10.07.19

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche, mich dem Thema Reform der Sozialversicherung einfach einmal pragmatisch anzunähern. Fakt ist, dass das österreichische Gesundheitssystem als eines der besten Systeme weltweit gilt. Das ist weltweit bekannt und anerkannt, darauf dürfen wir also auch wirklich stolz sein. Alle Akteure im Gesundheitssystem versuchen ihr Bestes. Ich kenne das selber aus meiner Arbeit, denn ich bin immer noch als ehrenamtlicher Rettungs­sanitäter beim Roten Kreuz aktiv. Da kommt man mit der Bürokratie, also mit den Sozialversicherungsangelegenheiten, sehr wohl in engen Kontakt, das können Sie mir glauben. Ich erlebe die Probleme wirklich hautnah.

Hand aufs Herz: Wer von uns war noch nie mit unverständlichen und absurden Er­schei­nungen im Zusammenhang mit der Sozialversicherung konfrontiert? – Transport­scheine, Chefarztbewilligungen, dass etwa noch notwendige Untersuchungen erst genehmigt werden, nachdem eine offenkundig nicht aussagekräftige Untersuchung durchgeführt worden ist, dass eine Versicherungsanstalt eine Leistung nicht geneh­migt, die dem Versicherten in einem gleichartigen Fall von einem anderen Versicherer genehmigt worden wäre, oder dass ein großer Teil der Menschen Versicherungs­bei­träge für eine Versicherung zahlen muss, von der nie eine Leistung in Anspruch ge­nom­men wird; das ist genauso absurd.

Ich verstehe absolut, dass das Ärger hervorruft. Glauben Sie mir, ich weiß gar nicht, wie oft ich mich in den letzten Jahren über so manche Versicherungsträger, über so manche Abrechnungen geärgert habe – das ist wirklich unzählige Male der Fall ge­wesen. Wegen genau diesen Rückmeldungen aber, um die Ursachen des Ärgers zu analysieren und Abhilfe zu schaffen, wurde vor einem Jahr eine Studie bei der London School of Economics in Auftrag gegeben. Die Studie wurde von jenen Parteien, die heute auch die Regierung stellen, schwer kritisiert, was ich aber nicht verstehe, denn die Ergebnisse der Studie können sich sehen lassen.

Es wurden zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der Zusammenarbeit unter Trä­gern untersucht und bewertet, darunter verschiedene Vorschläge der FPÖ, das Kahl­schlagmodell der Industriellenvereinigung oder der Wirtschaftskammer, aber auch die Vorstellungen der SPÖ oder der Grünen. Was herausgekommen ist, war auch für mich ehrlich gesagt sehr überraschend, da ich zugegebenermaßen dem aktuellen System der mindestens 47 Versicherungsinstitute in Österreich – Sie sollten auch die Pen­sions­versicherungsanstalten und die KFAs in den Statutarstädten mit einrechnen, es sind also viel mehr – immer sehr kritisch gegenübergestanden bin.

In dieser Studie ist zu lesen, dass selbstverständlich Verbesserungen in der Sozial­versicherung möglich sind. Es wäre aber gefährlich, ein an sich gut funktionierendes System zu zerschlagen und durch ein neues zu ersetzen, von dem man nicht weiß, ob es überhaupt funktioniert. Zielführender ist es – so die Studie – im Rahmen des Be­stehenden Verbesserungen umzusetzen und dann nach erfolgten Verbesserungen zu schauen, welche Teile etwa verzichtbar sind oder verzichtbar geworden sind.

