hoch stehende Kessel baut und das noch weiterentwickeln kann. Hier sehe ich insgesamt wirtschaftlich – nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaft­lich – interessante und relativ interessantere Aspekte als im Bereich der Windkraft.

Es kann ja auch nicht so sein, dass Windkraft zu einer besonders sicheren, zu einer sich besonders hoch rentierenden Anlageform für Investoren wird. Windkraft wollen wir haben, weil sie eine Form der ökologisch erneuerbaren Energieerzeugung ist, aber jetzt sich für 13 Jahre hoch rentierende Investitionen an Investoren zu offerieren – da sind wir in Österreich jetzt auch schon dabei, wie ich höre –, ist nicht im Sinne des Er­finders.

Es wird diese Ökostromgesetz-Novelle geben, und wir werden in den nächsten Tagen seitens meines Hauses die entsprechenden Eckpunkte dazu vorstellen. Wir haben ja im Vorfeld mit allen „Spielern“, mit allen Interessenten, auch mit den vier Parlaments­parteien und mit verschiedenen NGOs eine Enquete veranstaltet und das Thema be­sprochen. – Das ist aber nur am Rande oder eigentlich gar nicht Gegenstand dieser Novelle zum ElWOG.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unbundling, Trennung von Erzeugung und Netz, das ist eine Vorgabe der Europäischen Union. Ich bekenne mich dazu, das ist sinnvoll. Man möge hier nicht mit der Versorgungssicherheit kommen. Das Problem war, dass bisher eher bei den integrierten Stromunternehmen, da vor allem bei kom­munalen Erzeugern, manches an Quersubvention geflossen ist, nämlich Geld, das im Bereich des Netzbetriebes eingenommen wurde, wurde dann für Verkehr und anderes ausgegeben. Da ist Entflechtung gut im Sinne der Transparenz, und da soll dann das Geld, das über die Netze verdient wird, für die Netze ausgegeben werden.

Die Internationale Energieagentur hat Österreich in Sachen Versorgungssicherheit ausgezeichnete Zeugnisse ausgestellt. In Sachen Stromausfälle rangieren wir im Übri­gen gemeinsam mit den Deutschen und den Skandinaviern weltweit an der Spitze. Es gibt Länder, die haben deutlich längere Stromausfallszeiten. Und wenn schon Strom­ausfallswahrscheinlichkeiten, dann eher bei den Verteilernetzen, nicht bei den Übertra­gungsnetzen – auch ganz interessant, das zu wissen.

Apropos Übertragungsnetze: Die 380-kV-Leitung brauchen wir, das ist energiepolitisch vollkommen unumstritten. Ich freue mich – wenn gut Ding Weile braucht, dann ist das ein sehr gutes Ding –, dass jetzt auch die Umweltverträglichkeitsprüfung für den 380‑kV-Schluss in Richtung Großraum Steiermark sozusagen unterwegs ist. Seitens meines Hauses wurden da die Vorarbeiten geleistet, und ich kann Sie alle als Vertreter der Länder und damit auch als steirische Interessenvertreter nur bitten, dieses wichtige Projekt im Sinne des Industrie-, aber auch Arbeitsstandortes Großraum Graz zu unter­stützen.

Wenn es in Österreich in Sachen Versorgungssicherheit eine Achillesferse gibt, dann ist das der Großraum Graz, unter anderem deswegen, weil im Norden Österreichs – Donau et cetera – die Energieerzeugung fokussiert ist und im Süden durch die großar­tigen industriellen Investitionen, Autocluster, MAGNA und Ähnliches, der Verbrauch stark ansteigt; das hat ja einen höheren Stromverbrauch zur Folge.

Die Versorgungssicherheit zu erhöhen, ist eine wichtige Aufgabe für mich. Es geht aber auch darum, den Kunden ein bisschen etwas an Strompreisreduktion in Aussicht zu stellen. Ich danke für die Zahlen, die Sie vom ÖSTAT genannt haben. Sie zeigen, dass in den letzten Jahren die Liberalisierung Platz gegriffen hat. Es ist für die Indust-


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rie, für die Wirtschaft, aber auch für die Konsumenten günstiger geworden. Ich weiß schon, dass Abgaben erhöht wurden – das freut nicht unbedingt –, aber gegenüber einem „Business as usual“-Szenario hat es auch für die Haushalte durch die Liberali­sierung niedrigere Strompreise gegeben und haben Senkungen der Netznutzungstarife bis jetzt Entlastungen von insgesamt 250 Millionen € pro Jahr gebracht; also 3,5 Milliarden alte Schilling, das ist nicht so wenig.

Wir sind da aber noch immer europäischer Spitzenreiter – ich mag zwar Spitzenreiter-Positionen, aber nicht dann, wenn das in Sachen Hochpreisigkeit ist. Österreich ist in Sachen Netznutzungstarife das teuerste Land Europas bei den Haushalten und die Nummer drei bei Gewerbe und Industrie. Bei den Haushalten liegen wir um 20 bis 40 Prozent über dem EU-Durchschnitt, bei Gewerbe- und Industriestrom um 15 bis 20 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Es wird mein, es wird das Ziel der E-Control sein, diese Netznutzungstarife – nicht von heute auf morgen, aber von heute auf über­morgen – auf zumindest europäisches Durchschnittsniveau zu senken.

Dass das die betroffene E-Wirtschaft nicht immer freut, weiß ich, aber ich halte manch persönliche Animosität und Opposition durchaus aus, im Interesse der Stromkunden, und ich bin sicher, dass Sie das auch so sehen, meine sehr verehrten Damen und Her­ren.

Mit dieser Umsetzung tun wir das, was die EU vorgibt: Ab 100 000 Kunden wird ent­bündelt. Wir haben keine eigentumsrechtliche Trennung vorgesehen, sondern es soll eine organisationsrechtliche sein.

Es stimmt auch nicht, sehr geehrter Herr Bundesrat, dass niemand mehr eingreifen kann im Falle einer Krise. Es ist der Regulator, der im Fall des Falles Zugriff hat auf die Erzeugungskapazitäten. Da soll also niemand argumentieren, dass die alten integrier­ten Strukturen die Voraussetzung dafür sind, dass die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet ist.

Ein wenig überrascht bin ich, dass die Sozialdemokratie dazu schon im Nationalrat ihre Zustimmung verweigert hat, weil das in Sachen ElWOG, Stromliberalisierung und der­gleichen immer Gesetze waren, die gemeinsam mit den Sozialdemokraten beschlos­sen werden konnten. Dass Sie bei diesen wichtigen Dingen nicht mitgehen, ist jetzt nicht so sehr mein Problem als das Ihre, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPÖ! Mich hätte der andere Weg mehr gefreut, aber so ist es diesmal offensicht­lich auch eine Drei-Parteien-Einigung, weil die Grünen hier mitgehen, wofür ich mich namens der Regierungsfraktionen herzlich bedanke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

19.09

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine weitere Wortmeldung von Frau Bundesrätin Kersch­baum liegt vor. Ich erteile ihr noch einmal das Wort.

