20.25

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause! Erlauben Sie mir als Fraktionsvorsitzende zuerst einige Worte zu dieser heutigen Sondersitzung zu verlieren!

Eigentlich war es über alle Parlamentsfraktionen hinweg vereinbart, dass der parla­mentarische Ablauf nun wieder einen normalen Verlauf nimmt, den Krisenmodus ver­lässt und wir wieder zu normalen Abläufen zurückkehren. Das galt auch für den Bun­desrat. Warum also jetzt diese Sondersitzung, die von ÖVP und Grünen beantragt wurde? – Ganz einfach – und das muss klar und deutlich ausgesprochen werden –: Die Föderalismuspartei ÖVP und die Grünen haben den Bundesrat in ihrer politischen Arbeit vergessen. Das war spätestens nach der Pressekonferenz, in der die Regelung bezüglich der Risikogruppen bekannt gegeben wurde, klar. Die Regelung tritt mit 4.5. in Kraft, war da zu hören. Da war schon klar: Die Regierung hat den Bundesrat vergessen. Um alles noch auf die Reihe zu kriegen, musste wieder ein Sondermodus aktiviert werden, gleich auch mit dem Wunsch, keine Ausschüsse im Bundesrat durchzuführen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lehnen es entschieden ab, den Bundesrat zu einer Art Abnickgremium verkommen zu lassen, unter dem Motto: Da machen wir halt noch schnell eine Bundesratssitzung! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Kehren wir – bitte! – zum regulären parlamentarischen Ablauf zurück! Ich darf noch eine Bitte an Kollegen Schreuder richten. Es ist ratsam und gut, sich zu überlegen, welche Botschaft man über die Medien vermittelt. Oppositionsparteien auszurichten, dass Sie es als politisches Foul wahrnehmen würden, wenn sie ihre Oppositionsrechte wahrnehmen, ist schon ein bissl stark. (Zwischenruf des Bundesrates Schreuder.) Ich habe immer gedacht, die Grünen wären gerade jene Partei, der die politischen Rechte ein hohes Gut waren und sind. Ich hoffe, dieser Ausrutscher war ein einmaliger und Sie sind noch nicht Teil einer vereinheitlichten Meinungsmaschinerie geworden.

Die Coronakrise könnte zur größten Sozialkrise seit 1946 in Österreich werden. Das gilt es mit aller Kraft und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern, koste es, was es wolle.

Noch einmal: Die Arbeitslosenzahlen sind bestürzend hoch. Fast 600 000 Menschen haben keine Arbeit. Da geht es nicht um kalte statistische Zahlen, da geht es um Menschenschicksale. Da geht es auch nicht darum, dass man eine Dringliche Anfrage dafür nützt, für andere Themen zu instrumentalisieren. Da geht es um die Arbeits­losig­keit, da geht es um die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, da geht es um jene, die jetzt in Kurzarbeit sind, die froh sind, noch den Arbeitsplatz zu haben und Ängste haben, wie ihre Arbeitsplatzsituation in Zukunft aussehen wird.

Arbeitslosigkeit ist ein schweres Los: für all die 600 000 Menschen mit den Aus­wir­kungen auf ihr Leben, mit weniger Geld im Geldbörsel, mit den laufenden Zahlungen, die vielleicht nicht beglichen werden können, und immer wieder mit der Angst: Kann ich noch Arbeit finden?

Heute wird mit diesem Gesetz ein wichtiger Hilfsschritt gesetzt. Die hohe Arbeits­losigkeit bei gleichzeitig geringeren Chancen auf neue Beschäftigung haben diesen Schritt der Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs erforderlich gemacht. Es ist vor­ge­sehen, dass jene, die zwischen dem 16. März und 30. September in die Notstands­hilfe abrutschen beziehungsweise abgerutscht sind, weiterhin Unterstützung in der Höhe des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes erhalten. Für diese Zeit gilt auch der Berufs- und Einkommensschutz. Wichtig ist auch, dass die Möglichkeit besteht, Frau Bundesministerin, diese Regelung im Einvernehmen mit dem Sozialminister und dem Finanzminister per Erlass noch einmal um drei Monate zu verlängern.

Das Modell der Sozialpartner zur Coronakurzarbeit war erfolgreich. Viele Arbeitsplätze konnten jetzt so erhalten werden. Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dieses ausgezeichnete Sozialpartnermodell nicht so rasch auf die Beine gestellt wor­den wäre. Es ist aber nicht sicher, ob die Wirtschaftsförderungsmaßnahmen wirklich genug greifen, ob die gesundheitliche Situation es zulässt, dass die Wirtschaft wie gewünscht anspringen kann. Es ist nicht sicher, dass die Arbeitslosigkeit nicht noch weiter steigen wird. Darum gilt es jetzt, den Menschen Perspektiven zu geben und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, Zuversicht zu vermitteln – das ist das Gebot der Stunde.

