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Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Gernot Blümel, MBA: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tagesord­nungspunkt ist ja die EU-Jahresvorschau für das Jahr 2019 in den Bereichen des Bun­deskanzleramtes. Ich darf vielleicht auf zwei Aspekte eingehen. Das eine hat einer der Redner bereits angesprochen, es ist die Verhandlung zum Mehrjährigen Finanzrah­men, dem nächsten europäischen Budget – zweifellos eine der großen Herausforde­rungen, die uns im Jahr 2019 bevorstehen.

Im Normalfall dauern Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen zwei bis drei Jahre. Das heißt, würden wir es schaffen, sie in diesem Jahr abzuschließen, wären wir doppelt so schnell wie der Durchschnitt. Dazu haben wir durch die Arbeit während der Ratspräsidentschaft eine gute Basis gelegt, sodass dies derzeit zumindest möglich er­scheint.

Es hilft, vielleicht ein wenig Klarheit in die Debatte zu bringen, wenn es um die Höhe des möglichen Beitrages geht. Es ist völlig richtig, dass das wohl tatsächliche Aus­scheiden Großbritanniens aus der EU eine Lücke ins potenzielle Budget reißen wird. Großbritannien war ein Nettozahler, insgesamt lag der Beitrag, je nach letztgültiger An­gabe, irgendwo zwischen 13 und 15 Milliarden Euro. Wenn man den Nettobeitrag her­nimmt, also die Rabatte abzieht, sind es circa 6, 7 Milliarden Euro, die natürlich fehlen würden.

Der springende Punkt, den viele außer Acht lassen, ist allerdings: Selbst wenn wir den Beitrag der Briten abziehen, aber trotzdem bei einem Beitrag von 1 Prozent des Brutto­nationaleinkommens, so wie bisher, blieben, gäbe es über die nächste Periode hinweg in absoluten Zahlen 115 Milliarden Euro mehr im europäischen Budget als im letzten. Warum? – Weil das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren entsprechend war. Das heißt, 1 Prozent für die nächsten Jahre ist in absoluten Zahlen wesentlich mehr, als es 1 Prozent in den letzten Jahren war. Deswegen würde ich aufpassen: Wenn man sagt, es würden alle etwas verlieren, wenn man bei diesem1 Prozent bleibt, stimmt das nicht notwendigerweise. Wenn man sich die absoluten Zahlen hernimmt, dann kann das gar nicht der Fall sein.

Eine Frage ist, wie man gewichtet, womit wir schon wieder in einer anderen Debatte sind. Wenn ich an das österreichische Budget denke, dann gibt es auch darin sehr, sehr viele Bereiche, in denen keine automatische Inflationsanpassung passiert. Dass man das jetzt für die europäische Ebene automatisch voraussetzt und sagt: Na wenn es 1 Prozent bleibt, dann wird es weniger als früher!, finde ich nicht ganz folgerichtig.

Deswegen sagen wir: 1 Prozent ist definitiv etwas, mit dem man das Auslangen finden kann, wenn man sich dazu bekennt, sachlich über die Verteilung zu diskutieren. Es braucht aber nicht prinzipiell jeder Angst zu haben, dass es weniger wird, denn in ab­soluten Zahlen wird es insgesamt mehr. Da aber beim Budget Einstimmigkeitspflicht herrscht, werden das noch recht intensive und lange Verhandlungen, die auch sehr weit ins Detail gehen werden.

Ein zweiter Bereich, der im Jahr 2019 ansteht, ist die Frage der Debatte um die Zukunft Europas. Die rumänische Ratspräsidentschaft hat eine große Zukunftskonferenz in Sibiu im Mai angesetzt, bei der es um die Perspektive für diese gemeinsame Union gehen soll. Natürlich wird auch da der Elefant im Raum, der Brexit – der allgegenwärtig ist, auch wenn er nicht auf der Tagesordnung steht –, eine wesentliche Rolle spielen: Wie kann eine Union in zehn oder 20 Jahren ohne ein Vereinigtes Königreich ausse­hen? Was können wir vor allem auch aus der Tatsache, dass die Union nun ohne Großbritannien auskommen muss und sich die Briten in einer Abstimmung dafür ent­schieden haben, gehen zu wollen, lernen?