 


19.10

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Ein paar Ihrer Aussagen regen meinen Widerspruchsgeist doch sehr an, so zum Beispiel die, dass im Zusammenhang mit Windkraft einige Inves­toren „Unmengen von Geld“ verdienen würden. – Das ist mir neu – und das, obwohl ich selbst an Windkraftwerken beteiligt bin. Bis jetzt waren es wirklich keine großen Ge­winne, die ich gemacht habe. (Bundesrat Konecny: Ich glaube, der Herr Minister hat Ihnen etwas versprochen! – Gegenrufe bei der ÖVP.)

Weiters sagten Sie, Strompreis und Ölpreis seien zwei so heikle Themen; da müsse man aufpassen, denn da seien Preissteigerungen von 3 bis 5 Prozent sehr gefährlich.


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Beim Strompreis sehen wir ja, wie das gemacht wird: Wir hier in Österreich kaufen bil­ligen Atomstrom vom Nachbarn! Aber ich frage mich, wie Sie das beim Ölpreis machen werden: Dieser steigt – und wird noch weiter steigen. Die Ressourcen sind knapp, der Verbrauch wird steigen; China und dessen boomende Wirtschaft nicht zu vergessen. Es gibt eine Studie von Exxon, die aussagt, dass 2010 die Ölreserven knapp werden.

Nochmals: Der Erdölpreis wird steigen – da können wir uns noch so sehr auf den Kopf stellen! –, und zwar sicherlich um mehr als 3 bis 5 Prozent.

Zu den Kostensteigerungen bei den Strompreisen: Meines Wissens waren die Kosten­steigerungen der letzten Jahre durch gestiegene Erzeugerpreise um das Elffache höher als Kostensteigerungen durch Ökostrom-Zuschläge. Es ist also nicht so, dass der Strom deshalb teurer wird, weil es Ökostrom-Zuschläge gibt, sondern Strom wird allgemein teurer.

Es wurde ja gesagt, dieses neue Kraftwerk, das geplant wird, hat auch schon sehr hohe Produktionskosten. – Man kann keinen billigen Strom mit neuen Kraftwerken pro­duzieren. Billiger Strom kommt aus alten Kraftwerken, die schon zurückgezahlt wur­den. Jetzt aber kann man keine Kraftwerke mehr neu bauen, die billigen Strom produ­zieren.

Auf meiner Stromrechnung habe ich auch gesehen, dass die „stranded costs“ – eben die Kosten aus der Abschreibung von Kraftwerken, die nicht in Betrieb genommen wurden oder die einfach zu teuer waren – erheblich höher als der Ökostrom-Zuschlag waren. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

19.12

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Bitte, Frau Bundesrätin Dr. Lichtenecker. (Bundesrat Bieringer: Nein, das gibt es ja nicht!)

 


19.12

Bundesrätin Dr. Ruperta Lichtenecker (Grüne, Oberösterreich): Mir geht es um die Kostenwahrheit, Herr Minister! Klar ist, dass es beim Nutzen von nicht erneuerbaren Energienträgern ganz enorme externe Kosten gibt, die die Allgemeinheit trägt – und nicht individuell der Nutzer/die Nutzerin, gleichzeitig aber bei erneuerbaren Energien die jeweiligen NutzerInnen das bezahlen.

Klar ist auch, dass Strompreise differieren. Es schockiert mich aber schon, wenn sich ein Minister hier herstellt und sagt: Ich mache Politik und staatliche Rahmenbedingun­gen so, dass tatsächlich externe Kosten die Gemeinschaft trägt – nicht aber ein Sys­tem forciert wird, damit das eben nicht mehr der Fall ist, sodass eben externe Kosten nicht gemeinschaftlich getragen werden müssen.

Von Ihnen, Herr Minister, erwarte ich, dass Sie Rahmenbedingungen schaffen, die der Kostenwahrheit in diesem Wirtschaftsbereich entsprechen! (Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

19.13

 


Präsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir kommen nun zur Abstimmung.


Bundesrat
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Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.

14. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geändert wird (285 d.B. und 498 d.B. sowie 7058/BR d.B.)

15. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GIBG) erlassen und das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (Gleichbehandlungsgesetz) geändert werden (307 d.B. und 499 d.B. sowie 7042/BR d.B. und 7059/BR d.B.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Wir gelangen zu den Punkten 14 und 15 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem durchgeführt wird.

Gemäß § 45 Abs. 2 der Geschäftsordnung übernimmt die Berichterstattung zu den Punkten 14 und 15 die Vorsitzende des Ausschusses, Frau Bundesrätin Johanna Auer, weil sich der gewählte Berichterstatter entschuldigen musste.

 


Berichterstatterin Johanna Auer: Ich erstatte den Bericht des Ausschusses für Frau­enangelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Der Ausschuss für Frauenangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Weiters bringe ich den Bericht des Ausschusses für Frauenangelegenheiten über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Gleichbehandlung erlassen und das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben geändert werden.

Dieser Bericht liegt Ihnen ebenfalls in schriftlicher Ausfertigung vor.

Der Ausschuss für Frauenangelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 7. Juni 2004 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

 


Präsident Jürgen Weiss: Danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein.

Erste Rednerin hiezu ist Frau Bundesrätin Mag. Neuwirth. Ich erteile ihr das Wort.

 


19.16

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Da­men und Herren! Die am 26. Mai mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlos­senen Gleichbehandlungsgesetze sind – das möchte ich hier wirklich mit aller Deut­lichkeit feststellen – gesellschaftlich nicht unumstritten.


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Mit diesen Gesetzen sollen drei neue EU-Richtlinien umgesetzt werden, was jedoch aus meiner Sicht in einigen Bereichen ganz sicher nicht erreicht wird. Abgesehen da­von möchte ich darauf hinweisen, dass der EU-Rat immerhin schon im Jahre 2000 die Richtlinien zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft und die Richtlinien zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf beschlossen und für die Umsetzung eine Frist von drei Jahren gesetzt hat.

Die äußerst späte Vorlage dieser Gesetzesvorlagen lässt schon die Frage zu, welchen Stellenwert Anti-Rassismus und Anti-Diskriminierung für diese Bundesregierung ha­ben.

Diese Bundesregierung konnte sich außerdem nicht dazu durchringen, ein wirkliches Anti-Rassismus- und Anti-Diskriminierungsgesetz vorzulegen, welches sämtliche For­men der Benachteiligung untersagt und ein wirkliches Gleichstellungsgesetz der Ge­schlechter wäre. – Stattdessen einigten sich ÖVP und FPÖ auf ein Gesetz, das, grob gesagt, in drei Teile fällt. Teil 1 regelt die Gleichbehandlung von Mann und Frau in der Arbeitswelt. Niemandem darf auf Grund seines Geschlechtes eine Anstellung, eine Beförderung oder eine Lohnerhöhung verweigert werden. Die darin vorgesehene Be­weislastregelung ist meiner Meinung nach sicher nicht richtlinienkonform, denn die österreichische Regelung sieht keine für die klagende Partei günstigere Regelung vor.

