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Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres Mag. Alexander Schallen­berg, LL.M.: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Bundes­räte! Wir alle wissen – und können uns jeden Tag in der Zeitung davon überzeugen , dass wir noch mitten in der Pandemiekrise, in der Covid-19-Krise stecken. Wir können uns aber auch jeden Tag in den Zeitungen davon überzeugen, dass die Außenpolitik nicht stehen bleibt.

Ich bin daher glücklich, dass heute hier im Bundesrat auch einige außenpolitische The­men auf der Tagesordnung stehen. Wir sehen, die Themen reichen ja von Libyen und der Türkei über Hongkong, ganz aktuell zunehmenden Spannungen: China, USA, WHO-Rückzug als Stichwort – das haben wir auch schon im Außenpolitischen Ausschuss be­sprochen  und der Wirtschaftskrise bis zu den Brexitverhandlungen. Also man sieht, es gibt sozusagen eine Panoplie an Themen. Ich glaube, es ist daher ganz wichtig, dass gerade ein Land wie Österreich engagiert bleibt und Kontinuität zeigt.

Es gibt einige Punkte, die ja auch vorhin angesprochen worden sind, bei denen, glaube ich, diese Kontinuität notwendig ist: Das ist zum Beispiel im Menschenrechtsbereich, das ist zum Beispiel im Engagement für Multilateralismus, das ist im Engagement für unseren Amtssitz und auch im Engagement für zwei der großen Themen der Zukunft, nämlich Klima und erneuerbare Energien, so. Ich glaube, das trifft sich eigentlich sehr gut, weil beide Themen heute genau da reinpassen.

Mit dem Irena-Abkommen geht es natürlich um erneuerbare Energien, aber es ist indirekt auch eine Stärkung des Amtssitzes, nämlich des Energyhubs, den wir haben, weil eine sehr enge Kooperation von Irena mit den hier ansässigen Organisationen wie SEforALL, Unido, Ofid und so weiter besteht. Ich glaube, das ist auch ein schönes Zeichen des Bekenntnisses zum Multilateralismus im Klimabereich.

Auf der anderen Seite haben wir, das wurde schon oft erwähnt, das Grazer Unesco-Zentrum. Abgesehen vom Engagement und Signal im Menschenrechtsbereich steht es, glaube ich, gerade hier im Bundesrat gut an, zu sagen, es ist einmal gut, dass etwas – was den Amtssitz betrifft – nicht nur in Wien, sondern auf Bundesländerebene stattfindet, in diesem Fall in der Steiermark. Ich glaube, das kann man durchaus begrüßen und unterstützen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Erlauben Sie mir, dass ich, um nicht zu lang zu sein, vielleicht einige Punkte gleich auf­greife, die Herr Bundesrat Schennach angesprochen hat! Mit Verlaub, ich glaube, unsere Position zum Wiederaufbaufonds und zum Mehrjährigen Finanzrahmen ist eine wohl­durchdachte. Ich lehne das Narrativ und Unterscheidungen in gute Europäer und schlech­te Europäer, das bei jeder zweiten Debatte vorkommt, absolut ab. Dass wir beim größten einzelnen Finanzpaket, das je in der Geschichte der Europäischen Integration geschnürt wurde, unsere Interessen einbringen, aber gleichzeitig sagen, natürlich wollen wir einen Kompromiss – das hat der Bundeskanzler auch sehr klargemacht –, ist wohl völlig natür­lich, alles andere müsste man uns wirklich zum Vorwurf machen. Das ist ein ganz norma­ler Verhandlungsprozess. (Beifall bei der ÖVP sowie des Bundesrates Schreuder.)

Als ich im Rahmen der C5, der Central Five – das ist eine Runde, die sich sozusagen fast automatisch, könnte man sagen, durch die zahlreichen Videokonferenzen und Kon­takte, die wir in der ganzen Covid-Krise hatten, entwickelt hat –, in Budapest war, hat sich gezeigt: Die Krise hat bewiesen: Neighborhood matters, Nachbarschaft ist wichtig. Ich vergleiche es manchmal mit folgender Situation: Bei einem Zimmerbrand oder was immer denkt man an den Nachbarn in der nächsten Wohnung – und nicht an den, der auf der anderen Straßenseite oder im anderen Bezirk wohnt. So ähnlich war es da, und das ist auch die Anerkenntnis davon.

