9.15.22

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Vorige Woche hat der Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes in Wien stattgefunden, und von diesem Kongress ging das Signal aus, dass es wesentlich ist, die europäische Politik von einer Zielrichtung für ein soziales Europa bestimmen zu lassen, für ein soziales Europa, das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stützt und schützt, und dafür, dass die ArbeitnehmerInnenvertretung eine wesentliche Rolle in einem sozialen Europa spielen kann und muss. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Als wesentliches Element eines sozialen Europas wurde die Sozialpartnerschaft ange­sehen. Österreich war über viele Jahrzehnte das Beispiel funktionierender, großartiger Sozialpartnerschaft in einer Politik des Ausgleichs und des Konsens. Mit jener Regierung, der jetzt das Vertrauen entzogen wurde, wurde die Sozialpartnerschaft auf Eis gelegt, zurückgefahren und dieses wesentliche Element für Österreich einfach ad acta gelegt. Das Entsetzen der Menschen in Europa war extrem groß, dass diese Sozialpartnerschaft so mit Füßen getreten wurde (Bundesrat Steiner: Das hat man gesehen bei der EU-Wahl! – Ruf bei der ÖVP: Wie ist das messbar?), und es herrschte Entsetzen darüber, wie unfassbar beschämend der Inhalt des Ibizavideos ist und welche furchtbaren Auswirkungen das in Österreich und für das Land Österreich hat.

Beschämend ist dieses Video, demokratiegefährdend, staatsgefährdend, menschen­verachtend. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja!) Es wird das übelste Bild von Politikver­ständ­nis vorgeführt: käufliche Politiker, käufliche Politikleistung, eine Medienlandschaft, die man sich kaufen kann (Bundesrätin Mühlwerth: Das hat die SPÖ noch nie gemacht! Die Faymann-Inserate zum Beispiel!), Journalisten eliminieren und durch gefügige ersetzen – zusammengefasst mit dem Kürzel der bestellten Presseaussendung: „wer/zah/lts/chaf/ft/an“. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Unser Wasser soll privatisiert werden, maximaler Gewinn, kann man da hören. (Zwi­schenruf des Bundesrates Ofner.) Aber dann, in den Veranstaltungen zum Trinkwas­ser, die unser Präsident organisiert hat, war die vollmundige Rede davon, dass das Trinkwasser doch auf keinen Fall privatisiert werden soll. Na, wer kann das denn da noch glauben? (Zwischenruf des Bundesrates Brunner.) Es sei im Interesse der Demokratie davor gewarnt, diese Inhalte des Ibizavideos zu verharmlosen und mit der Rede von einer bsoffenen Gschicht zu erklären. Keine Ausrede rechtfertigt es, wenn demokratische Strukturen unseres Landes infrage gestellt werden. (Bundesrat Steiner: Er ist ja zurückgetreten, oder?)

Es gilt, sich zu entschuldigen. (Bundesrat Steiner: Hat er gemacht!) Es gilt, sich zu entschuldigen bei den öffentlich Bediensteten, für die der Vizekanzler Verantwortung trug. Im öffentlichen Dienst wird von den Bediensteten exakt und ganz genau nach Gesetzen und Verordnungen gearbeitet. In vielen Bereichen wurden Compliance­richt­linien erstellt, um ja keinen Anschein der Möglichkeit von Korruption aufkommen zu lassen. Und die öffentlich Bediensteten sind da voll mitgegangen, weil es ihnen wichtig war. Da gab es sogar die Frage, ob man überhaupt eine Tasse Kaffee annehmen darf, wenn man eine Prüftätigkeit vornimmt, da es um die Frage des Anfütterns geht und daher um die Frage, wie man Korruption bekämpfen kann. Und als Gegenstück: der Inhalt dieses Videos.

Es gilt, sich bei den jungen Menschen in Österreich zu entschuldigen, den jungen Menschen, die wir alle ja für Demokratie begeistern wollen, dafür begeistern wollen, dass sie sich an der Politik beteiligen. Was für ein furchtbares Zerrbild politischen Handelns wurde ihnen vorgeführt!? Der Schaden für Österreich ist enorm. Weltweit wurden wir – Zitat – als peinliche „Bananenrepublik“ wahrgenommen, als ein Land, in dem anscheinend Korruption zum System gehört. Wir hoffen ganz, ganz stark, dass der Schaden für den Wirtschaftsstandort Österreich nicht zu groß ist. (Bundesrat Steiner: Na, jetzt reden die Sozialisten von Wirtschaft! Nein!)

Die österreichische Gesellschaft war während der Zeit dieser Regierung, der jetzt das Vertrauen entzogen wurde, von unglaublich vielen Einzelfällen des extrem rechten Lagers geplagt. Kurz betont in seiner ersten Rede, dass er viel schlucken musste. Er hätte die Gefahr dieser Entwicklung und die schädigenden Auswirkungen für das Land längst erkennen müssen. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Die ÖVP wusste, worauf sie sich einlässt, und hat es für das Erreichen und Erhalten der eigenen Macht in Kauf genommen. Die Verantwortung für diese Situation tragen Sebastian Kurz und die ÖVP. Sie sind diese Regierungskoalition eingegangen, alle Risiken kennend. Machterhalt war anscheinend wichtiger als der Ruf unseres Landes.

