11.53.54

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Hohes Präsidium! Werte Kolle­gen und Kolleginnen! Ja, jetzt geht es in diesem Bericht ums Geld; jetzt kommen wir also zum Wesentlichen und natürlich zum Kern der Sache. Im Mai wird der Vorschlag zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgelegt werden – als Teil eines größeren Legislativpakets, das neben der Ausgabenseite auch Vorschläge zur Finanzierung enthalten wird. Die Verhandlungen über die zukünftige Finanzausstattung werden dies­mal natürlich besonders schwierig werden im Lichte des Brexit – also dem Nettozahler, der wegfällt – und im Zuge der großen politischen Herausforderungen, die viel kosten werden. Das lässt sich nicht leugnen.

Es wird auch schon angedeutet – oder zumindest steht es einmal drinnen –, wo man sparen will, nämlich bei der Landwirtschaft und bei der Kohäsionspolitik. Wo man of­fensichtlich nicht sparen will, ist zum Beispiel der Bereich Rüstung, wo mit sehr, sehr viel Geld ein neuer Fonds geschaffen wird.

Ich denke, wo sich diese Kluft zwischen Sparen und Sparwille einerseits und weiterem Funktionieren andererseits auftut, ist eben dieser Beschluss des Europarlaments, das Budgetvolumen gemessen am gemeinschaftlichen BIP von 1 Prozent auf 1,3 zu erhö­hen, worüber der Minister und die Regierung in diesem Bericht ganz klare Worte fin­den. – Ich denke, da kommt einiges an Debatten und an Auseinandersetzungen auf uns alle zu.

Nein, werte Kollegen, gerade (in Richtung ÖVP) von dieser Seite, ich bin nicht primär für mehr Steuern. Ich bin auch nicht primär gegen das Sparen. Sondern wofür ich bin und wovon ich denke, dass es unbedingt durchgesetzt werden muss, wo großer Hand­lungsbedarf besteht, ist mehr Steuergerechtigkeit. (Bundesrat Mayer: Da sind wir eh dabei!) Das betrifft vor allem die Steuerleistung großer Konzerne.

Wenn ich mir anhöre, dass der Herr Minister sich aber ganz dezidiert dagegen aus­spricht, dass Konzerne öffentlich machen müssen, wie viel Gewinn sie pro Land erzie­len und wie viel Steuern sie zahlen, dann denke ich, ist diese Debatte sehr schnell wie­der versenkt und verschwunden.

Da uns immer wieder vorgeworfen wird, wir wären zu wenig draußen und wüssten nicht, wo den Leuten wirklich der Schuh drückt: Dem ist nicht so. Sie müssen sich nur vorstellen, dass Magna – ein großer Betrieb mit 2 100 Mitarbeitern, einem Umsatz im Jahr 2015 von 1 Milliarde Euro und einem Gewinn von 35 Millionen Euro – eine Steuer­leistung von 45 000 Euro erbringt und dass einer Tabaktrafik innerhalb des Gürtels mit 1 Million Euro Umsatz und einem Gewinn von 85 000 Euro netto dann 54 000 Euro übrig bleiben. Das bedeutet, dass diese Tabaktrafik gemessen am Umsatz 700 Mal so viel Steuern zahlt wie Magna. Das wissen auch die Menschen. Das bleibt nicht ver­borgen. Das ist etwas, mit dem wir uns eingehend beschäftigen müssen.

Wir müssen uns damit beschäftigen, dass sich im Steuerrecht alles um den Gewinn dreht, der für die Aktionäre hochgerechnet und für die Steuer kleingerechnet wird. Da müssen wir zu anderen Überlegungen und auch zu anderen Steuermodellen kommen. Es werden von einigen Ministern und Regierungen auch innerhalb der EU schon alter­native Steuermodelle überlegt, die auch veranschaulichen, wie viel Geld in Österreich aufgrund der Steuertricks der Konzerne verloren geht oder nicht eingetrieben wird.

Übrigens war in der Zeitung „Die Zeit“ jetzt eine dreiteilige Serie über Konzernbesteue­rung in Österreich – also Österreich als Steueroase. Wer sie nicht gelesen hat, dem lege ich sie wirklich ans Herz. Wir haben in diesem Bereich Hausaufgaben zu machen, Österreich hat da dringenden Handlungsbedarf. Bei diesem Modell orientiert man sich an dem Steuersatz, den die Konzerne weltweit im Verhältnis zu ihrem Umsatz bezah­len. Das ist also die Richtgröße.

Man diskutiert das auch im Lichte dessen, wie man amerikanische Hightechkonzerne, die bei uns praktisch gar nichts bezahlen, zu einer Steuerleistung zwingen kann. Die großen Konzerne – das hat auch dieser „Zeit“-Bericht gezeigt – zahlen bei uns Steuern in wirklich homöopathischen Dosen. Novartis war angeführt – da haben sie allerdings einen Rückzieher gemacht. Daimler zum Beispiel zahlt 2 Millionen Euro statt 18 nach diesem anderen Modell. GlaxoSmithKline zahlt 700 000 Euro statt 13 Millionen. Star­bucks zahlt 40 000 Euro statt 1 Million, La Roche 3 Millionen Euro statt 13, H&M 5 Mil­lionen Euro statt 12, Mondi 10 Millionen Euro statt 50 und so weiter.

