Bundesrat Stenographisches Protokoll 724. Sitzung / Seite 107

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Kompromiss mit der Wirtschaft. Man kann heute nicht sozusagen den Rollbalken herunterlassen, und morgen muss alles sofort behindertengerecht adaptiert sein. Dazu bedarf es eben gewisser Übergangsfristen. Das wird man doch in aller Deutlichkeit hier anfügen dürfen.

Sie haben gesagt: Dieses Gesetz hat Ecken und Kanten. – Genau das können wir in der Behindertenarbeit nicht brauchen. Gerade Ecken und Kanten müssen abgebaut werden. Und das ist mit diesem Gesetz in einem ersten Schritt geschehen, das muss man in aller Deutlichkeit sagen.

Ich sage Ihnen jetzt auch etwas als Obmann einer Lebenshilfeeinrichtung in Vorarl­berg, die mehr als hundert Behinderte und Schwerstbehinderte betreut, mit ihnen arbeitet, ihnen Wohnung und Therapie anbietet. Ich kann bestätigen, es ist ein gelungener Anfang. Wir haben eine gute Handhabe, Behindertenarbeit in Österreich den erforderlichen Stellenwert zu geben, und beginnen einen Prozess, den wir kon­tinuierlich weiterentwickeln können.

Allerdings – und das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen – gibt es auch ohne dieses Gesetz Möglichkeiten, intensiv am Abbau von Barrieren zu arbeiten. Ich darf diesbezüglich das Land Vorarlberg in besonderer Weise hervorheben und in diesem Zusammenhang die Stadtgemeinde Feldkirch erwähnen, in der seit mehr als 25 Jahren ein Stammtisch für Behinderte und Nichtbehinderte eingerichtet wurde, wo in Ange­legenheiten der behinderten Menschen beraten werden.

In der Stadt Feldkirch wird jedes neue Gebäude nach behindertengerechtem Ausbau überprüft, Gebäude werden grundsätzlich behindertengerecht saniert. Es gibt eine ständige Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Behindertenarbeit auseinander setzt. Sie heißt „Menschengerechte Umweltgestaltung“ und wurde von der Stadtvertretung mit einem einstimmigen Beschluss bereits im Jahr 1996 eingeführt.

Ebenfalls im Jahr 1996 haben wir Richtlinien erlassen, die auch einstimmig in der Stadtvertretung beschlossen wurden. Unsere Thesen, unsere Richtlinien über behin­dertengerechtes Bauen wurden allen Architekten des Landes übermittelt. Jede neu errichtete soziale Wohnanlage beinhaltet einen Prozentsatz an barrierefreien und deshalb auch behindertengerechten Wohnungen. Feldkirch ist die dreizehntgrößte Stadt Österreichs und hat 31 000 Einwohner.

Dies bedeutet, dass die österreichischen Gemeinden und Bundesländer auch aus gewisser Eigenverantwortung handeln könnten und sich freiwillig um das menschen­gerechte Leben und das menschengerechte Bauen bemühen könnten. Wir müssen nicht alles per Gesetz regeln und Behindertenarbeit nur in Form von Gesetzen vollziehen.

Jetzt komme ich auch noch auf die Stadt Wien zu sprechen. In der Stadt Wien gibt es zum Beispiel seit dem Jahr 1970 Verordnungen über behindertengerechtes und men­schengerechtes Bauen. Das wird in Wien seit dem Jahr 1970 nicht umgesetzt! (Bundesrat Gruber: Ah geh!) Wien ist der größte Wohnbauträger Österreichs, einer der größten Europas! Da könnte man natürlich im eigenen Land Wien zuerst darauf schauen, dass behindertengerecht gearbeitet wird. (Bundesrätin Lueger: Diese Unter­stellung stimmt so nicht!) Das ist ein ganz wichtiger Punkt, liebe Kollegin Lueger. (Bundesrat Gruber: Unterstellung!  – Bundesrätin Lueger: Das ist falsch!) – Das ist keine Unterstellung. Das ist bewiesen und kann hier von mir deutlich wiederholt werden.

Es gibt natürlich nicht nur Initiativen in Vorarlberg, sondern auch in anderen Ländern. Ich möchte Ihnen an einer besonderen Initiative kurz vorstellen, wie Behindertenarbeit neben gesetzlichen Regelungen gelöst werden kann. Es gibt ein Projekt aus Nieder-


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