9.34.29

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Um sich der Konzeption des Wissenschaftsstandortes Österreich anzunähern, ist es notwendig, ei­ne Begriffsdefinition vorzunehmen und sich mit den Wissenschaftsfeldern, den Wis­sensorten und den Wissensformen im Wandel auseinanderzusetzen und diese für den Wissenschaftsstandort zu bestimmen.

Wissensfelder sind die Naturwissenschaften, die Geisteswissenschaften und die So­zialwissenschaften. Die Wissensorte – ich komme aus Wien – sind die Universität Wien, die Alma Mater Rudolphina, und auch außeruniversitäre Forschung. Ich konzentriere mich in meinen Ausführungen auf die innerbetriebliche Forschung in den Unterneh­men. Wissensformen im Wandel, das ist vor allem der Digital Turn, das Zeitalter der Di­gitalität, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

Zu den Wissensfeldern: Wann wurden die Naturwissenschaften begründet? Francis Bacon, ein großer Universalgelehrter aus dem 16. Jahrhundert hat gemeint, Erkennt­nisse werden nur aus Beobachtungen, aus dem Experiment, aus der empirischen For­schung gewonnen. Er war der Wegbereiter der Naturwissenschaften.

Die Geisteswissenschaften hatten ihren Ursprung in Wilhelm Dilthey, dem deutschen Philosophen aus dem 19. Jahrhundert, der die Geisteswissenschaften begründete. Die Methoden der Geisteswissenschaft: die Heuristik, das Auffinden des Quellenmaterials, die Hermeneutik, die Deutung und Textanalyse, um zu Interpretationen und zu Schlüs­sen zu kommen und Ursachen- und Wirkungsforschung, um Ergebnisse und Erkennt­nisse erzielen zu können.

Die Wissensorte sind zweifelsohne die Universitäten, die öffentlichen Universitäten, die in Österreich an vorderster Stelle stehen. Thun-Hohenstein hat Mitte des 19. Jahrhun­derts die Forschung an die Universitäten gebracht und seine Thun-Hohenstein’sche Universitätsreform ist beispielgebend bis heute: die Lehr- und die Lernfreiheit, die In­tegration, die Forschung an den Universitäten und die Unterteilung in Lehre und Wis­senschaft.

Im Staatsgrundgesetz von 1867 heißt es: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Das steht bis heute in unserer Verfassung und ist gültiges Paradigma für die Wissen­schaft in Österreich.

Im 19. Jahrhundert gab es vier Fakultäten: die Medizin, die Jurisprudenz, die Theologie und die Philosophie. Die Philosophie teilte sich dann in die Geistes-, Natur- und So­zialwissenschaften auf. Heute hat die Universität Wien 15 Fakultäten und feierte vor drei Jahren ihr 650-jähriges Bestehen.

Was ist Wissenschaft? – Max Weber, der große Soziologe, definiert Wissenschaft ei­gentlich am besten. 1917 schrieb er den aufsehenerregenden Artikel „Wissenschaft als Beruf“. Berufung zum Wissenschafter muss gegeben sein, wenn Kreativität, Speziali­sierung und eine Arbeitsmethodik vorhanden sind, wobei als Grundvoraussetzung im­mer – und das vergisst die SPÖ immer – Leidenschaft dahinter sein muss. Es geht nicht immer ums Geld, es geht um Leidenschaft. Das ist eine ganz wichtige Voraus­setzung dafür, dass erkenntnistheoretische Ergebnisse gelingen mögen. Erkenntnis­theorie hat immer auch mit Neuem zu tun.

Max Weber sagt auch, die Universität ist der zentrale Ort der Wissenschaft. – Seit dem 19. Jahrhundert hat das in Österreich besondere Gültigkeit.

Gehen wir ins 20. und 21. Jahrhundert: Der große amerikanische Wissenschaftstheore­tiker Thomas Khun ist leider schon verstorben und hat damit den Digital Turn nicht mit­erlebt, aber wenn man seinen Paradigmenwechsel auf das Zeitalter der Digitalität über­trägt, so ist die Wissensform dem größten Wandel ausgesetzt, dem Umstieg – um ei­nen Bogen über die tausendjährige Geschichte zu spannen – von den Handschriften über das Buch, vom Buch über das Zeitalter der Digitalität auf den Personal Computer.