Frau Ministerin, Sie müssen auch ehrlich zugeben, dass die Versicherungsträger bereits vergangenen Sommer begonnen haben, diese Verbesserungen umzusetzen, und zwar nicht auf Druck der jetzigen Regierung, sondern schon unter der vorherigen. So wurde zum Beispiel in Oberösterreich die Chefarztpflicht für Medikamente abge­schafft und es wurden Leistungen vereinheitlicht, was wir Grünen nur begrüßen kön­nen; es wurde eh schon oft gesagt. Man könnte die Träger auch durch eine weitge­hende Harmonisierung der Leistungen zum Beispiel auch im ASVG unterstützen; Psychotherapien könnten zum Beispiel als Grundversorgungsleistungen definiert wer­den, damit sie für alle kostenfrei wären – das ginge genauso. Die Versicherungsträger haben gemeinsam Auftragsvergaben entwickelt, wie etwa bei der Rehabilitation für Kinder. Es werden aber auch Leistungen, etwa bei der Psychotherapie, verbessert und noch einiges mehr.

Das alles ist ohne Bundesregierung passiert – nicht unter Schwarz-Rot und auch nicht unter Schwarz-Blau –, sondern, ganz im Gegenteil, sogar gegen ihren Willen. Ich erin­nere nur an Kärnten, wo über Monate hinweg Projekte der Zusammenarbeit zwischen Unfallversicherung und Landesspitälern behindert worden sind, obwohl beide Seiten und vor allem die betroffenen Patienten davon profitiert haben. Mir kommt es ja leider so vor, als ob es da nicht einen Kampf um die Versicherten oder PatientInnen, sondern einen Kampf gegen die Sozialversicherungsträger der ArbeitnehmerInnen gibt.

Wir haben durchaus Probleme in der Sozialversicherung, die gelöst werden müssen. Ein Problem liegt etwa in der unterschiedlichen Versicherungsstruktur der Träger. Die Versicherungsanstalten der Beamten und der gewerblichen Wirtschaft haben sehr kontinuierliche Beitragseinnahmen, und sie kassieren Beiträge für Leistungen, die sie nie erbringen müssen, weil die Beitragszahlenden auch bei der GKK versichert sind. BeamtInnen werden in der Regel eben nicht arbeitslos, außerdem kassieren SVA und BVA von ihren Versicherten gesundheitspolitisch kontraproduktive Gebühren für ärzt­liche Behandlungen.

Bei den Gebietskrankenkassen sieht das anders aus. Bei denen sind die Versicherten mit niedrigen Einkommen, mit oftmals unterbrochenen Erwerbsbiografien oder mit Kriterien für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko und PensionistInnen mit den höchsten Gesundheitskosten versichert.

Wenn man das Wort Solidarität – so wie das Solidaritätsprinzip in der Sozialver­siche­rung vorkommt – ernst nimmt, könnte man vorschlagen, dass im Sinne eines Aus­gleichs die Sonderversicherungsträger aufgelöst und in die GKKs eingegliedert wer­den. Davon würden alle profitieren – beziehungsweise nicht ganz alle, denn es geht auch um Macht in den Institutionen. Da hat gerade die ÖVP natürlich sehr viel Macht, aber auch die SPÖ, was auch zu kritisieren ist, da gibt es Probleme, wie es auch der Ferdl richtig gesagt hat. Natürlich geht es hier um Machtkonzentration für die ÖVP.

Nur abschließend noch: Schaffen wir ein einheitliches System mit gleichen Rechten, gleichen Bedingungen, gleichen Beitragssätzen, gleichen Berechnungsregelungen und Leistungen für alle! Ich betone: für wirklich alle in diesem Land, in jeder der Versiche­rungssparten – Krankenversicherung, Pensionsversicherung, Unfallversicherung. Die­ser Prozess wird Jahre dauern, und wir müssen das angehen – da gebe ich Ihnen absolut recht –, aber nicht so, wie es momentan angedacht ist. Ich glaube, dass eine totale Zerschlagung der falsche Weg dazu ist. – Danke schön. (Beifall der Bundesrätin Dziedzic und bei der SPÖ.)

10.13

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Zur Abgabe einer abschließenden Stel­lungnahme hat sich nochmals die Frau Bundesministerin zu Wort gemeldet. – Ich erteile dir das Wort.