Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 47. Sitzung / Seite 42

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Ich zitiere: "Seyß-Inquart: Ich bin am Apparat. Göring: Also bitte folgendes: Sie möchten sich sofort mit dem Generalleutnant Muff (deutscher Militärattaché in Wien) zum Bundespräsidenten begeben und ihm sagen: Wenn er nicht unverzüglich die Forderungen – Sie kennen sie – annimmt, dann erfolgt heute nacht der Einmarsch der bereits auf der Grenze aufmarschierten und anrollenden Truppen auf der ganzen Linie, und die Existenz Österreichs ist vorbei! Der Generalleutnant Muff möchte sich mit Ihnen hinbegeben und verlangen, sofort vorgelassen zu werden und das ausrichten. Bitte, geben Sie uns unverzüglich Nachricht, auf welchem Standpunkt Miklas bleibt. Sagen Sie ihm, es gibt keinen Spaß jetzt.

Jetzt ist die Sache so, daß dann heute nacht der Einmarsch an allen Stellen Österreichs beginnt. Der Einmarsch wird nur dann aufgehalten, und die Truppen bleiben an der Grenze stehen, wenn wir bis 19 Uhr 30 die Meldung haben, daß der Miklas die Bundeskanzlerschaft Ihnen übertragen hat. Verfügen Sie die sofortige Wiederherstellung der Partei mit all ihren Organisationen" – die NSDAP war ja verboten bis zum damaligen Zeitpunkt – "und lassen Sie dann im ganzen Land jetzt die Nationalsozialisten hochgehen. Sie dürfen überall jetzt auf die Straße gehen. Also bis 19 Uhr 30 Meldung! Der Generalleutnant Muff soll mit hingehen. Ich werde Muff sofort dieselbe Weisung geben. Wenn der Miklas das nicht in vier Stunden kapiert, muß er jetzt eben in vier Minuten kapieren!"

Meine Damen und Herren! Das ist der wahre Hintergrund – Miklas ist nicht gewichen, es wurde mit Standgerichten gedroht –, warum 1943 in der Moskauer Deklaration die Alliierten eine bemerkenswert differenzierte Stellungnahme abgegeben haben. Sie haben wörtlich erklärt: Die Annexion Österreichs durch Deutschland, der Überfall am 13. März, sei null und nichtig. Österreich, das als erstes freies Land dem Angriff der Nazis zum Opfer fiel, soll von der deutschen Herrschaft befreit werden. Aber sie haben auch die Verantwortung angesprochen, die Österreicher durch die Teilnahme am Krieg an der Seite Hitler-Deutschlands auf sich geladen haben.

Und vergessen Sie nicht, dass im April 1945 die Vorstände der Sozialdemokraten, der Kommunisten und der Christdemokraten genau diese Erklärung, diese Unabhängigkeitserklärung in einer Präambel so formuliert haben, wie wir es jetzt gesagt haben. Ich meine, der Respekt vor den Opfern gebietet schon auch – der frühere Chefredakteur der "Kleinen Zeitung" hat in einem Artikel darauf hingewiesen –, dass wir, die Nachgeborenen, uns daran erinnern, dass allein in den ersten 14 Tagen, zwischen dem 12. und 21. März 1938, mindestens 90 000 Österreicher – es haben manche, viele, zu viele, Hunderttausende gejubelt, und Hunderttausende haben geweint – von der Gestapo verhaftet wurden.

Gordon Brook-Shepherd – nicht einer, der uns nahe steht, sondern ein objektiver Wissenschafter – hat geschätzt, dass im Krieg 80 000 bis 100 000 Österreicher ihre Opposition gegen das Hitlertum mit dem Leben oder mit der Freiheit bezahlen mussten.

Das österreichische Parlament – das erste, das 1945 zusammengetreten ist – hat zu drei Vierteln aus ehemaligen Opfern des Nationalsozialismus, aus Gefangenen der Konzentrationslager oder sonstiger Gefängnisse bestanden. – Ich meine, es verlangt der Respekt auch vor diesen Opfern, dass wir nicht vergessen, wie Österreich im Jahre 1938 untergegangen ist.

Und nichts und niemand kann und darf uns daran hindern, die moralische, politische Verantwortung für die Handlung von Österreichern zu tragen, die sich am Verbrechensregime Hitlers mitschuldig gemacht haben. Aber die ganze Wahrheit, das ist das Einzige, woran wir uns heute noch immer erinnern müssen. Das sind wir der Geschichte, aber auch der Gegenwart und der Zukunft schuldig. (Lang anhaltender Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

11.34

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Edlinger. – Bitte.

11.35

Abgeordneter Rudolf Edlinger (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren der Bundesregierung! Sehr geehrter Herr Rechnungshofpräsident! Meine Damen und Herren Volksanwälte! Nach den Budgetbegleitgesetzen, die in der Vorwoche von den Regierungsparteien in diesem Hause durchgezogen wurden, sprechen wir heute über das


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