Besonders Klein- und Mittelbetriebe müssen gestützt werden, um ihren Fortbestand zu sichern, und die Arbeitslosen müssen wesentlich stärker unterstützt werden. Es wurde heute schon oftmals gesagt, doch es kann nicht oft genug wiederholt werden: Das Arbeitslosengeld muss erhöht werden (Beifall des Bundesrates Kaske), von 55 Pro­zent auf 70 Prozent der Nettoersatzrate! Das ist jetzt zu tun. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Mühlwerth.)

Die Betroffenen brauchen das Geld ganz dringend. Warum wehrt sich die Regierung so vehement dagegen? Es geht um ein erträgliches Leben für die Arbeitslosen. Mit der Erhöhung wird die Kaufkraft gestärkt – auch das wurde schon gesagt –, und jeder Euro, den Arbeitslose in die Hand bekommen, geht wieder direkt in den Konsum und fördert damit die Wirtschaft. Es geht darum, soziale Krisen zu verhindern. Warum weigert sich die Regierung so sehr, das Arbeitslosengeld zu erhöhen? Weil es die Sozialdemokratie fordert, weil es ein Verlangen der Gewerkschaften ist, weil es aus ihrer Sicht zu teuer ist? – Das kann es ja wohl nicht sein, denn dann würde der Sager „Koste es, was es wolle“ ja nur für die Unternehmen und nicht für die arbeitslos gewordenen Menschen gelten. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Zeit der salbungsvollen Worte ist vorbei. Viele der von Ihnen vor der Krise so oft zitierten LeistungsträgerInnen haben in der Krise ihre Arbeit verloren, viele von ihnen zum ersten Mal, und sie sehen wirklich angstvoll in die Zukunft.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten lassen niemanden zurück und wissen, dass es jetzt eine bessere Absicherung für die Menschen in Arbeitslosigkeit braucht, darum bringen wir heute auch den Antrag zur Erhöhung des Arbeitslosengeldes ein.

Lassen Sie mich bitte noch Folgendes feststellen: Wir freuen uns enorm, wenn die Zahlen der an Corona Erkrankten niedrig bleiben oder besser noch weiter sinken. Das ist die Leistung der Menschen in Österreich, und die Regierung hat auch wirklich wichtige Schritte dazu gesetzt. Hoffen wir ganz inständig, dass uns keine zweite große Coronawelle ins Haus steht. Aber für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war es immer Ziel, die Menschen zu stärken, an ihre Fähigkeiten und Talente zu glauben und gerechte Chancen für alle zu ermöglichen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir lehnen ein Menschenbild ab, das damit arbeitet, Angst zu machen. Wir lehnen es ab, dass den Österreicherinnen und Österreichern nicht vertraut wird, Situationen und Gefahren sehr gut selbst abschätzen zu können. Regieren mit Angst kann aus unserer Sicht niemals der richtige Weg sein.

Es sei den Regierungsparteien ganz dringend nahegelegt, zu lernen, mit sachlicher Kritik umgehen zu können. Kritik kann helfen, besonders in dieser nie dagewesenen Situation. Das Fachwissen der anderen hat gerade jetzt einen hohen Wert, denn die Ideen und Vorschläge der Opposition zu ignorieren, aber sie dann doch noch – ein bisschen später halt – als die eigenen umzusetzen, ist mehr als durchsichtig.

Es gibt in dieser Situation viele Risiken und Gefahren und es sei davor gewarnt, Schwierigkeiten kleinzureden und mit der Erzählung: Wir haben eh alles im Griff!, seitens der Regierung zu übermalen. Was die Krise gelehrt hat, ist, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind. Diese Haltung wird in nächster Zeit noch wichtiger und auf die Probe gestellt werden. Die Menschen haben in letzter Zeit vieles erduldet und sind enorm belastet. Besonders der Verlust des Arbeitsplatzes ist ein schwerer Schlag. Darum zeigen Sie Verständnis für die Menschen ohne Arbeit und – bitte! – erhöhen Sie endlich das Arbeitslosengeld! – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

20.32

Vizepräsident Michael Wanner: Danke schön.

(In Richtung Bundesrat Schreuder, der sich zum Rednerpult begibt:) Herr Kollege Schreuder, melden Sie sich zu einer tatsächlichen Berichtigung zu Wort oder ist das eine Wortmeldung? (Bundesrat Schreuder: Ich mache eine Wortmeldung!) – Gut, dann kommen Sie nachher dran. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Ich darf Frau Ministerin Edtstadler recht herzlich bei uns im Bundesrat begrüßen. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Andrea Michaela Schartel. Ich erteile es ihr.