Gedenkworte anlässlich der Novemberpogrome 1938

Präsidentin Inge Posch-Gruska: Sehr geehrte Zuseherinnen! Sehr geehrte Zuseher! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir ein Anliegen, an die morgen 80 Jah­re zurückliegenden Novemberpogrome zu erinnern.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren die blühenden jüdischen Ge­meinden im Burgenland bereits zerstört. Im Burgenland wurde besonders rasch, aber ebenso grausam wie in anderen Regionen gegen die jüdische Bevölkerung vorgegangen.

Anfang Oktober 1938 hieß es in der Zeitung „Grenzmark Burgenland“:

„Am 29. und 30. September verließen die letzten Juden Mattersburg. Der Ort, der sei­ner 530 ansässigen Juden wegen Jahrhunderte hindurch berüchtigt war, ist somit gänz­lich judenfrei.“

Im November 1938 wurden die meisten Jüdinnen und Juden aus dem Burgenland be­reits vertrieben. Die Pogromangriffe richteten sich daher gegen alles, was von der jü­dischen Kultur noch übrig geblieben war. Synagogen wurden gesprengt, jüdische Bet­stuben, Versammlungsräume, Geschäfte, Wohnungen, aber auch Friedhöfe wurden verbrannt und verwüstet. In den Tagen vom 7. bis zum 13. November wurden im da­maligen Deutschen Reich mehrere Hundert jüdische Menschen grausam getötet, meh­rere Zigtausend wurden in Konzentrationslager gesperrt, wo viele von ihnen ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Die Pogrome markieren damit den Übergang von der Diskriminierung der Jüdinnen und Juden zu ihrer systematischen Verfolgung im Nationalsozialismus.

Einen „spontanen Ausbruch des Volkszorns“ benannte Reichspropagandaminister Jo­seph Goebbels diese abscheulichen Verbrechen an der jüdischen Minderheit, als ob es eine Rechtfertigung für Enteignung, für Mord oder für Menschenverachtung gäbe. Die von ihm geprägte Bezeichnung „Reichskristallnacht“ sollte, die Gewalttaten und den Tod verharmlosend, auf die vielen zersplitterten Glasscherben von Synagogen und jü­dischen Geschäften hinweisen.

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Erinnern heißt nicht nur nicht vergessen, erin­nern heißt auch kämpfen. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass wir niemals vergessen, wozu wir Menschen fähig sind, und zwar zu Hass, zu Gewalt, zu Verfol­gung mehrerer Millionen Menschen, aber auch zu Mord. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Ermordeten und Verfolgten und dass ihr Tun oder ihre Worte niemals ver­gessen werden. Und wir müssen dafür kämpfen, dass unsere demokratische Republik, der Frieden, vor allem aber auch das friedliche Zusammenleben in unserem Land be­wahrt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Teil der österreichischen Politik, der österreichi­schen Gesetzgebung, aber auch als Zukunftskammer ist die Verantwortung, die wir hier tragen, sogar eine noch größere. Erinnern heißt, die Zeichen richtig zu deuten und aktiv Stellung zu beziehen, wenn Unrecht geschieht. Es liegt an uns, den Anfängen zu wehren.