9.23

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Finanzminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zu Hause! Ich bin wie meine Vorrednerin ebenfalls sehr erfreut über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde und danke auch dem Finanzminister dafür. Diese sehr offene Formulierung ermöglicht uns nämlich, die Coronakrise, ihre negativen Aus­wirkungen und vor allem auch die Maßnahmen zur Bekämpfung derselben genauer un­ter die Lupe zu nehmen.

Aber schon das erste Wort in diesem Titel der Aktuellen Stunde, das Wort „Gemein­sam“ – „Gemeinsam aus der Krise“ –, lässt eigentlich eine eigene Debatte zu. Es macht nämlich einen Unterschied, Herr Minister, wie Sie das Wort „gemeinsam“ deuten. Ist es aus Ihrer Sicht ein Befund, so nach dem Motto: Das, was bisher geschah, ist für mich als Finanzminister ein Beispiel für gemeinsame Krisenbekämpfung!? Oder ist es eine Zielformulierung Ihrerseits, ein sich aufdrängender Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit, da, wie ich meine, doch vieles in diesen Monaten nicht gemeinsam, sondern eher einsam auf Regierungsseite, ohne Gehör der Opposition, ohne Begutachtung und ohne die not­wendige Einbeziehung von Expertisen aus der Wissenschaft vollzogen und manchmal auch durchgedrückt wurde? (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Ich bin der Meinung, dass das Wort „gemeinsam“ für Türkis-Grün in zentralen Fragen bis dato ein leeres Schlagwort war. Gemeinsamkeit ist keine Einbahnstraße, Gemein­samkeit muss man leben, dazu muss man auch bereit sein, dafür muss man manchmal auch kämpfen und auch kompromissfähig sein. Vieles davon vermisse ich leider aufsei­ten der Regierung, sowohl bei der direkten Krisenbewältigung durch die unterschied­lichsten Hilfspakete und Maßnahmen als auch beim Budget für 2021.

Sie werden mir beipflichten, dass die Lage dramatischer nicht sein könnte. Wir stecken inmitten der größten Wirtschaftskrise der Zweiten Republik. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie noch nie in der Zweiten Republik, in wenigen Wochen werden wir rund eine halbe Million Arbeitslose verzeichnen müssen, und in den nächsten Monaten droht durch eine Pleitewelle eine weitere Verschärfung der Situation am Arbeits- und Wirtschafts­markt.

Sehr verehrter Herr Finanzminister, wenn Sie Vergleiche ziehen wollen – bitte gerne. Schauen wir uns doch Deutschland an, dort ist die Arbeitslosigkeit trotz Corona niedriger als in der letzten großen Wirtschaftskrise, ausgehend von 2008. Bei uns ist sie jetzt höher als in der damaligen Krise. Das könnte doch heißen, dass Ihr eingeschlagener Weg, Ihre Maßnahmen zu kurz, nicht oder zumindest unzureichend greifen. Oder wie erklären Sie sich diese Tatsache? Ich bin gespannt auf Ihre Wortmeldung.

Diese negative Entwicklung war auch nicht unvorhersehbar. Ich kann mich noch gut an die Bundesratssitzung im Frühjahr vor dem ersten Lockdown erinnern, die SPÖ hat vor den zögerlichen Hilfspaketen und dem damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosenzah­len gewarnt. Glauben Sie mir, lieber wäre mir, lieber wäre uns gewesen, wir hätten nicht recht behalten, aber es lag ganz einfach auf der Hand. Auch wenn man dann auf Re­gierungsseite versucht hat – das gestehe ich ja zu –, nachzubessern, war es immer so, dass man immer einen, manchmal auch mehrere Schritte hinterherhinkte und die Ver­säumnisse nie aufholen konnte.

Das zieht sich auch wie ein türkis-grüner Faden durch das kürzlich beschlossene Bud­get. Auch bei der Budgeterstellung hat die Regierung, haben vor allem Sie als zuständi­ger Minister keine glückliche Hand bewiesen. Ich will gar nicht das Gesamtvolumen des Budgets kritisieren, obwohl Sie, wie wir wissen, nicht einmal die massiven Auswirkungen des zweiten harten Lockdowns, der abgeschwächt, aber doch jetzt verlängert wird, ein­gerechnet haben, vielmehr geht es nämlich um die Schwerpunktsetzungen, also darum, wofür Sie die Budgetmittel einsetzen. Da liegen Sie leider zu oft daneben und viele Fra­gen tun sich auf: Wie viel Geld kommt wirklich an? Kommt es bei den Richtigen an? Kommt es vor allem schnell genug an? Sind die zugewiesenen Mittel auch ausreichend? Und: Wo müsste man ganz, ganz dringend nachbessern?

