10.20

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrter Landeshauptmann! Werte Kollegen und Kolleginnen! Das Thema Europa könnte ja nicht aktueller sein, nicht nur im Vorfeld der anstehenden EU-Wahl am 26. Mai, son­dern auch deshalb, weil wir noch nie in der Geschichte der Europäischen Union – wa­ge ich zu sagen – vor größeren Herausforderungen gestanden sind als aktuell; darin sind wir uns, glaube ich, hier parteiübergreifend – ich sehe, auch die ÖVP nickt – einig. Nur die Antworten sind natürlich unterschiedlich – auch das wenig überraschend, da wir unterschiedlichen Fraktionen und Parteien angehören.

Heute war schon Thema, dass mit Großbritannien zum ersten Mal ein Land diese Ge­meinschaft verlassen wird und uns das natürlich auch in Österreich vor große He­rausforderungen stellt. Da zeigt sich aber schon die Unterschiedlichkeit, auch in der Perspektive: Die einen legen den Fokus nur auf österreichische Interessen, die ande­ren sind mehr bemüht, gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten zu schauen, wie wir diesen Verlust, diesen Brexit gut über die Bühne bringen und womöglich auch kom­pensieren.

Im Gründungsland Italien, das werden Sie wissen, regieren ja mittlerweile Antieuro­päer. In Polen, in Rumänien, in Ungarn – auch das sind immer wieder genannte Bei­spiele – werden der Rechtsstaat, die Demokratie, aber auch die Selbstbestimmungs­rechte der Frauen angegriffen. Leider muss man sagen, dass diese Entwicklung auch vor Österreich nicht haltmacht, und daran – dies ist auch meine Kritik, die Sie mittler­weile schon kennen – ist die österreichische Regierung nicht ganz unbeteiligt.

Aber nochmals ganz zurück zur Metaebene: Wir wissen, dass die transatlantische Partnerschaft, die ja als Garant auch für unsere Sicherheit gegolten hat, mittlerweile am seidenen Faden hängt, weil auch in den USA ein Rechtspopulist regiert, dem inter­nationales Recht nicht mehr so wichtig zu sein scheint und der Europa auch zum wirt­schaftlichen Feind erklärt hat. Währenddessen und gleichzeitig sind wir damit konfron­tiert, dass Menschen weltweit vor Krieg, vor Verfolgung und Hunger fliehen, dass unser Planet sich rasant erhitzt und dass die Vielfalt mittlerweile nicht als etwas Bereichern­des empfunden wird, sondern als Bedrohung.

Die Unsicherheit der Menschen wird von den einzelnen europäischen Regierungen na­türlich auch deshalb zum Thema gemacht, weil man daraus sehr gut politisches Klein­geld schlagen kann. Die Antworten sind nicht differenziert, sondern sehr oft verein­facht, und genau darin sehe ich das größte Problem, vor dem Europa gerade steht. Der Populismus, der herrscht, wird zudem durch die Unfähigkeit der europäischen Re­gierungen genährt, die darin liegt, dass sie sich in dieser Frage eben auf das Regio­nale, auf das Föderale beschränken. Das ist zwar nicht immer schlecht, aber die Be­schränkung führt dazu, dass man die Weitsicht verliert und hier in einer Kurzsichtigkeit agiert, die weder Österreich noch Europa guttut noch die globalen Herausforderungen tatsächlich bewältigen kann.

Ein Beispiel dafür ist sicherlich – ich gehe jetzt nicht weiter auf die EU-Ratspräsident­schaft Österreichs ein, die ja vor zwei Monaten erst geendet hat (Bundesrat Längle: Die war sehr gut, ja!), aber ein Beispiel sei erwähnt, weil das ja bis heute Auswirkun­gen hat und uns in Europa weiterhin beschäftigen wird; das war nämlich gleichzeitig auch ein Tiefpunkt dieser Ratspräsidentschaft – der Beschluss der Familienbeihilfenin­dexierung. Ich erwähne dieses Beispiel deshalb, weil es nämlich, wenn wir über Euro­pa reden, über Solidarität reden, über Souveränität reden, natürlich sehr gut deutlich macht, wie sich Österreich aktuell innenpolitisch und Europa gegenüber positioniert: Es setzt nicht auf Solidarität, es setzt nicht auf die Schaffung von Gleichheit zwischen den Mitgliedstaaten, sondern verschärft umso mehr diese Spaltung, die auch zu dem be­reits erwähnten Brexit geführt hat. (Bundesrat Längle: Das ist ja lächerlich!)