Eigentlich muss das ja auch als eine große Chance gesehen werden, aus den Fehlern, die in Großbritannien gemacht worden sind, zu lernen, damit sich das in Zukunft im restlichen Europa nicht wiederholt.

Wenn man sich die Motivlage ansieht, warum die Britinnen und Briten für den Austritt gestimmt haben, dann hat es ein Thema gegeben, das die Hauptmotivation war, nämlich die Angst vor Migration. Das ist ein Faktum, das können Sie in allen Motivfor­schungen betreffend Brexit nachvollziehen. Es war die Angst vor Migration, und ich rede nun nicht darüber, ob es sachlich gerechtfertigt war oder nicht, es war einfach die Emotionslage. Zweitens waren es Wohlstandsverlustängste und drittens Kontrollver­lustängste. Das waren die drei wesentlichen Aspekte, warum die Britinnen und Briten sich dafür entschieden haben, die Union zu verlassen.

Wenn wir daraus etwas lernen wollen, um die Zukunft Europas besser zu gestalten und um nicht Gefahr zu laufen, dass auch andere Länder diesen Weg der Briten gehen wollen, dann müssen wir als Erstes von dem, was dort passiert ist, lernen, die Ängste der Bevölkerung auch ernst nehmen und sie respektieren und versuchen, diese He­rausforderungen zu lösen. (Bundesrätin Schumann: ... soziale Bedingungen beach­ten!)

Genau aus diesem Grund haben wir als österreichische Ratspräsidentschaft das Mot­to, ein Europa, das schützt, gewählt: erstens Schutz vor illegaler Migration, weil diese natürlich ein wesentlicher Bestandteil der Ängste der Menschen war und ist; zweitens Schutz des Wohlstandes in Europa durch eine intensivere Wettbewerbsfähigkeit, auch was den digitalen Binnenmarkt betrifft – das heißt auch Level Playing Field, Wettbe­werbsgleichheit für europäische, für österreichische Internetunternehmen verglichen mit den großen amerikanischen Konzernen, was ganz, ganz wichtig ist, das heißt Copyrightrichtlinie, Eigentumsschutz im digitalen Raum, faire Besteuerung von Google, Facebook et cetera, also lauter wesentliche Dinge, um den gemeinsamen Binnenmarkt zu stärken –, und drittens Stabilität in der Nachbarschaft.

Die Staaten am Westbalkan, in Südosteuropa, sind ja schon angesprochen worden. Ich halte das gerade in diesem Jahr für einen der wesentlichen Aspekte. Gerade wenn ein Land in diesem Halbjahr die Union verlässt, sollten wir ein Zeichen setzen, dass das nicht zu einem Schrumpfen der EU führt, sondern dass wir diese Chance wahr­nehmen und ernst nehmen und eine Erweiterung deswegen absichtlich ins Auge fas­sen sollten.

Das war auch einer der wesentlichen Aspekte während der österreichischen Ratspräsi­dentschaft, nämlich die Länder am Westbalkan zu motivieren, den Weg Richtung Eu­ropa weiterzugehen. Das heißt aber auch, dass die Hand der EU ausgestreckt bleiben muss und nicht zurückgezogen werden darf. Wenn wir das nämlich tun, wenn wir die Motivation, die es in Südosteuropa für die Transformationsprozesse Richtung Europa gibt, nicht ernst nehmen und nicht wertschätzen, dann werden dort skeptische und na­tionalistische Kräfte auftreten, die sagen: Die wollen uns ja gar nicht, machen wir es lie­ber anders!

Das darf nicht passieren. Deswegen sollten wir die Entwicklung ernst nehmen, die es beispielsweise in der Konfliktlösung zwischen Nordmazedonien und Griechenland ge­geben hat. Das ist auch eine Motivation für die Konfliktlösung zwischen Pristina und Belgrad. Es gehört sich da auch, dass, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, Euro­pa hoffentlich den nächsten Schritt geht und im Juni mit Albanien und Nordmazedo­nien, die ja die Anforderungen erfüllt haben, Beitrittsverhandlungen eröffnet. Dafür wer­den wir uns in diesem Halbjahr besonders einsetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

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