Was im Budget fehlt, sind leider echte Antworten auf die Rekordarbeitslosigkeit, auf die drohende Pleitewelle und Antworten zur Bekämpfung dieser Gesundheitskrise. Nur einige Beispiele dazu: Die Regierung will, in Relation zu den Arbeitslosen gesehen, jetzt weniger Geld für Arbeitsmarktförderung einsetzen, es gibt eigentlich keine Beschäfti­gungsprogramme. Die Regierung tut nichts zur Sicherung kleiner Einkommen, nein, sie kürzt sogar Pensionen. Sie verhindert die dringende Erhöhung des Arbeitslosengeldes, auf die wir seit Monaten ständig hinweisen. Versprochene öffentliche Investitionen wie die Klimaschutzmilliarde, die Breitbandmilliarde sind nicht ausreichend budgetiert. Und was dem Fass den Boden ausschlägt: Sie nehmen den Spitälern zig Millionen Euro weg, anstatt sie genau jetzt in dieser Krise krisenfest und fit zu machen.

Und als letztes Beispiel: Sie verwehren den Gemeinden die unbedingt notwendigen fi­nanziellen Unterstützungen, um die Krise in den Gemeinden, nämlich bei den Menschen, abzufedern. Dieses wichtige Thema, das mehr und mehr zur Überlebensfrage für die Gemeinden und in den Gemeinden wird, diskutieren wir jetzt schon seit vielen Monaten mit Ihnen, und alles, was Ihnen kürzlich dazu eingefallen ist, ist, dass sich die Gemein­den ja verschulden oder noch mehr verschulden könnten. Die Gemeinden sollen sich also verschulden. Ist das wirklich ernst gemeint und Ihr einziger Lösungsansatz in dieser Problemstellung?

Es ist klar, mit dieser Ansage treiben Sie die Gemeinden in eine ausweglose Situation, denn was sind die Konsequenzen? Das müssen Sie nämlich auch gleich dazusagen, wenn Sie mehr Gemeindeschulden erwähnen. Herr Minister, wollen Sie, dass wir Leis­tungen kürzen oder streichen – keine Nachmittagsbetreuung, kein Mittagstisch in Kin­dergärten und Schulen, keine Unterstützung für Vereine? Wollen Sie, dass wir die Da­seinsvorsorge oder Teile davon privatisieren, zum Beispiel die Wasserversorgung? Oder wollen Sie, dass wir in den Gemeinden die Gebühren erhöhen, dass sozusagen die Menschen die Zeche zahlen sollen? – Wenn Sie das wollen, Herr Minister, dann sagen Sie es und reden Sie nicht um den heißen Brei herum! (Beifall bei der SPÖ.)

Klar ist, dass wir als SPÖ und wir als Bürgermeister das nicht wollen. Ganz im Gegenteil, wir wollen uns aus der Krise herausinvestieren, wir wollen Projekte für die Menschen umsetzen, wir wollen die regionale und heimische Wirtschaft stärken und damit Arbeits­plätze sichern. Das geht nur, wenn wir die Liquidität der Gemeinden stärken, mit einem direkten Ersatz der Einnahmenausfälle, ohne bürokratische Bedingungen, und wenn wir mit einem weiteren Investitionsprogramm die Konjunktur ankurbeln. Unsere Vorschläge stehen, wir brauchen rund 2 bis 2,5 Milliarden Euro an frischem Geld. Was für andere betroffene Branchen gilt, wird wohl auch für Gemeinden gelten dürfen. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Ich bin sehr dankbar, dass sich jetzt nach und nach immer mehr ÖVP-Funktionäre und ‑Bürgermeister dazu melden. Sie gehen aus ihrer Deckung hervor und fordern vollin­haltlich das Gleiche, was wir hier ständig fordern. So forderte erst kürzlich der Gemein­debundpräsident aus Salzburg, Günther Mitterer, in einem TV-Interview frisches Geld als Direktzahlung für die Gemeinden. Man staune!

Sie sehen, diese Familie wird parteiübergreifend größer und größer, und so wird auch der Druck auf Sie, Herr Minister, immer größer und größer. Wenn Sie das Gemeinsame in Ihrem Titel hervorheben, dann müssen Sie das Gemeinsame auch auf allen Ebenen suchen – hier im Parlament, in den Gebietskörperschaften und in den Interessenvertre­tungen.

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Die 10 Minuten Redezeit sind um, bitte kommen Sie zum Schlusssatz!

Bundesrat Dominik Reisinger (fortsetzend): Wenn das passiert, dann haben Sie uns und auch die Menschen mit im Boot.

Sehr geehrter Herr Minister, ganz ehrlich gesagt: Es ist keine Schande, wenn man sich eine Fehleinschätzung eingesteht und das dann korrigiert. Es ist auch keine Schande, wenn man über den eigenen Irrweg schweigen möchte, aber trotzdem richtig abbiegt. Es wäre aber eine Schande, wenn man alle Hilferufe dauerhaft ignorieren und die Ge­meinden sowie die dort lebenden Menschen im Stich lassen würde. Darum gibt es nur eines: Stärken wir die Gemeinden, schwächen wir die Krise! – Danke. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

9.34

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Arthur Spanring. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.