20.05

Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres Dr. Karin Kneissl: Ich darf den gerade ausgesprochenen Dank an die Kollegenschaft des Außenministeriums wei­tergeben – einige der Autoren sind ja auch hier.

Eine der Prioritäten Österreichs ist seit Jahren Südosteuropa. Um für Südosteuropa europäische Perspektiven zu schaffen, müssen wir vor allem in Nordwesteuropa arbei­ten, weil dort einfach wesentliche Skepsis, Widerstände et cetera bestehen. In diesem Sinne werden wir auch bilateral tätig. Wir wissen alle, Geografie bestimmt den Blick, und da ist man einfach in Nordwesteuropa ein ganzes Stück weiter weg, als wenn man eben die geografische, die historische, aber natürlich auch die menschliche Nähe zur Region Südosteuropa hat, in der ein Vakuum entstanden ist, seitdem der Krieg nicht mehr tobt – setzen wir das mit dem Jahr 1999 an.

Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in allen Staatskanzleien die sogenannten Balkanexper­ten, diese wurden spätestens mit dem 11. September 2001 durch die Terrorismusexper­ten ersetzt, und da verschwand die Region vom Radar vieler Staatskanzleien. Das war in Wien nicht der Fall, aber ich merke vor allem in den bilateralen Begegnungen mit Kollegen aus Nordwesteuropa, dass es einfach schwierig ist, da das Bewusstsein zu schaffen, das uns eigen ist.

Es wurden viele Themen angesprochen. Ich danke für das Interesse, ich danke auch für die Kritik. Sie haben die Waffenproblematik angesprochen: Gerade da haben wir fast einen Antagonismus, der gegenwärtig zwischen Paris und Berlin entstanden ist, gerade wenn es um das deutsche Waffenembargo Richtung Saudi-Arabien geht. Da­ran kann man ablesen, welche tiefen Klüfte da bestehen. Das österreichische Kriegs­materialgesetz und das bereits von der Vorgängerregierung betreffend Jemenkrieg be­schlossene Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterialien sind bekannt; wir führen also auch da eine aktive Neutralitätspolitik, gerade wenn es um diese Kriegssituationen geht.

Ich darf den Fokus darauf richten, was heute, am 11. April, erforderlich ist, wenn wir uns das Jahr 2019 ansehen. Dieser Bericht wurde in weiten Teilen zu Jahresbeginn ver­fasst und redigiert. Wir haben heute, am 11. April, eine andere Situation. Wenn wir den großen Ehrgeiz haben, die Europäische Union weltpolitikfähig zu machen, wie das Schlagwort lautet, dann sind wir natürlich vor dem Hintergrund der gestrigen Be­schlüsse zum Brexit in einer anderen Situation.

Ich darf sagen, ich bin ebenso wie Bundeskanzler Sebastian Kurz für eine kürzere, für eine strengere, klarere Frist eingetreten. Wir waren stets der Meinung, dass eine kurze Frist aufgrund der Wahlen zum Europäischen Parlament zwischen dem 23. und 26. Mai mehr Sinn gemacht hätte. Bei einer Teilnahme der britischen Politiker stellt sich natür­lich auch die Frage, wer sich unter der Prämisse, dass man vielleicht nach drei Mo­naten wieder aus dem Parlament ausscheidet, aufstellen wird. Who runs? Welche de­mokratiepolitischen Implikationen hat das langfristig? Das ist eine Thematik, die ich auch in den letzten Tagen in zahlreichen Interviews mit der BBC immer wieder angespro­chen habe. Was gestern erzielt wurde, ist wie immer ein Kompromiss. Der 31.10. ist eben dieser Zwischenweg zwischen dem, was wir an sich angestrebt hatten – nämlich einen Zeitpunkt vor den Europawahlen –, und dem langen Zeitraum, der von einigen Mit­gliedstaaten bevorzugt wurde.

Es ist klar, dass ein geordneter Austritt nur über das Abkommen stattfinden kann. Die­ses Abkommen – das wurde mehrfach kundgetan – wird nicht wieder aufgemacht. Wo­rüber man verhandeln kann und wird, ist die sogenannte politische Erklärung. Auch diese wurde an sich am 25. November verabschiedet. Was immer man da noch über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäi­schen Union bis hin zu einer Zollunion hineinpacken möchte, wie es ja auch seitens ei­niger Repräsentanten im britischen Parlament angesprochen wurde, bleibt abzuwarten.

Wie gesagt, ich gehöre zu den Skeptikern, wenn es um den Verbleib von UK-Abgeord­neten für nur drei Monate geht, aber wir erwarten uns eine konstruktive Mitarbeit der Briten für diesen Zeitraum. Sollten sie beschließen, das Abkommen doch noch früher zu ratifizieren: most welcome! Das würde ermöglichen, die Weltpolitikfähigkeit der Eu­ropäischen Union bereits 2019 stärker auf Schiene zu bringen – ob es jetzt eine China­strategie ist, die nicht so funktioniert, wie man sich das vorstellt, wenn man das Ganze ernst nimmt, bei der viele in verschiedenste Richtungen ausscheren, oder ob es darum geht, Problemen wie den grundsätzlichen geopolitischen Wandelmomenten, aber na­türlich auch der von Ihnen angesprochenen Migration mit einer weltpolitikfähigen Stra­tegie zu begegnen. Dafür muss man sich mit anderem als mit dem Brexit beschäfti­gen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei FPÖ und ÖVP sowie bei Bun­desrätInnen der SPÖ.)

20.10