11.18

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Ratz! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Artikel 47 der Charta der Grund­rechte der Europäischen Union verlangt, dass das Recht auf ein faires Verfahren nicht nur theoretisch, sondern natürlich auch praktisch sichergestellt werden muss und wird.

Diese Bundesagentur im Eigentum des BMI genügt diesen Anforderungen beziehungs­weise jenen einer raschen Verfahrensführung nicht und steht zudem auch in Wider­spruch zu den Vorgaben der Verfahrensrichtlinie. Ich bezweifle auch die wirkliche Un­ab­hängigkeit – das hat der Kollege von der SPÖ bereits angemerkt – und auch die Weisungsfreiheit dieser Bundesagentur, denn für mich ist das nur ein formales Be­kenntnis in diesem Gesetz, und man befindet sich in so vielen kleinen Facetten immer wieder in einer Abhängigkeit und unter einem Einfluss des Bundesministeriums für Inneres. Angesichts dieses Gesetzes kann man nur sagen, eine unabhängige Rechts­beratung schaut einfach anders aus.

Ich möchte jetzt von der inhaltlichen Kritik zu der eher problematischen Umsetzung dieses Gesetzes kommen, wenn dieses Gesetz heute in Kraft tritt. Die alten Regie­rungsparteien – so nenne ich es – beschließen heute in Koalition – und das ist wirklich noch eine Koalition, nicht irgendetwas; wenn man hingegen einen Misstrauensantrag à la SPÖ mit der FPÖ gegen eine Regierung beschließt, ist das keine Koalition, sondern, wenn schon, eine Allianz –, im Koalitionsgebünde hier im Bundesrat – es ist wohl noch nicht angekommen, dass sie nicht mehr in der Regierung sind – ein Gesetz, das einen Systembruch im Bereich der Rechtsberatung vorsieht, mit dem einige gravierende administrative und auch finanzielle Auswirkungen verbunden sind.

Aufgrund dieses Systembruchs sind erhebliche Vorarbeiten notwendig, die teilweise bereits bei Inkrafttreten vorgenommen werden müssen. Werte Kolleginnen und Kolle­gen, das ist ein Problem, ein massives Problem: Wenn wir dieses Gesetz heute be­schließen und es keine ordentliche Umsetzung gibt, riskieren Sie zahllose Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und dem EuGH mit weiteren Imageschäden und Kosten für die nächste Bundesregierung und für Österreich, auch – bei einer nicht rechtzeitigen Etablierung eines funktionierenden Betreuungs- und Rechtsberatungs­systems ab 2020 beziehungsweise ab 2021 – einen Stillstand der zweitinstanzlichen Verfahren und enorme finanzielle, aber auch, und das muss uns besonders berühren, humanitäre Folgewirkungen, nämlich für den Bund, für die Länder und dement­sprechend auch für die Gemeinden.

Wir haben derzeit eine Staatsmanagementkrise, ich glaube, das kann man so nennen. Es wird zwar eine Übergangsregierung bestellt, diese soll aber nur das Notwendigste machen und überhaupt keine weitreichenden Entscheidungen treffen. Es geht hier aber nicht um normale bürokratische Verwaltungsarbeiten, so wie der Bundespräsident das gerne haben möchte, sondern es müssten weitreichende Entscheidungen gefällt werden, von einem Minister, den wir Bundesrätinnen und Bundesräte noch nicht kennen. Das ist ein Faktum. Wir wissen noch nicht einmal, wer das in Zukunft sein wird. Und wenn Sie das Gesetz gelesen haben, dann wissen Sie, dass diese Über­gangsregierung – eigentlich noch die Übergangsregierung-Übergangsregierung, also (in Richtung Bundesminister Ratz) Sie als derzeitiges Zwischenglied – unver­züglich mit den Vorbereitungsmaßnahmen beginnen muss.

Die Bundesagentur entsteht mit dem Inkrafttreten des BBU-Gesetzes und soll nach den gesetzlichen Vorgaben ihre Aufgabe spätestens ab 1.7.2020 auch wahrnehmen. Das Inkrafttreten bedeutet, dass ein Innenminister oder eine Innenministerin – wir wis­sen es ja noch nicht – unverzüglich einen Rahmenvertrag abschließen müsste. Dabei muss er ein Einvernehmen mit dem Justizminister – wobei wir auch noch nicht wissen, wer überhaupt Justizminister, Justizministerin sein soll, den oder die wir also auch noch nicht kennen – herstellen. Und da geht es um weitreichende Entscheidungen: Da geht es um Kostenersatz, da geht es um Abrechnungen, da geht es um die Auswahl der Rechtsberater, da geht es um Dolmetscher, das Vorgehen bei Pflichtverletzungen, da geht es um Fortbildungsmaßnahmen, alle Entscheidungen, die es schon einmal alleine im Rahmenvertrag braucht. Da geht es jetzt noch gar nicht um Einzelpunkte, sondern rein um den Rahmenvertrag, der sofort gemacht werden muss. (Bundesrat Seeber: Das machen ja viele Länder in Europa!) – Nicht viele Länder in Europa; ich übe keine Kritik an sich, sondern – noch einmal zuhören, Herr Kollege Seeber – es geht darum, dass wir in dieser Geschichte keine legitimierte Bundesregierung haben. (Bundesrat Steiner: Wer ist denn der Gesetzgeber?) Es muss ein Geschäftsführer, eine Geschäftsführerin bestellt werden, der oder die ist dann für die Dauer von bis zu 24 Monaten bestellt. Wer entscheidet das? (Bundesrat Seeber: Die Übergangsregie­rung!) – Ein Innenminister, den wir alle hier im Bundesrat noch nicht kennen. Wie könnt ihr einem Gesetz zustimmen, obwohl wir noch nicht einmal wissen, wer der Innen­minis­ter ist? (Bundesrat Steiner: Den muss man ja nicht kennen! Das ist ein kom­pletter Schwach­sinn!) Es muss ein Aufsichtsrat bestellt werden, es müssen sofort nach Inkrafttreten Errichtungserklärungen für die Bundesagentur laut BBU-Errichtungsgesetz abgegeben werden. Es müssen die Grundsätze der Unternehmensführung festgelegt werden, damit der Geschäftsführer überhaupt innerhalb von sechs Monaten ein Unter­nehmens­konstrukt, -konzept erstellen kann. Das ist alles notwendig. Sie sehen, das sind alles Aufgaben und Entscheidungen, bei denen es eine klare politische Führung braucht.

