12.16.32

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr ge­ehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren! Herr Minister! Ich glaube, wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass der Schlüssel für eine gelungene Integration das Erlernen der Landessprache, also Deutsch, ist. Ich glaube, das steht außer Frage.

Gerade Kinder und Jugendliche erlernen unglaublich schnell Sprachen und neue Kom­petenzen. Zum einen lernen die Kinder Deutsch wirklich aktiv in der Schule, von den Pädagoginnen und Pädagogen im Unterricht, aber zum anderen – und viel wichtiger, da sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig – erlernen sie die Sprache mit den Freunden, mit der Familie oder eben auch von Mitschülerinnen und Mitschü­lern. Das ist unglaublich wichtig, weil es einfach ein spielerisches Lernen ist und natür­lich auch ein gewisses Wollen, um dazuzugehören, ein gewisses: Ja, ich möchte Deutsch lernen, weil ich es in der Spielgruppe brauche, damit ich mich mit anderen verstän­digen kann!

Deswegen sehen wir Grüne den Vorstoß dieser Bundesregierung, des Bildungsminis­teriums, von Ihnen, Herr Minister, sehr kritisch, weil diese Selektierung, also das Tren­nen der Kinder, zu einer Einschränkung genau dieser Möglichkeiten führt. Es kommt zu einer Trennung von Kindern, die Deutsch als Muttersprache haben, und Kindern, die sozusagen dazugekommen sind und Deutsch noch nicht so gut können und erst erlernen müssen. Auch vonseiten der Sprachwissenschaftler und Sprachwissen­schaft­lerinnen gibt es massive Einwände gegen die vorgelegte Novelle. Sie widerspricht auch dem aktuellen Stand der Forschung, denn durch diese Trennung kommt es nicht nur zu einer Segregation der Schüler und Schülerinnen, sondern sie schließt auch ge­nau diese Kinder vom Fachunterricht aus und erlaubt einen Übertritt in die alters­mäßige Regelklasse nur in Ausnahmefällen.

Dazu soll anhand nur eines einzigen Tests festgestellt werden, ob jemand gut Deutsch kann oder nicht (Ruf bei der FPÖ: Na, wie soll man sonst testen?), das entbehrt auch jeder Forschungsgrundlage. Zum Glück haben wir es geschafft, dass es diesbezüglich eine Übergangsfrist von einem Jahr gibt und das nicht im September eingeführt wird. Das Curriculum wird ja gerade erstellt, es ist noch nicht einmal fertig. Es sind eigentlich noch viele Fragen offen, was die gesamte Vorlage betrifft.

Was mich aber besonders ärgert, gerade weil wir von den Grünen viel Energie in das Bildungsreformpaket 2017 gesteckt haben (Bundesrätin Mühlwerth: Na und?): dass die verpflichtende Einrichtung von Deutschklassen die hart verhandelte Schulauto­nomie massiv konterkariert. Ich glaube, man sollte den Pädagoginnen und Pädagogen, den Klassenleitern und den Schulleitern viel mehr Vertrauen entgegenbringen. Die PädagogInnen sollen selber entscheiden – sie sind die, die vor der Schultafel stehen, die dort stehen und unterrichten und jeden Tag mit den Schülern arbeiten –, wie und in welcher Form sie Deutschförderung gestalten wollen. Die PädagogInnen wissen ge­nau, nämlich wirklich genau, was die SchülerInnen brauchen. Sie brauchen aber Unter­stützung und nicht wieder irgendein Diktat, das vom Ministerium oder von oben herab kommt und sagt: Das muss jetzt so gemacht werden!

Ich gebe Ihnen schon recht, Herr Minister, wenn Sie sagen, wir haben Probleme an vielen sogenannten Brennpunktschulen. – Ja, die gibt es: Schulen, in denen es viele Schülerinnen und Schüler gibt, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Das ist absolut richtig, das geben wir zu, da brauchen wir die Augen nicht zu verschließen, da müssen wir etwas tun.

Um integrativ wirklich etwas zu bewirken, braucht es Geld – das wissen Sie –, dafür braucht es mehr PädagogInnen, es braucht kleinere Klassen, es braucht eine enge Verzahnung und Zusammenarbeit von Behörden, Sozialarbeiterinnen und Sozial­arbeitern und Schulpsychologen, und es braucht ganz klare Unterstützung von Ihnen und Ihrem Ministerium. Das wäre notwendig, um nicht wieder irgendeine Schlag­zeilen­politik zu machen, die nur darauf aus ist, zu zeigen: Liebe Österreicherinnen und Österreicher, keine Angst, wir separieren jetzt die Ausländerkinder von euren Kindern und damit ist die Bildung in Österreich gerettet! – Herr Minister, das ist zu wenig, das ist falsch, das reicht noch lange nicht, und das wissen Sie auch ganz genau.

Wir müssen allen Kindern in unserem Land die Möglichkeit geben, sich bestmöglich zu entwickeln, Freunde zu finden, sich zu integrieren, unsere Sprache zu lernen und die eigenen Talente zu entdecken. Man fördert das ganz bestimmt nicht, indem man Kindern den aktiven Sprachkontakt entzieht. Das wird nicht funktionieren. (Bundesrat Mayer: Genau das Umgekehrte ...!) – Ich habe gestern mit Harald Walser telefoniert, gerade Vorarlberg ist ein Vorzeigebundesland, wenn es um Integration geht; Edgar, das weißt du ganz genau. Da gibt es positive Beispiele, Schulen, die das vorantreiben, aktiv die PädagogInnen miteinbeziehen und wirklich unterstützen und fördern. Wir müssen es schaffen, dass die SchülerInnen auch aktiv beteiligt werden.

