Bundesrat Stenographisches Protokoll 722. Sitzung / Seite 71

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2. dem Beschluss des Nationalrates im Sinne des Artikels 44 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Soweit der Bericht und Antrag.

 


Präsident Mag. Georg Pehm: Ich danke für den Bericht. – Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Konrad. – Bitte, Frau Bundesrätin.

 


17.32.21

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Debatte, die in den letzten Wochen über die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze stattgefunden hat, hat auf jeden Fall eine Verän­derung erzielt, nämlich: Die Definition des Wortes „Kompromiss“ dürfte inzwischen eine andere als früher sein. Bisher hat ja das Wort „Kompromiss“ eigentlich bedeutet, in der Verhandlung bewegen sich beide Parteien ein bisschen weg von ihrer eigenen Position und finden eine gemeinsame Position, mit der nicht jeder hundertprozentig einverstan­den ist, aber mit der man zumindest leben kann. Inzwischen scheint jedoch das Wort „Kompromiss“ eher zu bedeuten: Man einigt sich zwar auf eine Formulierung, aber nicht auf die Bedeutung derselben.

Ich kann es mir nämlich nicht anders erklären, dass jetzt die ÖVP das Ergebnis fol­gendermaßen interpretiert: „Es wird auch in Zukunft keine gemeinsame Schule für Sechs- bis Fünfzehnjährige geben“, und die SPÖ es als genau das Gegenteil inter­pretiert. Aber das ist eigentlich ein Punkt, der schon klar ausverhandelt werden sollte. Es ist eine zentrale Frage, ob es diese gemeinsame Schule geben kann und geben wird oder nicht. Das ist eine Frage, die meiner Meinung nach die Politik und nicht der Verfassungsgerichtshof klären muss! (Beifall bei den Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion, die hier in den letzten Wochen poli­tisch abgelaufen ist, war in sich sehr, sehr widersprüchlich. Da hat man sich jeden Tag aufs Neue überraschen lassen können, wer jetzt gerade für die Abschaffung der Zwei­drittelmehrheit und wer dagegen ist, wer gerade wofür eine Garantie fordert, dass es ausgenommen wird. Wenn eine Diskussion so widersprüchlich verläuft, dann ist es eigentlich kein Wunder, wenn auch das Ergebnis ein klein wenig widersprüchlich inter­pretiert wird.

Die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit finde ich im Prinzip für eine gute Sache. Sie ist ein Schritt vorwärts, sie löst aber in der Form, wie sie jetzt gemacht wird, die tat­sächlichen Probleme nicht, denn, wie gesagt, politische Entscheidungen sind von den politisch Verantwortlichen zu treffen und nicht an Verfassungsgerichtshöfe oder Ähnli­ches zu delegieren.

Das Fallen der Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze ist eine Voraussetzung für Verbes­serungen im Schulsystem, aber keinesfalls eine Garantie dafür. Auch in den letzten Jahren war im Prinzip per Verordnung vieles möglich und ist auch viel passiert. Die Frage ist natürlich, in welche Richtung Veränderungen vorgenommen werden.

Es ist auch nicht das bisherige Erfordernis der Zweidrittelmehrheit schuld daran, dass sich Österreich schulpolitisch, bildungspolitisch in einer Sackgasse befindet, sondern vielmehr das Fehlen von Visionen, was die Schulpolitik betrifft, und in gewisser Weise auch das Familienbild, das die ÖVP vertritt, das nämlich meistens nicht mehr den Lebensrealitäten entspricht, sondern eher eine Wunschvorstellung darstellt. Vor allem von Seiten der ÖVP passiert es schon sehr oft, dass Schule und Familie gegenein­ander ausgespielt werden. Da wird also diese Gleichung aufgestellt: Mehr Schule würde gleich weniger Familie bedeuten, und alle Menschen, die dafür sind, dass es ein


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