Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 32. Sitzung / Seite 31

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Regierung auswählen zu können, für die Grundrechte der Bürger und eine klare Rechtsstellung der politischen Parteien – eine langjährige Forderung des Europäischen Parlaments –, für die Gleichberechtigung der EU-Mitgliedstaaten und natürlich daher auch für die Rechte kleiner Staaten in der EU so wie Österreich, und wir kämpfen da nicht nur für uns. Wir wollen für eine neue Aufgabenverteilung zwischen Europa und den Nationalstaaten und für eine Aufwertung der Regionen eintreten, ebenso für ein rechtsstaatliches Verfahren für den Fall, dass eine Gefährdung beziehungsweise eine Verletzung europäischer Verpflichtungen droht. Es soll nie wieder einen Fall wie Österreich geben. Das soll auch die Lehre dieser Volksbefragung und dieser Veränderung sein! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

In Wahrheit sind diese sechs Punkte, über die das österreichischen Volk mit "Ja" oder mit "Nein" befinden kann, die Kurzfassung einer europäischen Verfassung. Wenn Präsident Jacques Chirac vor dem Deutschen Bundestag und vor dem Europäischen Parlament gefordert hat, eine europäische Verfassung zu entwickeln und sie nachher einer Volksabstimmung der Völker zu unterwerfen, dann machen wir es umgekehrt: Wir werden diese Kernelemente einer kommenden und bestehenden europäischen Verfassung jetzt schon dem Volk vorlegen und bitten um eine möglichst klare Unterstützung, damit wir für Europa etwas in Bewegung bringen, was nichts mit Blockieren zu tun hat. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Nun der Schlusssatz: Wir würden alle gerne unsere Energie nicht für das Thema "Sanktionen" beziehungsweise für ihre Aufhebung einsetzen (Heiterkeit bei der SPÖ), sondern für jene Themen, die uns allen wichtig sind – wie heute für die Garantie eines erstklassigen Sozialsystems auch für die heute jungen Menschen, für eine faire Verteilung von Sozialtransfers, für eine vernünftige Budgetpolitik, die mit dem Schuldenmachen aufhört, und für eine Reform der österreichischen Verwaltung. – Darum geht es uns, und wir werden trotz der gegen Österreich verhängten Sanktionen genau diese zentralen Themen weiter ansprechen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

9.25

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir gehen nach der Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers in die Debatte ein. Alle Redezeiten sind jetzt einheitlich mit je 5 Minuten limitiert.

Als erster Redner gelangt Kollege Peter Schieder zu Wort. – Bitte, Herr Abgeordneter.

9.26

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Das europäische Gipfeltreffen in Feira und die Tage danach haben uns nicht gebracht, was für alle Beteiligten das Beste gewesen wäre: eine Aufhebung der Sanktionen, eine Beendigung der Maßnahmen der EU-14. Auch wenn die Sanktionen faktisch nicht oder nicht mehr bestehen und auf gelegentliche Unbequemlichkeiten für Regierungsmitglieder und Botschafter reduziert sind, ist eine formelle Beendigung notwendig. (Abg. Ing. Westenthaler: Das war aber jetzt ein Lapsus! Sind die Sanktionen schon aufgehoben? Haben wir etwas versäumt?)

Der Schritt, der gesetzt wurde, nämlich dass drei vom Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eingesetzte Weise einen Bericht legen, ist allerdings gegenüber der bisherigen Haltung mancher der EU-14 ein wirklicher, ein akzeptabler Fortschritt, umso mehr, als Richter Wildhaber dafür bekannt ist, zutiefst dem Grundsatz "audiatur et altera pars", auch immer die andere Seite zu hören, verpflichtet zu sein.

In diesen Tagen, meine Damen und Herren, wäre daher von unserer Regierung ein geschicktes Vorgehen – stille, zielgerichtete Diplomatie – notwendig gewesen. Ich weiß nicht, woran es liegt: Ist es eine Fehleinschätzung, ist es Unvermögen, oder geschieht es auf Grund des diesbezüglichen Tauziehens innerhalb der Koalition, bei dem sich die FPÖ durchzusetzen scheint, dass, anstatt Fingerspitzengefühl zu zeigen, die feine Klinge einzusetzen, ein politischer Kraftakt von der Regierung gesetzt wird? Ja, der Antrag auf Volksbefragung ist ein plumper Kraftakt ohne Fingerspitzengefühl, er ist auch ein außenpolitischer Fehler, und er ist kontraproduktiv! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)


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