Das heißt überhaupt nicht, dass wir in allen Positionen mit allen Nachbarn einverstanden sind, denn sie sind es auch untereinander nicht, und das heißt auch nicht, dass wir zum Beispiel bei Artikel-7-Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit total konform gehen, ganz im Gegenteil. Ich halte aber nichts davon, dass man sich wechselseitig anschweigt oder dass man sich mit dem Megafon anschreit und seine Positionen sozusagen über die Grenzen ruft. Ich glaube, beides ist nicht unser Stil, daher ist es gut, wenn man sich in der Nachbarschaft auch zusammensetzt.

Betreffend Hagia Sophia ist der Vorwurf ein bisschen ins Leere gegangen, denn ich war sogar schneller als die EU und die OSZE. Wir haben am Freitag sehr deutlich, sehr klar reagiert. Das ist ein weiteres Glied in einer Kette von Provokationen, die sich einfach fortsetzen. Es ist auch kein Zufall – also ich glaube nicht, dass es ein Zufall ist –, dass dieser Schritt genau 48 Stunden bevor die EU-Außenminister in Brüssel zusammenka­men, um über die Türkei zu diskutieren, gesetzt wurde.

Es hat ja dann die Europäische Union sehr klar dazu Stellung genommen. Es ist ein Schritt, der, glaube ich, uns hier in diesem Hohen Haus beweist, dass unsere Linie betreffend Türkei richtig ist. Das ist einfach ein Land, das kein verlässlicher Partner mehr ist, das ist ein Land, das sich von Europa abgewandt hat, das sich in die genau andere Richtung bewegt und das, glaube ich, sich selber nichts Gutes tut.

Die Hagia Sophia ist doch genau das Symbol dieser Symbiose aus Orient und Okzident. (Zwischenruf des Bundesrates Pisec.) Jedem, der das Gebäude kennt und weiß, wie wunderschön es ist und wie beeindruckend es seit Tausenden Jahren ist – es war für Jahrhunderte der größte Sakralbau, den es überhaupt gab –, ist klar, dass da ein politi­sches Signal aus der Türkei geschickt wird, das zeigt, dass das nicht mehr die Türkei ist, von der vielleicht 2005 noch einige Staaten gedacht haben, dass man Beitrittsverhand­lungen aufnehmen muss.

Zur OSZE: Ja, da haben Sie vollkommen recht, wir bedauern das sehr. Ich hatte gestern und auch heute wieder Kontakt mit dem albanischen Außenminister – Albanien hat mo­mentan den Vorsitz in der OSZE , um unsere Hilfe anzubieten. Wir fühlen uns schon irgendwie mitbetroffen, denn letztlich ist das Personalpaket eines, das in Mauerbach während des österreichischen OSZE-Vorsitzes sehr mühsam in letzter Minute zustande gekommen ist, daher fühlen wir uns auch irgendwie verantwortlich dafür. Ich habe aber auch mit Generalsekretär Greminger von der OSZE laufend Kontakt.

Das Letzte, was wir jetzt in der OSZE brauchen, ist eine Führungskrise oder ein Vakuum. Wir haben da eine Organisation, die auf Konsens beruht, alle 57 Mitgliedstaaten müssen zustimmen, das ist wahnsinnig aufwendig, und das ist auch beim Budget so. Ich würde aber trotzdem sagen, die Organisation ist immer noch eine sehr sinnvolle und wertvolle und sie wird vielleicht in Zukunft sogar noch wertvoller sein, daher werden wir sehr stark dafür plädieren, dass man das Personalpaket möglichst schnell wieder auf die Beine bringt. Wir werden natürlich auch das Paket und die Personen – von Harlem Désir bis Thomas Greminger unterstützen, das war ja sozusagen unser Paket.

Das ist aus unserer Warte also ganz klar, und da wird die österreichische Haltung auch in Zukunft sehr darauf bedacht sein, dass diese Organisation eine funktionsfähige bleibt, denn ich glaube, wenn man sich die Weltkarte und den Europäischen Kontinent an­schaut, sieht man, dass wir diese Organisation – die von Vancouver bis Wladiwostok alle zusammenbringt und für mehr Sicherheit sorgt brauchen. Danke sehr. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Bundesräte Pisec und Schennach.)

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