Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll55. Sitzung, 9. April 2008 / Seite 107

HomeGesamtes ProtokollVorherige SeiteNächste Seite

Über ein schönes Beispiel für – wie soll ich sagen? – die Desinformiertheit vieler Men­schen wurde im „Standard“ vom vergangenen Freitag berichtet: Vier Kabarettisten ha­ben auf der Mariahilfer Straße in Wien ein Standl aufgebaut und die Passanten und Passantinnen mit frei erfundenen, unglaublichen Behauptungen konfrontiert, die aber weitestgehend geglaubt wurden. Zum Beispiel: Die Europäische Union wird eine Frau­enquote für die Sängerknaben in Wien einführen. (Heiterkeit bei Grünen und SPÖ.) – Wir lachen hier, aber offenbar geht das hinein.

Oder, auch nicht schlecht: Die Pummerin am Stephansdom darf wegen einer neuen Lärmschutzverordnung der EU nicht mehr schlagen. (Neuerliche Heiterkeit bei Grünen und ÖVP.) – Das ist nicht schlecht; es wird aber geglaubt.

Oder, noch besser: Die EU wird uns jetzt statt Licht am Tag beim Autofahren Licht beim Parken vorschreiben. (Heiterkeit bei Grünen und SPÖ.) – Es wird geglaubt, das ist unfassbar!

Ich meine, die Informationsdefizite sind wirklich erschreckend. Aber ich bin der Letzte, der den Leuten daraus einen Vorwurf macht. Ich meine, die Bundesregierung aus SPÖ und ÖVP wacht heute auf, und gestern hat sie Inserate geschaltet – aber was ist in den Monaten davor gewesen? Was haben Sie da gemacht?

Vergleichen Sie einmal Ihr Verhalten mit dem von 1994! Jetzt bin ich weit entfernt da­von zu sagen, dass dieser Reformvertrag die gleiche Bedeutung, das gleiche Gewicht wie der damalige Beitritt hat – nein, natürlich nicht, er hat vergleichsweise ein geringes Gewicht. Aber trotzdem: 1994, ich kann mich daran erinnern, war ich selbst mit Ge­werkschaftsvertretern, mit Bundeskanzler Vranitzky unterwegs in Diskussionen noch und noch. Und jetzt? – Sie haben es ausgesessen, Sie haben sich geduckt. Sie haben gedacht, Sie können das aussitzen: Am 9. April segnen wir es ab, und fertig. – Das reicht nicht! (Beifall bei den Grünen.)

Wir wissen alle, wozu namentlich die ÖVP fähig ist. Im niederösterreichischen Land­tagswahlkampf hat Erwin Pröll in gewisser Weise mustergültig, wenn Sie so wollen, vorgezeigt, was die ÖVP kann, wenn sie will – in dieser Kampagne; das nannte ich eine Kampagne. Was Sie hier im Rahmen des Reformvertrags geboten haben, war nun wirklich keine Kampagne, das war gar nichts. Das soll keine Ausrede für Desinfor­miertheit sein, es gibt inzwischen eine Fülle von Informationen. Sehr gut ist im Übrigen der Bericht des Verfassungsausschusses; er hat nur 25 Seiten und ist eine sehr kom­primierte Information über den Inhalt des Reformvertrags.

Es ist natürlich nicht leicht, das muss ich auch sagen. Auch wir hätten es in der Bun­desregierung nicht leicht, wenn von anderer Seite, nämlich von FPÖ und BZÖ, täglich mit gezielten Unwahrheiten gearbeitet wird. (Abg. Mag. Hauser: Das ist ja unrichtig!) Es ist ja vollkommen sinnlos, sich mit Ihnen zusammenzusetzen: Sie werden in der nächsten Stunde wiederum – wider besseres Wissen! – genau die gleichen Unwahr­heiten verbreiten. (Beifall bei Grünen, SPÖ und ÖVP. – Abg. Mag. Hauser: Dann las­sen Sie halt die Bürger abstimmen! – Abg. Strache: Das sind genau diese präpotenten Unterstellungen! Die gescheiten Grünen ...!)

Ja, ich bin ein Freund der Volksabstimmung, das sage ich Ihnen auch. Ich bin ein Freund der Volksabstimmung, und die Uninformiertheit der Bürgerinnen und Bürger ist kein hinreichender Grund gegen die Volksabstimmung. Wenn wir vollständige, richtige, perfekte Information bei allen Entscheidungen verlangen würden, dann würde ja über­haupt nichts mehr entschieden werden können – weder in der Europäischen Union


HomeGesamtes ProtokollVorherige SeiteNächste Seite