Es obliegt dem Beklagten, dass es bei Abwägung aller Umstände wahrscheinlich ist, dass ein anderer Grund als der der Ungleichbehandlung vorliegt. Er muss es also nicht beweisen, was eindeutig nicht den EU-Richtlinien entspricht!

Teil 2 verbietet die Diskriminierung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Weltan­schauung oder der sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt. Und dann gibt es noch den Teil 3: Dieser betrifft die Diskriminierung im Zivilleben, etwa bei Wohnungsvermie­tung oder bei Gaststättenbesuchen. In diesem Fall ist nur die Diskriminierung auf Grund der Rasse verboten. Aus Gründen der Religion, der sexuellen Orientierung, des Alters – oder was auch immer – darf weiterhin diskriminiert werden!

Meiner Meinung nach unterteilt das Gesetz mit dieser Regelung in gleiche und glei­chere Menschen. Ein Beispiel: Wird beispielsweise einem Farbigen von einem Vermie­ter die Wohnung verweigert, dann kann er sich natürlich dagegen wehren, denn rassi­sche Diskriminierung wird durch das Gesetz ausdrücklich verboten.

Passiert das Gleiche aber einem Juden, hat er Pech gehabt: Die Diskriminierung aus religiösen Gründen ist durch das Gesetz nur dann verboten, wenn sie im Berufsleben passiert. Auch ein gleichgeschlechtliches Paar zum Beispiel kann sich laut neuem Ge­setz nicht wehren, wenn ihm die Wohnung verweigert wird.

Im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es meiner Meinung nach nicht ge­rechtfertigt, diese Unterscheidungen vorzunehmen, denn an gleiche Tatbestände sind gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Das Gesetz verstößt in diesem Bereich sicher gegen das verfassungsmäßig gewährleistete Gleichheitsrecht und ist unserer Meinung nach in diesem Bereich verfassungswidrig.

Abgesehen davon sind die EU-Richtlinien auch in anderen wesentlichen Bereichen nicht umgesetzt. Das betrifft unter anderem die nicht ausreichende Einbindung der NGOs im Gerichtsverfahren und die Schadensansprüche für bewiesene Diskriminie­rung bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses, die nicht den Vorgaben der Anti-Diskriminierungsrichtlinie entsprechen.

Die Regierung hat trotz zahlreicher Hinweise von Expertinnen und Experten und zahl­reicher Anträge der SPÖ bewusst die Chance versäumt, mit einem eigenen Anti-Diskriminierungsgesetz ein inhaltliches Bekenntnis zur Anti-Diskriminierung abzulegen


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und gleichzeitig die Gleichbehandlungsbemühungen durch ein genau darauf konzent­riertes Gleichbehandlungsgesetz zu verstärken. Stattdessen wird die Gleichbehand­lungsanwaltschaft, die bisher für die Gleichbehandlung der Geschlechter zuständig war, die Bekämpfung der Diskriminierung auf Grund der ethnischen Herkunft, des Al­ters, der sexuellen Orientierung und der Religion oder Weltanschauung zu ihrem bishe­rigen Aufgabengebiet dazubekommen – und das ohne wesentliche personelle Aufsto­ckung!

Zudem gibt es außerhalb dieses Gesetzes noch eine vierte Klasse von Benachteilig­ten. Das sind die Behinderten, für die ein eigenes Gesetz kommen soll.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt, weil ÖVP und FPÖ entgegen allen Warnungen nicht den Mut hatten, ein offensiv gegen Diskriminierung vorgehendes Gesetz zu schaffen, schafft keine funktionierenden Struk­turen für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung und schwächt die bishe­rigen Strukturen für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Es findet deshalb nicht die Unterstützung der SPÖ. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

19.21

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Roth-Halvax. Ich erteile ihr das Wort.

 


19.22

Bundesrätin Sissy Roth-Halvax (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsi­dent! Geschätzte Minister! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die EU-Richtlinien nicht nur voll um, sondern wir tun mehr, als die EU vorgibt. Deshalb bedauere ich, dass dieses Gesetz nicht einstimmig beschlossen wird – dies umso mehr, als ich mit den Argumen­ten der SPÖ seitens des Bundesrates heute erstmalig konfrontiert werde, mit denen der Grünen bisher noch nicht, fand doch in den Ausschussberatungen vom 7. Juni kei­nerlei Diskussion statt. Obwohl sämtliche Beamte der Ministerien anwesend waren, wurde keine Frage gestellt, und es wurde auch nicht diskutiert. Ich finde das eigentlich sehr, sehr traurig! Es ist für die parlamentarische Arbeit keine Höchstleistung, und im Besonderen für den Bundesrat finde ich das für eine eher traurige Angelegenheit. Ich habe das Gefühl, dass nur dann reklamiert wird, dass die Beamten nicht da sind, wenn sie eben nicht da sind, was sicher nicht in Ordnung ist. Aber wenn sie da sind ... (Bun­desrat Konecny: Wenn sie da sind, reklamieren wir das selten!)

Schön, dass Sie einmal da sind, Herr Professor, aber bitte melden Sie sich, wenn Sie etwas sagen wollen! (Bundesrat Konecny: Nein, ich habe gesagt, wenn die Beamten da sind, pflegen wir nicht ihre Abwesenheit zu reklamieren!) Oder lesen Sie Ihre Zei­tung bitte weiter, das ist hilfreicher! (Beifall bei der ÖVP.)

Ich finde es jedenfalls traurig, und ich habe den Eindruck: Nur wenn sie nicht da sind, wird großes Trara gemacht. Wenn sie da sind, dann wird von ihren Diensten kein Gebrauch gemacht, wird nicht diskutiert, wird nicht gefragt. Wie gesagt, ich finde es eben traurig, und es ist für die parlamentarische Arbeit nicht besonders zuträglich.

Mein Erstaunen in Richtung SPÖ ist umso größer, als dieses Gesetz zurzeit in Wien aufliegt. Dort reicht es aus, die EU-Richtlinien umzusetzen – im Bund ist das offensicht­lich nicht ausreichend. Gut, wir nehmen das zur Kenntnis.

Seitens der offiziellen SPÖ war der Vorwurf „Scheinverhandlungen“ zu hören. – Hiezu möchte ich anmerken, dass von den elf von der SPÖ eingebrachten Forderungen sie­ben zur Gänze aufgenommen und zwei Punkte teilweise umgesetzt wurden. Bei den restlichen zwei offenen Punkten wurde seitens der ÖVP Gesprächsbereitschaft signali-


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siert. Diese wurde von der SPÖ jedoch nicht angenommen, sondern es wurde betont, dass man eben nicht zustimmen könne.

