10.02.21

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte KollegInnen im Bundesrat! Liebe Zusehe­rIn­nen, vor allen Dingen liebe SchülerInnen auf der Galerie! Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wurde an Rechten nie etwas geschenkt, sie mussten immer erkämpft werden. Kein Arbeitgeber würde von sich aus sagen: Liebe Herrschaften, wir geben euch eine Sozialversicherung, wir geben euch ein besseres Arbeitsrecht! Das war bisher eine Kampfsituation, und das wird es auch immer wieder sein. Mühsam und mit vielen Anstrengungen haben die ArbeitnehmerInnenvertreter die Rechte für die Menschen erkämpft – so auch die Einrichtung der Sozialversicherung und das System der Selbstverwaltung. Zugang zum Gesundheitswesen haben derzeit 8,8 Millionen Menschen über die Krankenversicherung. Sechs Millionen Menschen werden bei Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfällen geschützt.

Das österreichische Sozialversicherungssystem ist hervorragend und effektiv, doch die Regierung scheint daran interessiert zu sein, das System zu destabilisieren. Auf dieses System kommen noch große Belastungen zu, denn wenn die gesetzliche Regelung zur Ausweitung der Arbeitszeit wirklich beschlossen wird, bedeutet das große gesund­heitliche Belastungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und in der Folge hohe Kosten für das Gesundheitssystem bei weniger Einnahmen aus der Sozial­ver­sicherung, weil Frauen noch stärker in Teilzeit gedrängt werden; damit werden eben die Einnahmen geringer. (Beifall bei der SPÖ.)

Was bedeutet die Selbstverwaltung für uns? – Es ist ganz einfach: Die Sozial­versiche­rung wird von Vertreterinnen und Vertretern der Versicherten und der Beitragszahle­rInnen geführt, diese werden demokratisch bestellt; MinisterInnen und Regierungs­vertre­terInnen haben eine Aufsichts- und Kontrollfunktion, aber kein Weisungsrecht.

In der Sozialversicherung werden täglich viele für die Menschen in Österreich wichtige Entscheidungen getroffen, etwa betreffend die ärztliche Versorgung, den Ankauf von Medikamenten, den Betrieb von Rehabilitationszentren, Zahnambulatorien und Unfall­spitälern. Derzeit tragen die VertreterInnen der Versicherten die Verantwortung dafür, doch die geplante Reform des Systems hat zum Ziel, diese Selbstverwaltung möglichst zu durchbrechen und zu zerstören. Es handelt sich also um eine reine Macht­ver­schiebung, nicht um eine Reform, denn der Einfluss der Arbeitgeberseite soll massiv aufgewertet werden.

Das ist ein weiterer schwerer Mosaikstein, der dazu dienen soll, den Einfluss der Wirt­schaft auf das Gesundheitssystem zu verstärken. Die Ankündigung der paritätischen Besetzung bedeutet einfach nur, dass die Arbeitgeber künftig über die Gesundheits­versorgung in Österreich bestimmen werden. Die VertreterInnen der Wirtschaft sind dann zur Hälfte in den Gremien jener Versicherungen vertreten, in denen sie selbst nicht versichert sind. In der Versicherung der Bauern und der Selbständigen findet sich keine einzige ArbeitnehmerInnenvertreterin und kein einziger ArbeitnehmerInnen­ver­treter. (Heiterkeit des Bundesrates Preineder.)

Wenn das Reformziel erreicht ist, also die Versicherten mit ihren Vertretern nicht mehr entscheiden können, dann ist es endlich möglich, Einrichtungen an private Betreiber zu übergeben. Das Ziel scheint zu sein – und das macht uns wirklich große Sorgen –, die Privatwirtschaft noch weiter in das Gesundheitsversorgungssystem eindringen zu lassen. Das ist insbesondere für all jene schwierig, die keine finanziellen Mittel haben, um das dann selbst finanzieren zu können.

Um den Boden für diese bedenklichen Aktionen zu bereiten, wurde das leider so be­liebte Instrument der Fake News – oder wie man in Wien sagt: das Gschichtldrucken – angewandt, und zwar nach dem Motto: Es ist nicht wahr, aber ein bissel was bleibt doch hängen. Es gab viele diskreditierende Vorwürfe gegen die VertreterInnen der Sozial­versicherung, aber kein Vorwurf hat gehalten. 90 Prozent der 1 000 ehrenamt­lichen FunktionärInnen erhalten pro Sitzung nur ein Sitzungsgeld von 42 Euro. Über­haupt beträgt der Gesamtaufwand der Selbstverwaltung nur 0,4 Prozent pro Versicher­ten pro Jahr.

Dieses Versicherungssystem ist derzeit ein ausgezeichnetes. Es muss darüber nach­ge­dacht werden, warum man dieses System jetzt im Zuge einer scheinbaren Reform zu zerschlagen versucht.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Bemerkung zu Fragen der Länder machen: Derzeit, bis Ende des Jahres, gibt es noch ein Budget für die Länder, ab 2019 gibt es ein Zentralbudget; dann wird man sehen, wie die Auswirkungen auf die Länder sein werden, das werden wir dann beobachten können. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

10.07

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster ist Herr Bundesrat David Stögmüller zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. – Bitte.