14.35

Bundesrat Dr. Gerhard Leitner (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Frau Bundesminis­terin! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Die Regierungsvorlage zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz schafft – anders als bisher – nicht Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen, sondern nicht überschreitbare Höchstgrenzen, haushaltsbezogene Obergrenzen, ein faktisches Verbot, Menschen in der Sozialhilfe zusätzliche Sozialleistungen oder Sonderzahlungen zukommen zu lassen. (Bun­desrätin Mühlwerth: Das stimmt ja schon einmal nicht! Das ist ja unwahr!)

Die Vorrednerinnen und Vorredner haben ja bereits wesentliche Aspekte dargelegt. Es geht vor allem um alleinstehende Erwachsene, um Paare, um Kinder in Mehrkind­familien und vieles mehr. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) Ich möchte dem noch ein paar grundsätzliche Überlegungen anschließen, die die große Gruppe der Pen­sionistinnen und Pensionisten betreffen. Ich verbinde damit auch ein paar grund­sätz­liche Überlegungen zur Vorgehensweise bei der Entstehung dieses Gesetzent­wurfs, zur möglichen Umsetzung und zur Wertigkeit.

Festzuhalten ist einmal grundsätzlich, dass dauerhaft arbeitsunfähige Menschen zum Beispiel in Wien sowie Menschen im Pensionsalter in Kärnten und in Tirol, die keine Pension bekommen, zukünftig Sonderzahlungen verlieren, die sie auf die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes heben. (Bundesrätin Mühlwerth: Jetzt müssen sie für den Ökostrom auch noch mehr zahlen!) Das sind Menschen, die im Sinne des ASVG invalid sind, aber keine Invaliditätspension bekommen. Die verlieren 1 770 Euro pro Jahr. (Bundesrätin Mühlwerth: Das kostet der Ökostrom!)

Ein weiterer Punkt ist, dass keine zusätzlichen Leistungen mehr zu gewähren sind. Das heißt, den Bundesländern wird untersagt, den Betroffenen zusätzliche Leistungen zu gewähren, wenn diese gänzlich oder teilweise, direkt oder indirekt der Unter­stüt­zung des allgemeinen Lebensunterhalts dienen oder die Wohnungsversorgung betref­fen. Es bedeutet eine klare Entmündigung der Länder, wenn erstmals Höchst­grenzen eingeführt werden.

Da letztlich jede Sozialleistung direkt oder indirekt der Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts dient – denn genau dafür ist sie ja da –, dürfen Sozialhilfebezieher zukünftig genau genommen gar keine anderen Sozialleistungen mehr in Anspruch nehmen. Das ist ganz sicherlich verfassungswidrig. Somit werden Bezieher von Sozial­hilfe im Vergleich zu anderen – weniger verdienenden – Menschen auch noch diskrimi­niert.

Im Jahr 2017 bezogen knapp 803 000 Menschen irgendwann einmal Mindestsiche­rung. Im Jahresdurchschnitt bezogen pro Monat etwa 240 000 Menschen in ganz Österreich rund 8,5 Monate lang Mindestsicherung. 43 Prozent dieser Menschen waren entweder Kinder, Schülerinnen und Schüler oder im Pensionsalter befindliche Menschen und daher nicht arbeitsfähig, 4 Prozent hatten Betreuungs- und Pflege­verpflichtungen, 8 Prozent der BezieherInnen hatten eine Behinderung oder eine schwere Erkrankung.

Insbesondere bei den älteren Menschen, 50 plus, ist es natürlich ein Problem. Das sind die besonders stark Betroffenen, weil sie kaum mehr in den Arbeitsprozess einzu­gliedern sind. Bei ihnen steigt die Arbeitslosigkeit nach wie vor, und die Bundes­regierung hat ja, wie wir wissen, die Aktion 20 000 abgeschafft (Bundesministerin Hartinger-Klein: Zu Recht!), obwohl das eigentlich für viele ein letzter Strohhalm war. Bei einigen ist es auch gelungen, sie wiederum einzugliedern. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Rösch: Das war das Unnötigste, was es je gegeben hat!)

