Fachinfos - Fachdossiers 06.12.2021

Wie funktionieren BürgerInnenräte zu Gesetzesvorhaben in Europa?

Der aktuell stattfindende Klimarat in Österreich ist der erste Bürgerrat auf nationaler Ebene. Das Fachdossier liefert Informationen über die Einsetzung anderer Bürgerräte auf europäischer Ebene und deren Erfahrungen. (06.12.2021)

Wie funktionieren BürgerInnenräte zu Gesetzesvorhaben in Europa?

Mit Entschließung vom März 2021 ersuchte der österreichische Nationalrat die Bundesregierung, einen Klimarat der Bürgerinnen und Bürger zur Diskussion und Ausarbeitung von Vorschlägen für Klimaschutzmaßnahmen einzurichten. 100 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Personen mit mindestens fünfjährigem Hauptwohnsitz in Österreich sollen die vom Klimavolksbegehren und dem Regierungsprogramm vorgeschlagenen Maßnahmen diskutieren und ihre Vorschläge an das Klimakabinett und die Bundesregierung übermitteln. In Österreich beschreitet man mit diesem ersten BürgerInnenrat auf nationaler Ebene Neuland. Erstmals sollen zufällig, jedoch repräsentativ ausgewählte BürgerInnen mit Unterstützung von ModeratorInnenen und ExpertInnen zu einer wohlinformierten Meinung zu bundespolitischen Maßnahmen finden. Aus diesem Anlass soll dieses Fachdossier Einblick in die Praxis der BürgerInnenräte anderer europäischer Länder geben. Da es dabei um Themen geht, die der Umsetzung durch den Gesetzgeber bedürfen, soll besonders beleuchtet werden, ob den Parlamenten dabei eine Rolle zukommt und wenn ja welche. Informationen zur Praxis von BürgerInnenräten auf regionaler Ebene in Österreich enthält das Fachdossier „Partizipative Prozesse und die politische Entscheidungsfindung (Oktober 2021).

Überblick

Wie eine Rundfrage unter den Parlamenten im Rahmen des Europäischen Zentrums für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) im April 2021 ergeben hat, haben von 23 Ländern mehr als die Hälfte keine Erfahrungen mit BürgerInnenräten auf nationaler oder regionaler Ebene. Dort, wo sie praktiziert werden, haben diese Versammlungen von per Los ausgewählten BürgerInnen nur beratenden Charakter. Sie ergänzen den herkömmlichen verfassungsmäßigen Gesetzgebungsprozess. Dieser wird von der Regierung durch die Gesetzesinitiative, vom Parlament durch die Gesetzesinitiative und die Beschlussfassung und z. T. vom Wahlvolk durch Volksabstimmungen bestimmt. Gesetzliche Verankerung hat dieses Instrument zur Beratung über Gesetzesvorhaben bzw. politische Grundsatzfragen (in den erwähnten 23 Ländern) bisher nur vereinzelt auf regionaler Ebene gefunden. Dieses Fachdossier befasst sich mit Beispielen aus vier europäischen Ländern. BürgerInnenräte, die allein von Organisationen der Zivilgesellschaft oder von Forschungsinstitutionen getragen wurden, werden nicht berücksichtigt. Die Auswahl erfolgte aufgrund der Informationen im EZPWD, der Bekanntheit des eingesetzten BürgerInnenrats oder der langjährigen Übung in einem Land. Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie sehr das Instrument und seine Einbettung in die politische Ebene variieren können. Wer setzt den BürgerInnenrat ein? Welche Mitglieder hat er? Wie arbeitet er? Wem erstattet er Bericht? Und: In welcher Weise sollen die Ergebnisse umgesetzt werden? In Ländern mit längerer Praxis wir meist das jüngst abgeschlossene Beispiel näher dargestellt. Neben der Fachliteratur und den Websites der BürgerInnenräte selbst kommen den Einsetzungsdokumenten und den Berichten der BürgerInnenräte besondere Bedeutung als Informationsquelle zu. Letztere enthalten neben den Beratungsergebnissen auch immer Informationen zum Prozedere und zu den Rahmenbedingungen, wenn auch in sehr unterschiedlichem Umfang.

