Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 55. Sitzung / Seite 93

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13.58

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzler! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Wenn man den Reden der Kolleginnen und Kollegen von ÖVP und FPÖ zugehört hat, dann musste man feststellen: Nizza und die Europäische Union hat sie in Wirklichkeit nicht interessiert. Wichtig waren das Abfeiern des ersten Jahrestages der Regierungsbildung und die Dolchstoßlegenden in Zusammenhang mit den Sanktionen. Es waren aber auch andere Dinge in diesen Reden enthalten. Man hat wie schon im letzten Jahr bei Ihren Rednern manchmal den Eindruck bekommen, Österreich war bis zum Februar 2000 ein Land, das in Armut und Diktatur gelebt hat. – Genau das Gegenteil ist wahr! Und das wissen die Österreicher. (Abg. Schieder: Sehr richtig! – Abg. Böhacker: Kein Applaus!?)

Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund war es wirklich aufregend, Herr Bundeskanzler, Ihnen zuzuhören. Ihre Äußerungen, die wir jetzt, mehr als ein Monat nach den Entscheidungen in Nizza, gehört haben, stehen doch im Widerspruch zu allen Diskussionen, die es in der Zwischenzeit gegeben hat, und auch zu den Reaktionen, die es unmittelbar danach aus den Reihen Ihres Koalitionspartners gegeben hat. Haider hat damals – ich darf Sie erinnern – noch davon gesprochen, dass sich die "grenzenlose Kompetenz der Dummheit" bei diesem Rat erwiesen habe. Er hat darüber hinaus gemeint, dass Sie an der kurzen Leine der Vizekanzlerin gehangen seien.

Herr Bundeskanzler, was ist jetzt wahr? War es ein Sieg für Österreich und für Schüssel? Oder wurde die grenzenlose Kompetenz der Dummheit der Europäischen Union nur deswegen in Grenzen gehalten, weil Sie an der kurzen Leine Ihrer Vizekanzlerin gehangen sind?

Lassen Sie mich aber ernst auf diese Ergebnisse eingehen. Sie, Herr Bundeskanzler, wissen, dass der Hauptausschuss mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ, wenige Tage, ja wenige Stunden bevor Sie nach Nizza geflogen sind, einen Beschluss gefasst hat, in dem die österreichischen Verhandlungspositionen klar aufgezählt worden sind. Eine der wesentlichsten Positionen war, dass der Kommissar auf Dauer auch den kleinen Ländern, also auch Österreich, erhalten bleiben muss. – Fazit: Weg ist er! Zwar nicht jetzt, aber der Zeitpunkt, nämlich der Beitritt des 27. EU-Landes, ab dem Österreich wie auch einer Reihe von anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union kein Kommissar mehr zusteht, ist heute schon fixiert.

Genau dasselbe ist im Zusammenhang mit der Stimmgewichtung geschehen. Meine Damen und Herren, Sie feiern, dass Österreich bei der nächsten EU-Wahl vier Mandate weniger haben wird sowie dass in den Räten der Stimmenanteil Österreichs von 4,59 Prozent auf 4,2 Prozent reduziert wird und bei den EU-27 überhaupt nur mehr 2,9 Prozent bedeutet. An der Sperrminorität ist Österreich nicht mehr mit 15,38 Prozent, sondern mit 14,5 Prozent beteiligt.

Österreich ist in der Europäischen Union schwächer geworden. Die kleinen Länder sind schwächer geworden. Und Sie als selbsterklärte Schutzmacht der Beitrittskandidaten werden den mehrheitlich mittleren und kleinen Staaten, die zur Europäischen Union stoßen werden, erklären müssen, warum auch sie mit einer schwächeren Position in die Europäische Union eintreten werden.

Dabei blieb uns das Schlimmste ja noch erspart, meine Damen und Herren, da ÖVP und FPÖ im Europäischen Parlament sogar einer Entschließung zugestimmt haben, nach deren Umsetzung Österreich überhaupt nur mehr zehn Mandate im Europäischen Parlament zustehen würden. Und das wäre überhaupt der "Super-GAU" gewesen.

Die Entscheidungsfähigkeit innerhalb der Europäischen Union hat sich nicht wirklich erhöht, sie ist sogar durch neue Mehrheiten komplizierter geworden. Es ist in diesem Zusammenhang auch praktisch nicht zu einer Weiterentwicklung der Entscheidungsfähigkeit durch die Reduzierung der Zahl der Einstimmigkeitsentscheidungen gekommen, und das EU-Parlament wurde nicht gestärkt.

Meine Damen und Herren! Es wurde in diesem Zusammenhang die Erweiterungsfähigkeit nur formal verwirklicht, "formal" deswegen, weil fixiert wurde, mit welchen Stimmenanteilen diese


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