Eines möchte ich schon noch festhalten, weil sich die FPÖ natürlich als Regierungs­partei mittlerweile viel subtiler gibt, wenn es um Aussagen in Richtung Europa geht: Einige von Ihnen werden sich vielleicht erinnern, was der aktuelle Vizekanzler Strache noch 2014 gesagt hat, nämlich dass er selbstverständlich dafür ist, die Österreicher und Österreicherinnen zu befragen, ob sie und wie sie zu einem Austritt Österreichs aus der Europäischen Union stehen. Das ist nicht so lange her. (Bundesrat Rösch: Das stimmt einfach nicht! Das ist falsch! Das ist einfach falsch! Das hat er nicht ge­sagt!) Es könnte schon sein, dass bei Ihnen ein Sinneswandel stattgefunden hat, aber ich warne davor, nicht genauer hinzuschauen (Bundesrat Schuster: Wir warnen vor den Grünen!), wenn Sie jetzt in Ihren schön geschriebenen, auswendig gelernten Sonntagsreden behaupten, dass Sie sich für das Gemeinsame einsetzen, gleichzeitig aber im Hintergrund alles tun, um hier zu spalten, und Österreich insofern nichts Gutes tun, als Sie behaupten, zuerst auf Österreich zu schauen, gleichzeitig aber vergessen, dass Österreich ein wichtiger Teil dieser Europäischen Union ist.

Auf die Spirale der Angst, mit der wir es zu tun haben, gibt es ebenfalls unterschiedli­che Antworten. Wir können den Menschen in Europa, in Österreich Mut machen, wir können aber diese Angst auch vertiefen. Auch das ist eine Kritik meinerseits: Ich orte gerade bei den Freiheitlichen, dass sie versuchen, aus dieser Angst nur noch mehr politisches Kleingeld zu schlagen (Bundesrat Steiner: Sagen Sie das einmal den Fami­lien der Opfer! Genau das!), anstatt auch ihre Wähler und Wählerinnen dort abzuholen, wo ihre Sorgen sind (Bundesrat Steiner: Sagen Sie das einmal den Familien der Op­fer! – Unglaublich!), und gleichzeitig zu sagen, dass wir nur gemeinsam als Europa in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, in Zusammenarbeit mit den anderen Mit­gliedstaaten überhaupt imstande sind, Lösungen auf europäische, auf globale Heraus­forderungen zu finden.

Sie sagen ja gerne: Austria first! – Stellen Sie sich vor, Trump würde hergehen und be­haupten: Texas first! – Das wäre undenkbar! Sie wehren sich gegen vereinigte Natio­nen, Sie wehren sich gegen eine gemeinsame Republik Europa, Sie wehren sich ge­gen gemeinsame Lösungen, sehen aber nicht, dass die Stärke beispielsweise auch der USA genau dieser Zusammenhalt ist, dass genau diese vereinigten Nationen sie aus­machen – und nicht die Kurzsichtigkeit; insofern sollten Sie sich vielleicht hier ein ande­res Beispiel suchen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ist sie jetzt Trump-Fan geworden? – Bundesrat Krusche: Ja, schaut so aus! – Heiterkeit der BundesrätInnen Mühlwerth und Krusche.)

