15.01

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause! In den letzten Wochen haben wir etwas ganz Besonderes erlebt. Wir leben in einem Land, dessen Bevölkerung unglaublich solidarisch ist, wenn es da­rum geht, sich gegenseitig zu schützen. Wir halten Abstand, aber gleichzeitig wollen wir auch, dass niemand, der uns braucht, alleingelassen wird.

Noch einmal möchte ich betonen, dass es die Heldinnen und Helden des Alltags sind, die uns ein Stückchen Normalität für unser Leben zurückgeben und dieses Land am Laufen halten. Ihr enormer Einsatz in der Krise – das ist eindeutig erkennbar – lässt auch den Wert von Arbeit neu definieren. Angehörige von Berufen, die schlecht bezahlt sind, oft unter enormen Arbeitsbelastungen ausgeführt werden müssen und in der Ver­gangenheit nicht die Wertschätzung erfahren haben, die ihnen wirklich gebühren wür­de, deren Arbeit ist jetzt für uns überlebenswichtig. Für die ArbeitnehmerInnen reicht das alleinige Aussprechen eines Dankes nicht aus. Wir werden über angemessene Be­zahlung, gesunde Arbeitsbedingungen und strukturelle Verbesserungen in den Bran­chen reden müssen.

Größte Anerkennung darf ich den Beschäftigten des AMS zollen und sie genauso den Beschäftigten der Gewerkschaften und der Arbeiterkammern für ihre Leistung, ihren Einsatz, ihr Serviceangebot für die ArbeitnehmerInnen und ihren Kampf für den Erhalt jedes einzelnen Arbeitsplatzes aussprechen. Das verdient große Anerkennung. – Vie­len, vielen Dank! (Beifall bei der SPÖ.)

280 000 Menschen konnten wir mit der Coronakurzarbeit helfen, ihre Arbeitsplätze konnten mit diesem tollen Konzept gerettet werden. An die Arbeitgeber sei wirklich noch einmal appelliert, dieses sehr attraktive Kurzarbeitsmodell zu wählen.

Zugleich erleben wir – und wir haben es heute schon oft gehört, aber es muss immer wieder wiederholt werden – die größte Arbeitslosigkeit seit 1946. Die unfassbare Zahl von 562 222 Arbeitslosen und der Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 12,2 Prozent ma­chen extrem betroffen. Innerhalb von zwei Wochen haben fast 200 000 Menschen ihre Arbeit verloren. Das sind 200 000 Einzelschicksale.

Jetzt brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Arbeit unverschuldet verloren haben, unsere Unterstützung. Schauen wir uns an, wer vor allem arbeitslos geworden ist: Es sind die Menschen in der Gastronomie, im Tourismus, diejenigen, die am Bau oder in der Logistik tätig waren, und viele junge Menschen. Es sind Beschäf­tigte, die häufig unter erschwerten Bedingungen und zu kleinem Geld arbeiten. Für sie bedeutet diese Arbeitslosigkeit eine doppelte Armutsfalle. Niedrige Gehälter und eine Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes von nur 55 Prozent, das ist für viele jetzt nicht zu schultern. Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen.

Daher bringen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einen Entschließungs­antrag ein, mit dem wir die Regierung auffordern, das Arbeitslosengeld zu erhöhen. „Koste es, was es wolle“ – dieser Spruch des Bundeskanzlers hat für die Wirtschaft ge­golten. Jetzt muss er auch für die arbeitslosen Menschen gelten. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Antrag lautet wie folgt:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Erhö­hung der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung“, eingebracht im Zuge der De­batte zu TOP 1 ein.

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass allen beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos registrierten Personen, der Bezug der aktuellen Leistung um die Dauer der Krise, mindestens jedoch bis 31.12.2020 verlängert wird und zusätzlich ein ‚COVID-19-Ausgleich‘ für Arbeitslose in Form eines 30-%igen Zu­schlages zu allen Arbeitslosenversicherungsleistungen (Arbeitslosengeld und Not­standshilfe inklusive der Familienzuschläge) rückwirkend mit 1. April 2020 gewährt wird. Dieser Zuschlag soll über die Finanzämter, bei denen alle Daten aller Erwerbstä­tigen vorhanden sind, automatisch, also ohne formale Antragstellung ausgezahlt werden.

Die Arbeitsministerin wird weiters aufgefordert, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass der Personalstand beim Arbeitsmarktservice rasch um bis zu 500 Planstellen aufge­stockt wird, damit diese außerordentlichen Belastungen bewältigt werden können.“

*****

Wir müssen gerade jetzt für die verzweifelten Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, etwas zum Besseren verändern. Deshalb ist dieser Antrag auch so wichtig, und daher werden wir diesen Antrag auch namentlich abstimmen lassen.

Lassen Sie mich noch einen wichtigen Punkt erwähnen – Kollege Schachner hat es bereits gesagt –: Es wird jetzt zwar die Freistellung von Risikogruppen geregelt, aber es ist ein Pferdefuß dabei, und wenn man zu sehr sich selbst für die Regelung der Dinge lobt, dann muss man schon sehen, wo die Pferdefüße sind. Jetzt sind sie bei der Thematik in Bezug auf die Personengruppe, die ausgenommen ist, nämlich jene, die in der kritischen Infrastruktur arbeiten, zu finden. Diese Menschen haben keine Chance, freigestellt zu werden.

