10.58

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Geschätzte Frau Bundeskanzlerin! Damen und Herren der Bundesregierung! Lie­be Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Meine sehr geehrten Damen und Her­ren hier im Hohen Haus und jene, die unsere Sitzung über Livestream mitverfolgen können! Vor knapp drei Wochen habe ich hier, damals noch unter dem Eindruck des ausgesprochenen Misstrauens gegenüber Bundeskanzler Sebastian Kurz und der damals als Interimsregierung im Amt befindlichen Bundesregierung, gemeint, dass die­se Entscheidung der freiheitlichen und der sozialdemokratischen Fraktion im National­rat eine falsche Entscheidung war.

Es war nicht nur ungerecht gegenüber Bundeskanzler Sebastian Kurz (Bundesrätin Schumann: Es gab kein Vertrauen!), der gemeinsam mit den Kolleginnen und Kolle­gen der österreichischen Bundesregierung in den vergangenen 17 Monaten hervorra­gende Arbeit geleistet hat, sondern es war auch eine falsche Entscheidung, weil es he­rausragende Entscheidungen auf europäischer Ebene gibt, wo auch für Österreich eini­ges auf dem Spiel steht. (Bundesrat Weber: Der wird denen abgehen!)

Die Frau Bundeskanzlerin hat heute – ähnlich, wie sie es auch im Nationalrat getan hat; ich habe es nachgelesen – eingangs ihrer Ausführungen in Anlehnung an Cicero gemeint, dass die Verlässlichkeit – jetzt meine Worte – der Kitt der Gesellschaft ist, und ich kann diesem Zitat und ihren weiteren Erläuterungen zum Thema der Verläss­lichkeit einiges abgewinnen.

Ich bin ein sehr interessierter Leser soziologischer Aufsätze, auch wenn ihr Erscheinen schon einige Zeit zurückliegt, aber Max Weber, der Begründer der empirischen Sozio­logie, hat in seinem berühmt gewordenen Aufsatz über den Beruf des Politikers ja ein­mal gemeint, dass Politik das Bohren harter Bretter sei, und zwar mit Leidenschaft und mit Augenmaß. Wenn ich die Ausführungen der Frau Bundeskanzlerin und des Herrn Vizekanzlers richtig interpretiere, dann wollen sie in den Monaten ihrer Regentschaft das Augenmaß in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen und die Leidenschaft zu­rückhalten. Ich bedauere das außerordentlich, sage ich, weil in diesen Monaten für Ös­terreich im Rahmen des europäischen Kontextes viel auf dem Spiel steht.

Ich gratuliere Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, zur Auswahl Ihres Außenministers. Ich kenne Herrn Schallenberg als einen ausgewiesenen Experten im Ministerium und freue mich, dass wir in einer sehr sensiblen Phase der Diskussion um die Zukunft Europas mit Kompetenz an die Sache herangehen können. Wir haben uns gestern im EU-Aus­schuss des Bundesrates – Kollege Koller hat schon darauf hingewiesen – sehr intensiv mit Fragestellungen der Zukunft dieses gemeinsamen Europas auseinandergesetzt – ich möchte einige dieser Fragestellungen auch ansprechen –, wo ich mir schon wün­schen würde, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, dass hier nicht nur mit Augenmaß vorgegangen wird, sondern dass hier mit Leidenschaft argumentiert wird und dass ins­besondere auch der Wählerwille der Europawahlen entsprechende Berücksichtigung findet. (Beifall bei der ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik wird immer dadurch ausgedrückt, dass es Bud­gets gibt. Auf europäischer Ebene ist das immer ein mehrjähriger Budgetrahmen, der in Verhandlung steht. Wir haben während der österreichischen Ratspräsidentschaft un­seren Beitrag zur Weiterentwicklung des mehrjährigen Finanzrahmens geleistet. Jetzt ist die Frage auf dem Tisch – das wurde gestern, wenn ich es richtig gesehen habe, auch in Luxemburg artikuliert –, dass auch Finanzkommissar Oettinger, mit dem wir uns im Rahmen einer Exkursion des EU-Ausschusses in Brüssel auseinandergesetzt haben, auch hier im Rahmen des Bundesrates auseinandergesetzt haben, gemeint hat, dass der Europäische Rat jetzt rasch Entscheidungen treffen sollte. Ich glaube auch, dass es gut wäre, den Rahmen zu kennen, in dem für 2021 bis 2027 die Finanz­mittel definiert sind, um dann auch in den inhaltlichen Fragestellungen der Zukunft die­ses gemeinsamen Europas die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Welche sind das? – Das sind natürlich Entscheidungen, die mit der Kohäsion in Europa zu tun haben, auch im Kontext möglicher Erweiterungsschritte, die auf der Agenda ste­hen. Wobei ich auch als Vertreter eines Bundeslandes – die Steiermark wurde von meinen beiden Vorrednern schon mehrfach adressiert – schon sagen kann, dass uns dieses gemeinsame Europa große Vorteile gebracht hat, weil damit über 70 000 zu­sätzliche Beschäftigungsverhältnisse seit 1995 in der Steiermark entstanden sind, weil damit über 2,5 Milliarden Euro an europäischen Fördermitteln für diverse Projekte in der Steiermark eingeworben werden konnten und sich damit die Steiermark als ein einstmals sehr grundstofforientierter Wirtschaftsstandort zu einem Hochtechnologie­standort und Innovationsstandort entwickelt hat, mit einer Forschungs- und Entwick­lungsquote von mehr als 5 Prozent, und damit der Wirtschaft und den Arbeitsplätzen in dieser Region einen ganz besonderen Schwerpunkt geben konnte. Das wollen wir auch in Zukunft fortsetzen. So gesehen geht es auch um die Frage, wie in Zukunft Ko­häsionsmittel eingesetzt werden und ob auch entwickelte Regionen, zumindest wenn es um den Bereich der Innovation geht, wenn es um den Bereich der Forschung und Entwicklung geht, wenn es um den Bereich der Bildungsprogramme geht, wenn es um den Bereich der Jugendprogramme geht, ihren fairen Anteil erhalten können.