Tatsache ist, dass Europa jedenfalls ein großer Faktor ist, auf den wir nicht verzichten können und auf den wir Grünen natürlich auch nicht verzichten wollen. Die europäische Idee ist aus meiner Sicht das Wertvollste, was dieser Kontinent je geschaffen hat. Ge­rade in dieser schwierigen Zeit mit all ihren Herausforderungen sind wir als Repräsen­tanten auch von Österreich gefordert, hier wirkliche Antworten zu finden und keine ver­kürzten. Ich glaube, es wird umso wichtiger sein, im Vorfeld dieser Europawahl dieses Versprechen betreffend Europa zu erneuern – und nicht den Menschen zu verspre­chen, dass wir die Probleme national lösen können.

Ein letzter Gedanke noch dazu: Subsidiarität ist ja hier im Bundesrat, in der Länder­kammer, immer wieder Thema und wird ins Treffen geführt, wenn es darum geht, dass wir unsere Probleme vermeintlich nur auf nationaler Ebene lösen können. Ich möchte Sie, und hier vor allem die christlich-soziale ÖVP, an die geistesgeschichtlichen Wur­zeln dieser Subsidiarität erinnern. Diese geht nämlich auf das calvinistische Gemein­wesenkonzept im 16. Jahrhundert zurück, und im 19. Jahrhundert wurde es dann auch von der katholischen Soziallehre aufgegriffen. In der Europäischen Union konnte es erst in den Siebzigerjahren Fuß fassen, als es damals um die Auseinandersetzung ging, wo die Kompetenzen wie gelagert sind.

Wieso erwähne ich das alles? (Bundesrat Krusche: Das frag’ ich mich auch!) – Die Subsidiarität hatte immer einen sehr starken sozialen Aspekt, sie hat sich immer nur dann selbst wirklich erfüllt, wenn sie solidarisch war. Und genau das ist der Punkt: dass wir hier mit Subsidiarität, mit dem Wort Souveränität, wie wir es heute in Österreich auch benutzen, ganz, ganz anders umgehen, dass diese Solidarität ganz, ganz anders verstanden wird, als sie ursprünglich angelegt war, und die politischen Interessen der zwei Regierungsparteien mehr im Vordergrund stehen als eben diese gemeinsame so­ziale Idee dessen.

Fall das nicht genügt und weil ich die Sonntagsreden heute schon erwähnt habe, wür­de ich gerne sogar Papst Franziskus zitieren, der nämlich 2014 bei seiner Ansprache im Europaparlament und im Europarat in Straßburg Folgendes sagte, was uns auch im Bundesrat beschäftigen sollte – Zitat –: „Das Motto der Europäischen Union ist Einheit in der Verschiedenheit, doch Einheit bedeutet nicht politische, wirtschaftliche, kulturelle oder gedankliche Uniformität. [...] Man muss sich immer an die besondere Struktur der Europäischen Union erinnern, die auf den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiari­tät gründet, so dass die gegenseitige Hilfe vorherrscht und man, beseelt von gegensei­tigem Vertrauen, vorangehen kann.“

Sie, finde ich, verlassen ein bisschen diesen Weg, der in diesem Zitat beschrieben wird, und versuchen, die Solidarität unter den Tisch zu kehren. Ich glaube, das ist kein richtiger Weg für den europäischen Zusammenhalt, und ich hoffe, dass sich christlich-sozial eingestellte Menschen immer mehr aus der Deckung wagen und wie auch heute wieder ein Ex-Bürgermeister – nicht nur gestern – sagen: „Arno, ich gehe mit dir“, ich mach’ bei dieser unsolidarischen Auslegung der christlich-sozialen Werte einfach nicht mit! Mir ist dieses Europa viel zu wichtig, deshalb sage ich: Stopp!

Ich glaube, das bringt Sie mit der Zeit vielleicht ein bisschen zur Räson, und ich hoffe auch mit Blick auf Ihren Koalitionspartner, dass Sie vielleicht überlegen, für wen Sie da Steigbügelhalter sind und wie Sie angesichts dessen überhaupt noch argumentieren können, eine Europapartei zu sein, die wirklich im Sinne der christlich-sozialen Solida­rität handelt und die das Gemeinsame in den Vordergrund stellt. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

10.32

Präsident Ingo Appé: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Landeshauptmann Peter Kai­ser. Ich erteile ihm dieses.