12.35.59

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr ge­ehrte Mitglieder der Volksanwaltschaft, Frau Brinek und Herr Fichtenbauer, grüß Gott! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Die Volksanwaltschaft ist eine unglaub­lich wichtige Institution, gerade wenn es um die Einhaltung der Menschenrechte geht. Das beweist die Volksanwaltschaft auch heute wieder mit einem Sonderbericht über Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen. Dabei geht es um die schwächs­ten Mitglieder unserer Gesellschaft: die Kinder und Jugendlichen.

Ich möchte Ihnen wirklich auch noch einmal vielen Dank für Ihren Einsatz sagen, ganz besonders auch Ihrem gesamten Team, das da dahinter steht, das mit Expertise wirklich recherchiert und geschaut hat, dass uns hier im Parlament ein toller Bericht präsentiert werden kann.

Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar, wir müssen sie einhalten, schützen und fördern. Uns Grünen ist bewusst, dass gerade in den letzten Jahren viel Arbeit auf die Volksanwaltschaft zugekommen ist und Sie auch immer bemüht sind, die Menschen bestmöglich zu unterstützen. Das braucht auch entsprechende finanzielle Mittel, Sie haben das ja angesprochen – auch wieder einmal ein Appell. Also wirklich vielen herzlichen Dank für Ihre Arbeit und auch dafür, dass Sie sich dem wichtigen Thema der Kinderrechte widmen.

Sie wissen, im Bundesrat haben wir den einzigen parlamentarischen Kinderrechte­ausschuss in ganz Mitteleuropa, einen Ausschuss, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich ausschließlich mit den Kinderrechten in Österreich zu befassen. Wir sind auch wirklich stolz auf diesen Ausschuss, und ich danke euch allen, die ihr da immer mitwirkt und gute Ideen einbringt.

Mit dem Sonderbericht haben Sie uns eine wirklich breite Palette an Aufgaben, an Problemstellungen, an Vorschlägen für Gesetzesnovellen geliefert, und jetzt liegt es an uns Parlamentariern, an uns Ausschussmitgliedern, diese Probleme, die draußen in den Betreuungseinrichtungen auftreten, anzugehen und zu beseitigen, Probleme mit den – unter Anführungszeichen –„Versorgungsangeboten“ in den Kinder- und Jugend­psychiatrien, in den Justizanstalten, mit Jugendlichen und Kindern, die auf der Flucht sind, oder Kindern, die von Kinderarmut betroffen sind, um jetzt nur ein paar Prob­lemfelder zu nennen. Jetzt geht es für uns darum, aktiv zu werden und deren Situation zu verbessern. Wir hier im Parlament haben es in der Hand, jedem Kind in Österreich die beste Bildung, die besten Zukunftschancen, das bestmögliche Aufwachsen zu ermög­lichen, ihm aber auch die Möglichkeit zu geben, mitzureden und mitzube­stimmen.

Ich möchte jetzt konkret ein paar Punkte aus dem Sonderbericht herausnehmen, nämlich zum einen: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in voller Erziehung im Jahr 2016 ist gegenüber 2015 um fast 4 Prozent angestiegen, und ich sehe das schon als gesellschaftliches Warnzeichen. Ich glaube, dass der Druck auf die jungen Menschen, auf Eltern, auf alleinerziehende Elternteile massiv steigt, oftmals sind sie auf die Herausforderungen der aktuellen Zeit nicht wirklich vorbereitet und massiv überfordert. Auch da zeigt sich wieder das Problem der vererbten Bildung; Armut und Gewalt­bereitschaft werden traurigerweise oftmals von den Eltern übernommen. Die Welt wird immer komplexer, und es halten einfach nicht alle Menschen mit dieser komplexen Welt Schritt.

Zum Glück steigt aber auch die Sensibilität gegenüber Missbrauchsfällen in der Gesell­schaft. Ich glaube, das muss auch erwähnt werden. Das, bei dem früher oft noch zugeschaut worden ist – Stichwort „g’sunde Watschn“ –, wird heute gemeldet, wird berichtet und wird aufgezeigt. Das ist auch gut so und muss auch passieren, denn Gewalt gegenüber Kindern, egal ob physische oder psychische Gewalt, darf nicht sein! Da gibt es kein Wenn oder Aber, und das ist auch unter keinen Umständen irgendwie rechtfertigbar. Darum hat es mich umso mehr geschockt, als ich im Bericht der Volks­anwaltschaft über die Fremdunterbringung und den Umgang mit Regelverstößen gelesen habe.

Da wird von starren Sanktionen, Überforderung des Personals und den damit einher­gehenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen berichtet. Es wird von Kindern berichtet, die ins Bett eingekotet haben und als Strafe fast nackt eine Nacht lang im Regen stehen mussten, oder von Kindern, die bei Dunkelheit und Kälte im Hof und in Einfahrten stehen mussten, weil sie etwas angestellt hatten, von Schweigestrafen, von Kindern, die als Strafe den ganzen Tag ohne Essen, ohne Jacke im Winter im Hof verbringen mussten, oder von Jugendlichen, die als Strafe in einer 6 Quadratmeter großen Hütte bis zu 72 Stunden eingesperrt worden sind. Das ist etwas, was aktuell in Österreich passiert!