Zum Zweiten: Was ist mit diesem Finanzrahmen jedenfalls auch in Beratung? – Es ist – und eigentlich wäre das für morgen und übermorgen, wenn ich das richtig gese­hen habe, auf der Agenda des Europäischen Rates gestanden – die Erweiterung in Be­ratung. Ich vernehme, dass Erweiterungsschritte geplant sind. Sehr geehrter Herr Schallenberg, danke für Ihre klaren Worte – wir haben das gestern auch im EU-Aus­schuss positiv gemeinsam über alle Fraktionen hinweg begleitet –, dass Sie gemeint haben, dass wir gerade Nordmazedonien, die sich sehr angestrengt haben und Signale auf europäischer Ebene bekommen haben, dass diese Anstrengungen, auch was die Frage der Namensgebung dieses Landes betrifft, jetzt zu einem positiven Abschluss gekommen sind, dass wir Nordmazedonien und Albanien auch in den Start der Ver­handlungen mit der Europäischen Union begleiten sollten.

Das ist ein Prozess, das ist nicht der Abschluss dieser Verhandlungen. Ich würde mich sehr freuen, wenn da der Europäische Rat auch einen Schritt weiterkäme. Dass das schon morgen oder übermorgen gelingen wird, bezweifle ich, aber Wunder soll es auch auf europäischer Ebene immer wieder geben.

Wir haben gestern im EU-Ausschuss – es wurde bereits adressiert – auch die Klima­politik angesprochen. Wir teilen diesbezüglich in weiten Bereichen Vorhaben. Das zu­ständige Ministerium hat auch auf eine Strategie hingewiesen, die in der Vision der Eu­ropäischen Union unterentwickelt ist, nämlich das Konzept 100 Prozent erneuerbare Energien. Ich glaube, es wäre zweckdienlich, im Bereich der erneuerbaren Energien auch noch Akzente auf europäischer Ebene zu setzen. Es gibt auch eine einheitliche Länderstellungnahme in der Frage der erneuerbaren Energien und der Skepsis gegen­über der Nuklearenergie und des Carbon Storage, auf die ich ganz besonders hinwei­sen möchte.

Ich darf abschließend zum Ausdruck bringen, dass es auf europäischer Ebene schon um Inhalte geht und dass es daher auch angebracht ist, mit Leidenschaft zu argumen­tieren, dass es aber natürlich auch um personelle Entscheidungen geht. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie den Dialog mit den So­zialpartnern suchen, dass Sie den Dialog mit den Interessenvertretungen suchen, dass Sie auch den Dialog mit den Ländern suchen. Es wäre auch gut, den Dialog mit Ihrem Vorgänger zu suchen, um sich auch in Sachfragen und personalpolitischen Fragestel­lungen entsprechend zu informieren (Heiterkeit bei BundesrätInnen der SPÖ) – wie immer Sie dann entscheiden, das ist das Vorrecht einer Bundeskanzlerin und einer Bundesregierung –, aber ich glaube, dass es auf europäischer Ebene Entscheidungen gibt, die auch einen Vorlauf haben.

Der österreichische Wähler hat bei der Wahl zum Europäischen Parlament ein klares Votum ausgesprochen. Dieses Votum hat meiner Gesinnungsgemeinschaft, der Öster­reichischen Volkspartei, und damit der Europäischen Volkspartei einen klaren Auftrag gegeben; und das sollte ein Auftrag sein, der auch zum Selbstverständnis einer öster­reichischen Bundesregierung gehört, wenn man diese Ergebnisse annimmt. (Beifall bei der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frau Bundeskanzlerin hat abschließend in ihren Ausführungen die Frage aufgeworfen – ich glaube, es war die rhetorische Frage –, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Das wird jeder für sich beantworten können, ich sage es Ihnen für meinen Teil: Ich würde gerne im Herzen Europas in einer Gesell­schaft in Frieden und in Freiheit leben, wie es die Grundsätze unseres gemeinsamen Europas sind, wo die Menschenrechte durchgesetzt werden, wo Rechtsstaatlichkeit durchgesetzt wird, wo Mann und Frau gleichberechtigt in dieser Gesellschaft leben können, wo auf das Klima ebenso geachtet wird wie auf die Bedürfnisse der jungen Menschen und wo wir uns insgesamt darüber einig sind, dass dieses gemeinsame Europa in Vielfalt geeint ist. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP.)

11.08

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile es ihm.