Bitte sagen Sie mir, was man der Pflegekraft, die schwer zuckerkrank ist, eigentlich zur Risikogruppe gehört und die Freistellung bräuchte, sagen soll. Soll man ihr sagen, sie hat keine Chance, weil sie zur kritischen Infrastruktur gehört? – Das kann es doch wohl nicht sein! Das ist keine gute Regelung, da muss nachgebessert werden.

Gleichzeitig – auch das hat Kollege Schachner bereits angesprochen – braucht es ei­nen umfassenden Kündigungsschutz. Jetzt definierte Risikogruppen haben nach Ende der Krise – das wissen wir alle – eine wesentlich geringere Chance am Arbeitsmarkt als andere, die nicht als solche definiert werden. Das heißt, sie brauchen einen umfas­senden Kündigungsschutz. Das muss unbedingt geregelt werden. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Ich ersuche Sie ganz dringend auch für die schwangeren Frauen, die jetzt sehr mit Un­sicherheit, wie es mit ihrer Situation weitergeht, belastet sind, zu einer Regelung zu kommen, sodass man ihnen die Möglichkeit zu einem vorzeitigen Mutterschutz gibt. Sie sollen dann selbst entscheiden, ob sie weiterarbeiten wollen oder nicht, wenn es für sie möglich ist, im Homeoffice zu arbeiten. Sie brauchen diesen vorzeitigen Mut­terschutz, da muss nachgebessert werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Starke Schultern müssen mehr tragen, hat Willy Brandt einmal sinngemäß gesagt. In der jetzigen Krise merken wir, diese starken Schultern hat nur der Sozialstaat – jener solidarische Staat, den wir alle tragen. Es sind also auch unsere Schultern, und diese sind stark genug, damit wir jenen, die jetzt nicht die volle Last tragen können, einen Teil dieser Last abnehmen. Dazu gehört ein starkes öffentliches Gesundheitssystem. Mit diesem begegnen wir der Krise weit besser als jene Staaten, die ihre öffentliche Gesundheitsversorgung totgespart oder in private Hände gelegt haben. Ein gutes öf­fentliches Gesundheitssystem und ein funktionierender Sozialstaat kosten Geld, ohne Zweifel. Es ist auch darüber nachzudenken, wie jene mit sehr großem Vermögen ihren Beitrag in der Krise und nach der Krise leisten können.

Jetzt von Sparpaketen zu reden ist völlig fehl am Platz. Vielmehr gilt es, für die Zeit nach der Krise Mut zu machen und Fördermaßnahmen zum Ankurbeln der Wirtschaft anzukündigen. Es gilt, Zuversicht zu stiften – Zuversicht, die man im Zusammenhang mit einem anderen, von der Regierung vernachlässigten Thema gleich wieder verlieren könnte.

Eines unserer Nachbarländer hat sich diese Woche von der parlamentarischen Demo­kratie verabschiedet. Ungarn wird seit Montag per Dekret regiert. Das Parlament ist ausgeschaltet. Es ist empörend, dass unser Bundeskanzler, der ja selbst Außenminis­ter war und bis heute regelmäßig besten Kontakt zu den sogenannten Visegrádstaaten pflegt, keine klaren öffentlichen Worte dazu gefunden hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir befinden uns in einer der schwierigsten Krisen, die wir in der jüngsten Geschichte bewältigen mussten, das heißt aber nicht, dass im Windschatten von notwendigen Maßnahmen unsere demokratischen Grundsätze und Freiheitsrechte ins Wanken ge­raten dürfen. Unsere Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, das jeden Tag zu pflegen und zu schützen ist. Aktuell scheint es in besonders großer Gefahr zu sein. Da dürfen wir nicht wegschauen.

Lassen Sie mich noch einmal die Zuversicht bemühen! Es wird einen Tag nach der Krise geben, und dieser Tag wird der entscheidende sein, wenn wir auf diese schwere Zeit zurückschauen. Die täglichen Aufrufe zum Durchhalten an die Österreicherinnen und Österreicher werden von den Menschen in bewundernswerter Weise umgesetzt. Es geht aber nun darum, zu erklären, was die Zukunft bringt.

Wir sagen: Es braucht jetzt eine schrittweise und eine kalkulierbare Rückkehr zur Nor­malität, auch wenn sie noch länger eine neue Form einer bisher noch nicht gekannten Normalität sein wird. Der Weg dazu kann nicht mit einem Datum festgelegt werden, das wissen wir. Es muss aber für alle erkennbar und transparent nachvollziehbar sein, wie die Schritte gesetzt werden – nicht nur mit scheibchenweiser Ankündigungsrhetorik in Pressekonferenzen –, damit aus dem Durchhaltevermögen das entsteht, was uns letztlich gemeinsam stark für die Zukunft macht: die Zuversicht.

Ich bitte Sie, bleiben Sie gesund – und: ein herzliches Glückauf! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

15.12

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Der von Korinna Schumann, Kolle­ginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Erhöhung der Leis­tungen aus der Arbeitslosenversicherung“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Dr. Michael Schilch­egger. – Ich erteile es Ihnen, Herr Bundesrat.