Viele wichtige Punkte sind in diesem Gesetz enthalten: die Beweislastverlagerung zum Beklagten, die richterliche Begründungspflicht bei Urteilsabweichung von einem Gut­achten der Gleichbehandlungskommission, die anonyme Veröffentlichung von Gutach­ten auf einer Homepage. Beim Schadenersatz wurde statt der Obergrenze eine Unter­grenze eingezogen, die Festlegung nach oben obliegt dem richterlichen Ermessen. Bei der Aufstiegsdiskriminierung wurde die Entgeltdifferenz von einem Monat auf drei Mo­nate erhöht. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen zum Beispiel aus sexueller und geschlechtsspezifischer Belästigung wurden die Fristen von sechs Monaten auf ein Jahr erhöht. Eine zusätzliche personelle Ausstattung nach einer Evaluierungsphase – zum Beispiel Aufwand bei Gerichten, Gleichbehandlungsanwaltschaft, Gleichbehand­lungskommission – wurde beschlossen. Der Schadenersatz bei sexueller Belästigung wurde von 360 € auf 720 € verdoppelt.

Die von der ÖVP gewünschte Weisungsfreistellung der Gleichbehandlungsanwalt­schaft wurde seitens der SPÖ leider abgelehnt, zu unserem großen Bedauern.

Ich könnte die Aufzählung von Verbesserungen im Sinne des Gleichbehandlungsgebo­tes mit seiner Ausweitung auf die Gründe der Rasse und ethnischen Herkunft, der Re­ligion und Weltanschauung sowie des Alters und der sexuellen Orientierung fortführen, gehe jedoch davon aus, dass Ihnen, da Sie ja hier heute eine Entscheidung treffen sollten, die Inhalte des Gesetzes bekannt sind, und erspare mir daher die weitere Auf­zählung.

Ich möchte vielmehr ein persönliches Bekenntnis dazu ablegen, dass für die Erlangung einer Position die Qualifikation und nicht das Geschlecht ausschlaggebend sein muss – mit einer Einschränkung: Frauen sind bei gleicher Qualifikation so lange zu bevorzugen, bis die Besetzung von Positionen auf allen Ebenen unserem Anteil an der Population entspricht, nämlich 52 Prozent. Die Männer müssen sich daher bei der Be­setzung von Spitzenpositionen noch etwas gedulden; wir Frauen mussten das auch lange genug tun.

Erfreulicherweise gibt es einige Positivbeispiele zu berichten, mit denen wir schon auf dem richtigen Weg sind. Mit Heidrun Strohmeyer hat Bildungsministerin Elisabeth Geh­rer die dritte Sektionsleiterin im Bildungsministerium ernannt. Neben den Leiterinnen der Forschungs- und Kultursektion Barbara Weitgruber und Brigitte Böck sind somit drei von acht Sektionschefs weiblich. Damit ist das Ressort von Frau Bundesministerin Gehrer führend, was die Zahl an Frauen in Führungspositionen im Bundesdienst be­trifft.

Während der Amtszeit der Frau Bundesministerin wurden Frau Dr. Gabriele Zuna-Kratky erste Direktorin des Technischen Museums und Dr. Eva-Maria Höhle General­konservatorin des Bundesdenkmalamtes. Wiener Landeskonservatorin wurde mit Dr. Barbara Neubauer ebenfalls eine Frau, wie auch die ersten Direktorinnen an höhe­ren technischen Schulen ernannt wurden.

Bei den Spitzenpositionen an den Universitäten besteht jedoch ein krasser Aufholbe­darf. So sind nur 7 Prozent der Professoren und 14 Prozent der Universitätsdozenten weiblich, während ein gutes Viertel der Uni-Assistenten weiblich ist. Im Universitäts­gesetz 2002 wurde die Frauengleichbehandlung in vollem Umfang übernommen und weiterentwickelt. So ist die Erreichung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern in allen Universitätsbereichen durch die Erlassung und Umset­zung eines Frauenförderplanes zu unterstützen. Der Arbeitskreis für Gleichbehand­lungsfragen an der Universität ist mit umfassenden Möglichkeiten ausgestattet. Das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz hat für alle Angehörigen der Universität Geltung.


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Der achtköpfige Frauenpolitische Beirat für Universitäten berät das Ministerium in Fragen der Frauenförderung an den Universitäten und bringt Vorschläge zur Verbesse­rung ein. Von den 59 Universitätsräten, die von der Bundesregierung bestellt wurden, waren mehr als die Hälfte Frauen.

Ich möchte jetzt aber – wir haben das heute bei einem anderen Gesetz auch schon angesprochen – vom Gesetz in die Praxis gehen. Gesetze sind gut, aber die Praxis ist noch wichtiger. Bekanntlich stellt die ÖVP die erste Landeshauptfrau (Bundesrat Schennach: Jetzt gibt es schon zwei!), stellte beziehungsweise stellt eine Bürgermeis­terin in einer Landeshauptstadt. Ich darf anhand meiner kleinen Gemeinde erwähnen, dass wir wahrscheinlich die erste und einzige Gemeinde sind, in der sowohl die Posi­tion der Bürgermeisterin als auch die der Vizebürgermeisterin von Frauen besetzt sind. Von meinen elf ÖVP-Gemeinderäten sind fünf Frauen.

Kollegin Schlaffer, die heute das letzte Mal hier ist, hat erwähnt, dass es ein sehr lo­benswerter Zustand war, dass das Bundesland Burgenland nur Frauen in den Bundes­rat entsandt hat. Aber es ist doch auch bemerkenswert, dass seitens der SPÖ eine Frau durch einen Mann ersetzt wird und dass seitens der ÖVP ein Mann durch eine Frau ersetzt wurde. Das möchte ich hier nur erwähnen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwi­schenrufe bei der SPÖ.)

Im Bundesrat stellt die ÖVP Niederösterreichs sieben Bundesräte; von diesen sieben Bundesräten sind vier Frauen. Ich möchte auch erwähnen, dass ich im Bundesland Niederösterreich Mitglied der Frauengleichstellungskommission bin, dass wir dort jetzt die Städte durchgehen und Frauenförderprogramme erarbeiten und auch umsetzen. Ich erwähne diese Fakten deshalb besonders, weil die SPÖ zu vermitteln versucht, sie hätte die Vertretung der Frauen in Bezug auf Gleichbehandlung zwischen Mann und Frau gepachtet. (Bundesrat Konecny: So ist es!) Nicht reden – handeln, fördern, un­terstützen, Taten setzen, wie sie anhand der genannten Beispiele aufgezeigt wurden! (Beifall bei der ÖVP. – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Ich möchte aber auch einen Appell an uns Frauen hier im Hause richten. Ich vermisse in vielen Bereichen die Solidarität der Frauen, nämlich von uns allen. Wenn es einmal knapp wird und wenn es um die Besetzung von Positionen geht, dann tritt meistens „archaisches Urverhalten“ zutage, wobei Frauen einander Konkurrenz sind. Ich denke (Bundesrat Gruber: Das habe ich schon immer gesagt!) – Sie haben schon so man­ches gesagt, Herr Kollege! –, dass wir Frauen untereinander noch einiges zu arbeiten und manches archaische Urverhalten auszumerzen haben.

