14.30

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher auf der Galerie und zu Hause! Wir diskutieren über das sogenannte Teileinspruchsrecht des Bundesrates. Sehr geehrte Damen und Herren, was kann man sich darunter vorstellen? – Tatsache ist, der Bundesrat ist mit teilweise äußerst umfangreichen Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates befasst und hat über diese zu entscheiden. Doch ist es den Bun­desrätinnen und Bundesräten wirklich möglich, ihren freien und wahren Willen aus­zudrücken? – Nein, leider, das ist nicht immer der Fall. Der Nationalrat hat sich mehr und mehr angewöhnt, umfangreiche Gesetzesvorhaben in einem Bundesgesetz zu­sam­menzufassen. Der Bundesrat kann dann beschließen, gegen den Gesetzes­be­schluss des Nationalrates einen mit einer Begründung versehenen Einspruch zu erheben oder dem Gesetzesbeschluss des Nationalrates zuzustimmen; es gibt aber keine Abstimmungsmöglichkeit dazwischen. Dieses Manko hat der Bundesrat schon 2003 erkannt, als im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes 90 verschiedene Gesetze geändert wurden – mit Artikel 90 zum Beispiel die Regelung rund um die March­feldschlösser und mit Artikel 69 der, wie wir heute wissen, völlig zu Recht umstrittene Ankauf der Eurofighter-Kampfflugzeuge.

Es war daher einem Bundesrat, einer Bundesrätin nicht möglich, für die March­feld­schlösser zu stimmen, aber gegen den Ankauf der Eurofighter zu sein. Folgerichtig wurde daher von den Bundesrätinnen und Bundesräten Jürgen Weiss, Hans Ager, Anna Elisabeth Haselbach, Ludwig Bieringer, Professor Albrecht Konecny, Universi­tätsprofessor Dr. Peter Böhm und Stefan Schennach ein Antrag eingebracht, mit dem das sogenannte Teileinspruchsrecht eingeführt werden sollte, und ich betone: Dieser Antrag wurde im Bundesrat einstimmig angenommen.

Die Begründung verwies auch auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, der anlässlich des Pensionsreformgesetzes 2000 anmerkte, dass solche Sammelnovellen „der Erkennbarkeit des Rechts äußerst abträglich“ sind. Dieser Antrag wurde 2009 neuerlich einstimmig im Bundesrat beschlossen.

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, ein bisschen was zur zeitge­schichtlichen Aufarbeitung dieses Themas: Wer ist Jürgen Weiss? – Für die wenigen unter uns, die ihn nicht kennen: Jürgen Weiss war von 6. November 1979 bis 30. April 2009, also rund 30 Jahre, Bundesrat der ÖVP aus Vorarlberg, mehrfacher Präsident und Vizepräsident dieses Hauses und von 1991 bis 1994 Bundesminister für Födera­lismus. Jürgen Weiss führte am 9. Oktober 2003 Folgendes aus: „So uneinig wir uns im Sommer über den Inhalt des Budgetbegleitgesetzes waren, so übereinstimmend war das Unbehagen mit der Rechtsform einer Paketlösung mit 90 einzelnen Bundes­ge­setzen.“

Einen Satz möchte ich besonders betonen: „Dieses Unbehagen ist ebenso partei­über­greifend wie die durch viele Jahre zurückzuverfolgende Nutzung durch die ver­schie­densten Regierungskonstellationen“.

Diese Haltung sollte eigentlich auch noch heute gelten. Zu meinem Erstaunen aber trat in der neuen Regierungskonstellation nur mehr die Fraktion der FPÖ und meine sozial­demokratische Fraktion für dieses Teileinspruchsrecht ein. Warum haben sich sowohl ÖVP wie auch die Grünen in ihrer Meinung so verändert? Ist die Unterstützung dieses Vorhabens durch Bundeskanzler Kurz untersagt worden? Warum, meine Damen und Herren, sehen Sie diese Sachfrage plötzlich nur mehr durch die politische Brille, und warum wollen Sie, dass die Bundesräte und Bundesrätinnen ihre wahre Meinung nicht ausdrücken können? (Beifall bei der SPÖ.)

Für uns Bundesrätinnen und Bundesräte ist mit dem nächsten Budgetbegleitgesetz dieses Gesamtabstimmungsproblem neuerlich zu erwarten, und die Schwäche des Bundesrates in Form der nicht vorhandenen Teilabstimmungsmöglichkeit wird wieder deutlich sichtbar werden.

Nun noch zu weiteren öffentlichen Aussagen zu diesem Thema Teileinspruchsrecht:

„Gemeinsam Perspektiven schaffen – aktuelle Länderpositionen“ lautet der Beschluss der Landeshauptleutekonferenz vom 10. November 2017. Angemessene Mitwirkungs­rechte der Länder an der Bundesgesetzgebung sind eine unverzichtbare Grundlage des Bundesstaates.