Es ist sehr gut, dass so etwas aufgedeckt wird, aber dieses Problem wird sich nicht nur mit Aufdecken der Fälle alleine lösen lassen. Was wir brauchen – das zeigt auch der Bericht der Volksanwaltschaft ganz klar auf –, ist eine gute personelle Ausstattung der Einrichtungen mit gut ausgebildetem und eingeschultem Personal, das auch motiviert ist und motiviert bleibt. Genau für Kinder und Jugendliche sind gerade bei Fremd­unterbringung Vertrauenspersonen ganz essenziell. Hier soll es zu möglichst wenig Personalfluktuation kommen, aktuell ist leider das Gegenteil der Fall.

Auch bei den Ausbildungsstandards gibt es massive Unterschiede in den Bundeslän­dern. Ich kann mich nur den Forderungen der Volksanwaltschaft anschließen: Es braucht Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit Berufsschutz und bundesein­heitliche Ausbildungsrichtlinien. In Oberösterreich sind wir zum Beispiel schon mehr oder weniger einen Schritt weiter, der oberösterreichische Sozialfachbetreuer in der Jugendwohlfahrt wird aber nur in Oberösterreich und nicht außerhalb der Landes­grenzen anerkannt. Es zeigt sich also in diesen Bereichen wieder der typische öster­reichische Föderalismus. Die Forderung seitens der Grünen ist ein einheitlicher Aus­bildungsstandard für ganz Österreich mit Betreuungsschlüssel in den Betreuungsein­richtungen. Nicht nur dort, sondern auch in den Altersheimen wären Betreuungsschlüs­sel ganz gut – auch das ist immer wieder ein Anliegen meinerseits.

Ein Punkt, der mir sehr wichtig ist und der auch schon von Kollegin Daniela Gruber-Pruner angesprochen worden ist, ist die Weiterführung der Jugendlichen nach Erreichung der Volljährigkeit. Die sogenannten Care Leaver sind mir persönlich ein ganz, ganz großes Anliegen. Im Schnitt ziehen die jungen Erwachsenen in Österreich ungefähr mit 24 Jahren von zu Hause aus – die Tendenz ist steigend, die Leute sind also immer älter, wenn sie ausziehen –, meistens natürlich noch mit Unterstützung, egal ob in finan­zieller Hinsicht oder einfach nur bei Behördengängen, beim Ausverhandeln irgendwelcher Mietverträge oder bei der Wohnungssuche und so weiter, und so fort.

Wenn man außerhalb des eigenen Familienverbandes aufwächst, in Wohnge­mein­schaften oder in Pflegefamilien, ist es nicht so, da steht man mit 18 Jahren auf eigenen Füßen. Genau das sind die sogenannten Care Leaver. Diese Jugendlichen haben es wirklich schwer, auf eigenen Füßen zu stehen, weil sie oftmals nicht das Familienum­feld, das soziale Umfeld erlebt haben, wie viele von uns hier herinnen es sehr wahrscheinlich erlebt haben. Diese Jugendlichen, die aus einer Fremdunterbringung ausziehen müssen, tragen ein wesentlich erhöhtes Risiko, an den Hürden des Erwach­senwerdens zu scheitern. Es wurde sehr wohl mit dem § 29 des Bundesgesetzes – ich glaube, das war 2013 – erstmals die Möglichkeit geschaffen, junge Menschen, junge Erwachsene bis zum 21. Lebensjahr im Bedarfsfall zu unterstützen, es ist aber leider in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt: Föderalismus.

Der Bericht zeigt auch klar auf, dass diese gewählte Regelung nicht ausreichend war. Es fehlt der Rechtsanspruch, es können nur Jugendliche Unterstützung bekommen, die davor in einer Fremdunterbringung waren. Es kocht jedes Bundesland wieder sein eigenes Süppchen, es gibt keine einheitliche Grundlage zur Festlegung des Bedarfs an Hilfen und Unterstützung, keine einheitliche Praxis und so weiter, und so weiter. Jeder kann sich gerne selbst ein Bild machen, im Bericht der Volksanwaltschaft auf Seite 33 wird das ganz gut und ausführlich beschrieben.

Deswegen bringen wir heute wieder einmal einen Antrag zu diesem Thema ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Weiter­führung der Jugendhilfe nach Erreichung der Volljährigkeit“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, dem Parlament ehestens, jedenfalls jedoch bis Ende 2018 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der

• einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Hilfe und Betreuung nach dem Bundes­gesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche auch über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus vorsieht;

• die Fortsetzung der Hilfe und Betreuung jedenfalls bis zum Abschluss einer Berufs­ausbildung und der erfolgten beruflichen Inklusion sicherstellt;

• einen einheitlichen Kriterienkatalog zur Erfassung des individuellen Bedarfs an Hilfe und Betreuung nach dem Bundesgesetz über die Grundsätze für Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche enthält.“

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Das sind nicht irgendwelche grünen Vorschläge, sondern das kommt vom Bericht der Volksanwaltschaft. Das sind die Probleme, die aufgezeigt worden sind – das wären die Lösungsansätze. Jetzt liegt es an uns, diese umzusetzen. Ich bitte euch wirklich, dem Antrag im Interesse der Jugendlichen zuzustimmen. Wenn ihr mir nicht glaubt, lest bitte noch einmal den Bericht der Volksanwaltschaft, Seite 33!

Nochmals vielen Dank der Volksanwaltschaft für diesen tollen Bericht. Sie sehen, dass wir im Bundesrat schon die ersten Problemfelder angehen, und wir werden uns auch sicher im Kinderrechteausschuss damit beschäftigen. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

12.45

Vizepräsident Ewald Lindinger: Der von den Bundesräten David Stögmüller, Kolle­ginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Weiterführung der Jugendhilfe nach Erreichung der Volljährigkeit“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Volksanwältin Dr.in Gertrude Brinek. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.