Ich möchte jedenfalls einen Dank aussprechen an alle Männer und Frauen, die dazu beitragen, das Ziel zu erreichen, den uns zustehenden Anteil von 52 Prozent in allen Ebenen und Gremien einzunehmen und zu besetzen. – Ich danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

19.31

 


Präsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Konrad. Ich erteile ihr das Wort.

 


19.32

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt von der Vorrednerin sehr viel zum Thema Frauen gehört. Zu diesem Thema äuße­re ich mich sonst auch sehr oft. Diesmal geht es hier generell um das Thema Gleich­behandlung beziehungsweise sollte es um das Thema Anti-Diskriminierung gehen. Ich möchte jetzt also den Fokus wieder ein bisschen verschieben.

Bevor ich aber meine Ausführungen inhaltlich beginne, komme ich zu der Frage, wieso im Ausschuss nicht debattiert worden ist. Ich habe das Gesetz gelesen, und inhaltlich


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habe ich eigentlich keine Fragen an die Beamten gehabt. Meine Fragen zu diesem Gesetz sind politischer Natur. Ich möchte auch meine Kollegen im Ausschuss nicht langweilen, wenn ich dort und hier meine Argumente wiederhole und ausbreite. Meine politischen Fragen und Argumente zu diesem Thema werde ich also jetzt hier präsen­tieren. Ich wüsste nicht, was ich die Beamten dort hätte fragen sollen. (Bundesrat Gru­ber: Da geht es um politische Entscheidungen!)

Nun zum Thema. – Jeder hat so seine Methode, mit einem Problem umzugehen. Da gibt es die einen, die versuchen, ein Problem zu lösen, und dann gibt es die anderen, die versuchen, ein Problem zu ignorieren. Beim Problem Diskriminierung gehört unsere Regierung, glaube ich, eher zur zweiten Sorte, und wenn es diese EU-Richtlinie nicht gegeben hätte – da bin ich mir sicher –, würden wir heute nicht über dieses Gesetz diskutieren.

Großer Enthusiasmus spricht nämlich nicht aus dem vorliegenden Gesetz. Das sieht man zum Beispiel schon am Namen, es heißt „Gleichbehandlungsgesetz“. Gleichbe­handlung ist etwas sehr Schönes, nur wäre in diesem Fall doch eher der Name „Anti-Diskriminierungsgesetz“ angebracht. Warum heißt es nicht so? – Das ist ja kein Wer­beslogan, in dem man keine negativen Begriffe verwenden soll. Diskriminierung ist eine Tatsache, die man nicht schönreden kann. Wenn man gegen etwas vorgehen möchte, sollte man das Problem auch beim Namen nennen: Das Problem ist Diskri­minierung! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Unsere Regierung hat zuerst drei Jahre lang ignoriert, dass es EU-Richtlinien gibt, die umzusetzen sind. Drei Tage vor Ablauf der Frist kam dann der erste Vorschlag zu die­sem Thema – und das, obwohl in dieser Zeit zahlreiche NGOs und auch die Grünen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass Österreich da säumig wird. Das ist schon einmal ein schlechter Anfang zu diesem Thema, vor allem die Symbolik ist sehr schlecht.

Das hat sich dann fortgesetzt, nämlich in der Erstellung dieses Gesetzes. Obwohl in den Richtlinien ausdrücklich betont wird, dass NGOs in die Gestaltung eingebunden werden sollten, ist das kaum geschehen. Und das haben viele NGOs auch kritisiert. Auch die Weltkonferenz in Durban hat den Staaten empfohlen, zur Bekämpfung von Rassismus und zum Erstellen von Aktionsplänen eng mit nicht-staatlichen Organisatio­nen zusammenzuarbeiten. Das ist aber in Österreich in diesem Fall nicht geschehen! Das scheint schon ein bisschen ein Stilmittel dieser Regierung zu sein, denn in vielen anderen Fällen haben wir dasselbe gesehen, dass NGOs, die Wissen, Kompetenz und Expertise zu ihren Bereichen haben, ignoriert und nicht einbezogen werden. Sie könn­ten wichtige Beiträge leisten, und ich hoffe, dass das in Zukunft etwas mehr der Fall sein wird. – Soviel zur Vorgehensweise.

Jetzt möchte ich ein paar inhaltliche Kritikpunkte anbringen; sie decken sich weitestge­hend mit der Kritik meiner Vorrednerin von der SPÖ. Einerseits sind wir der Meinung, es bräuchte ein eigenes Anti-Diskriminierungsgesetz. Ich halte es nicht für sinnvoll, dass diese komplexe Materie jetzt in das Gesetz über die Gleichbehandlung von Mann und Frau quasi dazugepackt wird. Auch der Name hat sich übrigens noch nicht geän­dert. Anstatt also ein politisches Zeichen dafür zu setzen, dass Diskriminierung in Ös­terreich nicht erwünscht ist, wird die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die meiner An­sicht nach schon jetzt nicht unbedingt überbesetzt ist, mit einer riesigen Menge an neuen Aufgaben konfrontiert und personell viel zu wenig entsprechend aufgestockt.

Ein weiteres Problem sind die unterschiedlichen Kategorien von Diskriminierungs­schutz, wie sie in diesem Gleichbehandlungsgesetz formuliert sind. Es gibt hier eine Stellungnahme, damals noch zum Entwurf des Bundesgesetzes, die von einer ganzen Reihe von NGOs unterstützt wurde. Ich möchte sie jetzt aufzählen: Das war die Ar-


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beitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit, amnesty international Österreich, die Homosexuellen-Initiative Wien, das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, der Wiener Integrationsfonds, die Wiener Integrationskonferenz, „SOS Mitmensch“ und der Verein „ZARA Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit“. In dieser Stellungnahme wird das folgendermaßen formuliert: Es wäre geradezu grotesk, ausgerechnet beim Schutz vor Diskriminierung bestimmte Gruppen erst recht wieder diskriminierend zu behan­deln. Dies birgt auch die Gefahr, dass potenzielle Diskriminierer dann nicht verbotene Diskriminierungsgründe als Grund für eine Ungleichbehandlung oder Benachteiligung aufführen, obwohl der eigentliche Grund dafür in einem vor Diskriminierung geschütz­ten Merkmal liegt.

Ich glaube, das ist sehr gut formuliert. Das ist eigentlich das Kernproblem bei der Frage der unterschiedlichen Kategorien des Diskriminierungsschutzes.