Wir wissen, dass Gelerntes gefestigt wird, wenn man es mit anderen teilt, wenn Schü­lerinnen und Schüler Lerninhalte gemeinsam erarbeiten können und von ihren jewei­ligen Talenten gegenseitig profitieren. Schwächere Kinder können Lerninhalte gemein­sam mit gleichaltrigen Kindern erarbeiten und dadurch besser verstehen lernen. Die stärkeren Schülerinnen und Schüler lernen, ihr Wissen so zu strukturieren, dass sie es anderen weitergeben können. Da braucht es keine Selektierung der Kinder, sondern es braucht eine Schule, die auf Chancengleichheit basiert und Pädagoginnen und Päda­gogen unterstützt, damit diese Kinder optimal und talentorientiert auf ihr weiteres Le­ben vorbereitet werden.

Herr Bildungsminister, Sie sollten sich nicht die Frage stellen: Wie verurteile ich Kin­der?, sondern: Wie schaffe ich einen Unterricht, der auf deren Fähigkeiten – und ja, da gehört Mehrsprachigkeit sehr wohl auch dazu – eingeht und sie fördert? Das wäre notwendig. Man braucht auch kein Bildungsexperte zu sein, um zu erkennen: Wenn man 25 Kinder, die wenig oder mangelhafte Deutschkenntnisse haben und untereinan­der nicht Deutsch sprechen, in eine gemeinsame Klasse steckt, werden weder sie es leicht haben, noch die PädagogInnen, sich individuell auf die Kinder und die Sprach­diagnostik einstellen zu können. Wenn man glaubt, dass es dann besser wird – na gut!

Herr Minister, Sie müssen nur über die Grenze nach Deutschland schauen, das kommt ja dann sicher auch. Wir Grüne fordern in den Ausschüssen schon seit Jahren ein Modell wie das in Hamburg entwickelte FörMig, das Sie vielleicht kennen. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon damit beschäftigt haben. Dieses Modell sieht eine durch­gän­gige additive Sprachförderung von der Volksschule bis zum Ende der Pflichtschulzeit vor und setzt auf die Einbindung der Eltern sowie auf regelmäßige Sprachstands­erhe­bungen.

Warum gibt es so etwas in Österreich noch nicht? – Ja richtig, es benötigt Geld, gerade im Bildungssektor. Eine gezielte, individualisierte Förderung der Bildungssprache setzt angemessene Arbeitsbedingungen in den Kinderbetreuungseinrichtungen und Schu­len – keine Schließungen wie in Oberösterreich; dort wurden Kinderbetreuungsein­rich­tungen geschlossen oder ihre Kapazitäten reduziert – sowie, beginnend mit der Ele­mentarpädagogik, eine deutlich bessere Ausbildung der PädagogInnen gerade in der Elementarpädagogik voraus. In Österreich zahlt man offensichtlich lieber später ein Vielfaches mehr für Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe, Qualifizierungskurse und so weiter als die jetzt notwendige Summe.

Sie haben in Ihrer Rede von den sogenannten Willkommensklassen in Deutschland geschwärmt, Kollegin Neurauter: Sie müssen auch dort ganz genau hinschauen. In Deutschland hatten die Klassen zwölf statt wie in Österreich durchschnittlich 17 Kinder. Am Land werden wir in diesen Sonderklassen vielleicht fünf oder sechs Schüler haben und in den Städten 30 oder ich weiß nicht wie viele pro Klasse. (Bundesrat Mayer: Du hast zu viel Fernsehen geschaut!)

In Deutschland werden die PädagogInnen sehr wohl stark von Sozialarbeitern, von SchulpädagogInnen, Schulpsychologen und ehrenamtlichen Helfern unterstützt. Problematisch ist aber in Deutschland – und das wird dort sehr harsch kritisiert –, dass diese Klassen irgendwo in den Hinterhöfen, in den hintersten Gängen der Schul­gebäude untergebracht sind und die SchülerInnen dort halt einfach nicht gelernt haben, untereinander Deutsch zu sprechen, weil sie zu Deutschen gar keinen Kontakt hatten. Das gab es. Diese Kritik gibt es auch in Studien. Man muss sich das mit den Willkom­mensklassen durchlesen. Man hat damit genau das Gegenteil bewirkt, man hat Paral­lelstrukturen geschaffen und nicht aufgehoben. Es hilft keinem, wenn man Kinder wieder separiert. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, ja, ist ja schon gut!)

Herr Minister, wenn es Ihnen wirklich um die Kinder geht, wenn es Ihnen wirklich um Integration geht, dann müssen Sie jetzt in eine gute Ausbildung der Lehrer investieren, in optimale Klassengrößen, in ausreichend Pädagoginnen und Pädagogen, in Schul­psychologInnen und SozialarbeiterInnen, in eine Implementierung von bundesein­heit­lichen Qualitätsstandards und – das ist ganz wesentlich – in eine Ausfinanzierung des Bildungsbereichs. Sie wissen, wie viele Millionen Euro wir da noch immer im Minus sind. Herr Minister, das würden wir brauchen. Was wir in Österreich aber ganz sicher nicht brauchen, das sind irgendwelche Ghettoklassen für unsere Kinder.

Schaffen wir wirkliche Chancen für unsere Kinder in Österreich und keine Ghetto­klas­sen! Das wäre dringend nötig. – Danke schön. (Beifall bei den Bundesrätinnen Dziedzic und Reiter sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

12.25

Vizepräsident Ewald Lindinger: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile dieses.