Bundesrat Stenographisches Protokoll 643. Sitzung / Seite 206

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Gleicherweise unvertretbar erscheint mir die Übergangsvorschrift, daß dieser Vertrag, der die Auslieferung künftig erheblich erleichtert, auch auf strafbare Handlungen Anwendung findet, die vor seinem Inkrafttreten begangen worden sind. Denn dies widerspricht dem international allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, daß es zu keiner rückwirkenden Verschlechterung der Rechtsposition des strafrechtlich Verfolgten kommen darf. War doch für den berühmten Strafrechtslehrer und Kriminalpolitiker Franz von Liszt die rechtsstaatliche Garantie des "nullum crimen et nulla poena sine lege" und das damit verbundene Verbot rückwirkender Strafgesetze die Magna Charta des Verbrechers.

Demgegenüber verdient es meines Erachtens wiederum uneingeschränkte Anerkennung, wenn unsere Vertragsverhandler im vorliegenden Abkommen eindeutig verankern konnten, daß bei einer Auslieferung durch Österreich sowohl die Verhängung der Todesstrafe als auch ihr Vollzug nach einem entsprechenden früheren Urteil in den USA ausgeschlossen ist. So selbstverständlich uns das als einem Land erscheinen mag, das seit Jahrzehnten auch international engagiert gegen die Todesstrafe auftritt, so schwierig war es – ich verkenne das nicht –, die Vereinigten Staaten von Amerika zu dieser Restriktion ihrer Strafgerichtsbarkeit zu bewegen.

Ungeachtet dieser überwiegend positiven Aspekte des neuen Auslieferungsabkommens muß jedoch zuletzt auf einen gravierenden Mangel aufmerksam gemacht werden. Trotz entsprechender Bemühungen von österreichischer Seite – ich erkenne auch das an – verstanden sich nämlich die USA leider nicht dazu, sich in diesem Abkommen zu verpflichten, keine völkerrechtswidrigen Mittel einzusetzen, um Straftäter gegen ihren Willen und unter Umgehung eines ordnungsgemäßen Auslieferungsverfahrens auf ihr eigenes Territorium zu verbringen. Das gibt zu ernsten Bedenken Anlaß:

Hat doch der Supreme Court im Jahre 1992 im Fall "United States versus Alvarez-Machain" ausgesprochen, daß auch die gewaltsame Entführung eines Beschuldigten in die Vereinigten Staaten kein Hindernis für die Strafverfolgung dieser Person darstellt. Ein Beschuldigter könne nur dann in den Vereinigten Staaten nicht verfolgt werden, wenn der anzuwendende Auslieferungsvertrag verletzt worden wäre. Wenn aber ein Auslieferungsvertrag die gewaltsame Entführung eines Beschuldigten nicht ausdrücklich verbiete, könne das amerikanische Gericht seine Gerichtsbarkeit über den Beschuldigten ausüben. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika habe nur zu beurteilen, ob der anzuwendende Auslieferungsvertrag verletzt worden sei, nicht jedoch, ob durch die gewaltsame Entführung allgemein anerkannte Grundsätze des Völkerrechts mißachtet worden wären. Auch könnten diese allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nicht zur Auslegung eines Auslieferungsvertrages herangezogen werden.

Mit gutem Grund hat daher der Bundesminister für Justiz in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von 1993 ausdrücklich festgehalten: "Von österreichischer Seite wird nunmehr im Hinblick auf die oben angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten von Amerika die Aufnahme einer Vertragsbestimmung in den neuen Auslieferungsvertrag verlangt werden, wonach die Entführung eines Beschuldigten durch Gewalt oder List in die Vereinigten Staaten zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung eine Verletzung des Auslieferungsvertrages darstellt." – Eben diese Absicherung ist im vorliegenden Übereinkommen mit den USA leider nicht erreicht worden.

Es mutet daher vor diesem Hintergrund leicht zynisch an, wenn Abgeordneter Dr. Schwimmer im Nationalrat dazu erklärt hat, daß es völlig entbehrlich sei, einen Vertragspartner an die Einhaltung der Regeln des allgemeinen Völkerrechts zu binden. So leid es mir tut, kann ich auch insofern dem Herrn Bundesminister, der die zitierte Anfragebeantwortung erstattet hatte, darin nicht folgen, wenn er im Nationalrat dazu erklärt hat, daß eine entsprechende Bestimmung in einem Auslieferungsvertrag ganz unüblich sei. Denn das träfe ja nur dann zu, wenn sich das US-amerikanische Höchstgericht nicht gerade auf die konkrete Ausgestaltung des zu beurteilenden Auslieferungsvertrages berufen hätte.

Deshalb verstehe ich auch nicht, weshalb der Entschließungsantrag des Abgeordneten Dr. Ofner und anderer keine Mehrheit im Nationalrat gefunden hat. Denn dieser zielte doch lediglich


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