Bundesrat Stenographisches Protokoll 636. Sitzung / Seite 153

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Otto Mühl ist für die von ihm begangenen Vergehen verurteilt worden und, wie ich meine, auch zu Recht verurteilt worden. Er hat mit einer langjährigen Haftstrafe seine Taten gebüßt. – Das zum einen. Zum anderen gibt es in der Öffentlichkeit eine sehr rege Diskussion über seine Person, über sein Werk, und im Unterschied zu Ihnen, Herr Kollege Gudenus, bin ich der Meinung, daß der ORF sehr korrekt berichtet und die Vergehen Otto Mühls sehr wohl in die Berichterstattung über den Künstler Otto Mühl eingebracht hat. Es sind in vielen Beiträgen des ORF in verschiedensten Sendungen Befürworter, aber auch Gegner und Kritiker Otto Mühls sehr sachlich zu Wort gekommen, und dank dieser Berichterstattung konnten alle, die an dieser Veranstaltung im Burgtheater nicht teilgenommen haben – ich nehme an, das werden wir alle in diesem Saal sein –, auch hören, daß es dort sehr kontroversielle Meinungen gegeben hat, auch im Publikum.

Wegen dieser Reaktionen gehe ich davon aus, daß dieses Dramolett und diese Lesung sicherlich kein Höhepunkt in der Geschichte des künstlerischen Schaffens des Burgtheaters waren. (Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus. ) Dennoch kann es nicht Aufgabe der Politik – weder des Bundeskanzlers noch des Staatssekretärs – sein, den Spielplan des Burgtheaters oder eines anderen Theaters zu bestimmen. Dazu gibt es eben künstlerische Leiter und Direktoren, die im Rahmen der Autonomie des Theaters für die Programmgestaltung verantwortlich sind. Wenn man für politische Intervention im Theaterbetrieb eintritt, sollte man ehrlicherweise dazusagen, daß man Zensur meint. Das soll man dann offen sagen. Und diese Zensur lehne ich ab! (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie machen ja eine Gegenzensur!)

Herr Gudenus! Wohin Sie mit Ihrer Kritik wollen, das haben Sie auch in den vielen Beispielen zum Ausdruck gebracht, die Sie angeführt haben und die mir zeigen, daß es Ihnen nicht um Otto Mühl und auch nicht um seine Person geht, sondern daß es Ihnen sehr wohl um eine politische Auseinandersetzung mit verschiedensten Formen der Kunst und Kultur geht.

Wenn Sie im Jahre 1998 noch immer einen Brecht-Boykott verlangen, kann ich nur sagen: Das ist eine Geisteshaltung, mit der ich mich nicht identifizieren kann und die ich auf das heftigste ablehnen muß. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Mag. Gudenus: Das habe ich nie verlangt! Ich verlange eine politische Auseinandersetzung!) Was fordern Sie denn? – Sie fordern keinen Diskurs über das Werk von Brecht, sondern Sie fordern die Beeinträchtigung des Spielplanes. (Bundesrat Mag. Gudenus: Das habe ich nicht gesagt! Nein!) Das war es, was Sie zum Ausdruck gebracht haben, auch im Vergleich zwischen Otto Mühl und Bert Brecht. (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie unterstellen mir etwas, das ich nie gesagt habe!) Gut!

Otto Mühl zählt neben Günter Brus und Hermann Nitsch zu den Hauptexponenten des Wiener Aktionismus, einer der wichtigsten Kunstrichtungen der letzten Jahrzehnte. Apropos Hermann Nitsch: Ich habe noch im Ohr, wie sich viele Funktionäre der Freiheitlichen über ihn, sein Orgien-Mysterien-Theater, seine Schüttbilder und Aktionismen geäußert haben. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das wird man wohl noch sagen dürfen! Darf ich schon eine eigene Meinung haben, oder?) Ja, natürlich! Wenn man sieht, wie Ihr Bundesparteivorsitzender heutzutage Hermann Nitsch beispielsweise hofiert, sieht man, wie relativ manche Kunstbetrachtung ist. Das will ich damit zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn mir auch persönlich viele Happenings und Aktionen nicht zusagen, nehme ich doch zur Kenntnis, daß sich viele Menschen für diese Art der Kunst interessieren und sich auch kritisch mit ihr auseinandersetzen. Das haben letzten Endes der sehr starke Publikumszustrom ins Burgtheater bei dieser Lesung und die kritischen Auseinandersetzungen des Publikums gezeigt. Das ist auch gut und richtig so, wie ich meine. Das muß aber dennoch heißen, daß Menschen, die sich für bestimmte Kunstformen interessieren, die Möglichkeit bekommen sollen, sich auch mit derartigen Kunstformen auseinanderzusetzen, sei es aus künstlerischem Interesse, sei es aus Sensationslust, aus Neugierde oder um sich persönlich damit auseinanderzusetzen.

Abschließend: Ich verurteile so wie die anderen Mitglieder meiner Fraktion die strafrechtlich relevanten Taten Otto Mühls, für die er gesühnt hat. Ich trete aber dafür ein, daß sich Menschen künstlerisch äußern dürfen, auch wenn es Kritik an deren Äußerungsformen gibt. Und ich trete vor allem dafür ein, daß Theater in Österreich unbeeinflußt von politischer Intervention ihre Programme gestalten können. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.42


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