12.32

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen! Das war von meiner Vorrednerin jetzt quasi aufgelegt: Wann wart ihr das letzte Mal in einer Schule? – Ich stehe tagtäglich in einer Schule (Bundesrat Steiner: Heute? Heute auch?), ich habe tagtäglich meine Un­terrichtsstunden, und ich weiß, wie es in einer Schule zugeht. Ich weiß, was für eine wirklich großartige Arbeit unsere Pädagoginnen und Pädagogen tagtäglich leisten, auch unter den widrigsten Umständen, wenn es denn sein muss. (Beifall bei der SPÖ. – Bun­desrätin Mühlwerth: Das bezweifelt ja niemand! – Bundesrat Spanring: Die Misere habt ihr herbeigeführt!)

Wir haben schon gehört, dass das Gesetz drei ganz unterschiedliche Materien behan­delt, ich möchte mich aber trotzdem – weil es mir als Lehrerin einfach ein ganz beson­deres Anliegen ist – auf den Bereich der Deutschförderklassen beschränken. Die Schule ist nicht ein reiner Ort der Wissensvermittlung oder auch der Kompetenzvermittlung, sondern Schule, glaube ich, sollten wir auch als einen sozialen Raum denken und ver­stehen. Ich finde, die Schule ist im Rahmen der Entwicklung der Kinder und Jugendli­chen wahrscheinlich überhaupt einer der wichtigsten Sozialräume; da lernen die Kin­der, auch in einer Gruppe zu agieren, sich gegenseitig zu akzeptieren, zu respektieren, auch wahrzunehmen, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gibt.

Das Österreichische Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen schreibt dazu zum Beispiel auf seiner Homepage: „Soziales Lernen zielt auf den Aufbau posi­tiver Beziehungen und die Fähigkeit, das eigene Tun zu reflektieren und sich selbst und andere wahr- und anzunehmen. Soziales Lernen trägt dazu bei, Unterschiede un­tereinander zu respektieren und miteinander wertschätzend, rücksichtsvoll und verant­wortungsbewusst umzugehen. Soziales Lernen ist ein integraler und wesentlicher Be­standteil des Unterrichts. Soziales Lernen findet immer statt.“

Genau das ist der Grund dafür, dass ich die Deutschförderklassen immer noch sehr, sehr kritisch sehen muss, denn: Wie genau soll das soziale Lernen in diesen separier­ten, segregierten Deutschförderklassen sinnvoll stattfinden, wenn die Schülerinnen und Schüler von ihren Mitschülern ganz bewusst getrennt und separiert werden? – Das ist für mich einfach nicht nachvollziehbar. Das geschieht noch dazu bei einer durchschnitt­lichen Stundenanzahl von 30 Stunden pro Woche, das ist dann quasi die halbe Schul­zeit, die sie hier von ihren Stammklassen und ihren KollegInnen getrennt sind. Das nennt man im Schuljargon dauerhafte äußere Differenzierung, Sie wissen das genauso wie ich. Wir wissen, das ist nicht nur für den Spracherwerb ganz und gar nicht förder­lich.

Der Ihnen wahrscheinlich nicht ganz unbekannte Bildungswissenschaftler Hopmann wurde in der „Tiroler Tageszeitung“ hierzu interviewt. Man hat ihn gefragt: „Was sagt die Wissenschaft, wie erlernt ein Kind am besten eine Sprache?“ Hopmann sagt ganz eindeutig: „Am besten lernt man eine Sprache im Umgang mit jenen, die diese Sprache beherrschen“ – in dem Fall im Klassenverband. (Bundesrätin Mühlwerth: Mit den Tschetschenen! – Bundesrat Steiner: 100 Prozent Ausländer!)