Irland

In Irland wurden seit 2012 insgesamt schon drei vom Parlament eingesetzte BürgerInnenräte abgeschlossen. Das aktuelle Regierungsprogramm vom Oktober 2020 fasst vier weitere BürgerInnenräte ins Auge. Der erste BürgerInnenrat (Convention on the Constitution 2012–2014) befasste sich mit mehreren Verfassungsfragen und legte insgesamt neun Berichte vor. Der zweite BürgerInnenrat (Citizens’ Assembly 2016–2018) diskutierte vier verschiedene Verfassungsfragen, wie auch Maßnahmen gegen den Klimawandel. Der dritte BürgerInnenrat schloss seinen 145 Seiten langen Bericht im Juni 2021 ab: Report on the Citizens’ Assembly on Gender Equality. Es wurden 45 Empfehlungen (inkl. konkreter Verfassungsänderungen) abgegeben.

In Irland gibt das Parlament Thema und Prozedere mittels Entschließung vor. Die Entschließung des Parlaments vom Juli 2019 zum dritten BürgerInnenrat legte u. a. Folgendes vorab fest:

  • Die Versammlung besteht aus 99 ausgelosten, zu Abstimmungen berechtigten BürgerInnen (und Ersatzpersonen) und einem/einer Vorsitzenden, der/die von der Regierung nominiert wird.
  • Die BürgerInnen erhalten eine Vergütung für die Sitzungsteilnahme.
  • Die Versammlung gibt sich eine Geschäftsordnung.
  • Ein unabhängiger ExpertInnenbeirat ist einzurichten.
  • Die Versammlung hat sich auch mit Eingaben der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen und kann VertreterInnen der Interessensgruppen oder sonstige ExpertInnen anhören.
  • Entscheidungen fallen mit einfacher Mehrheit.
  • Die Versammlung beauftragt eine wissenschaftliche Begleitkontrolle zur Qualität der Beratungen.
  • Der Bericht mit den Empfehlungen ergeht an das Parlament bzw. den zuständigen Ausschuss, der seine Beratungsergebnisse dem Plenum vorlegt.
  • Die Regierung hat zu jedem einzelnen Vorschlag der Versammlung im Parlament Stellung zu nehmen und im Fall der Zustimmung den Zeitrahmen für die jeweils notwendige Volksabstimmung bekannt zu geben.

Der BürgerInnenrat zur Gleichbehandlung der Geschlechter musste nach zwei Sitzungen die weiteren sieben Sitzungen online durchführen. Für die Abstimmungen wurde ein spezielles E-Voting-System verwendet (siehe Bericht S. 48f.). Die Steuerungsgruppe setzte sich aus der Vorsitzenden und Mitgliedern, die aus der Mitte des BürgerInnenrats gewählt wurden, zusammen. Die Vorsitzende wurde durch ein Sekretariat bestehend aus MinisterialbeamtInnen unterstützt. Zahlreiche Leistungen wie Rechtsberatung, Informationstechnologie und Moderation wurden ausgeschrieben. Inklusive Mitgliedervergütung und Reisekostenersatz beliefen sich die Ausgaben auf über €600.000,--. Die Parlamentsdebatte über den Gender-Equality-Bericht fand im Oktober 2021 statt.

Wie die Vergangenheit zeigt, entscheidet in erster Linie die Regierung, welche Vorschläge aufgegriffen werden, auch wenn das Parlament den BürgerInnenrat initiiert und dieser seine Beratungsergebnisse dem Parlament vorlegt. Jedoch findet die Debatte über solche Vorhaben stärker als in anderen Fällen im Parlament statt. Auf jeden Fall haben aber die BürgerInnenräte bisher sehr konfliktreiche Themen einer Entscheidung zugeführt: Drei von BürgerInnenräten empfohlene Verfassungsänderungen wurden vom Wahlvolk in den für Verfassungsänderungen zwingend vorgesehenen Volksabstimmungen angenommen: die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Abschaffung des Straftatbestands der Blasphemie und die Legalisierung der Abtreibung.

