13.22.57

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien)|: Eines vorweg: Ich bewerbe mich nicht, nein! (Allgemeine Heiterkeit. – Bundesrat Brunner: Noch nicht! – Bundeskanzler Kurz: Aber wir wären dafür offen!) – Darüber reden wir dann nach der Sitzung. (Bun­deskanzler Kurz: Ja!)

Sehr geehrter Herr Kanzler! Herr Vizekanzler! Werte Ministerinnen! Herr Minister! Wer­ter Herr Präsident! Werte Kollegen, Kolleginnen! Werte Gäste und auch werte Zu­schauerInnen! Ich bewerbe mich auch deshalb nicht, weil die neue schwarz-blaue Regierung zwar auf aufgeschlossen und modern tut, aber für mich – das Wort ist heute schon gefallen – ein bisschen Retropolitik macht oder machen möchte. Sie ist vor allem gegenüber gewissen Menschengruppen eigentlich nicht aufgeschlossen, das ist besorgniserregend. Das sind Asylwerber, das sind MigrantInnen, das sind Allein­erziehende, das sind Frauen und das sind auch Menschen, die nicht genug verdienen. Die bleiben in Ihren Plänen leider ausgespart.

Der Ausdruck sozial kalt ist heute schon gefallen, und ja, leider muss ich es wieder­holen: Für mich wirkt es sozial kalt, es wirkt auch ein bisschen wie Klientelpolitik für die Besserverdienenden und auch, als ob Sie in Zukunft am liebsten jene Gruppen aus der Gesellschaft verbannen würden, die unliebsam sind, die man vielleicht nicht sehen möchte. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist aber nur in Ihrer Fantasie! – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Ich nenne Ihnen sogar ein konkretes Beispiel dazu: Die Themen Migration und Asyl sind von einer hetzerischen Rhetorik geprägt, da finden sich kaum Fakten als Grund­lage und auch keine Sachlösungen. Stattdessen sind da weitere Schikanevorhaben zu finden, die zum Teil geltendes Recht außer Acht lassen.

Ich möchte Sie, Kanzler Kurz, wiederholt fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass Ihr Koali­tionspartner die Menschenrechtskonvention infrage stellt, ob Sie das, liebe Bundes­rätIn­nen der ÖVP, gar nicht stört, und wie Sie, Herr Vizekanzler, tatsächlich dazu stehen. Ich denke, es gibt nämlich nicht umsonst berechtigte Kritik daran, dass diese Koalition wieder Ansichten salonfähig macht, die zum Teil ewiggestrig sind.

Der Menschenrechtsausschuss im Nationalrat, das werden Sie wahrscheinlich wissen, interessiert auch niemanden so recht. Bürgerrechte, Bürgerinnenrechte, Freiheits- und Menschenrechte – alles Schnee von gestern. (Bundesrat Brunner: Wieso, wer sagt das?) Heute gibt es nämlich moderne Lösungen, und da komme ich zu dem Beispiel: Sie haben es gehört, der Wiener Vizebürgermeister Gudenus hat mit seiner Forderung nach sogenannten Stadtrandlagern erschreckende Bilder gezeichnet. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, man muss einmal zu Ende denken, was das bedeutet. (Vizepräsidentin Ledl-Rossmann übernimmt den Vorsitz.)

Da wird offen zugegeben, Integration interessiert uns eigentlich überhaupt nicht, wir haben sie nur immer eingefordert, aber sie interessiert uns nicht. Weiters: Glauben Sie, dass sich, indem Sie einen Migrationsstopp in Ihre Papiere hineinschreiben, die welt­weiten Krisen einfach auflösen? Meiner Meinung nach grenzt das an Realitätsver­weigerung. (Zwischenruf des Bundesrates Samt.)

Wir können nicht sagen, dass wir die globalen Entwicklungen aufhalten, dass diese vor Österreichs Grenzen Halt machen, nur weil eine schwarz-blaue Regierung nicht sehen möchte, was diese Realität ist und dass diese Entwicklungen nicht durch Lager oder einen festgeschriebenen Migrationsstopp aufhaltbar sind.

Wir haben es heute schon gehört: Wenn Menschen, denen das mindeste zum Leben Notwendige genommen wird, in die Kriminalität abdriften, dann werden Sie wahr­schein­lich sagen: Wien ist schuld!, oder etwas Ähnliches. Dabei ist die Mindestsiche­rung tatsächlich ein perfektes Instrument für diese Abschottungspolitik. Sie werden es wissen, Niederösterreich, Oberösterreich und das Burgenland haben ja bereits heuer ihre Gesetze massiv verschärft. Während Oberösterreich und das Burgendland die Leistungen spezifisch für Flüchtlinge stark gekürzt haben, hat Niederösterreich diese Leistungen gleich für alle verschlechtert.

Das Niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz wird derzeit, auch das werden Sie wissen, vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft und das oberösterreichische Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass beide Regelungen aufgehoben werden. Sie haben sich gedacht: Es ist uns wurscht, wir schreiben das einfach noch einmal rein! Ich denke, dass Ihre Sozialabbaupläne nicht so einfach in Gesetze zu gießen sind – außer Ihr Bekenntnis, die österreichische Ver­fassung und die europäischen Werte hochzuhalten, entpuppt sich am Ende tatsächlich nur als schwarz-blauer Zigarettenrauch.