Wir haben es schon gehört: Die Diskriminierung aus rassistischen Gründen ist auch außerhalb des Arbeitsmarktes sanktionierbar, bei allen anderen Diskriminierungstatbe­ständen geht das aber nur am Arbeitsmarkt. Das ist auch verfassungsrechtlich schwie­rig, denn es handelt sich ja um eine Diskriminierung, es ist derselbe Tatbestand – und daran müsste der Gesetzgeber eigentlich auch die gleichen Rechtsfolgen knüpfen.

Davon einmal abgesehen: Warum jemand diskriminiert wird, müsste doch rechtlich egal sein. Das ist höchstens für die diskriminierende Person relevant, ob die Diskrimi­nierung auf Grund einer Hautfarbe oder einer sexuellen Orientierung passiert. In der Ursachenbekämpfung bei Diskriminierung ist das auch wichtig, aber rechtlich gesehen sollte es keinen Unterschied machen.

Zur Frage der Weisungsfreiheit: Laut Richtlinien müssten die Stellen, die die Verwirkli­chung der Gleichbehandlung fördern sollen, unabhängig sein. Diese müssten dann in Österreich, wenn nicht gesonderte unabhängige Rechtschutzeinrichtungen als solche errichtet werden, per Verfassungsbestimmung weisungsfrei gestellt werden. Das sagt auch der Verfassungsgerichtshof. Eine wirkliche, gesicherte Unabhängigkeit ist in die­sem Bereich ganz besonders wichtig, sie ist aber noch nicht garantiert.

Ich habe schon das Problem der fehlenden oder kaum vorhandenen Personalaufsto­ckung angesprochen. Vor allem aus frauenpolitischer Sicht gibt es da die Befürchtung, dass auch frauenpolitische Anliegen dadurch unter die Räder kommen, dass dort die Ressourcen angeschnitten werden könnten. Es handelt sich jetzt um einen viel größe­ren Themen- und Zuständigkeitsbereich, und dafür müssen auch die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Wenn das nicht geschieht, wird es auf Kosten der bisheri­gen Arbeit gehen.

Dieses Gesetz beschränkt sich auf die Minimalvorgaben der EU-Richtlinien, und das nicht einmal in allen Fällen. Besonders traurig ist auch, dass die Senate der Gleichbe­handlungskommission ehrenamtlich arbeiten sollen. Das heißt automatisch, dass sie nur in einem bescheidenen Rahmen Fälle behandeln können. Auch werden diese nur von Ministerien und Sozialpartnern beschickt, und da verzichtet man wieder einmal auf die Expertise von NGOs.

Was noch völlig fehlt, sind Begleitmaßnahmen, um Bewusstsein für die Problematik von Diskriminierung zu schaffen, einerseits bei den Personen, die es umsetzen müs­sen und mit diesem Gesetz arbeiten müssen, andererseits auch in der Bevölkerung. Da muss noch viel getan werden. Sensibilität und Problembewusstsein fallen nämlich nicht vom Himmel. Dieses Gesetz würde anders ausschauen, wenn eine wirkliche Sensibilität für das Problem Diskriminierung dahinter stünde – und nicht bloß eine widerwillige Erfüllung von Richtlinien.


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Meine Hoffnung liegt jetzt in dem von NGOs gegründeten Klageverband, der das Ziel hat, richtlinienkonform ein gesetzlich verankertes Vertretungsrecht für NGOs und eine Verbandsklagemöglichkeit zu erreichen. Ich hoffe, dass das gelingt. Dadurch wäre es den Diskriminierten dann tatsächlich möglich, ihre Rechte umzusetzen. – Danke. (Bei­fall bei den Grünen.)

19.39

 


Präsident Jürgen Weiss: Nach dem aktuellen Stand der Rednerliste hat mit Herrn Bundesrat Mag. Gudenus jetzt ein Mann das letzte Wort. – Bitte.

 


19.40

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Vertreter der Bundesregierung! Kollegen und Kolleginnen! Wie heute schon beim Tierschutzgesetz sitzen auch jetzt bei diesem Antidiskriminierungsgesetz auf Grund der absoluten Wich­tigkeit und Bedeutung dieses Gesetzes drei Vertreter der Bundesregierung bei uns. Das kommt nur ganz selten vor, also wird man feststellen können: Gesetze, bei denen mehrere Vertreter der Bundesregierung bei uns sitzen, sind wichtiger als jene Gesetze, bei denen nur ein Vertreter der Bundesregierung hier sitzt. Die Bundesregierung wird sich schwer tun, die Gleichgewichtigkeit der Gesetze durch die gleiche Anzahl von Re­gierungsvertretern hier darzustellen. – Aber das soll eher scherzhaft gemeint sein und die Freude ausdrücken, dass Sie in unserer Mitte sind, Frau Minister, Herr Minister und Herr Staatssekretär!

Die UNO-Menschenrechtsdeklaration spricht ja eigentlich das ganze Gesetz schon in wenigen Worten kurz und bündig an. Es heißt, die Menschen sind an Würde und Rech­ten gleich. Damit hätte man eigentlich alles gesagt, wenn es dann nicht doch in man­chen Fällen in manchen Staaten in manchen Situationen an etwas fehlte.

Ich gebe Kollegin Blatnik von den Sozialdemokraten recht, wenn sie meint, dieses Ge­setz ist nicht unumstritten. Ich würde sagen, es ist gut, dass ein gewisser Meinungsun­terschied vorhanden ist, denn Gesetze gehören auch diskutiert. Wenn ich mich auch nicht in allen Punkten, die Sie anführen, mit Ihnen konform erkläre – denn sonst könnte ich ja dieses Gesetz heute auch nicht zustimmend zur Kenntnis nehmen und müsste mit Ihnen stimmen –, so meine ich doch, dass dieses Gesetz wohl überlegt ist. Ich frage mich jedoch, ob es unbedingt auf Österreich passt. Ich komme darauf gleich später zurück. (Bundesrätin Bachner: Aber da müssen wir es beschließen!)

Kollegin Roth-Halvax hat gemeint, dass wir eine totale Umsetzung des Gesetzes bräuchten, solange bis Frauen den Männern der prozentuellen Anzahl nach gleichge­stellt sind.

Ich frage mich jetzt, wie ich das im Sport verstehen soll. Kann ich es noch länger hin­nehmen, Frau Kollegin, dass man Sportarten nach Männern und Frauen trennt? (Bun­desrätin Roth-Halvax: Wir sprechen von der Vergabe von Positionen!)

Sport ist mit Geld verbunden. (Bundesrätin Roth-Halvax: Nein, darum geht es nicht!) Sport ist teuer bezahlt, speziell der Spitzensport. (Bundesrätin Roth-Halvax: Es geht um Jobs!) Es gibt meines Wissens nur eine Sportart, wo Männer und Frauen gemein­sam antreten, das ist das Mixed Double im Tennis. – Sonst gibt es das nicht. (Bundes­rat Lindinger: Eistanzen!) Wenn das im Fußball der Fall wäre, würde es schon besser ausschauen. (Ruf bei der SPÖ: Das ist Themenverfehlung!)