Frau Kollegin Eder-Gitschthaler hat heute gesagt, Arbeit muss sich lohnen. Da stimme ich ihr natürlich vollkommen zu. (Bundesrätin Zwazl: Na super!) Ja, natürlich, aber man muss vorher eine Arbeit haben, liebe Frau Kollegin. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Frau Ministerin hat heute gesagt, sie verstehe das Verhalten der Sozialdemo­kratinnen und Sozialdemokraten hier im Bundesrat nicht und Korinna Schumann habe die Unwahrheit gesagt. Frau Ministerin, wenn Sie behaupten, dass man mit 150 Euro im Monat leben kann, diskreditieren Sie all jene Menschen, die sozial gefährdet und arm sind. (Bundesrat Rösch: Das hat niemand gesagt! – Bundesrätin Mühlwerth: Das ist ein alter Hut! – Bundesrätin Grimling: Sicher, das war im Fernsehen!) Hier fehlt es Ihnen zweifellos an entsprechendem politischen Realitätsbewusstsein. (Neuerlicher Beifall bei der SPÖ.)

Was ist nun wirklich neu an der Sozialhilfe Neu? – Der Name Bedarfsorientierte Mindestsicherung wird durch Sozialhilfe ersetzt. Das ist mehr als bloße Semantik. Das Ziel der Sozialhilfe ist es nicht mehr, verstärkt die Bekämpfung und Vermeidung von Armut zu realisieren und soziale Ausschließung zu verhindern, sondern sie soll zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohn­bedarfs beitragen.

Völlig neu ist ein Verbot, den Betroffenen Leistungen zukommen zu lassen, die der Unterstützung des Lebensunterhalts dienen. So sollen Verbesserungen durch die Bundesländer, die die Armut besser bekämpfen wollen, verhindert werden. Zukünftig gelten keine Mindeststandards mehr, sondern Höchstsätze, die nicht überschritten werden können. Dieses Gesetz dient daher künftig nicht mehr der Bekämpfung und Vermeidung von Armut und der sozialen Ausschließung, sondern nur mehr der Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts. Das heißt, Menschen haben in Zukunft keinen Anspruch auf ein Existenzminimum. Es geht also mehr um einen Beitrag und nicht mehr um eine Mindestsicherung. Damit meint man, erreichen zu können, dass Beschwerden von Betroffenen beim Verfassungsgerichtshof abgewehrt werden können.

Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die österreichi­sche Sozialpolitik torpediert und es wurde damit ein scharfer Paradigmenwechsel eingeleitet. (Bundesrat Steiner: Gut so!) Die Mindestsicherung als letztes Auffangnetz für in Not geratene Menschen wird von einem verfassungsrechtlich höchst bedenk­lichen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz abgelöst, das nicht mehr für Solidarität steht, son­dern für kalte Unsozialpolitik. (Beifall bei der SPÖ.)

Dieses Gesetz wird nicht mithelfen, Armut abzufedern, sondern es wird ganz massiv neue Armut in unserem Land produzieren. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) Es geht der Regierung nicht mehr um die Festlegung des zur Sicherung des Lebens Mindesten, sondern um die Formulierung von Höchstgrenzen des Helfendürfens.

Es ist völlig unverständlich, wenn die Frau Sozialministerin ständig wiederkehrend argumentiert, dass dieses Gesetz dazu beitragen würde, die Menschen in den Arbeits­markt zu bekommen. Es befindet sich keine einzige Passage in dem Gesetzestext, die eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme enthalten würde.

