9.28

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause! Gleich vorweg und besonders am Ende des Jahres gilt es hier in diesem Haus, allen MitarbeiterInnen der Parlamentsdirektion, der politischen Klubs, dem Reini­gungspersonal, der Sicherheitsabteilung und allen anderen vielen Dank für ihre wertvolle Arbeit zu sagen. Ohne deren Arbeit könnten wir unsere Arbeit im Hohen Haus nicht ma­chen. – Vielen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

Jetzt zum Herrn Innenminister! Für die heutige Aktuelle Stunde wurde ja ein interessan­ter Titel gewählt: „Extremismus in Österreich: Aktuelle Herausforderungen und Ausblick“.

Österreich wurde am 2. November dieses Jahres von einem abscheulichen und feigen Terroranschlag getroffen. Der islamistische Attentäter hat vier Menschen getötet und 22 weitere zum Teil schwer verletzt. Er konnte von den Einsatzkräften der Polizei inner­halb von 9 Minuten ausgeschaltet werden. Hätte die Polizei nicht so schnell gehandelt, es wäre nicht vorstellbar, wie viele Opfer noch möglich gewesen wären. Der Attentäter war mit einem automatischen Gewehr bewaffnet, und der sogenannte Islamische Staat bekannte sich zum Anschlag.

Vor einigen Tagen wurden bei Hausdurchsuchungen im rechtsextremen und neonazis­tischen Milieu insgesamt 76 voll- und halbautomatische Waffen, 14 Pistolen und Re­volver, sechs Handgranaten sowie Sprengstoff und die dazugehörigen Zünder be­schlagnahmt. Allein in einer niederösterreichischen Halle fanden die Polizisten an die 100 000 Stück Munition. Betrachtet man das Attentat vom 2. November, bei welchem der Attentäter nur über ein automatisches Gewehr verfügte, erkennt man das unglaub­liche Bedrohungspotenzial und die Gefahr, die von solch einer Waffensammlung durch Rechtsextreme ausgeht.

So unterschiedlich diese beiden Sachverhalte sein mögen, so verbindet sie dennoch eines: Sowohl der islamistische Attentäter als auch der Neonazi, der im Zentrum der Aktivitäten um dieses Waffendepot stand, waren der Polizei und den Gerichten bestens bekannt. Beide haben einschlägige Vorstrafen und eine Zeit ihres Lebens in österrei­chischen Gefängnissen verbracht. Bei beiden war das Bedrohungspotenzial, das von ihnen ausgeht, den Behörden sehr wohl bekannt.

Beim Attentäter von Wien erhielt die zuständige Behörde sogar noch Hinweise darauf – von einem aufmerksamen Waffenhändler –, dass er in der Slowakei Munition kaufen wollte, dennoch unternahmen die zuständigen Behörden nichts, um dieses Attentat zu verhindern.

Die Waffensammlung des bekannten Neonazis, der anscheinend seit Jahren kontinuier­lich Waffen sammelte, wurde nur als Zufallsfund im Rahmen von Ermittlungen im Dro­genmilieu entdeckt und in keiner Weise dadurch, dass in Österreich die rechtsextreme Szene durchgängig unter Beobachtung der zuständigen Behörden steht. Es ist unfass­bar, dass eines der bekanntesten Gesichter des Rechtsextremismus in Österreich, das noch dazu gerade eine Haftstrafe verbüßt, in Ruhe höchst gefährliche Waffen sammeln konnte, ohne dass dies vom Verfassungsschutz verhindert wurde. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir alle kennen den Zustand des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismus­bekämpfung. Es ist nicht in der Lage, die vom Gesetz vorgesehenen Aufgaben zu er­füllen. Dafür gibt es viele Gründe – parlamentarische Gremien beschäftigen sich seit Jahren mit dieser Ursache.

Sie, Herr Bundesminister, sind aber bei der Reform des Verfassungsschutzes säumig. Sie tragen dafür die Verantwortung, sowohl die politische als auch die rechtliche. Die Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben, haben Anspruch auf Schutz vor Gefahren, die von extremistischen Kreisen ausgehen. Sie haben die Ver­pflichtung, die extremistische Szene genau zu beobachten, die notwendigen Schlüsse und Konsequenzen zu ziehen, und zwar bevor es wieder zu Schäden an den Menschen kommt.

Was macht diese Bundesregierung? – Sie präsentiert der Öffentlichkeit ein neues Ge­setzespaket gegen Terrorismus, obwohl den Behörden, wie wir alle gesehen haben, jetzt schon Gesetze und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die diese aber nicht aus­schöpfen.

Achten Sie, Herr Bundesminister, lieber darauf, dass Österreich wieder einen funktionie­renden Verfassungsschutz bekommt, der in der Lage ist, die rechtsextreme und isla­mistische Szene in Österreich zu beobachten und zu bekämpfen! Sie haben jetzt schon alle dafür notwendigen Mittel. (Beifall bei der SPÖ.)

