Fachinfos - Fachdossiers 27.04.2022

Was ist neu im Europäischen Semester 2022?

Das Fachdossier behandelt das Europäische Semester 2022, welches den Rahmen für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU bildet. Es dient der Abstimmung der Wirtschafts-, Fiskal-, Arbeits- und Sozialpolitik. (27.04.2022)

Was ist neu im Europäischen Semester 2022?

Das Europäische Semester ist ein Instrument zur wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung innerhalb der EU und des Euro‑Währungsgebiets. Es folgt einem jährlichen Zyklus, der üblicherweise im November beginnt und bis Juli dauert. Bis März werden vorrangig Themen der EU bzw. des Euro‑Währungsgebiets behandelt, danach liegt der Fokus auf den Mitgliedstaaten. In der zweiten Jahreshälfte folgt dem Europäischen Semester ein Nationales Semester, in dem die Mitgliedstaaten die jeweiligen länderspezifischen Empfehlungen des Rates der EU bei der Budgeterstellung berücksichtigen sollen.

Welche Neuerungen gab es infolge der COVID-19-Pandemie?

Im Rahmen des Europäischen Semesters erstellt die Europäische Kommission Berichte und Vorschläge zur wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung (z. B. Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum, länderspezifische Empfehlungen, Beurteilung der Einhaltung der Fiskalregeln), die im Anschluss im Rat beraten werden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten übermitteln ihre mittelfristige Haushaltsplanung und Reformfortschritte in den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen bzw. Nationalen Reformprogrammen. Die grundlegenden Abläufe im Europäischen Semester werden im Fachdossier „Was passiert im Europäischen Semester? sowie im Budget erläutert. Der Nationalrat behandelt die im Rahmen des Europäischen Semesters vorgelegten Berichte der Bundesregierung (Stabilitätsprogramm, Nationales Reformprogramm, Übersicht über die Haushaltsplanung) im Budgetausschuss. Die Behandlung im Nationalrat erfolgt in der Regel erst nach der Übermittlung an die Kommission. Die Vorlagen der Kommission und des Rates können im Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrats sowie im EU‑Ausschuss des Bundesrats behandelt werden.

Die Covid‑19-Pandemie hat zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Daher wurden ab 2020 Anpassungen am Europäischen Semester vorgenommen, mit denen auf die geänderten Rahmenbedingungen reagiert werden soll (z. B. weitgehendes Aussetzen der EU‑Fiskalregeln). Auch die Einführung neuer Unterstützungsinstrumente wie der Aufbau- und Resilienzfazilität machte Änderungen nötig. Diese Anpassungen betreffen zum einen die zeitlichen Abläufe (z. B. spätere Vorlage der Länderberichte) und zum anderen die im Rahmen des Europäischen Semesters vorzulegenden Berichte und Berichtsinhalte, die vor allem um Aspekte zur Aufbau- und Resilienzfazilität erweitert wurden.

Welche Auswirkungen hat das Aussetzen der EU‑Fiskalregeln auf das Europäische Semester?

Um den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der COVID-19-Krise einen größeren fiskalischen Spielraum zu gewähren, hat die Kommission im März 2020 die allgemeine Ausweichklausel im Stabilitäts- und Wachstumspakt zur Anwendung gebracht (siehe Mitteilung der Kommission vom 20. März 2020). Dadurch wird bei einem außergewöhnlichen Ereignis, das sich der Kontrolle der Mitgliedstaaten entzieht und das erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen hat, eine vorübergehende Abweichung von den EU-Fiskalregeln ermöglicht (siehe z. B. Art. 5 (1) VO (EG) 1466/97 und Art. 2 (1) VO (EG) 1467/97). Diese Sonderregelung bleibt jedenfalls bis Ende 2022 in Kraft. Die Kommission geht grundsätzlich davon aus, dass die allgemeine Ausweichklausel 2023 wieder aufgehoben wird. Dies soll jedoch angesichts der russischen Invasion in die Ukraine und der dadurch unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung auf Basis der Frühjahrsprognose der Kommission im Mai 2022 neu evaluiert werden (siehe haushaltspolitische Leitlinien für 2023).

Die Mitgliedstaaten übermitteln ihre mittelfristige Budgetplanung im April in den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen sowie ihre kurzfristige Budgetplanung im Oktober in den Übersichten über die Haushaltsplanung (nur Euro-Mitgliedstaaten). Dazu erstellt die Kommission nach den Vorgaben im Stabilitäts- und Wachstumspakt Stellungnahmen. Aufgrund der allgemeinen Ausweichklausel legt sie dabei ihr Hauptaugenmerk derzeit nicht auf numerische Vorgaben (z. B. struktureller Budgetsaldo, Defizit, Schuldenstand), sondern auf die Qualität und Zusammensetzung der öffentlichen Finanzen (z. B. nachhaltige und wachstumsfördernde Investitionen, Stärkung der langfristigen Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen). Bei einer Überschreitung der Defizitgrenze (3 % des Bruttoinlandsprodukts) oder der Schuldengrenze (60 % des Bruttoinlandsprodukts ohne ausreichenden Schuldenabbau) legt die Kommission dem Rat zwar den im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Bericht vor (siehe z. B. den Bericht vom 2. Juni 2021), empfiehlt jedoch keine Einleitung eines Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit.