Christoph Meinel, ein deutscher Wissenschafter für Informatik, hat vor Kurzem in sei­nem Buch „Instrument – Experiment“ geschrieben: Mit der Wende zum 21. Jahrhundert erlebte die experimentelle Forschung unter Verwendung wissenschaftlicher Instrumen­te einen wahren Hype. Das Instrument und das Labor sind die Mittel, um über das Experiment praxisbezogene Theorien zu explorieren, also zu erforschen. – Zitatende.

Der Digital Turn, die Informatik als Schnittstelle, ist auch für die Geisteswissenschaften nicht zu vergessen, hier gibt es eine Symbiose zwischen allen Wissenschaften, näm­lich Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Eine In­terdisziplinarität – fächerübergreifend – ist besonders wichtig.

Dieser Digital Turn wirft aber noch immer aktuelle Fragen auf, auf die ich kurz einge­hen möchte: Beim digitalen Archiv und bei der digitalen Bibliothek, beim Onlinezugriff auf den Volltext hat Österreich noch Nachholbedarf. Dies ist auch beim Scannen von Büchern der Fall, womit ich aber nicht das Scannen eines Zettelkastens, der dann online gestellt wird, meine, sondern das Scannen des Volltexts, damit das ganze Buch online gelesen werden kann. Da sind zum Beispiel Kanada und die USA Vorbild, denn wenn man dort in einem Buch online umblättert, hört man sogar das Rascheln des Blattes mit. Das wird online besonders eindrucksvoll dargestellt, damit es auch wirklich beim Wissenschafter und Forscher selbst ankommt.

Die Digitalisierung von Quellen und Literatur ist ein wichtiges Thema für die Forschung, die natürlich mit der Digitalität, mit dieser Zugriffsmöglichkeit einen Quantensprung ge­macht hat.

Ein Problem für junge Wissenschafter – und das muss man auch sehen – ist, dass die Verlage, die Buchverlage Liquiditätsschwierigkeiten haben. Das heißt, junge Forscher haben Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden, der ihre wissenschaftlichen Arbeiten publiziert. Hier springen zwar deutsche Verlage ein, jedoch mit Eigenbeteiligung, weil es kein Geschäft ist und weil, wenn man nicht populärwissenschaftlich schreibt und publiziert, dieses Buch auch nicht verlegt wird, weil man nicht eine Auflage von Tau­senden produzieren kann. Wenn man heute bei Amazon schaut – das kann jeder nach­vollziehen –, wird man feststellen, dass Bücher, Standardwerke, die vor zehn, 20 Jah­ren noch reihenweise zum Verkauf im Einzelhandel angeboten worden sind, nicht mehr aufgelegt werden, nicht mehr auffindbar sind. Daher haben die Bibliotheken und die Archive meiner Meinung nach in Zukunft eine wesentlich zentralere Bedeutung als heute und ist es noch wichtiger, dass diese Bestände wirklich gepflegt und für eine Online­bibliothek gescannt werden. Ich ersuche darum, dass dies im Rahmen der öffentlichen Bibliotheken in Österreich vorangetrieben wird und die entsprechenden Budgetmittel dafür zur Verfügung gestellt werden.

Weg von den Universitäten hin zur außeruniversitären Forschung: Wenn man sich die Patenterteilungen des Österreichischen Patentamtes von 2017 ansieht, stellt man fest, unter den Top Ten sind neun Unternehmen. Das heißt, Forschung und Entwicklung, die Erfindung von neuen Technologien findet heutzutage zentral im Rahmen der ange­wandten Forschung im Betrieb selbst statt. Die Technische Universität Wien ist immer dabei. Wenn man die Jahre zurückgeht, 2015/2016, sieht man, es sind immer diesel­ben Unternehmen, zwar in einer anderen Reihenfolge, aber es ist ein ziemlich stati­scher Weg. Das heißt, die innerbetriebliche Forschung, die Innovation, der Innovator, der unternehmerische Innovator hat offensichtlich eine wichtige Stellung in Österreich, und das ist auch eine gute Entwicklung.

