1742/AB-BR BR


Eingelangt am: 19.02.2002

BM für auswärtige Angelegenheiten
 

Die Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen haben am 20. Dezember 2001 unter der Nr.
1896/J-BR/01 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend eine
Entschließung des Vorarlberger Landtages zur Bekämpfung von Atomgefahren gerichtet.


Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

Einleitend wird auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage an den
Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Nr. 1895/J-
BR/01 verwiesen, in dessen Zuständigkeit die Abwicklung von Verfahren zur
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) fällt.

Die Fragen 1 und 2 werden zusammenfassend beantwortet, wobei auf die einzelnen
Punkte der Entschließung des Vorarlberger Landtages vom 13. Dezember 2001 getrennt
eingegangen wird.


Zu Punkt 1:

Die Frage der Errichtung des geplanten Atommüllzwischenlagers in Süddeutschland und
möglicher negativer Auswirkungen auf Österreich wurde bereits im Rahmen des am 10.
Jänner 2001 in Bonn abgehaltenen bilateralen Nuklearexpertentreffens von
österreichischer Seite aufgegriffen und um rechtzeitige Übermittlung von Informationen
sowie um Einbindung Österreichs, insbesondere des Landes Vorarlbergs, ersucht. Bei

dem am 5. Feber 2002 in Wien abgehaltenen Nuklearexpertentreffen stand die Frage der
geplanten Atommüllzwischenlager Gundremmingen und Isar auf der Tagesordnung. Es
wird bei der Abhaltung solcher Treffen besonderer Wert auf die Einbindung der Länder
gelegt, die regelmäßig zur Entsendung eines Vertreters eingeladen werden. An dem
letzten Treffen nahm auch eine Vertreterin des Landes Vorarlberg teil, die Gelegenheit zur
Darlegung der Anliegen und Bedenken des Landes Vorarlbergs hatte. Bei diesem Treffen
wurden zwei Dokumente, und zwar der Bericht des Umweltbundesamtes an das
BMLFUW und die Landesregierungen Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg über
"Grenzüberschreitende UVP Standortzwischenlager Gundremmingen - Jänner 2002" und
der Bericht über "Grenzüberschreitende UVP Standortzwischenlager ISAR (KKI BELLA) -
November 2001" übergeben. Die Länder werden in ihren diesbezüglichen Anliegen vom
Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten unterstützt.


Zu Punkt 2:

Bezüglich des geplanten Atommüllendlagers in der Schweiz wird zunächst auf das
"Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Schweizer
Bundesrat über den frühzeitigen Austausch von Informationen aus dem Bereich der
nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes ("Nuklearinformationsabkommen"
Österreich - Schweiz) samt Anhang und Gemeinsamer Erklärung" (BGBI. III Nr.
201/2000) verwiesen, das mit 1. Jänner 2001 in Kraft getreten ist. Im Rahmen dieses
Abkommens werden jährlich Expertengespräche abgehalten. Das erste Treffen fand am
5. Oktober 2001 in Wien statt. Im Zuge dieses Treffens berichtete die Schweizer Seite
auch über ihre Standortsuche für ein Lager für hochradioaktive Abfälle. Das
Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten lädt die Länder stets ein, einen
Vertreter zu diesen Treffen zu entsenden. Damit besteht für sie die Möglichkeit, ihre
spezifischen Anliegen direkt einzubringen und ihre Interessen auch selbständig zu
vertreten. Bei dem am 5. Oktober 2001 abgehaltenen Treffen nahm ein Vertreter des
Landes Vorarlberg teil.

Angesichts der Tatsache, dass es sich vorerst um eine Standortsuche handelt und somit
noch kein formelles Verfahren eingeleitet wurde, kommen die diesbezüglichen

Bestimmungen des Abkommens noch nicht zum Tragen. Das Bundesministerium für
auswärtige Angelegenheiten richtete aber noch im Dezember 2001 an den Schweizer
Vertragspartner ein Schreiben, in welchem ausdrücklich auf das besondere Interesse des
Landes Vorarlberg an der Frage des geplanten Atommüllendlagers hingewiesen und um
laufende Information ersucht wurde.