Was hervorzuheben ist – das hat schon Kollege Seeber gesagt und es muss wieder betont werden –, das sind die enormen Leistungen der Kolleginnen und Kollegen von der Polizei in der Krise und das unbeschreiblich mutige und bewundernswerte Handeln während und nach dem Terroranschlag. Das ist wirklich supertoll. Vielen, vielen Dank dafür! (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Beinahe hätten Sie aber den Kolleginnen und Kollegen von der Polizei noch die Kontrolle in den Wohnzimmern der Menschen in Österreich zugemutet. Das war wirklich eine der absurdesten Ideen dieser Regierung, die wir zum Glück verhindern konnten. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Stasi-Methoden!)

Lassen Sie mich abseits aller terroristischen Bedrohungen in dieser Aktuellen Stunde auch zu einem Thema kommen, das ganz, ganz viele Menschen betrifft: Herr Minister, wie gedenken Sie die Herausforderungen, die veränderten Voraussetzungen, die eine sich zunehmend verschärfende soziale Krise bedeuten, zu bewältigen? Die Themen hängen nämlich stark zusammen: Die Frage der Sicherheit ist nicht ohne die soziale Frage zu denken.

472 152 Menschen, die derzeit arbeitslos sind und keine Perspektiven haben: Wo sind außer Ankündigungen die wirklichen Stiftungslösungen und die Arbeitsmarktförderungs­programme? Die Arbeitslosigkeit wird noch steigen, das ist leider traurige Tatsache. Es geht um das Schicksal von fast 500 000 Menschen und ihren Familien. Menschen ver­lieren also ihre Arbeit, verlieren ihre Chancen und verlieren, wenn sie länger keine Arbeit finden, damit auch die Hoffnung. Frustration, Angst und Depression sind die Folgen und bei manchen auch Aggression. Aggression führt beispielsweise zu einem Anstieg der Gewalt in den eigenen vier Wänden.

Die Justizministerin hat angekündigt, einige Maßnahmen zum Schutz von Familienange­hörigen – fast immer Frauen – in das Dauerrecht überführen zu wollen, was eine wich­tige und gute Entwicklung ist. So wird es möglich sein, auf elektronischem Weg einstwei­lige Verfügungen zu beantragen, was eine wirkliche Verbesserung im Kampf gegen Ge­walt an Frauen darstellt. Es geht aber auch um die Ausweitung des Opferschutzes und die Betreuung während Prozessen für Kinder, die ja häufig die Zeugen, die traurigen Zeugen, von Gewalt im Haushalt sind; auch das ist eine wichtige Verbesserung.

Kommen wir zurück zu den Folgen der Krise. Arbeitslosigkeit führt zu Armutsgefährdung und Armut, und ja, man muss es klar sagen, Armut führt auch zu Krankheit, zu fehlender Perspektive und zu bitterer Not. Soziale Netze wurden, und das muss auch klar gesagt werden – Stichwort Mindestsicherung –, schon unter Türkis-Blau durchtrennt und bis heute nicht repariert. Während die soziale Schere immer weiter aufgeht, steigt in der Gesellschaft zugleich auch die Angst vor Kriminalität.

Wir müssen alle Menschen effektiv vor Armut schützen. Die Krise hat diese Problematik verschärft, und da, das ist auch Tatsache, versagt diese Regierung auf ganzer Linie. Wirksame Arbeitsmarktmaßnahmen? – Fehlanzeige. Allein der hohe Anstieg der Ju­gendarbeitslosigkeit müsste bitte bei allen die Alarmglocken schrillen lassen. Wir brau­chen eine Jobgarantie und eine Ausbildungsgarantie für die Jugend. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben viele unserer Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben, abgelehnt. Sie ha­ben stattdessen mit brachialer Rhetorik versucht, hier die Macherhosen anzuziehen, und das insbesondere dort, wo Sie meinten, es würde Ihnen einen parteipolitischen Vorteil bringen: „Wir sind sozusagen die Flex, die Trennscheibe für die Gesundheitsbehörden, um die Infektionskette rasch zu durchbrechen“. – Die Flex sollte aber nur für Wien aus­gepackt werden. Schon diese Aussage zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, dass das Letzte, was man in einer Pandemie braucht, ein Innenminister ist, der die Bundesländer gegeneinander ausspielen möchte. (Beifall bei der SPÖ.)

Ja, diese Krise ist neu und außergewöhnlich, aber nach zehn Monaten muss man schon sagen, Sie hätten sich längst in Ihrer Rolle finden müssen und wirkliche Vorschläge machen müssen, um Ihrer Rolle auch gerecht zu werden. Sie haben versucht, die Ver­fehlungen und das Versagen im Innenministerium durch andere Nebelgranaten zu ver­decken. All jene Punkte wie das Versagen beim BVT, das Versagen in der unglaublich traurigen und bestürzenden Affäre in Moria, das Versagen bei der Terrorbekämpfung, das Versagen bei der Bekämpfung der Krise, alles das wurde durch Nebelgranaten me­dial überlagert.

Ihnen, Herr Minister, sagen wir aber: Wir lassen uns von keiner noch so ausgeklügelten thematischen Vernebelungstaktik ablenken – sicher nicht –, denn wir wissen, es ist noch sehr viel aufzuklären, und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bleiben dran! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

9.38

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Josef Ofner. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.