Vereinigtes Königreich

Im britischen Unterhaus wurden BürgerInnenräte bisher von sogenannten Select Committees (Ausschüssen, die sich besonders auf die Kontrolle von Projekten der Ministerien und grundsätzliche politische Diskussionen konzentrieren) veranlasst. Der erste auf diese Weise initiierte BürgerInnenrat zur Sozialen Fürsorge tagte an zwei Wochenenden und legte seinen Bericht im Juni 2018 vor. Der BürgerInnenrat zum Klimawandel (Climate Assembly UK) wurde von sechs verschiedenen Select Committees im Juni 2019 gemeinsam vereinbart. Die Bekanntmachung vom Juni 2019 dazu legte u. a. fest:

  • Repräsentativ zufällig ausgewählte BürgerInnen beraten an mehreren Wochenenden, mit welchen Maßnahmen bis 2050 das Ziel von null Treibhausgasemissionen erreicht werden soll.
  • Die Versammlung wird durch das Personal der Fachausschüsse und das Parlamentarische Büro für Wissenschaft und Technologie („Parlamentsteam“) unterstützt, indem Hintergrundmaterial aufbereitet wird, relevante ExpertInnen und InteressenvertreterInnen sowie die zu klärenden Detailfragen identifiziert werden.
  • Via Online-Beteiligung werden die Meinungen der weitergehenden Öffentlichkeit erhoben.
  • Die Ergebnisse werden den Fachausschüssen des Parlaments übermittelt.

Die Beratungen fanden von März bis September 2020 (live und zuletzt online) statt. Der über 550 Seiten starke Bericht des Klima-BürgerInnenrats (Report Climate Assembly UK) beschreibt in Kapitel 1 die Vorgangsweise im Detail. Die Auswahl der BürgerInnen nach dem Zufallsprinzip erfolgte mit externer Unterstützung. Es wurde dabei auf Personen abgestellt, die mindestens ein Jahr im Vereinigten Königreich lebten oder dies vorhatten (siehe S. 38 FN 8 des Berichts). Die letztlich 108 BürgerInnen (ab 16 Jahren) erhielten neben einer Vergütung die Reise- und Übernachtungskosten ersetzt. Abgesehen vom besonderen Personalaufwand wurden die externen Kosten vom Unterhaus (120.000 Pfund) und zwei gemeinnützigen Organisationen (220.000 Pfund), die jedoch keinerlei Einfluss auf die Durchführung des BürgerInnenrats hatten, getragen. Zur Abwicklung des BürgerInnenrats wurde eine Non-Profit-Organisation beigezogen. Diese wählte auch die ModeratorInnen, die einen fairen Austausch der Meinungen sicherstellen sollten, aus. Gemeinsam mit dem „Parlamentsteam“ wurde die „Steuerungsgruppe“, das „Beratungsgremium“ (inklusive der InteressenvertreterInnen) und der „Wissenschaftliche Beirat“ bestimmt. Die Ergebnisse der Klima-Versammlung werden z. B. im Wege von parlamentarischen Anfragen Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Parlament (siehe z. B. Bericht des Ausschusses für Handel, Energie, Industriestrategie vom 8. Juli 2021).

Auf regionaler Ebene ist der schottische Klima-BürgerInnenrat von besonderem Interesse, da dieser per Gesetz eingerichtet wurde (Art. 32A Climate Change Act, eingefügt 2019 und aus Anlass von Covid-19 abgeändert). Das Gesetz legt nicht die Anzahl der BürgerInnen und die Auswahl nach dem Zufallsprinzip fest, bestimmt jedoch, dass zwei vom Parlament und der Regierung unabhängige Personen die Einberufung vornehmen sollen. Die MinisterInnen müssen jedoch gemäß Art. 32A Klimawandelgesetz vor der ersten Sitzung des BürgerInnenrats dem Parlament einen Bericht über die festgelegten Modalitäten und die Arbeitsweise des BürgerInnenrats zur Genehmigung vorlegen. Die Empfehlungen sind dem Parlament und (in Kopie) den MinisterInnen vorzulegen. Diese haben binnen sechs Monaten dazu schriftlich und öffentlich Stellung zu nehmen. Der schottische Klima-BürgerInnenrat tagte ausschließlich online und legte im Juni 2021 seinen Bericht vor (zur Auswahl der BürgerInnen und der weiteren Arbeitsweise siehe S. 94ff.).