Ich kann Ihnen dazu ein sehr positives Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung, aus meiner eigenen Unterrichtspraxis berichten und mitgeben. An der Schule, an der ich unterrichte, einer Mittelschule im Bezirk Tulln, gibt es keine Deutschförderklassen, weil wir schlicht und einfach auch die Startzahl dafür nicht erreichen. Darüber bin ich in mehrerer Hinsicht sehr froh, denn ich selber unterrichte in einer ersten Klasse, einer sehr diversen Klasse, einer Integrationsklasse, Mathematik. Wir haben dort sehr gute SchülerInnen, sozusagen mit AHS-Reife, wir haben aber auch SchülerInnen, die nach dem sonderpädagogischen Lehrplan unterrichtet werden, und wir haben seit Oktober auch eine Schülerin und einen Schüler, die mit zunächst einmal keinerlei Sprachkom­petenz in der Sprache Deutsch aus einem östlichen Nachbarland Österreichs zu uns gekommen sind. Diese beiden haben es aber alleine durch innere Differenzierung, durch eine Förderung im Klassenverband geschafft, dass sie mittlerweile, nicht einmal ein halbes Jahr später, dem Unterricht tadellos, und zwar wirklich ohne Probleme, fol­gen können und Tests und Schularbeiten mitmachen können; es haben sich vor allem auch Freundschaften in ihrem Klassenverband entwickelt. (Beifall bei der SPÖ. – Bun­desrat Steiner: Weil der Rest Österreicher sind und nicht Ausländer! – Ruf bei der FPÖ: Die Sozialisten verstehen das nicht!) Sie sind schlicht und einfach Teil der Klas­sengemeinschaft, so wie alle anderen auch. Wie gesagt, das Zauberwort heißt aus meiner Sicht Binnendifferenzierung, Integration, Inklusion, so wie es auch an unserer Schule tagtäglich gelebt wird, und zwar sehr erfolgreich.

Wir haben schon gehört, es liegen jetzt erste Zahlen vor, wie viele Kinder seit der Ein­führung der Deutschförderklassen den Sprung zurück in die Regelklassen geschafft haben, und wir sehen, dass diese Zahlen im Bundesländervergleich höchst unter­schiedlich ausfallen. Nicht angegeben werden aber seitens des Ministeriums die Grün­de für diese Unterschiede. Da gibt es sozusagen auch ganz einfach formulierte Grün­de, etwa dass Schülerinnen und Schüler schlicht und einfach die Klasse oder die Schu­le wechseln, weil sie beispielsweise umgezogen sind; darauf geht das Ministerium gar nicht ein, und auch ein standardisierter Test wird daran nichts Wesentliches ändern können.

Wir brauchen keine weiteren Tests, keine weiteren Überprüfungen. Was wir brauchen, steht sogar in dem von Ihrem eigenen Ministerium herausgegebenen Nationalen Bil­dungsbericht ganz klar und eindeutig, und zwar in Band 2, im Beitrag über Entwick­lungsfelder im Bildungssystem. (Die Rednerin hält den erwähnten Bericht in die Höhe.) Da wird noch auf die weiter wachsenden Herausforderungen in den Schulen aufgrund von Heterogenität und Diversität hingewiesen. Ganz hinten in diesem Band steht: „Leh­rer/innen, aber auch die Schulleitungen und Schulen brauchen Unterstützung durch Bereitstellung von materiellen Ressourcen, zusätzlichem Unterstützungspersonal, Fort­bildungsangeboten, Praxismodellen und didaktischen Materialien.“ – Genau das ist es! Wir brauchen mehr und vor allem bedarfsgerechte Ressourcen, damit die großartige Arbeit unserer Pädagoginnen und Pädagogen wirklich noch leichter und besser gestal­tet werden kann.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, Frau Kollegin Mühlwerth, dass es Ihre Fraktion als Teil der Regierung war, die unter anderem auch die Ressourcen für die Sprachförderpädagogen reduziert hat. (Bundesrätin Mühlwerth: Stimmt ja nicht!) So muss man es leider auch betrachten.

Abschließend möchte ich noch einmal Bildungswissenschaftler Hopmann zitieren, der es wirklich auf den Punkt bringt und dem man nichts weiter hinzufügen muss: „Schul­sprache wird erst dann zur Ideologie, wenn sie als Instrument benutzt wird, um be­stimmte Bevölkerungsgruppen auszugrenzen und deren Kinder auch noch dafür zu bestrafen, dass ihnen die Voraussetzungen verweigert werden, die es bräuchte, um ih­re Schulprobleme zu lösen. Das ist gegenwärtig in Österreich vorsätzlich der Fall.“ (Bei­fall bei der SPÖ.)

12.40

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dr. Doris Berger-Grabner. Ich erteile es ihr.