Bundesrat Stenographisches Protokoll 646. Sitzung / Seite 58

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In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir jedoch eine Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis diese Frage des Umgangs mit den ehemaligen Nationalsozialisten im allgemeinen und die Frage der Entschädigung und der Rückgabe von Gegenständen im besonderen offen diskutiert werden? Warum wurde solange tabuisiert?

Eine mögliche Begründung dafür könnte darin liegen, daß sich viele einerseits aus Angst und in einem Schockzustand nicht getrauten, diese Problematik offen zu diskutieren – aus Angst davor, eventuell wieder neuen Antisemitismus zu wecken. Andere fühlten sich vielleicht in irgendeiner Art und Weise schuldig und lebten in einer Welt der Verdrängung, und selbstverständlich hat es auch ein bewußtes Nichtaufarbeiten und Nichtverarbeiten gegeben. All das sind vielleicht Gründe, daß man mehr als 50 Jahre brauchte, um diesen Teil der Geschichte aufzuarbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich als ein in einer Zeit Geborener, der dies alles nur vom Hörensagen kennt, war jedoch schockiert darüber, wie heutzutage noch immer in vielen österreichischen Medien diese Fragen behandelt werden. "Ja muß denn das sein?", war zu lesen, oder: "Zahlt sich das noch überhaupt aus?", lautete eine andere Meldung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meiner Meinung nach ist das blanker Zynismus. Wenn man zuerst fünf Jahrzehnte verstreichen läßt und jetzt damit argumentiert, daß es sich nicht mehr auszahle, weil viele schon gestorben sind, ist das Zynismus pur. Es sind dies jedoch Argumente, die in Wirklichkeit dem Antisemitismus neue Nahrung geben, die dazu angetan sind, die Debatte rasch wieder zu tabuisieren und zu vertagen, und die dem Anspruch "Wehret den Anfängen!" widersprechen. Ich glaube, wir haben schon zu lange gewartet, und es bedurfte vor rund zehn Jahren sehr deutlicher Worte des damaligen Bundeskanzlers Dr. Franz Vranitzky zur Rolle von Österreichern in der Zeit des Nationalsozialismus.

Es ist heute ein wichtiger Tag – ein Tag, der Anstoß sein soll, diese Geschichte aktiv zu bearbeiten. Es ist zwar in den letzten Jahren einiges geschehen, meiner Meinung nach jedoch noch immer zu wenig. In diesem Zusammenhang kommt, so glaube ich, der Schule eine ganz besondere Bedeutung zu, und ich meine, daß diesem Teil unserer Geschichte ein noch viel breiterer Raum in der Schule gewidmet sein müßte. Mein Geschichtsunterricht – das liegt jetzt auch schon einige Zeit zurück – endete bei der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Aufarbeitung des folgenden Geschichtsabschnittes ist aber unendlich wichtig, weshalb der Schule gerade in diesem Bereich besondere Verantwortung zukommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Anträgen: Ich glaube, unsere Museen sollen niemals mit geraubtem Gut geschmückt sein, und auch wir wollen nicht länger Nutznießer geraubten Geldes und Goldes sein. Wir wollen vor allem auch in diesem Bereich ins reine kommen. Unrecht fortzusetzen, ist für uns kein demokratischer Grundsatz.

Die Übertragung des österreichischen Restanteiles am Goldpool an den Internationalen Fonds für Opfer des Nationalsozialismus wird ermöglicht. Dieses Gold ist nicht nur Währungsgold, sondern wurde individuell Opfern geraubt. Man hat ihnen aber nicht nur Bankgold und Schmuck geraubt, es war wesentlich schlimmer, und Sie alle kennen die Szenen aus Dokumentationsfilmen, zum Beispiel aus Mauthausen: Goldzähne wurden vergasten und zu Tode geschundenen Menschen aus dem Mund und Ringe von den Fingern gerissen – und dies alles, um den größtmöglichen Nutzen zu ziehen.

Diese Mittel aus dem Raubgold werden den Opfern zugute kommen. Es ist an der Zeit – ich habe es schon betont, ich bin froh darüber –, daß einige Tage nach der 60. Wiederkehr der November-Pogromnacht 1938 diese Gesetze beschlossen werden, die zum Ziel haben, die geraubten Kunstschätze und das Gold der Opfer des Nationalsozialismus rückzuerstatten.

Ich glaube jedoch auch, daß wir dies unter einer Voraussetzung beschließen sollten, daß wir alles versuchen werden, dem Spruch "Wehret den Anfängen!" gerecht zu werden, und daß wir alles unternehmen, um niemals wieder solche Verbrechen nicht zu verhindern. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.16


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