Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / Seite 53

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bereit sind, dann muss man den gegenteiligen Schluss ziehen und sagen: Okay, euro­päische Grundrechte brauchen wir, wir brauchen Regelungen für das Funktionieren der Institutionen in Europa, Abstimmungsmechanismen, aber die politischen Zielsetzun­gen, die sich vielfach auch nicht in den Verfassungen der einzelnen Nationalstaaten finden, nehmen wir aus der Verfassung heraus. Es ist dann eben Angelegenheit der jeweiligen Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Europäischen Union, im Rat, im Par­lament, in der Kommission, welche Politik gemacht wird. – Das ist eine Grund­satz­entscheidung, die zu treffen sein wird.

Die zweite Grundsatzentscheidung, die zu treffen ist – und auch da, glaube ich, sollte man aus den Fehlern der Vergangenheit klug werden –, ist, in welcher Art und Weise eine solche Verfassung angenommen werden soll. Ich halte diesen „Abstimmungs­fleckerlteppich“ für einen falschen Zugang, denn das heißt nichts anderes, als dass es die Mehrheit in einem einzigen Mitgliedsland in der Hand hat, das Gesamte zum Scheitern zu bringen. Das heißt, dass die Europäische Union im Extremfall davon abhängig ist, ob in Luxemburg die Mehrheit zustimmt oder nicht. Das wäre ungefähr so, als könnte bei der Annahme einer Verfassung eines anderen Gebildes ein einzelner Teil die Gesamtheit blockieren.

Ich meine, es wäre von vornherein vernünftiger gewesen – bei einem neuerlichen Ver­fassungstext sollte man diesen Weg gehen –, zu sagen: Es soll eine gesamt­europäische Abstimmung über solch einen europäischen Verfassungsvertrag geben, die nach dem Prinzip der doppelten Mehrheiten funktioniert. Das heißt, es muss eine Mehrheit in der Mehrheit der Mitgliedstaaten und eine gesamthafte Mehrheit geben, damit diese Verfassung von allen Bewohnerinnen und Bewohnern Europas demo­kratisch akzeptiert werden kann. Ich glaube, das wäre eine wichtige Schlussfolgerung aus dem Scheitern des bisherigen Verfassungsprozesses. Ich denke, wir wären gut beraten, diesen Weg, wenn dieser Verfassungsprozess im nächsten Jahr wieder neue Dynamik gewinnt, einzuschlagen – und nicht die Ratifikation einzelner Staaten im Parlament und Volksabstimmungen in anderen Staaten.

Der Türkei-Beitritt ist eine spannende Frage, denn derzeit gewinnt man ja den Ein­druck, dass selbst innerhalb der Türkei die Frage, ob die Türkei Mitglied werden möchte oder nicht, wieder offen ist. Erstens ist nicht geklärt, ob die Türkei jedes Mitgliedsland der Europäischen Union anerkennen wird, bevor man in eine entscheidende Phase kommt. Das ist aber eine essentielle Voraussetzung. Es ist doch völlig denkunmöglich, dass jemand Mitglied der Europäischen Union wird, der nicht bereit ist, jedes einzelne bisherige Mitgliedsland anzuerkennen. Also das muss meiner Meinung nach außer Streit stehen.

Klar ist auch, dass die bestehenden Vertragselemente der Europäischen Union von jedem neuen Mitgliedsland zu akzeptieren sind – daher auch von der Türkei.

Ich glaube, dass dieser Verhandlungsprozess derzeit offener ist als jemals zuvor, da in den entscheidenden Fragen keine Bewegung eintritt. Sollte es einmal zu einem Verhandlungsabschluss kommen, gibt es in Österreich einen weit verbreiteten Kon­sens, dass darüber das Volk abstimmen soll. Aber ich sehe diesen Tag eigentlich in großer, großer Entfernung und nicht in nächster Zukunft. (Beifall bei der SPÖ.)

10.38


Präsident Dr. Andreas Khol: Als Nächster spricht Herr Abgeordneter Scheibner. Seine Wunschredezeit beträgt 8 Minuten. – Bitte.

 


10.38.50

Abgeordneter Herbert Scheibner (Freiheitliche - BZÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Es ist – und da sind wir uns, wie ich meine,


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