Wie wird die Aufbau- und Resilienzfazilität in das Europäische Semester integriert?

Die Aufbau- und Resilienzfazilität wurde zur Bekämpfung der negativen Folgen der COVID-19-Krise eingerichtet (VO (EU) 2021/241). Den Mitgliedstaaten werden für in den Jahren 2020 bis 2026 durchgeführte Investitionen und Reformen bis zu EUR 338,0 Mrd. als Zuschüsse und bis zu EUR 385,8 Mrd. als Darlehen bereitgestellt. Die Finanzierung erfolgt über von der Kommission begebene Anleihen (VO (EU) 2020/2094). Während die Rückzahlung der an die Mitgliedstaaten vergebenen Darlehen direkt durch den jeweiligen Mitgliedstaat erfolgt, ist die Rückzahlung der für die Zuschüsse aufgenommenen Mittel im Zeitraum 2028 bis 2058 über den EU‑Haushalt zu finanzieren.

Um Zuschüsse bzw. Darlehen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität abzurufen, müssen die Mitgliedstaaten in nationalen Aufbau- und Resilienzplänen darlegen, wie sie die Mittel verwenden wollen. Diese müssen detaillierte Angaben und Zeitpläne zu den geplanten Investitions- und Reformvorhaben umfassen. Nachdem die Pläne auf Vorschlag der Kommission vom Rat bewilligt worden sind, können die Mitgliedstaaten Zahlungsanträge stellen (bis 2026 bis zu zweimal jährlich), sobald sie in den Plänen definierte Meilensteine und Ziele erreicht haben. Der Österreichische Aufbau- und Resilienzplan 2020-2026 (siehe auch Website des Bundeskanzleramts) sieht Gesamtausgaben von EUR 4,5 Mrd. vor, von denen voraussichtlich bis zu EUR 3,8 Mrd. über Zuschüsse finanziert werden können.

Die Berichterstattung der Mitgliedstaaten und der Kommission zur Aufbau- und Resilienzfazilität wird weitgehend in das Europäische Semester eingegliedert bzw. mit diesem abgestimmt. Von den Mitgliedstaaten werden halbjährlich im April und im Oktober Fortschrittsberichte über die Umsetzung ihrer Aufbau- und Resilienzpläne übermittelt, wobei diese in die zeitgleich vorzulegenden Berichte (z. B. Nationales Reformprogramm) eingegliedert werden können. Die Kommission berichtet auf dem dazu eingerichteten Aufbau- und Resilienzscoreboard laufend über den Umsetzungsstand. Dazu dienen unter anderem 14 einheitliche Indikatoren, die halbjährlich im April und im Oktober aktualisiert werden. Zusätzlich erstellt die Kommission einen jährlichen Bericht, in dem sie eine Bestandsaufnahme der bisherigen Umsetzung vornimmt (siehe Bericht über die Durchführung der Aufbau- und Resilienzfazilität vom 1. März 2022).

Die wichtigsten Schritte im Europäischen Semester 2022

Die nachfolgende Grafik zeigt den zeitlichen Verlauf des Europäischen Semesters 2022 samt den wichtigsten Eckdaten, inhaltlichen Schwerpunkten sowie den zentralsten AkteurInnen.

Aus österreichischer Sicht zählt dazu unter anderem die Europäische Kommission, die das Herbstpaket erstellt. Dieses umfasst u.a. den Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum und den Beschäftigungsbericht zu den wirtschafts- und sozialpolitischen Prioritäten und Herausforderungen, den Warnmechanismusbericht zu möglichen makroökonomischen Ungleichgewichten und Empfehlungen für das Euro‑Währungsgebiet. Im März 2022 veröffentlicht die Kommission, nach Stellungnahme durch den Rat und das Europäische Parlament, die haushaltspolitischen Leitlinien für 2023, die die Mitgliedstaaten bei der Erstellung der Stabilitätsprogramme berücksichtigt sollten. Außerdem veröffentlicht sie ihren ersten Bericht über die Durchführung der Aufbau- und Resilienzfazilität. Daraufhin legen die Mitgliedstaaten das Stabilitätsprogramm und das Nationale Reformprogramm vor.

Eine ausführliche Darstellung ist der Information des Budgetdienstes zum Europäischen Semester 2022 zu entnehmen.

Quelle: Europäische Kommission, Stand 27.4.2022, eigene Darstellung.

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