Zu Punkt 3 und 5:
Die Bundesregierung hat in ihrem Regierungsprogramm festgehalten, "die Ausarbeitung
von Ausstiegsszenarien aus der Atomenergie" zu unterstützen, jedoch - "unbeschadet der
Zielsetzung Österreichs, den Verzicht auf AKWs zu erreichen" - zu fordern, "hinsichtlich in
Grenznähe befindlicher oder geplanter AKWs die höchstmöglichen Sicherheitsstandards
anzuwenden".

Österreich hat bereits in jener Regierungskonferenz, die zum Vertrag von Nizza geführt
hat, den EURATOM-Vertrag zur Diskussion gestellt. In konsequenter Fortsetzung dieser
Politik ist Österreich auch hinsichtlich des "Konvents zur Zukunft Europas" für ein breites
Reformmandat eingetreten, um die Schutzbestimmungen des Euratom-Vertrages in ein
neu zu schaffendes Energiekapitel zu integrieren und den Förderzweck des
gegenwärtigen EURATOM-Vertrages zu eliminieren. Die Erklärung des Europäischen
Rates von Laeken "Die Zukunft der Europäischen Union" hat dank gemeinsamer
österreichischer Initiativen die Möglichkeit zu dieser Diskussion eröffnet. Diese Arbeit wird
konsequent fortgesetzt werden.

Bei den zahlreichen Kontakten und Gesprächen mit den EU-Außenministern im Rat
Allgemeine Angelegenheiten und mit der Europäischen Kommission werden die Fragen
nuklearer Sicherheit stets angesprochen. Im Gefolge der Ereignisse des 11. Septembers
wurde am 21. September ein außerordentlicher Europäischer Rat in Brüssel abgehalten.
In einer von Finnland explizit unterstützten Wortmeldung forderte BK Dr. Schüssel, die EU
müsse sich mit neuen terroristischen Risken im biologischen und nuklearen Bereich
befassen. Dabei seien ganz bewusst auch europäische Sicherheitsstandards für
Atomkraftwerke anzusprechen.

Österreich hat im Rahmen der lAEO-Konferenz unmittelbar nach dem Anschlag in New
York auf die Sicherheitsproblematik von Kernkraftwerken bei terroristischen Angriffen
hingewiesen, für einen Ausstieg aus der Kernenergie plädiert und die Einsetzung einer
Arbeitsgruppe zur Behandlung von nuklearer Sicherheit in Bezug auf terroristische
Anschläge gefordert. Diese Anregung wurde aufgegriffen und die Arbeit einer bereits
bestehenden Arbeitsgruppe zugewiesen.

Beim Europäischen Rat von Laeken bemühte sich Österreich um die Aufnahme einer
Passage in die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Ausarbeitung von europaweit gültigen
Standards, betreffend sowohl die Sicherheit, als auch den Schutz nuklearer Anlagen.
Nach längeren Diskussionen einigte man sich schließlich auf folgenden Text:

"Der Europäische Rat sagt zu, in der Union auch weiterhin ein hohes Maß an nuklearer
Sicherheit zu gewährleisten. Er betont mit Nachdruck, dass Schutz und Sicherheit von
Kernkraftwerken überwacht werden müssen. Er bittet um die regelmäßige Vorlage von
Berichten der Atomenergieexperten der Mitgliedstaaten, die in engem Kontakt mit der
Kommission bleiben werden."

Obzwar diese Formulierung schon einen wesentlichen Fortschritt darstellt, zeigt sie aber
auch, dass trotz intensiver Bemühungen der Bundesregierung auf verschiedenen Ebenen
andere Mitgliedsstaaten, namentlich Schweden und Großbritannien, noch nicht bereit
sind, konkrete Initiativen zur Erarbeitung gemeinsamer Sicherheitsstandards oder eines
Ausstiegs aus der Atomkraft zu unternehmen oder mitzutragen. Eine Schlüsselfrage ist in
diesem Zusammenhang vor allem, welche Rolle der Kommission in dieser Angelegenheit
für den Fall einer Vergemeinschaftung nuklearer Sicherheitsstandards zukommen soll.
Dabei ist aber insbesondere darauf hinweisen, dass die obige Formulierung auch von der
Notwendigkeit der Überwachung des Schutzes von Kernkraftwerken spricht, was
zweifellos in einem Zusammenhang mit der allgemeinen Terrorismus-Debatte steht.