Da darf ich auf Joseph Schumpeter zurückkommen, der bis heute aktuell ist und den Forschungsstand auch diesbezüglich mitbestimmt. 1912 schrieb er in seinem Werk „Theo­rie der wirtschaftlichen Entwicklung“: Der innovative Unternehmer, der permanente In­novator will auch im internationalen Umfeld bestehen und mithalten. – Das heißt also, er muss forschen, er muss erfinden. Das sieht man heute an Apple und an all den technologischen Entwicklungen, wie rasant, wie rapide sie voranschreiten und wie sehr notwendig permanente Erfindungen und Patente sind.

Erfindungen sind Eigentumsrechte; das englische Wort intellectual properties sagt das besser aus. Plagiate sind kein Kavaliersdelikt, es ist ein Eigentumsdiebstahl, und da sollte man China jedenfalls in die Schranken weisen.

Ich möchte zum Schluss drei österreichische Erfinder und Forscher aus den Bereichen Naturwissenschaften sowie Sozial- und Geisteswissenschaften erwähnen. Das ist ers­tens der großartige Forscher Carl Auer von Welsbach. Sein Porträt fand sich auf der 20-Schilling-Note. Er hat mit Seltenen Erden experimentiert und so viel experimentiert, dass er es mit seinem Leben bezahlen musste, weil radioaktive Strahlen offensichtlich seine Gesundheit schädigten. Seine unternehmerische Kraft wirkt bis heute: Die Trei­bacher Industrie und Osram haben Tausende Mitarbeiter, Osram hat es vor wenigen Jahren sogar an die Börse in Deutschland geschafft – ein Erfolg Auer von Welsbachs, der ihm persönlich als Erfinder und Unternehmer und damit Innovator zuzuschreiben ist.

Der für mich zweite größte Forscher, meines Erachtens der absolut größte Thinktank, den Österreich je hervorgebracht hat, ist Ludwig von Mises und sein Kreis. In der Wirt­schaftskammer Wien erinnert heute eine Erinnerungstafel an diese große Forschungs­gruppe, deren Anbringung ich mir erlaubt habe in der Wirtschaftskammer zu beantra­gen, was dankenswerterweise auch umgesetzt wurde.

An dritter Stelle der Aktualität ein Forscher aus den Geisteswissenschaften, um zu zei­gen, dass auch Geisteswissenschaften Publizitätskraft haben: der Vielschreiber und in­ternational hoch angesehene Fakultätsvorstand im Institut Osteuropäische Geschichte Oliver Jens Schmitt, der vor Kurzem eine Monographie über Albanien verfasst hat, die sogar die albanische Regierung zu Repliken veranlasst hat. Er hat über Skanderbeg geschrieben und hat diesem Skanderbeg praktisch das Kleid ausgezogen. Seine Mo­nographien und wissenschaftlichen Aufsätze sind wie gesagt ein Beispiel dafür, dass die Geisteswissenschaften sehr wohl Potenzial haben und international auch als Grund­lagenforschung apostrophiert werden können.

Zum Schluss darf ich sagen, der Wissenschaftsstandort Österreich als Erfolgsmodell bedarf ständiger Aufmerksamkeit und muss selbst zum permanenten Innovator im Schum­peter’schen Sinne werden. Zugleich ist ein funktionierender Wirtschaftsstandort auch identitätsstiftend – für Österreich als kleines Land ganz wichtig. Alle Voraussetzungen für einen Erfolg sind vorhanden. Alles Gute, Herr Minister! (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

9.45

Präsidentin Inge Posch-Gruska: Danke schön.

Für eine erste Stellungnahme hat sich der Herr Bundesminister für Bildung, Wissen­schaft und Forschung zu Wort gemeldet. – Bitte sehr.