Und ja, noch etwas zur Mindestsicherung: Die Pläne für ein Grundsatzgesetz werden vor allem uns in der Länderkammer in Zukunft sicher noch näher beschäftigen. Das ist aber noch nicht alles – wir alle haben in diesen Tagen Berichte, Zeitungen und Social-Media-Postings gelesen –: Der Ausbau der neuen Machtposition hat viele Gesichter, stark im Fokus steht auch in der neuen Regierung eine Machtkonzentration. Diese macht vielen Menschen Angst, und ich denke: zu Recht! Tatsache ist nämlich, Öster­reichs Rechtspopulisten erhalten in Zukunft Kontrolle über den ganzen Sicherheits­bereich; Polizei, Bundesheer, Nachrichtendienste, alles ist in einer Hand. Auch da würde mich interessieren, ob das der ÖVP vollkommen egal ist und wie sie dazu steht. Finden Sie das nicht irgendwie bedenklich? – Ja, wir werden sehen.

Das ist eine Regierung, die – das ist der Punkt, und das ist der Grund, wieso diese Machtkonzentration vielen Menschen Angst macht – aus Rechten und Ultrarechten besteht, haben viele ausländische Medien geschrieben. Auch wir wollen von der neuen österreichischen Regierung und vor allem vom Innenminister wissen, wie seine Einschätzung in Bezug auf den deutschen Verfassungsschutz ist, der meint, dass die Identitäre Bewegung eine Bedrohung für die Demokratie darstellt. Wir wollen das deshalb wissen, weil der Doch-nicht-Pressesprecher, aber vielleicht Doch-noch-Kommunikationschef Alexander Höferl sich mit denen bestens versteht.

Ich muss ehrlich zugeben, mir macht das auch Angst, wenn 2017 in Österreich das Mauthausen Komitee vor einzelnen Führungspersonen dieser neuen Regierung warnen muss.

Und dann gibt es noch einen wichtigen Punkt; es scheint so, als könnte niemand dieser Umsetzung entkommen. Die neue schwarz-blaue Regierung plant nämlich einen Über­wachungsstaat. (Bundesrat Preineder: Geh hör auf! – Zwischenruf des Bundesrates Brunner. – Ruf bei der FPÖ: Märchenstunde! – Bundesrat Stögmüller: Jetzt kommt der Bundestrojaner!) Ich erkläre Ihnen auch, wieso ich das so sehe: Zum wiederholten Mal will eine Regierungskoalition den Bundestrojaner und eine Nachfolgeregelung für die Vorratsdatenspeicherung.

Neu sind unter anderem die Pläne für eine automatisierte Gesichtsfelderkennung und verstärkte Big-Data-Analysen im Zuge von Ermittlungen. Weiters setzt Schwarz-Blau auf verstärkte Vernetzung personenbezogener Daten, womit der Staat zum unge­bremsten Datensammler wird und auch neue Möglichkeiten für die Überwachung von einzelnen Bürgern und Bürgerinnen, und zwar in allen Lebenslagen, geschaffen werden. (Abg. Preineder: Das hat nichts mit Überwachung zu tun!) Besonders kritisch ist für uns auch die neuerliche Forderung nach Netzsperren, die Internetunternehmen nach eigenem Gutdünken vornehmen können. Das heißt nämlich Netzpolitik für die Industrie und nicht für die Menschen und ist sanfte Grundlage für Zensurmaßnahmen.

Durch die Berichtspflichten der Nachrichtendienste an Bundeskanzler und Vizekanzler kämen zudem sensible Daten direkt in die Hände der neuen politischen Führungsriege. Und das ist nicht alles: Sie fordern nicht nur Berichtspflichten, nein, Sie wollen auch ein Auskunftsrecht beim Heeres-Nachrichtenamt, beim Abwehramt und beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Ich glaube, dieser Punkt wird uns in Zukunft noch beschäftigen.

Wir finden jedenfalls, das hat viel mit Überwachung, aber wenig mit Sicherheit zu tun, und bringen deshalb folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Mag. Dr. Ewa Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Über­wachungspaket stoppen!“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, von den vorliegenden Plänen zum Ausbau zahlreicher Überwachungsmaßnahmen Abstand zu nehmen, und statt dessen umge­hend eine umfassende Evaluierung der seit 2007 sukzessive eingeführten neuen Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksam­keit des Rechtsschutzes durchzuführen.“

*****

Die Grünen sind zwar nicht mehr im Nationalrat vertreten (Bundesrätin Mühlwerth: Gott sei Dank!), aber eines kann ich Ihnen versprechen: Wir werden weiterhin für eine ökologische und sozial gerechte Gesellschaft in Österreich kämpfen, im Namen und im Interesse jener Menschen, die es vielleicht nicht so gut wie Sie oder ich getroffen haben und jetzt unter Schwarz-Blau verhöhnt werden. Hinzu kommt auch noch, dass sie in Zukunft überwacht werden sollen. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

13.33

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Der von den BundesrätInnen Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Doris Schulz. – Bitte, Frau Bun­desrätin.