Österreich hat schon im Jahre 1998 wesentlich dazu beigetragen, der nuklearen
Sicherheit im Erweiterungsprozess eine wichtige Rolle zu sichern. So wurden auf
österreichische Initiative Ratsschlussfolgerungen zu "Erweiterung und Umwelt" sowie
"Erweiterung und Nukleare Sicherheit" ausgearbeitet, welche der Europäische Rat von
Wien indossierte. Wesentlich ist ferner auch, dass sich die Europäische Union, nicht
zuletzt auf Betreiben Österreichs, auf das Ziel einer Schließung der KKWe Bohunice V-1

(Slowakei), Ignalina (Litauen) sowie Kosloduj (Bulgarien) festlegte und diese Haltung auch
in die jeweiligen gemeinsamen Positionen der EU in den Beitrittsverhandlungen Eingang
fand. Als einer der wenigen Staaten hat sich Österreich an allen Fonds zur Schließung
dieser Kernkraftwerke substantiell (mit je 1,5 MEURO) beteiligt und damit einen konkreten
Beitrag zum Ausstieg aus der Kernenergie in Europa geleistet.

Österreich tritt auch außerhalb der EU in multilateralen Gremien für einen Ausstieg aus
der Kernenergie ein und setzt sich für hohe gemeinsame Sicherheitsstandards ein.

Die Generalkonferenz der IAEO im September 2001 in Wien bot die Möglichkeit, im
breiten internationalen Rahmen für einen Ausstieg aus der Kernenergie zu plädieren und
im Falle von Temelin um Unterstützung für eine Ausstiegskonferenz zu werben.
Österreich gab bei dieser Konferenz eine Erklärung ab, in der die Nuklearenergie als nicht
nachhaltige Energieform sowie Forschung und Förderung derselben abgelehnt werden.
Dänemark, Luxemburg, Irland, Neuseeland, Ecuador und Norwegen schlössen sich der
österreichischen Erklärung an. Deutschland und Schweden unterstrichen die Bereitschaft
zum Ausstieg aus der Kernenergie und gaben ähnlich lautende Erklärungen wie
Österreich ab.

Fortschritte auf europäischer Ebene erfordern den Konsens aller Mitgliedsstaaten der
Union. Es handelt sich daher um langwierige Meinungsbildungsprozesse, die keine
schnellen Ergebnisse erwarten lassen.


Zu Punkt 4:

Die grundsätzliche österreichische Position bezüglich eines europaweiten Ausstiegs aus
der Kernenergie bezieht sich natürlich auch auf das KKW Temelin. ;

Österreich hat sich im Falle Temelin daher für eine Ausstiegskonferenz, wie dies das
Europäische Parlament gefordert hat, eingesetzt. Zu einer solchen Temelin-
Ausstiegskonferenz bedarf es jedoch primär der Zustimmung Tschechiens. Diese ist nicht
gegeben. Daher sah die Europäische Kommission von der Abhaltung einer solchen

Konferenz ab, u.a. auch mit dem Hinweis, dass erst die Hochrisiko-Kernkraftwerke
Ignalina, Bohunice V-1 und Kosloduj geschlossen werden müssten. Die

Schlussfolgerungen zur Schließung dieser Kernkraftwerke kamen unter der
österreichischen EU-Präsidentschaft 1998 zustande.

In Entsprechung des in Brüssel abgeschlossenen Abkommens zwischen Österreich und
der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und
Follow up (BGBI. Teil 111/266/2001 vom 28.12.2001, Kapitel III) wird Österreich die seit
Jahren bestehende Zusammenarbeit im Rahmen der Energiepartnerschaft, v.a. auch im
Bereich erneuerbarer Energieträger, intensivieren und ausbauen.


Geschichte des Dokuments Zurück zur Home Page

HTML-Dokument erstellt: Feb 20 13:33