Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 12. Sitzung / Seite 143

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Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Posch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte. (Abg. Aumayr  – in Richtung der Abg. Dr. Petrovic –: Keine Antwort ist auch eine Antwort!)

18.11

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Ich bräuchte den Ausführungen meiner Vorrednerin im Hinblick auf den Redebeitrag des Abgeordneten Graf eigentlich nichts hinzuzufügen. (Abg. Dr. Martin Graf: Das hätte mich auch gewundert!)

Trotzdem tue ich es, weil ich mit dem vorliegenden Antrag nicht ganz glücklich bin. Es ist ein Antrag auf Verurteilung der Massaker an den Armeniern im Sinne der UN-Menschenrechtskonvention des Jahres 1948. Ich möchte nun näher begründen, was ich damit meine.

Für die Herausbildung der türkischen Identität nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, das im Wesentlichen kosmopolitisch war, ebenso des Islam, der in Wirklichkeit auch kosmopolitisch war, war dieser Völkermord – und ein solcher war es natürlich – an den Anhängern christlicher Religionen in dieser Region für die türkische Republik tragischerweise geradezu konstitutiv.

Der türkische Nationalismus, der sehr stark von Rasseideologien und von Sozialdarwinismus beeinflusst war, ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie nationalistische Mechanismen ablaufen und funktionieren. Er ist ein Reflex auf viele jahrhundertlange Demütigungen – auch durch das islamische Reich, auch durch die Christen am Balkan – und Auseinandersetzungen in diesem spannungsreichen Gebiet.

Die Türken haben Sündenböcke gesucht – und Sündenböcke gefunden. Diese Sündenböcke waren die christlichen Minderheiten, die von den Großmächten in diesem Gebiet als Hebel für ihre Großmachtinteressen missbraucht worden waren. Es muss auch einmal ganz klar gesagt werden, wie die Koalitionen im Ersten Weltkrieg ausgeschaut haben.

Das ist für das Verständnis der türkischen Identität – und das sage ich jetzt nicht als Entschuldigung oder Beschönigung, sondern nur zum Verständnis der Entwicklung des Nationalismus am Beginn des 19. Jahrhunderts und für das Verständnis dieser Zeit allgemein, möchte ich hinzufügen – ganz wichtig. Nach meinem Dafürhalten ist das etwas ganz anderes als das, was Ausfluss der besagten UN-Resolution des Jahres 1948 war, die natürlich ganz stark unter dem Einfluss der perfektionierten und planmäßigen industriellen Vernichtung der Juden, des "perfekten" Massenmordes in diesem Jahrhundert, stand.

Es wird mir ein bisschen mulmig, wenn Herr Kollege Graf in seinen Ausführungen von der engsten Nachbarschaft spricht, ihm dabei – und damit möchte ich keineswegs das Leid, das die Sudetendeutschen erlitten haben, relativieren (Abg. Jung: Aber?)  – eben diese Vertreibung der Sudetendeutschen einfällt, der Holocaust aber nicht. (Abg. Dr. Martin Graf: Das ist ja bereits verurteilt durch die Kommission!)

Das haben Sie mit keinem Wort gesagt! Und Sie haben auch mit keinem Wort gesagt, dass gerade die Vertreibung der Sudetendeutschen eine Folge dieses Holocaust und aller Entwicklungen, die sich daraus ergeben haben, war. (Abg. Dr. Martin Graf: Kollege Posch, jetzt ganz im Ernst: Das ist ja bereits verurteilt!)

Das ist in Wirklichkeit das Problem, das Sie (Abg. Böhacker: Das Sie herbeireden wollen!) mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit ganz offensichtlich haben, und auch das Problem, das Ihnen momentan zu schaffen macht. Das wissen Sie ganz genau. (Abg. Dr. Martin Graf: Kollege Posch, es geht um den noch nicht verurteilten Genozid! Das ist doch das Wesen des Antrages!)

Es geht nicht um nicht verurteilte oder um verurteilte Genozide, sondern es geht um Ihre Geisteshaltung, dass Ihnen, wenn so etwas auf der Tagesordnung steht, zum grausamsten Genozid dieses Jahrhunderts die Vertreibung der Sudetendeutschen einfällt. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Dr. Martin Graf. ) Das ist bezeichnend für Ihre Geisteshaltung, und mehr


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