Dann haben wir noch die vielen, die Personengesellschaften sind und gar keine KÖSt bezahlen, wie IKEA, Boehringer, VW, Porsche und so weiter, zu denen es praktisch überhaupt keine entsprechenden Steuerdaten gibt.

Die für diese Serie in der „Zeit“ untersuchten Konzerne haben übrigens in Summe 61 Millionen Euro KÖSt bezahlt. Im Sinne fairer Steuern, wurde da ausgerechnet, wären es 308 Millionen Euro, also fünfmal so viel. Da gibt es also für die Staaten Mög­lichkeiten, zu Einnahmen oder zu Beiträgen zu kommen, die sie dringend brauchen, ohne dass wir Steuern für alle erhöhen; es hört sich nämlich immer so an, dass jeder, der arbeitet, jetzt noch mehr Lohnsteuer zu bezahlen hat.

Dazu ist noch zu sagen, dass sich dieses System an der realen Gesamtsteuerleistung dieser Konzerne orientiert, also alle Steuertricks, die es derzeit schon gibt, global to­leriert. Und trotzdem kommt es zu diesen für uns als Staat und für die EU als Ganzes sehr bedenklichen Entwicklungen. Apple allein häuft laut „New York Times“ 200 Milliar­den Dollar an steuerfreien Gewinnen an.

Auf die Gruppenbesteuerung will ich jetzt gar nicht eingehen. Das geht sich, glaube ich, auch gar nicht aus.

Es geht jetzt darum, welche Handlungsmöglichkeit die EU bekommt, um auf diesem Gebiet überhaupt tätig werden zu können. Obwohl es auch Hausaufgaben gibt, die wir selbst erledigen könnten, kann das Problem grundsätzlich nur auf EU-Ebene angegan­gen werden. Diese Konzerne sind zu groß, sie sind global zu vernetzt, das können einzelne Staaten nicht leisten. Das muss die EU leisten, und dafür muss sie auch die entsprechenden Kompetenzen bekommen. Und dazu ist es zum Beispiel notwendig, sich zu überlegen, wie man überhaupt zu einer gemeinsamen Steuerbemessungs­grundlage kommt. Darüber wird übrigens heute im EU-Parlament abgestimmt. Leider wird aber nicht darüber abgestimmt, dass es einen europäischen Mindeststeuersatz von ungefähr 20 Prozent geben möge. Für die EVP war das eine rote Linie, die ÖVP war da auch treibend, weil sie eben die Steuer in diesem Bereich für die Konzerne ja senken will. Wir reden hier also nicht über meiner Meinung nach dringend notwendige Mindeststeuersätze für die Großen.

Die internationalen Konzerne zahlen laut „Financial Times“, die ja keine linke Zeitung ist, heute weniger Steuern als 2008. Der effektive Steuersatz, also das Verhältnis von tatsächlicher Steuerlast und dem Unternehmensertrag vor Steuern ist seit 2008 um 9 Prozent gefallen. Wir brauchen also nicht zu erhöhen, sondern könnten uns vielleicht auch nur dem historisch bereits erreichten Stand wieder annähern. Der Effektivsteu­ersatz fiel seit 2000 um ein Drittel. Und das Tragischste ist meiner Meinung nach, dass es weiterhin einen Konkurrenzkampf innerhalb der EU, der Staaten untereinander gibt. Das müsste beseitigt werden, das ist die Krux, dass sich die Staaten innerhalb der EU hier nicht auf eine gemeinsame Basis einigen, denn nur dann kann man nach außen diesen Konzernen gegenüber wirklich tätig werden, und darum müsste man sich ganz dringend bemühen.

Dass da vieles in die falsche Richtung läuft, haben wir beim letzten EU-Ausschuss auch wieder feststellen können, zum Beispiel was die Mehrwertsteuer betrifft, wo statt den drei bestehenden Tarifen jetzt fünf kommen sollen, mit der Möglichkeit, auf 0 Pro­zent beziehungsweise unter 5 Prozent zu senken. Das heißt, da wird wieder Raum geöffnet für ein Steuerdumping, für einen fatalen Konkurrenzkampf, der bei der Be­steuerung eine Spirale nach unten in Gang setzt und uns alle von einer fairen Besteue­rung noch weiter weg bringt.

Hier gibt es also viel zu tun. Was aber vor allem notwendig ist, ist eine ganz andere Ko­operation zwischen den Staaten in der EU. Das Wort Wettbewerbsfähigkeit muss an­ders verstanden werden. Wettbewerbsfähigkeit kann durch Steuerdumping der Staaten in der EU nicht hergestellt werden, sondern das muss etwas anderes heißen. Und dafür braucht es einen anderen und stärkeren Einsatz als bisher. – Danke. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

12.04