Betreffend Reform des Bundesrates verweisen die Länder auf die von ihnen bereits im Jahr 2012 vorgelegten konkreten Vorschläge. So soll es beispielsweise ein verstärktes Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei Bundesgesetzen, die die Interessen der Länder berühren, geben, weiters ein allgemeines Zustimmungsrecht des Bundesrates bei Ver­fassungsänderungen, die frühzeitige Befassung des Bundesrates mit Gesetzesvor­schlägen samt Stellungnahmerecht und die Verwirklichung des Teileinspruchsrechts. (Beifall bei der SPÖ.)

Weiters die Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage aus Anlass der Konstituierung des Nationalrates am 23. Oktober 2019 für die XXVII. Gesetz­ge­bungsperiode: Weiterentwicklung des Bundesrates und Verwirklichung eines Teilein­spruchs­rechts, das sich auf einzelne in einem Gesetzesbeschluss des Nationalrates zusammengefasste Gesetze bezieht.

Damit, meine Herren und Damen von der ÖVP, die Argumente für ein Teilein­spruchs­recht noch besser zu verstehen sind, zitiere ich aus der Rede, die 2003 von Bundesrat Jürgen Weiss, damals in der Funktion des Präsidenten des Bundesrates, gehalten wurde und die sieben Gründe für ein Teileinspruchsrecht beinhaltet. Ich tue das auch deshalb, weil es Ihnen, die Sie damals vielleicht nicht in diesem Hohen Haus gesessen sind und sich vielleicht nicht historisch mit dem Teileinspruchsrecht befasst haben, eine Ahnung gibt, wieso dieses eigentlich so wichtig ist. Es ist wirklich eine ganz, ganz tolle Rede, das darf ich neidlos auch jemandem von der ÖVP zugestehen.

Die „Rechtsform“, sagt Jürgen Weiss, „einer umfangreichen Sammelnovelle“ ist „aus mehreren Gründen problematisch.

Erstens: Wie der Verfassungsgerichtshof selbst zum Pensionsreformgesetz 2000 fest­gestellt hat, ist diese gesetzgeberische Praxis der Erkennbarkeit des Rechts – ich zitiere – äußerst abträglich.

Zweitens: Die Zusammenfassung von Gesetzesbeschlüssen führt, häufig noch in Verbindung mit Zeitdruck, in der Praxis dazu, dass das Begutachtungsverfahren ent­weder von selbst ins Leere läuft oder gar ins Leere laufen gelassen wird. Das ist für die Qualität und Praxistauglichkeit der einzelnen Gesetze außerordentlich nachteilig.

Drittens: Im Bereich der Gesetzgebungsorgane wird die sorgfältige Beratung durch die fachkundigen und zuständigen Ausschüsse unterlaufen [...]. Auch das ist der Qualität der Gesetze nicht förderlich.

Viertens: Die übertriebene Nutzung von Sammelnovellen entwertet auch die legis­tischen Richtlinien der Bundesregierung, wonach die Verbindung einzelner Gesetzes­änderungen zu einem einzigen Gesetzesbeschluss nur ausnahmsweise und nur bei sachlichem Zusammenhang zulässig ist. [...]

Fünftens: Durch Sammelgesetze wird die parlamentarische Diskussion stark kom­primiert. [...] Dass auf diese Weise viele Einzelfragen nicht mehr mit der wünschens­werten Klarheit und der notwendigen Transparenz für die Öffentlichkeit diskutiert werden können, liegt auf der Hand.

Sechstens können durch die Einbindung in ein Paket umstrittene und für sich allein abzulehnende Regelungen auch politisch immunisiert werden; im Sinne einer Güter­abwägung müssen sie zähneknirschend in Kauf genommen werden. Auf diese Weise wird vor allem den Ländern immer wieder ein Einverständnis abgenötigt, das für einzelne Maßnahmen an sich nicht so zu erhalten gewesen wäre. Sammelnovellen können somit auch als Instrument unsachlicher Junktimierung eingesetzt werden.

Schließlich wird siebtens auch das Einspruchs- und Zustimmungsrecht des Bundes­rates durch die politische Wirkung eines Sammelgesetzes faktisch ins Leere laufen gelassen. Vom Umfang her ist das so, als ob der Bundesrat nur einmal oder zweimal im Jahr zusammentreten und die in der Zwischenzeit angefallenen Gesetzes­be­schlüs­se unter einem absegnen würde. Es liegt auf der Hand, dass auch auf diese Weise die Funktion einer zweiten Kammer ausgehöhlt werden würde.“

Sehr verehrte Damen und Herren der ÖVP und der Grünen, bitte stimmen Sie im Sinne unserer gemeinsamen Bemühungen für die Stärkung des Bundesrates diesem Vor­haben zu, kehren Sie zurück zu Ihrer staatspolitischen Überzeugung und helfen Sie vor allem, dem Bundesrat jene Stärke zu geben, die er braucht, um auch die wichtige Rolle in der Gesetzgebung dieses Landes zu spielen! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Steiner und Mühlwerth.)

14.39

Präsident Robert Seeber: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. Ich erteile ihm dieses.