Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 202

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Vizepräsident Jürgen Weiss: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek. Ich erteile es ihm.

12.53

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende, aus Dringlichkeitsgründen vorgezogene Teilreform des Sexualstrafrechts bringt nicht nur Verschärfungsbestimmungen in der strafrechtlichen Reaktion bei Kindesmißbrauch. Der Gesetzgeber setzt auch einen deutlichen Schritt weg von der Ächtung von Verstößen "gegen die Sittlichkeit" hin zu einer zeitgemäßen, opferbezogenen Wertung. Eine solche Betrachtungsweise wird auch Anknüpfungspunkt für die weiterzuführenden Arbeiten an der Gesamtreform sein.

Bei diesen Reformschritten sollten wir uns freilich eines vor Augen halten: Die Entscheidung über Schutz oder Allein-gelassen-Sein mißbrauchter Kinder fällt primär nicht der Gesetzgeber. Diese Entscheidung fällt das engere oder weitere Umfeld des Kindes, das aufmerksam und sensibel auf Anzeichen und Warnzeichen reagiert und Verantwortung zu übernehmen bereit ist – oder eben leider allzuoft nicht. Diesbezüglich hat in den letzten Jahren erfreulicherweise eine Entwicklung zu erhöhter Sensibilität und zur verbesserten Vernetzung von Hilfseinrichtungen eingesetzt. Darauf ist offenkundig der zu beobachtende Anstieg bei den Anzeigen, bei den Strafverfahren und, entgegen anderslautenden Falschmeldungen in den Medien, auch bei den Verurteilungen zurückzuführen.

Ohne Zweifel hat auch die Lockerung der früher unbedingten Anzeigepflicht öffentlicher Stellen im Sinne einer Senkung der Hemmschwellen durch die Zusicherung von Vertraulichkeit ihren Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet. Deshalb sind sich auch die Experten der Kinderschutzeinrichtungen, der Kinderschutzgruppen in den Krankenanstalten und so weiter übereinstimmend darüber einig, daß es keinesfalls zu einer Wiedereinführung der absoluten Anzeigepflicht an die Strafverfolgungsbehörden kommen soll. Ich stimme dieser Ansicht ausdrücklich zu.

Da heute ein rascher Ausbau des Opferschutzes und der Opferhilfe angesprochen wurde, darf ich wiederholen, was ich in einem anderen Zusammenhang schon erwähnt habe, nämlich, daß als Ergebnis der vom Justizministerium mit dem Gesundheitsministerium in den letzten Monaten geführten Gespräche dieses im Herbst eine Novelle zum Verbrechensopfergesetz veranlassen wird, mit der die Kosten für Psychotherapie von Opfern sexuellen Mißbrauchs in den Leistungskatalog dieses Gesetzes einbezogen werden sollen.

Was die heute hier ebenfalls angesprochene Behandlung und Überwachung rückfallsgefährdeter Sexualtäter anlangt, so wurden im Bereich des Straf- und des Maßnahmenvollzugs bereits eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um die behandlungsbedürftigen Fälle treffsicherer zu erfassen, die Therapiekonzepte zu überprüfen, auch die Fortbildung der medizinischen Sachverständigen zu fördern, insgesamt also die Nachbetreuung zu verbessern. Dabei wird es künftig vermehrt auch um ein wirksames Ineinandergreifen der psychiatrischen Versorgungs- und der zivil- und strafrechtlichen Kontrollsysteme, nicht zuletzt aber auch um eine Finanzierung zuweilen aufwendigerer Therapien bei bestimmten sozialen Randgruppen gehen. Es handelt sich dabei um ressortübergreifende, auch die Länder mit einbeziehende Anstrengungen.

Aus erschütterndem aktuellen Anlaß auch noch ein Wort zur Kinderpornographie im Internet. Es kommt – das möchte ich als erstes sagen – einer Falschmeldung gleich, meine Damen und Herren, wenn in diesem Zusammenhang immer wieder von einem rechtsfreien Raum die Rede ist. Selbstverständlich gelten alle Gesetze, auch die Strafgesetze, einschließlich der Zugänglichmachung und des verbotenen Besitzes von Kinderpornographie, und alle sonstigen Regelungen über die zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeiten – auch der Provider – im Internet so wie überall auch.

Die besonderen Probleme ergeben sich aus dem per definitionem globalen und grenzüberschreitenden Charakter der modernen Telekommunikationssysteme, nicht zuletzt auch aus den technischen Besonderheiten, vor allem auch was die Identifizierungsmöglichkeit von irgendwo


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