Fachinfos - Fachdossiers 20.01.2022

Grenzen und Durchsetzbarkeit des parlamentarischen Fragerechts

Das Fragerecht stellt ein zentrales Instrument der Kontrolle der Verwaltung durch die Gesetzgebung dar, ist jedoch nur beschränkt rechtlich durchsetzbar. Das Fachdossier erörtert die Antwortpflicht von Befragten sowie deren Ausnahmen. (20.01.2022)

Wo liegen die Grenzen des parlamentarischen Fragerechts und wie ist dieses durchsetzbar?

Das parlamentarische Interpellations- oder Fragerecht ermöglicht den Mitgliedern des Nationalrates und des Bundesrates, Kenntnisse von der Tätigkeit der Bundesregierung und ihrer Mitglieder zu erlangen und diese auf diese Weise zu kontrollieren (Art. 52 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)). Das Fragerecht stellt ein zentrales Instrument der Kontrolle der Verwaltung durch die Organe der Gesetzgebung dar. Jedoch ist es nur beschränkt rechtlich durchsetzbar. Der Bestimmung der Grenzen des parlamentarischen Fragerechts kommt somit wesentliche Bedeutung zu.

Das Fachdossier erörtert die Antwortpflicht von Befragten sowie deren Ausnahmen, wobei der Schwerpunkt auf den Fragerechten der Mitglieder des Nationalrates gegenüber (den Mitgliedern) der Bundesregierung liegt. Die Grundlagen des parlamentarischen Fragerechts werden im Fachdossier „Wesen und Reichweite des parlamentarischen Fragerechts“ beschrieben. Abschließend wird im Überblick auf jene Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung der Antwortpflicht eingegangen, die den fragestellenden Mitgliedern des Nationalrates im Fall einer unzureichenden Beantwortung durch die Bundesregierung offenstehen.

Welche Vorgaben sind bei der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zu beachten?

Befragte sind grundsätzlich verpflichtet, binnen zwei Monaten ab Übergabe der Anfrage an die PräsidentInnen des Nationalrates auf diese mündlich oder schriftlich zu antworten (vgl. § 91 Abs. 4 GOG-NR: „Der Befragte hat […] zu antworten.“). Doch nicht in allen Fällen muss die Frage auch inhaltlich beantwortet werden, denn „[i]st dem Befragten eine Erteilung der gewünschten Auskunft nicht möglich, so hat er dies in der Beantwortung zu begründen.“

Eine Nichtbeantwortung kann auf faktische wie auch auf rechtliche Gründe gestützt sein:

Faktisch „unmöglich“ ist eine Beantwortung etwa, wenn die gewünschten Informationen nicht vorhanden sind oder auch mangels Ingerenzzusammenhangs (Möglichkeit der Einflussnahme) von den Befragten nicht erlangt werden können. Der Umstand, dass die Erhebung bzw. Aufbereitung der erfragten Daten mit Arbeitsaufwand verbunden ist, begründet grundsätzlich keine faktische Unmöglichkeit.

Rechtliche Gründe für eine Nichtbeantwortung können zum einen vorliegen, wenn der Gegenstand der Frage nicht vom Umfang des Fragerechts erfasst ist. Den Befragten steht es in diesem Fall frei, eine Frage dennoch zu beantworten. Zum anderen kann die Beantwortung aufgrund anderer verfassungsrechtlicher Vorgaben, die von den Befragten beachtet werden müssen, verweigert werden. In diesem Fall muss das Kontrollinteresse des Parlaments mit der betroffenen Verfassungsbestimmung im Einzelfall abgewogen werden.

Das betrifft etwa die verfassungsrechtliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (Art. 20 Abs. 3 B-VG), an die Befragte nach herrschender Ansicht auch gegenüber dem Nationalrat gebunden sind. Zwar sieht der Art. 20 Abs. 3 B-VG eine Ausnahme von der Amtsverschwiegenheit für die von einem allgemeinen Vertretungskörper (Parlament) bestellten FunktionärInnen gegenüber diesem Vertretungskörper vor. Diese Ausnahme ist jedoch auf die Mitglieder der Bundesregierung nicht mehr anwendbar, da diese seit 1929 vom Bundespräsidenten (und nicht mehr vom Nationalrat) bestellt werden. Somit ist den Befragten die Erteilung der gewünschten Auskunft dann rechtlich unmöglich, wenn durch die Beantwortung eines der in Art. 20 Abs. 3 B-VG genannten Geheimhaltungsinteressen verletzt würde.

Schließlich kann sich die „Unmöglichkeit“ der Beantwortung auch aus Gründen des Datenschutzes (§ 1 Datenschutzgesetz (DSG)) ergeben. Befragte haben das öffentliche Interesse an einer effektiven Kontrolle der Geschäftsführung der Bundesregierung mit dem Interesse der Betroffenen an der Geheimhaltung personenbezogener Daten im spezifischen Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Zwar haben Befragte in einem solchen Fall grundsätzlich die Möglichkeit, eine Klassifizierung der Anfragebeantwortung nach dem Informationsordnungsgesetz vorzunehmen (siehe dazu auch dieses Fachdossier). Allerdings fehlen in der Geschäftsordnung Verfahrensregelungen zur Behandlung solcher klassifizierter Informationen im Plenum. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Veröffentlichung parlamentarischer Anfragen auf der Website des Parlaments vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) als Akt der Gesetzgebung qualifiziert wurde, der von Betroffenen mangels Rechtsschutz nicht bekämpft werden kann (VfSlg. 19.112/2010). Auch die Datenschutzbehörde ist für diesbezügliche Beschwerden nicht zuständig (§ 35 Abs. 2 DSG). Im Einzelfall können veröffentlichte parlamentarische Anfragen bzw. deren Beantwortungen auf Ersuchen von Dritten, die darin genannt werden, in unmittelbarer Anwendung des Grundrechts auf Datenschutz anonymisiert werden.

