Bundesrat Stenographisches Protokoll 646. Sitzung / Seite 63

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Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Redner zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer. Ich erteile es ihm.

12.37

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Heute in der Früh ist mir zufällig ein kleines Büchlein in die Hände gekommen, dessen Inhalt thematisch sehr gut zur heutigen Debatte paßt. Es heißt: "Die Auslöschung. Der Fall Thorsch." Es geht dabei um das Leben und das Vermögen einer jüdischen Bankiersfamilie in Wien, die damals ihr Vermögen verloren und es bis heute noch nicht zurückbekommen hat. Geschrieben hat dieses Büchlein Hubertus Czernin. Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, nur ein paar Zitate, die dazu passen, aus diesem Buch bringen.

Es heißt auf Seite 40: Wer nicht selbst wußte, wohin die Nazis Kunstwerke und Mobiliar verschleppt hatten, wer nicht sagen konnte, wohin Bankguthaben in der NS-Zeit transferiert worden waren, konnte auch keine Restitution verlangen. Auf die Idee, daß es dafür vielleicht staatlicher Hilfe bedurfte, kam niemand. Die Verantwortlichen der Zweiten Republik lehnten sich zurück und warteten, was denn die Juden vorbringen würden. Genau genommen agierte das damalige Österreich mehr als verantwortungslos gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. Niemand wollte damals wahrhaben, daß es eine Verpflichtung gegenüber den NS-Opfern gab. Die Bankkonzession hatten ja die Nazis eingezogen. Die Bank wurde von den Nazis liquidiert. Der Wiener Giro- und Kassenverein mag vielleicht eine österreichische Gründung aus dem Jahre 1872 gewesen sein, aber als er die kommissarische Verwaltung des Bankhauses Thorsch übernahm, stand er unter nationalsozialistischer Kontrolle, hatte also wieder nichts mit Österreich zu tun, und daß sich die 1946 neu gegründete Österreichische Kontrollbank als Nachfolgerin des von den Nazis aufgelösten Wiener Giro- und Kassenverein verstand, spielte ebenso wenig eine Rolle.

Österreich verstand sich selbst als Opfer, und als solches wollte es durch kein Zugeständnis an die wirklichen Opfer den Eindruck erwecken, Mitverantwortung an den NS-Greuel zu tragen. Außerdem: Die Rückkehr vertriebener Juden war unerwünscht. Schließlich: Die Arisierung jüdischen Vermögens 1938 hatte zu einer Strukturbereinigung der österreichischen Wirtschaft zu Lasten des privaten Kapitals geführt. An diesem Umstand wollten die beiden Staatsparteien, SPÖ und ÖVP, nach Kriegsende nichts ändern.

Ich darf weiter zitieren: Vor diesem Hintergrund hatte die Republik Österreich einen höchst anfechtbaren Standpunkt gegenüber berechtigten Forderungen der rassisch Verfolgten. Sie erklärte sich, sooft wie es möglich war, für unzuständig. Ganz in diesem Sinn bestätigte daher auch das Finanzministerium am 9. September 1955 den Bescheid der Finanzlandesdirektion, wonach die Bankkonzession nicht mehr zurückgegeben wird.

Czernin schreibt weiter: So wurde der Raub der Nationalsozialisten nachträglich von der Zweiten Republik sanktioniert.

Ich darf zum Schluß noch ein letztes Zitat bringen, welches auf Seite 60 dieses Büchleins steht: 50 Jahre lang wurde faktische Unzuständigkeit vorgetäuscht. Jahrzehntelang versteckte man sich hinter formaljuristischen Floskeln und Fristen. Und wenn Behörden und Politik kein anderes Mittel mehr einfiel, um berechtigte Ansprüche abzulehnen, begann man die Dinge in die Länge zu ziehen, in der Hoffnung, daß sich das drohende Problem sozusagen von selbst lösen würde. – Ende des Zitats.

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß mit den vorliegenden Gesetzesbeschlüssen – Sie, meine Damen und Herren von ÖVP und SPÖ, die in diesem Land seit über 50 Jahren regieren (Bundesrat Prähauser: Gott sei Dank!), haben dieses Gesetz jetzt endlich vorgelegt – die Praxis, die in diesem Buch beschrieben wurde, nunmehr endgültig der Vergangenheit angehört. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.41


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