Die Erzählung vom unglaublich harmonischen Einvernehmen zwischen ÖVP und FPÖ dürfen wir jetzt auch in die Gattung der Fake News einordnen. Die Opposition wurde ignoriert, es gab keine Gesprächskultur, besonders nicht, als es diese politische Krise wirklich notwendig gemacht hätte, sondern es wurden Schlüsselpositionen in Minis­terien eigentlich gleich vor der Ernennung der Experten mit Parteigängern und ‑gängerin­nen besetzt. So kann man auf keinen Fall Vertrauen erlangen. Das Resümee bezüglich der Arbeit der letzten Regierung: Wegschauen, wo längst Konsequenzen hätten gezogen werden müssen.

Ich darf in diesem Zusammenhang all jenen Menschen meinen Dank ausrichten, die jetzt am Ring Mahnwache bei der Fotoausstellung „Gegen das Vergessen“ halten. Dieses Holocaustdenkmal wurde zweimal geschändet. Das ist bestürzend, und es gilt wirklich, all jenen zu danken, die jetzt dort Wache halten, weil es ein so wesentliches Zeichen dafür ist, wie wir mit unserer schwer belasteten Vergangenheit umgehen. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Es gilt, eine Bilanz dieser Regierung zu ziehen, die nun kein Vertrauen mehr hat. Die ArbeitnehmerInnenbewegung wurde geschwächt, beziehungsweise wurde der Versuch unternommen, sie zu schwächen. Mit allen Mitteln sollte sie aus der politischen Teil­habe gedrängt werden. Die Sozialversicherungsreform geschah nur mit dem Ziel, die Selbstverwaltung zu zerstören und umzufärben. Dabei gab es den Schmäh von der Patientenmilliarde, den niemand glauben konnte und der sich nicht bewahrheitet hat. Die Gesundheitsversorgung der Menschen in Österreich wurde gefährdet.

Die ArbeitnehmerInnen wurden durch Ausweitung der Arbeitszeiten und Verkürzung der Ruhezeiten belastet. Den hart arbeitenden ArbeitnehmerInnen in Österreich wurde nicht die Chance auf einen Feiertag am Karfreitag gegeben. Religiöse Minderheiten wurden missachtet, und die Menschen, die Unterstützung in diesem Land brauchen, wurden auf beschämende Art und Weise behandelt. Das Sozialhilfegesetz, gegen das es so viel Widerstand gab, so viel berechtigten Widerstand von so vielen Seiten, wurde durchgepeitscht.

Beim Familienbonus – an sich natürlich eine sehr positive Leistung (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Danke!) – wurden halt einige Gruppen vergessen. Gerade jene, die schwächer sind, gerade jene, die weniger verdienen, bekommen weniger Leistung: die AlleinerzieherInnen 250 Euro und die MindestsicherungsbezieherInnen gar nichts. (Bundesrat Bader: Na bitte, Frau Kollegin!) Das ist Ausdruck einer Politik ohne Herz. (Beifall bei der SPÖ.)

Nach all dem, was die Menschen aufgrund der Politik der ehemaligen Regierung erle­ben mussten, gilt es, für Transparenz zu sorgen, besonders bei der Frage der Partei­spenden. Das haben sich die Österreicherinnen und Österreicher verdient. (Bundesrat Krusche: Womit haben wir uns das verdient? – Heiterkeit der Bundesrätin Mühlwerth.) Die sozialdemokratische Fraktion fordert eine wesentlich stärkere Transparenz und echte Sanktionen bei der Nichteinhaltung der Wahlkampfkostenobergrenzen. Es braucht eine ehrliche Politik! (Bundesrat Steiner: Geht mit gutem Beispiel voran!)

Die Menschen in Österreich haben ein Recht auf eine soziale Politik mit Herz. Darauf müssen sie sich verlassen können und dafür steht die Sozialdemokratie. Arbeit­neh­merInneninteressen müssen endlich wieder in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht nur die Interessenlagen der Wirtschaft. Die Anliegen der Frauen müssen wieder gehört werden; kein Stillstand in der Frauenpolitik, wie er unter dieser Regierung geherrscht hat. (Bundesrat Steiner: Das ist nicht Punkt der Tagesordnung!) Die Frauen haben ein Recht auf eine Politik für eine bessere Lebens- und Arbeitssituation. (Beifall bei der SPÖ.)

Selbstverständlich muss die beste Gesundheitsversorgung für alle sein, nicht nur für jene, die viel im Geldbörsel haben. (Bundesrätin Mühlwerth: Das haben wir schon gemacht! Das gibt es schon! – Bundesrat Brunner: Wie ist das Thema?) Soziale Sicherheit für alle Situationen! (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Klassenkampf!) Wie leicht kann es passieren, dass man im Leben ins Trudeln gerät und dass man Unter­stützung braucht. Ein gutes und abgesichertes Leben im Alter muss selbstverständlich sein.

Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die soziale Sicherheit der Öster­reicherinnen und Österreicher ein wesentliches Anliegen, vor allen Dingen der soziale Friede, nicht Hass und Ausgrenzung, ein Miteinander, nicht ein Gegen­einan­der. Wir stehen für ein Miteinander und nicht für ein Gegeneinander, sowohl in Öster­reich als auch auf europäischer Ebene. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

9.25

Präsident Ingo Appé: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile dieses.