Für Anfragen von Mitgliedern des Bundesrates an die Bundesregierung kommen hinsichtlich der Ausnahmen von der Antwortpflicht dieselben Gründe zum Tragen; das gilt grundsätzlich auch für Anfragen an PräsidentInnen des Nationalrates gemäß § 89 GOG-NR. Weder die verfassungsrechtlichen noch die einfachgesetzlichen Bestimmungen normieren nähere Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Antwort. Hinsichtlich des Umfangs und der Detailliertheit der Beantwortung kommt den Befragten somit ein gewisser Spielraum zu. In der Folge obliegt es den FragestellerInnen bzw. dem Nationalrat, zu beurteilen, ob der Antwortpflicht hinreichend entsprochen wurde.

Welche Möglichkeiten bestehen im Fall einer unzureichenden Beantwortung durch die (Mitglieder der) Bundesregierung?

Gesetzlich besteht in Österreich keine Prüfungskompetenz der PräsidentInnen des Nationalrates dahin gehend, ob der Verpflichtung zur Beantwortung oder Bekanntgabe der Gründe für die Nichtbeantwortung einer Anfrage hinreichend entsprochen worden ist. NationalratspräsidentInnen kommt kein Recht zur inhaltlichen Prüfung hinsichtlich der Verfassungs- und Geschäftsordnungsmäßigkeit von Anfragebeantwortungen zu. Zwischen 2009 und 2018 finden sich 126 Anfragebeantwortungen, die mit dem Hinweis „unzureichende Beantwortung parlamentarischer Anfragen“ beschlagwortet wurden (interne Abfrage der Parlamentsdirektion).

Im Fall, dass die FragestellerInnen die Anfragebeantwortung für nicht hinreichend erachten, stehen ihnen folgende Handlungsmöglichkeiten offen:

Zunächst können fünf Abgeordnete vor Eingang in die Tagesordnung einer Plenarsitzung verlangen, dass über die schriftliche Beantwortung einer Anfrage eine Kurzdebatte stattfindet (§ 92 Abs. 1 GOG-NR). Dabei muss es sich nicht um diejenigen Abgeordneten handeln, die auch die betreffende Anfrage gestellt haben. Dieses Minderheitsrecht unterliegt gewissen Beschränkungen. Insbesondere kann ein diesbezügliches Verlangen nur hinsichtlich solcher Anfragebeantwortungen eingebracht werden, die innerhalb der letzten zwei Monate im Nationalrat eingelangt sind. Die Besprechung einer Anfragebeantwortung im Rahmen einer Kurzdebatte kann dazu dienen, die (mediale) Aufmerksamkeit auf die für unzureichend erachtete Anfragebeantwortung zu lenken und so öffentlichen oder politischen Druck zu erzeugen. Im Zuge einer solchen Debatte kann in weiterer Folge (nur) der Antrag gestellt werden, dass der Nationalrat die Beantwortung nicht zur Kenntnis nehme (§ 92 Abs. 3 GOG-NR). Für einen solchen Beschluss des Nationalrates braucht es die Zustimmung der einfachen Mehrheit der Mitglieder (Art. 31 B-VG). Seit der XXII. Gesetzgebungsperiode wurde für insgesamt 16 Anfragebeantwortungen im Plenum des Nationalrates ein Antrag auf Nichtkenntnisnahme gestellt. Keiner davon fand die erforderliche Mehrheit.

Beantwortet das befragte Regierungsmitglied eine Anfrage nicht ordnungsgemäß, könnte die Mehrheit des Nationalrates theoretisch als schärfste Sanktion ein Misstrauensvotum fassen (Art. 74 Abs. 1 B-VG) oder – bei schuldhafter Rechtsverletzung – eine Ministeranklage (Art. 142 Abs. 2 lit b B-VG) beschließen.

Die Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung der Antwortpflicht des interpellierten Regierungsmitglieds – bzw. der gesamten Regierung als solche – sind somit gering. Ein Organstreitverfahren, in Rahmen dessen eine nicht hinreichende Beantwortung vor dem VfGH geltend gemacht werden könnte, kennt die österreichische Verfassung nicht. Anders ist die Rechtslage in Deutschland. Dort steht den Mitgliedern des Bundestages unter bestimmten Voraussetzungen die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfügung. Insbesondere müssen die betroffenen Mitglieder des Bundestages die Bundesregierung zunächst auf die (mutmaßliche) Unrichtigkeit der Beantwortung hingewiesen und ihr die Gelegenheit gegeben haben, die Sach- oder Rechtslage ihrerseits zu prüfen (z.B. durch weitere klärende Folgeanfragen; sog. Konfrontationsobliegenheit). Das BVerfG prüft sodann die verfassungsrechtliche Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Antwortpflicht besteht.

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