Meine Damen und Herren, was hier in unserem Lande vor unser aller Augen passiert, ist ein brandgefährlicher sozialpolitischer Umbau unserer Gesellschaft. Wir messen uns nicht am erstrebenswerten Mehr, sondern am beschämenden Weniger. (Zwischen­ruf des Bundesrates Krusche.) Bedauerlicherweise verfolgt die Regierung den sozial­politischen Ansatz des Ausgrenzens. So wird die neue Sozialhilfe die Armut in unse­rem Land weiter verschärfen und niemandem wird geholfen. Niemandem!

Mit der Abschaffung der Mindestsicherung verschärft man die Lebenssituation von Kindern, vor allem von Frauen, von Pensionistinnen und Pensionisten und von Men­schen mit Behinderung. (Bundesrat Rösch: Das hat schon die Schumann gesagt! Alles ist schlecht!) Wem geht es besser, wenn man jenen, denen es ohnehin schlecht geht, noch etwas wegnimmt? (Weiterer Zwischenruf des Bundesrates Rösch.) Wem geht es besser, wenn sich Menschen das Nötigste nicht mehr leisten können? Wir lehnen auch – heute von der Frau Kollegin geäußert – eine ausländerfeindliche Neid­genossenschaft ab. Das ist eine unglaubliche Hetzkampagne, die in unserem Land Österreich nichts verloren hat. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic. – Bundesrätin Mühlwerth: Nehmt euch das einmal zu Herzen! Nehmt euch das einmal zu Herzen! Wer hat dir die Rede geschrieben? – Bundesrat Steiner: Habt ihr das gemacht?)

Mindestsicherung ist als Instrument der Existenzsicherung zu verstehen, und zwar für jene, die nicht arbeiten können, die in Not geraten sind, und sie ist auch als Sprung­brett auf den Arbeitsmarkt zu verstehen. Jene Menschen, die eine Mindestsicherung in Anspruch nehmen oder nehmen müssen, sind nicht arbeitsscheu und liegen in der Hängematte, sie sind sozial gefährdet. Es ist ungeheuerlich, den in Not geratenen Menschen Arbeitsscheuheit und Arbeitsunwilligkeit zu unterstellen. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Man sollte die stabilen Werte, die dieses Österreich als Wirtschaftsstandort, als Land, in dem viele internationale Lösungen besprochen oder zustande gebracht wurden, so einzigartig machen, nicht riskieren. Das ist nämlich, was unser Land so einzigartig und besonders macht: der soziale Friede! (Bundesrat Steiner: Dass man mit 49 in Pension geht!)

Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist jedoch von sozialer Kälte geprägt. Es ist dies kein Sozialhilfegesetz, sondern es ist dies ein Sozialabbaugesetz. Es schafft Kinderarmut, Bildungsdefizite, spaltet unsere Gesellschaft und setzt den Grundstein für Lohn­dumping in Österreich. Verfassungsrechtler haben festgestellt, dass dieser Gesetz­entwurf den Zweck sozialer Gesetze missachtet. Es wird nichts vom Existenzminimum gesagt. Es wird festgehalten, dass dieses Gesetz seinen Zweck nicht erfüllt. (Zwi­schenruf des Bundesrates Köck.)

Wenn man die Erkenntnis aus der Geschichte berücksichtigt, dass soziale Sicherheit die wichtigste Grundlage der Demokratie ist, dann ist der vorliegende Gesetzentwurf eine Gefährdung der Demokratie. (Bundesrat Köck: Das gibt es ja nicht! Das muss man sich anhören!) Dieses Gesetz verursacht zunehmende Armutsgefährdung, Mehr­kosten in der Verwaltung und eine vermehrte Ungleichbehandlung der Menschen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Bundesrat können daher einem solchen Gesetzentwurf niemals unsere Zustimmung erteilen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Steiner. – Bundesrat Rösch: Das war aber die gleiche Rede das zweite Mal!)

14.45

Präsident Ingo Appé: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Ing. Bruno Aschenbrenner. Ich erteile dieses.