Werte Kolleginnen und Kollegen, da geht es um Entscheidungen und Aufgaben, und die Entscheidungen gehen in die Richtung, wer denn den Geschäftsführer bestimmt. (Bundesrat Seeber: Der Geschäftsführer braucht ja nur das zu machen, was man bei der Gründung macht!) – Herr Kollege Seeber, wer bestimmt denn den Geschäfts­führer? Machen Sie das? Macht das die ÖVP? – Nein, wir wissen es noch nicht einmal. (Bundesrat Steiner: Wissen Sie, was die Aufgabe des Geschäftsführers ist?) – Schreien Sie nicht heraus, Sie können sich dann noch zu Wort melden, Herr Kollege. – Ich möchte als Mitglied dieses Hohen Hauses zumindest wissen, welcher Innen­minis­ter oder welche Innenministerin diese Aufgabe dann auch erfüllen wird, welcher Innen­minister und welche Innenministerin in Zukunft diese Entscheidung im Zusammenhang mit einem so weitreichenden Gesetz treffen wird. Das wissen wir jetzt de facto nicht.

Die nächste Sitzung des Bundesrates findet in genau drei Wochen statt. In diesen drei Wochen werden wir vom Bundespräsidenten eine neue und auch bis zur nächsten Wahl legitimierte Übergangsregierung haben. Dann würden wir wissen, wer der oder die zuständige Innenmister oder Innenministerin sein wird. Wird er oder sie überhaupt dieses Gesetz umsetzen wollen? Wird er/sie das überhaupt wollen, denn das Gesetz ist ja ein Projekt von Kickl (Bundesrat Seeber: Jetzt geht es um die Gründe!), noch immer, dem inzwischen entlassenen Innenminister Kickl, und es ist ja auch aus grund- und menschenrechtlicher Sicht höchst umstritten.

Das heißt, wir legen jetzt diesem Innenminister, dieser Innenministerin, die wir noch nicht einmal kennen, dieser nächsten Bundesregierung etwas in den Schoß, was sie vielleicht gar nicht will. Aus diesen Gründen appelliere ich an Sie alle, keinem Gesetz zuzustimmen, wenn wir nicht einmal wissen, wer der Übergangsminister für Inneres sein wird. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, sich im Bundesrat Zeit zu nehmen, das Vorhaben noch einmal gründlich zu prüfen und vorweg auch Gespräche mit dem Übergangsminister für Inneres zu führen.

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Antrag

auf Aufschub der Entscheidung über den Verhandlungsgegenstand

§ 51 Abs. 1 GO-BR

der BundesrätInnen David Stögmüller, Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen

Die unterzeichneten BundesrätInnen stellen den Antrag, den Verhandlungsgegenstand ohne Debatte zu vertagen und den Ausschuss für innere Angelegenheiten erneut mit der Vorberatung zu betrauen.

*****

Weiters bringe ich einen Antrag auf Einspruch gegen dieses Gesetz ein:

Antrag

gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR

der BundesrätInnen David Stögmüller, Ewa Dziedzic

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Gegen den Beschluss des Nationalrates vom 16. Mai 2019 betreffend ein Bundes­ge­setz, mit dem ein Bundesgesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung erlassen (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G) und das BFA-Verfahrensgesetz, das Asylgesetz 2005 und das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 geändert werden (594 d.B. und 621 d.B.) wird mit der beigegebenen Begründung Einspruch erhoben.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zeigen wir heute im Bundesrat, dass wir in politisch angespannten Situationen ein Garant für gewissenhafte und nachhaltige Politik sind! Das, was wir heute machen, ist keine nachhaltige Politik. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

11.27

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Der von den Bundesräten David Stögmüller, Dr. Ewa Dziedzic gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR gestellte Antrag, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 16. Mai betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein BBU-Errichtungsgesetz erlassen und das BFA-Verfahrensgesetz und weitere Gesetze geändert werden, mit der beigegebenen Begründung Einspruch zu erheben, trägt nur zwei Unterschriften und ist somit nicht genügend unterstützt.

Ich stelle daher die Unterstützungsfrage und bitte jene Bundesrätinnen und Bun­desräte, die diesen Antrag zusätzlich unterstützen wollen, um ein Handzeichen. – Das ist nicht der Fall. Die Unterstützung ist daher nicht ausreichend. (Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrat Steiner – in Richtung SPÖ –: Jetzt habt ihr es wieder einmal verschlafen!)

*****

Wir führen die Debatte fort. Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Spanring. Ich erteile es ihm.