Frankreich

Auf nationaler Ebene fand in Frankreich bisher ein einziger BügerInnenrat statt. Der Klima-BürgerInnenrat wurde vom Präsidenten der Republik veranlasst. Ein „lettre de mission“ des Premierministers legte u. a. die Größe, die für die Durchführung verantwortliche Institution, Organe wie den Lenkungsausschuss und ein Garantenkomitee sowie die Berichterstattung an den Präsidenten und die Regierung fest. Der Regierung wurde aufgetragen, auf die Vorschläge des BürgerInnenrats zu antworten. Die 150 zufällig via Telefonnummern ausgewählten BürgerInnen zwischen 16 und 80 Jahren tagten ab Oktober 2019 an sieben Terminen und legten im Juni 2020 den 460 Seiten starken Abschlussbericht mit 149 Vorschlägen zur Reduktion der Klimagase vor. Der Bericht beinhaltet auch ausformulierte Gesetzentwürfe, die mithilfe eines eigenen siebenköpfigen Legistikkomitees erstellt wurden. Für die grundsätzliche Steuerung des Prozesses war ein von der Regierung unabhängiges Comité de Gouvernance zuständig, für die konkrete Abwicklung war der in der Verfassung verankerte Rat für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen (Conseil Économique Social et Environmental (CESE)), ein aus über 200 ExpertInnen und InteressenvertreterInnen bestehendes Beratungsorgan der Regierung, verantwortlich. Ihm stand ein Budget (von mehr als 5 Mio. Euro) für diese Aufgabe zur Verfügung. Um eine unabhängige und ethisch verantwortbare Vorgangsweise sicherzustellen, wurde ein dreiköpfiges Team (Collége de garants) vom Vorsitzenden des CESE, dem Präsidenten der Nationalversammlung und dem Präsidenten des Senats bestellt.

Der Bericht wurde dem Staatspräsidenten und der Regierung erstattet. Diese legte fürs Erste eine Regierungsvorlage für ein Gesetz über Klima und Resilienz vor. Das Parlament, insbesondere die Zweite Kammer (der Senat), behandelte die VertreterInnen des KlimabürgerInnenrats wie ExpertInnen bzw. Stakeholder und band sie intensiv in die Beratungen über den Gesetzentwurf ein. Der Senat hatte sich übrigens schon während des Klima-BürgerInnenrats mit dessen Mitgliedern ausgetauscht. So fanden einige Vorschläge des BürgerInnenrats, die nicht in die Regierungsvorlage aufgenommen worden waren, letztlich doch Eingang in den Gesetzesbeschluss.

Belgien

In Belgien wurden in der Vergangenheit sowohl auf nationaler Ebene als auch auf regionaler Ebene BürgerInnenräte abgehalten. Hier von besonderem Interesse ist, dass es auf regionaler Ebene zur gesetzlichen Verankerung der Bürgerpartizipation an der Gesetzgebung kam. In Belgien haben neben dem Parlament auf Bundesebene auch die Regionen und Sprachgemeinschaften Gesetzgebungskompetenzen und damit Parlamente. Vier dieser Parlamente (Stand April 2021) haben entsprechende Gesetze beschlossen: Der einzelne BürgerInnenrat samt Fragestellung wird nicht von der Regierung oder dem Parlament vorgegeben, sondern von gelosten BürgerInnen bestimmt. Der Bericht der BürgerInnen ergeht an den zuständigen Fachausschuss des Parlaments. Dieses Prozedere garantiert einen intensiven Dialog zwischen Abgeordneten und BürgerInnen.

Anhand des „Dekrets zur Einführung eines permanenten Bürgerdialogs in der Deutschsprachigen Gemeinschaft“ aus 2019, welches Gesetzesqualität hat, soll die Vorgangsweise dargestellt werden. Das Dekret unterscheidet zwischen dem ständigen „Bürgerrat“ zur Steuerung des Prozesses und der „Bürgerversammlung“, die die vorgegebene Frage berät und Empfehlungen abgibt. Der „Bürgerrat“ besteht aus 24 gelosten Mitgliedern, die dem Gremium 18 Monate lang angehören. Zu Beginn einer Legislaturperiode bestimmt der „Bürgerrat“ die Themen der kommenden „Bürgerversammlungen“. Vorschläge dazu können aus der Mitte des „Bürgerrats“ kommen, von den parlamentarischen Fraktionen oder von mindestens 100 BürgerInnen. Der „Bürgerrat“ bestimmt auch die Größe der „Bürgerversammlung“ und den Ablauf, bestellt die ModeratorInnen und die ExpertInnen. Die „Bürgerversammlung“ umfasst 25 bis 50 BürgerInnen (ab 16 Jahren), die aus dem Bevölkerungs- und Fremdenregister gelost werden. Sie (wie auch die Mitglieder des „Bürgerrats“) erhalten Anwesenheitsgeld und eine Fahrtentschädigung. Die Empfehlungen der „Bürgerversammlung“ werden vom Parlamentspräsidium dem zuständigen Ausschuss zugewiesen. Dieser Ausschuss hat die Empfehlungen jedenfalls in drei öffentlichen Sitzungen zu behandeln:

