13.02

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie und zu Hause! Arm zu sein oder armutsgefährdet zu sein ist eine schwere Last für alle Menschen, die davon betroffen sind. Niemand in unserem Land ist gerne arm. Die staatliche Mindestsicherung dient als unterstes und letztes soziales Netz. Es geht immer um Menschen und es geht um menschliche Schicksale.

Mit diesem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz leitet die Bundesregierung einen grundsätzlich ablehnenswerten Wandel in der Sozialpolitik ein: weg von der Mindestsicherung als staatliche Hilfe zur Führung eines menschenwürdigen Lebens hin zu einer Sozialhilfe, die nur – Zitat – Unterstützungsleistung, auch noch unter integrationspolitischen und fremdenpolizeilichen Zielen, ist. 70 000 Kinder schickt diese Regierung in die Perspek­tivenlosigkeit.

Die den Ländern übertragenen Aufgaben der Sozialhilfe können nicht als ein Unter­stützungsbeitrag gesehen werden, wie es im vorliegenden Gesetz in Artikel I angeführt ist, sondern es geht um die Sicherung von Lebensbedürfnissen wie Nahrung, Be­kleidung, Körperpflege, Heizung, Energie, aber auch, und das ist ganz wesentlich, um die Möglichkeit zur sozialen und kulturellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Darum muss es gehen. Ziel der Sozialpolitik kann es nur sein, Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic) und eine dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung ins Erwerbsleben zu ermög­lichen. Genau das passiert mit diesem Gesetz nicht; nein, es fördert die Armut und die Ausgrenzung von Menschen. Sie sparen auf Kosten von Familien und Kindern.

332 236 Personen wurden 2017 durch die Mindestsicherung unterstützt, mehr Frauen als Männer, 35 Prozent davon sind Kinder. Die Hälfte der BezieherInnen sind öster­reichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Einen überdurchschnittlich hohen Anteil an nichtösterreichischen BezieherInnen gibt es in Tirol und Vorarlberg. 52 Prozent der BezieherInnen hatten ein anrechenbares Einkom­men, der größte Teil mit 43 Prozent sind BezieherInnen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. (Bundesrat Steiner: Vorleseübung!) 16 Prozent der Mindestsicherungs­bezieherInnen haben ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit, 8 Prozent der Bezie­herInnen sind Personen im Pensionsalter. Insgesamt sind 70 Prozent der BezieherIn­nen Aufstockerinnen und Aufstocker. Keine Gruppe in diesem Land ist so gut doku­mentiert, zahlenmäßig erfasst und beleuchtet wie die Armen in diesem Land. So eine genaue und transparente Beleuchtung wäre auch bei der Einkommensgruppe am anderen Ende der Gesellschaft mehr als wünschenswert.

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz und die von der Regierung mitgelieferte Interpretation versucht auf wirklich ganz schlimme Weise die armen Menschen in diesem Land als Personen zu diskreditieren, die in einer Art sozialen Hängematte liegen und sich der Erwerbsarbeit entziehen wollen. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) Das Gegenteil ist der Fall: Die Bezugsdauer bei 69 Prozent der Personen betrug sieben bis zwölf Monate.

Welche Auswirkungen dieses Gesetz aber am Arbeitsmarkt hat, ist doch auch klar. Der Druck am Niedriglohnsektor wird enorm steigen, Löhne und Gehälter kommen unter Druck. Es ist die zynische Spekulation dieser Regierung, die dahinter liegt, dass Be­schäftigte zu schlechteren Bedingungen arbeiten werden, weil Ihnen die Angst, arbeitslos zu werden, eine noch größere Last als die Mindestsicherung ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist die Antwort dieser Bundesregierung auf Globalisierung und auf die Heraus­forderungen der Digitalisierung am Arbeitsmarkt, und allen Personen aus Drittstaaten, die jetzt über die noch stärkere Lockerung der Voraussetzungen der Rot-Weiß-Rot-Karte zu uns kommen, muss gleich gesagt werden: Sollten Sie den Job verlieren oder erkranken, haben Sie keine Chance auf Sozialhilfe, denn erst nach fünf Jahren mit fixem Wohnsitz in Österreich besteht ein Anspruch darauf. (Zwischenruf des Bundes­rates Steiner.)

Besondere Beachtung muss man in diesem Zusammenhang auch dem Regierungs­pro­gramm schenken. Die Neuregelung der Mindestsicherung ist ja nur der erste Schritt. Geplant ist die Reform der Arbeitslosenleistungen, Abschaffung der Notstands­hilfe. Das bedeutet ein Abrutschen von vielen NotstandshilfebezieherInnen in diese neue Sozialhilfe mit all ihren Auswirkungen auf die zu erwartende Höhe der Leistung, den Zugriff auf das eigene Vermögen und die Tatsache, dass die Zeiten des Bezugs der Sozialhilfe nicht auf die Pension angerechnet werden.

Auch die Frage der Gegenfinanzierung der Steuerreform spielt dabei eine wichtige Rolle. Zusätzlich möchte diese Regierung noch an den Pensionsschrauben drehen und den Zugang zur Pension erschweren. Wir wissen, dass schon jetzt die Gruppe der am schwersten von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen jene der älteren Arbeitneh­merInnen ist. Es muss klar sein. Wenn an den Pensionsschrauben gedreht wird, kommen diese Menschen noch mehr unter Druck. (Beifall bei der SPÖ.)