Wenn man wie ich als bis jetzt einziger Redner in einer fünffachen Frauenriege einge­bettet ist, ist es natürlich nicht ganz einfach, die Argumente frauenkonform über die Runden zu bringen (Bundesrätin Konrad: Es geht jetzt nicht um Frauendiskriminie­rung!), aber ich stehe ja nicht hier, um frauenkonform über die Runden zu kommen, sondern um einige meiner Überlegungen einzubringen, und muss feststellen, dass wir


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eben heute den Artikel 13 des EG-Vertrages 2000/43/EG und 2000/78/EG beschließen wollen. Hier geht es darum, Geschlecht, Religion, Rasse und Alter gleich zu behan­deln.

Bei einem Punkt bin ich vollkommen für dieses Gesetz: Als Seniorenvertreter bin ich dafür, dass es keine Diskriminierung des Alters nach oben mehr geben darf. Das ist für mich eine vollkommen klare Sache. Ich werde immer älter und möchte mich nicht dis­kriminiert fühlen. Das soll auch bei Arbeitnehmern der Fall sein. Ich glaube also, das ist ein sehr wichtiges Gesetz.

Ob dieses Gesetz, was die rassische Diskriminierung anlangt, ein typisch österreichi­sches Gesetz wird, daran wage ich zu zweifeln. Wenn dieses Gesetz, wenn diese Vor­gabe gegen rassische Diskriminierung eine EU-Vorgabe ist, dann spricht es meines Erachtens eher für ein schlechtes Gewissen manch ehemaliger Kolonialmächte, die ein Problem mit ihren ehemaligen kolonialen Untertanen haben, die jetzt in großen Men­gen in diese ehemaligen Kolonialmächte in der EU eingeströmt sind und dort benach­teiligt werden. Bei uns in Österreich besteht diese Situation zum Glück nicht. – Ich weiß niemanden, der hier in Österreich rassisch oder religiös diskriminiert wird. (Bundesrätin Konrad: Sagen Sie, dass es bei uns keine Diskriminierung von Menschen mit anderer Hautfarbe gibt? – Rufe bei den Grünen und der SPÖ: Na ja!)

Meine lieben Kollegen, wir brauchen das gar nicht so zu sehen, wie Sie es jetzt mit einem lauten Aufschrei aufzeigen wollen. Hier in Österreich gilt die UNO-Konvention vollkommen. Die Menschen sind an Würde und Rechten gleich, und das ist in Öster­reich sehr gut gewährleistet! (Bundesrat Schennach: Solange Mölzer nicht an der Macht ist!) Es ist nicht gut, wenn man von der Opposition aus immer wieder anderes behauptet. Unter Umständen liest man dann in „Le Monde“ oder in der „Financial Times“, dass bei uns in Österreich jemand aus rassischen, religiösen oder sexuellen Gründen diskriminiert wird. – Das stimmt grundsätzlich nicht! (Bundesrätin Konrad: Es ist eine Tatsache! – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Es fällt mir leicht, diesem Gesetz zuzustimmen, weil eben diese Kleinfälle, die vielleicht vorhanden sind, im Einzelfall bedeutend sind, aber in der Masse untergehen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Lindinger: Ah, gibt es doch Fälle!)

Es ist ein Glück für unser Land, dass es so ist, und ich möchte, dass es so bleibt. Ich werde diesem Gesetzesbeschluss gerne zustimmen, weil wir da leider eine EU-Richt­linie, die nicht für Österreich geschneidert ist, umsetzen müssen. (Beifall bei den Frei­heitlichen.)

19.45

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Bartenstein das Wort. – Bitte.

 


19.46

Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Nicht ein Mann soll das letzte Wort haben: Wenn es nach uns hier auf der Regierungsbank geht, wird das selbstverständlich eine Frau sein, nämlich Ministerin Rauch-Kallat. Ich darf ihr aber zuständigkeitshalber vorgreifen, wobei schon klar ist, dass es nicht nur um die Gleichbehandlung von Mann und Frau geht. – Das ist ja schon beschrieben wor­den. (Demonstrativer Beifall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Vorlage aus unserer Sicht um eine vollständige Umsetzung – aus meiner Sicht sogar um eine übervollständige Umsetzung – der EU-Richtlinien. Frau Bundesrätin Konrad, als Sie gemeint haben, die Regierung ignoriere ein Problem, dachte ich ja schon, Sie


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meinen Rot-Grün in Deutschland und nicht uns. (Bundesrätin Konrad: Nicht ganz, ich habe das schon auf uns bezogen! – Bundesrat Konecny: Wir wissen schon, in wel­chem Land wir leben!)

Vielleicht wird es Sie interessieren, dass es ein einziges Land in der ganzen Europäi­schen Union gibt, das in Sachen Anti-Rassismusrichtlinie noch nicht einmal einen Ent­wurf zur Umsetzung vorgelegt hat, nämlich Deutschland. (Bundesrätin Konrad: Wir waren auch nicht gerade schnell!)

Dass wir ein wenig in Verzug sind, hat seine Gründe, unter anderem auch, dass die Regierungsvorlage sehr lange im entsprechenden Parlamentsausschuss nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden konnte. – Erkundigen Sie sich bitte einmal bei der Frau Vorsitzenden des Ausschusses, warum denn das nicht ging. (Bundesrat Schennach: Blockade im Bundesrat!)

Aber, wie gesagt, schauen Sie einmal zu Ihren politischen Freunden nach Deutsch­land: Die haben da noch gar nichts zustande gebracht. Das geht noch weiter: Da gab es bereits einen Referentenentwurf, der jedoch zurückgezogen wurde. Jetzt ist man wieder beim Ausgangspunkt. Da fühle ich mich in Österreich recht wohl.

Selbstverständlich sind wir der Auffassung, dass wir die Beweislastumkehr, so wie sie von der Union gefordert ist, auch entsprechend umsetzen. Wir gehen weiter als im bis­herigen Gleichbehandlungsgesetz, und der bisherige Status quo ist von der Union auch nie beeinsprucht worden. Zum Vorwurf von Frau Bundesrätin Blatnik, es gäbe gleiche und gleichere Menschen (Bundesrat Schennach: Die ist schon in Kärnten!): Wir halten uns an die Vorgabe der Europäischen Union, die da auch so differenziert. So gesehen finde ich Ihren Vorwurf, dass das verfassungswidrig sei, etwas eigentüm­lich. Die Aufgliederung ist jedenfalls präzise dem EU-Muster nachempfunden.

Die NGO-Einbindung sehen wir durchaus richtlinienkonform und ausreichend gegeben. Wenn Minister Haupt als Zuständiger für Menschen mit Behinderung in diesem Lande sagt, diese Gruppe von Menschen möchte er n einem eigenen Gesetz betreut wissen, so habe ich dafür Verständnis. Alles andere wird mit unserer heutigen Gesetzesvorlage gemacht. (Bundesrat Konecny: Schön!)

