Bundesrat Stenographisches Protokoll 620. Sitzung / Seite 170

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Insbesondere die gemeinsame Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und des Terrorismus sind erklärte Ziele des Schengener Abkommens.

Wie bereits gesagt, befürworte ich grundsätzlich die Ziele des Schengener Abkommens, doch stecken, wie so oft, manche Teufelchen im Detail. Wenn das Abkommen bei uns in Kraft tritt, wird die einzige Binnengrenze jene zu Deutschland sein, es sei denn, Italien erfüllt bis nächstes Jahr die Voraussetzungen, um das Schengener Abkommen auch in Kraft zu setzen. Laut Abkommen ist Österreich verpflichtet, die Grenzen zu Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien und auch zur Schweiz und Liechtenstein verstärkt zu überwachen.

Die Kosten für den Beitritt zum Schengener Abkommen belaufen sich auf mehr als 2,5 Milliarden Schilling bis zum Jahr 2000. Trotz dieses enormen Kostenaufwandes ist aus Deutschland eine gehörige Portion Skepsis vernehmbar. Es wird uns von deutscher Seite nicht zugetraut, daß wir unsere Außengrenzen entsprechend dem deutschen Sicherheitsbedürfnis kontrollieren können. Bei uns in Österreich ist man dagegen skeptisch, ob Italien seine Außengrenzen – vor allem die viel schwieriger zu kontrollierenden Seegrenzen – ausreichend bewachen kann. Bayrische und konservative Tiroler Sicherheitssprecher sprechen bereits von einem – ich zitiere – "Strom von Illegalen, der nach Norden ziehen wird, wenn Italien dem Schengener Abkommen beitritt".

Vor mehr als 20 Jahren, meine Damen und Herren, als zum ersten Mal über die Aufhebung der Paßkontrollen zwischen Frankreich, Deutschland und den Benelux-Ländern verhandelt wurde, war die Öffnung der Grenzen noch ein Wunschtraum, vor allem in Anbetracht der Grenzen zu den Oststaaten, des Eisernen Vorhangs, der quer durch Europa verlief. – Heute verursacht das Öffnen der Grenzen vielfach Angst, die so groß ist, daß jetzt die Gefahr besteht, daß rund um die wohlhabende Europäische Union ein Schutzwall gezogen wird; nur um die unerwünschten sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Süden und Osten fernzuhalten. Europa darf jedoch keine Festung werden! Das wohlhabende Europa darf Armut, Elend und Unterdrückung nicht einfach aussperren! Europa muß auch immer ein Ort der Humanität sein.

Ich verstehe das Sicherheitsbedürfnis als eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen. Aber unsere Ängstlichkeit darf keine Ausrede dafür sein, daß wir unserer humanitären Pflicht, die sich für uns aus unserem Wohlstand ergibt, nicht nachkommen. Ich glaube, die Kritik der Flüchtlingsorganisationen an manchen Mechanismen des Schengener Abkommens ist durchaus berechtigt.

In meinem Bundesland Tirol gibt es viele Beispiele für die Ängste und Befürchtungen, aber auch für die Hoffnungen und Möglichkeiten, die sich aus dem Schengener Abkommen ergeben. Wenn Italien das Schengener Abkommen in Kraft setzt, dann sind die Tiroler Nord- und Südgrenze Binnengrenzen im Sinne des Schengener Abkommens. Die Abschaffung der Grenzkontrollen an der deutsch-tirolerischen Grenze bereitet offensichtlich nur den bayerischen Sicherheitsverantwortlichen Kopfzerbrechen, und zwar so sehr, daß, wie wir gehört haben, bis zu 30 km hinter der Grenze ein sogenannter "Sicherheitsschleier" eingerichtet wird. Innerhalb dieses Schleiers sollen unvorhersehbare Kontrollen stattfinden.

Eine Journalistin kreierte daraufhin folgendes Szenario: Unbehelligt passieren weißwursthungrige Tiroler die zöllnerleeren Grenzposten in Kufstein oder Pfronten. Ein paar Kilometer weiter im Hinterland tauchen dann bayerische Grenzpolizisten auf und filzen in altbewährter Manier – warm gehalten durch den Schutzmantel der Patrona Bavariae – Fahrzeug und Insassen. – Schöne Aussichten!

Die Abschaffung der Grenzkontrollen nach Italien bereitet wiederum dem Sicherheitssprecher der Tiroler ÖVP große Sorgen. Er spricht von einem Boom an Illegalen, die über die Brennergrenze nach Tirol kommen könnten. Dabei verweist er auf angebliche Presseberichte in Italien. – Wesentlich ernster zu nehmen als die Sorgen des Tiroler ÖVP-Sicherheitssprechers sind die Sorgen der Tiroler Zöllner. Die Tiroler Zöllner werden durch die Vollziehung des Schengener Abkommens zu einem großen Teil – um es salopp auszudrücken – überflüssig. Sie müssen wie ihre Kollegen von der Gendarmerie mit einer nicht unbeträchtlichen Veränderung ihrer Lebens


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