Damit diese Sozialabbauentwicklung nicht passiert, dafür werden wir Sozialdemo­kra­tinnen und Sozialdemokraten uns mit aller Kraft einsetzen. Betroffene Menschen wieder rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren war immer das Ziel der Mindest­sicherung. Für die unterstützenden Maßnahmen braucht es genügend Mittel des AMS, und es braucht genügend Angebote an Sprachkursen, aber in diesem Bereich wurde ja ganz bewusst gespart.

Gleichzeitig ist die Regelung der Frage der Sprachkompetenz im Gesetz ein ganz besonderes Kapitel. Das geforderte Deutschniveau ist B1 oder das Englischniveau C1; und das ganz Besondere: vom Pflichtschulabschluss abhängend die Entscheidung, ob man 300 Euro von der Sozialhilfe abgezogen bekommt oder nicht. Personen ohne Pflichtschulabschluss müssen nun ihre Deutschkenntnisse am Amt nachweisen; Österreicherinnen und Österreichern ohne Pflichtschulabschluss droht nun so eine Kürzung – also wieder eine Gruppe von Menschen, die Ausgrenzung erfährt. – Haben Sie das gewollt?

Erst auf großen Druck der Zivilgesellschaft hin ist es gelungen, dass Menschen mit Behinderung einen Bonus erhalten und Geldspenden nicht auf den Sozialhilfebezug angerechnet werden.

Den AlleinerzieherInnen zeigen Sie aber die kalte Schulter. Sie, die besonders von Armut bedroht sind, waren Ihnen nur eine Kann-Bestimmung wert. (Bundesrat Rösch: Das stimmt nicht!) Es kann ein Bonus ausgezahlt werden, kein Rechtsanspruch! (Bundesrat Rösch: Habt’s Angst vor Wien oder was?!)

Dieses Gesetz schränkt den Handlungsspielraum der Länder ganz wesentlich ein. Das muss uns im Bundesrat klar sein. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Es wird ein Deckel für die Sozialleistungen eingeführt, die monatliche Obergrenze wird mit dem Netto-Aus­gleichszulagenrichtsatz festgelegt. Unter dieser Grenze dürfen die Länder regeln, darüber nicht; also eine Spirale nach unten und – noch einmal –: Der Handlungsspiel­raum der Länder wird ganz, ganz wesentlich eingeschränkt! (Beifall bei der SPÖ.)

Der nie bezifferte Verwaltungsaufwand wird enorm sein: unglaubliche verwaltungs­technische Herausforderungen für Gemeinden und Städte, im Übergang zwei parallel zu führende Systeme – das der Mindestsicherung und gleichzeitig das neue System der Sozialhilfe –, periodische Überprüfung der Einkommens- und Vermögens­verhält­nisse und daraus ableitend die wirksamen Sanktionen. Das ist bisher schon passiert, doch jetzt kommt noch die amtswegige Überprüfung der Sprachkompetenz dazu; extrem aufwändig. Das ist ein amtswegiges Verfahren, das sehr viel Verwaltungsaufwand be­nötigt.

Eine Steigerung der Verwaltungskosten und Kürzung für Kinder und Familien, das erreichen Sie mit diesem Gesetz. Für das dritte Kind nur 1,50 Euro pro Tag. Das hat sich kein Kind verdient! (Bundesrat Rösch: Aber den Mehrkindzuschlag, den sie kriegen ...! Passt schon!)

Wir Bundesrätinnen und Bundesräte der sozialdemokratischen Fraktion werden dieses Gesetz vor den Verfassungsgerichtshof bringen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bun­desrätin Dziedzic.) Dieses Gesetz, dieses eindeutige Sozialabbaugesetz, sichert kein Existenzminimum, greift zu stark in die Kompetenzen der Länder ein und enthält EU-Rechtswidrigkeiten.

Werte Bundesrätinnen und Bundesräte der Regierungsfraktionen, machen Sie sich Folgendes auch anhand der aktuellen Zahlen der Statistik Austria klar: In Österreich waren 2018 1,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger von Armut bedroht, 32 Prozent aller alleinlebenden Frauen. Ein Viertel aller armutsbedrohten, ausgrenzungsgefährdeten Menschen sind Kinder und Jugendliche. Für viele dieser jungen Menschen ist be­drückendes Sparen bei der Ernährung Teil ihrer Lebensrealität. Herzlosigkeit gegen­über den Ärmsten der Gesellschaft wird durch dieses Sozialhilfe-Grundsatzgesetz zum System gemacht.

Was Österreich immer ausgezeichnet hat, war das System des sozialen Friedens, das man mit Mühe erhalten und positiv gepflegt hat. (Beifall des Bundesrates Schennach.) Mit diesem Gesetz ist dieser soziale Friede gefährdet, denn sozialer Friede funktioniert nur, wenn es auch soziale Gerechtigkeit gibt. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

13.12

Vizepräsident Hubert Koller, MA: Als Nächste gelangt die Frau Bundesministerin zu Wort. – Bitte.