  • Vorstellung der Empfehlungen durch eine Delegation der „Bürgerversammlung“ und Diskussion mit den Ausschussmitgliedern und dem/der zuständigen Minister/in. Alle Mitglieder der „Bürgerversammlung“ werden dazu eingeladen.
  • Da der Ausschuss mit dem zuständigen Regierungsmitglied eine schriftliche Stellungnahme zu den Empfehlungen zu erstellen hat, findet darüber die zweite öffentliche Sitzung statt. Daran nehmen alle Mitglieder der „Bürgerversammlung“ teil.
  • Nach einem Jahr findet die dritte Sitzung statt, in welcher der Stand der Umsetzung vorgestellt und diskutiert wird. Alle Mitglieder der „Bürgerversammlung“ werden dazu eingeladen.

Dem Bürgerrat steht „ein ständiger Sekretär“ aus der Parlamentsverwaltung zur Unterstützung zur Verfügung, der auch auf andere Dienste der Parlamentsverwaltung zurückgreifen kann. Die Kosten des Bürgerdialogs inklusive der Vergütung für die Sitzungsteilnahme der BürgerInnen werden vom Parlament getragen. Zu den bisher stattgefundenen und laufenden „Dialogen“ (Pflege; Inklusive Bildung und Wohnen) siehe https://www.buergerdialog.be/. Ein Dialog umfasst jeweils vier Phasen: Themensuche, „Bürgerversammlung“, Empfehlungen, Umsetzung. Der 13 Seiten umfassende Bericht der „Bürgerversammlung“ zur Inklusiven Bildung wurde im Mai 2021 vorgelegt. Die insgesamt 31 Empfehlungen wurden in vier Sitzungen von 24 BürgerInnen erarbeitet. Dabei wurden sie von einem Moderator unterstützt. Es wurden zehn ExpertInnen angehört. Die Empfehlungen haben eher Punktationscharakter und bedürfen jedenfalls weiterer Beratungen und Ausarbeitungen, um als Gesetzentwürfe zur Abstimmung zu kommen.

Resumee

Schon die hier skizzierten Beispiele von BürgerInnenräten zeigen den Variantenreichtum dieses Instruments auf. Hinsichtlich Einsetzung und Themenstellung finden sich Top-Down-Modelle (Irland, UK inkl. Schottland, Frankreich) und Bottom-Up-Modelle (Belgien, Regionalebene). In der ersten Gruppe geht die Initiative manchmal vom Parlament, manchmal von der Exekutive aus. Der Rahmen wird durch parlamentarische Entschließung, durch „Bekanntmachung“ der Ausschüsse, durch Gesetzesbeschluss oder durch einen „Brief“ gezogen. Im Beispiel Belgien wird das Instrument BürgerInnenrat mit Gesetzesbeschluss zur dauerhaften Einrichtung gemacht und in die parlamentarischen Beratungen integriert. Eine weitere beispielhafte Variable ist der TeilnehmerInnenkreis. Einige losen unter BürgerInnen, die im Land wohnhaft sind, aus, andere stellen auf die wahlberechtigten BürgerInnen ab, ziehen den Kreis also enger. Weitere Variablen wurden noch nicht durchgehend untersucht, wie z. B.: In welcher Form erfolgt die Entscheidungsfindung: vornehmlich konsensual oder doch nach dem Mehrheitsprinzip? Erfolgen Abstimmungen geheim oder offen? Welche Beratungen sind öffentlich?

Alle dargestellten BürgerInnenräte haben bloß beratenden Charakter. Es gibt jedoch unterschiedliche Modelle, wie BürgerInnenrat und Gesetzgebung miteinander verbunden werden. Per Zufall ausgewählte BürgerInnen ersetzen ja nicht die durch Wahl – und nur bis zur nächsten Wahl – legitimierten VolksvertreterInnen oder Volksabstimmungen. BürgerInnenräte können das gegenseitige Verständnis von Politik und BürgerInnen heben, Vorurteilen durch Information und Sachargumente begegnen oder BürgerInnen zu gefragten ExpertInnen machen. BürgerInnenräte mit Entscheidungsmacht, die also gewählte Parlamente ersetzen sollen, werden in der Forschung hingegen kritisch gesehen (siehe Lafont 2020).

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