Ein Letztes: Warum sprechen wir von Gleichbehandlung und nicht von Antidiskriminie­rung? – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wenn es möglich ist, sich auf Deutsch auszudrücken, sollte man das tun. – Das ist in diesem Falle möglich. Zweitens: Wenn es möglich ist, eine Sache positiv darzustellen, dann sollte man sie positiv darstellen, nämlich mit dem Terminus „Gleichbehandlung“ – und nicht „Antidis­kriminierung“. (Bundesrätin Konrad: ... Antidepressiva nützt nichts!) Wir wollen nicht immer gegen etwas sein, sehr geehrte Frau Bundesrätin, wir wollen auch einmal für etwas sein! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Last but not least ... Jetzt muss ich mich selbst bei der Nase nehmen. Ich sagte „last but not least“, aber selbstverständlich meine ich „nicht zuletzt“: Nicht zuletzt möchte ich noch auf die Weisungsfreiheit zurückkommen.

Frau Bundesrätin Konrad, es hat – ich glaube, Sie waren noch nicht dabei – ein Ex­perte des Verfassungsdienstes – nicht des Verfassungsgerichtshofes, sondern des Verfassungsdienstes – gemeint, auch die einfachgesetzliche Umsetzung wäre wahr­scheinlich möglich, weil auch dadurch Weisungsfreiheit darstellbar wäre.

Aber Hand aufs Herz: Auch mir wäre die ganz sichere Weisungsfreistellung – nämlich die verfassungsrechtlich ganz abgesicherte – die liebere Variante gewesen, genau so wie der Ministerin, dem Staatssekretär und den Regierungsfraktionen, aber dazu hät­ten wir Sie gebraucht – nicht ad personam Sie, sondern diese Mehrheit hätte nur mit den Sozialdemokraten erreicht werden können, und das war im entsprechenden Natio-


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nalratsplenum leider Gottes nicht der Fall. (Bundesrat Dr. Böhm: Sie sind ... Wei­sungsfreiheit!)

Sollte diese Thematik also hier einmal aufgegriffen werden, sollte es einen Spruch ge­ben, so tragen aus meiner Sicht diejenigen dafür Verantwortung, die wider besseres Wissen diese Verfassungsmehrheit in diesem einen Punkt verhindert haben. – Sie hätten ja zu allem anderen nicht ja sagen müssen, nur zur Weisungsfreistellung der Gleichbehandlungskommission! Das haben Sie nicht getan, also tragen Sie dafür auch die entsprechende Verantwortung. – Danke, Herr Präsident. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

19.51

 


Präsident Jürgen Weiss: Zu Wort gelangt nun Frau Bundesministerin Rauch-Kallat. – Bitte.

 


19.51

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Maria Rauch-Kallat: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich spre­che nicht, weil ich als Frau das letzte Wort haben möchte. – Ich verspreche Ihnen auch, ich werde es hinsichtlich der Länge nicht missbrauchen, denn ich denke, jeder möchte schon gerne zum Feiertag nach Hause gehen.

Lassen Sie mich aber bei dieser Gelegenheit nicht verabsäumen, zu sagen, dass mit diesem Gesetz zwar nicht nur die Gleichbehandlung, Gleichstellung und Antidiskrimi­nierung von Frauen geregelt wird, sondern dass das Gesetz natürlich über diese Be­reiche hinausgeht. Mir als Frauenministerin war es aber ganz besonders wichtig, dass mit diesem Gesetz wesentliche Verbesserungen im Bereich der Gleichbehandlung und der Gleichstellung von Frauen erreicht werden konnten.

Frau Bundesrätin Roth-Halvax hat das bereits in eindrucksvoller Weise festgehalten. Ich möchte das nur bekräftigen und mich für die gute Zusammenarbeit bei Herrn Bun­desminister Bartenstein und all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich bedanken, aber auch bei den MitarbeiterInnen meines Hauses und natürlich auch denen des Bundeskanzleramtes, dass es uns gemeinsam gelungen ist, ein wichtiges Gesetz auf die Beine zu stellen, das in der Tat diesbezüglich gute Verbesserungen in der gegebenen Situation in Österreich gewährleisten wird.

In diesem Sinne: Ein herzliches Dankeschön und ein schönes Wochenende! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

19.52

 


Präsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Ebenfalls nicht, danke.

Die Abstimmung über die Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir gelangen zuerst zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Gleichbehandlungs­gesetz geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.


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Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 26. Mai 2004 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Gleichbehandlung – Gleichbehandlungsgesetz – erlassen und das Bundesgesetz über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben – Gleichbehandlungsge­setz – geändert werden.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, keinen Ein­spruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Einlauf

 


Präsident Jürgen Weiss: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten beziehungs­weise in der heutigen Sitzung insgesamt vier Anfragen, 2203/J bis 2206/J, eingebracht wurden.

*****

Schlussworte des Präsidenten

 


Präsident Jürgen Weiss: Mit 1. Juli 2004 geht der Vorsitz des Bundesrates auf das Bundesland Wien über. Zum Vorsitz berufen ist gemäß Artikel 36 Abs. 2 B-VG die an erster Stelle entsandte Vertreterin dieses Bundeslandes, Frau Bundesrätin Anna Elisa­beth Haselbach.

Da es sich – soweit nichts Unvorhergesehenes geschieht – um die letzte Sitzung in dem Halbjahr handelt, in dem ich den Vorsitz für das Bundesland Vorarlberg auszu­üben hatte, möchte ich das nicht vorübergehen lassen, ohne mich zu bedanken.

Ich danke Frau Vizepräsidentin Haselbach und Herrn Vizepräsident Himmer, die es mir in sehr kollegialer Zusammenarbeit erleichtert haben, diese Funktion über große Ent­fernung hinweg auszuüben. Weiters danke ich den vier Fraktionsvorsitzenden für die Fortsetzung der konstruktiven Zusammenarbeit in der Präsidialkonferenz. Ich danke den Ordnern, Schriftführern und Schriftführerinnen für die Unterstützung bei der Lei­tung der Sitzung – und nicht zuletzt den Damen und Herren des Bundesratsdienstes, die in gewohnt zuverlässiger Weise dafür sorgen, dass wir unsere Sitzungen und alle damit zusammenhängenden Vorarbeiten so reibungslos erledigen können.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 1. Juli 2004, 9 Uhr in Aussicht genom­men.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen neben der Wahl der beiden Vizepräsi­denten, Schriftführer und Ordner für das zweite Halbjahr 2004 jene Vorlagen in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 29. Juni 2004, ab 14 Uhr vorge­sehen.


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Abschließend mache ich noch darauf aufmerksam, dass am Donnerstag, den 24. Juni 2004, um 9 Uhr die parlamentarische Enquete „Die Überwindung der ‚Digital Divide‘ als regionale Herausforderung“ stattfinden wird.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 19.56 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien