16.01

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Werter Herr Bundes­kanzler! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Am vergangenen Sonntag veröffentlichten die Zeitungen „Der Standard“ und „Die Presse“ Details aus einem 320 Seiten starken Auswertungsbericht der Wirtschafts- und Korrup­tionsstaatsanwaltschaft. Gegenstand der Auswertung sind Handynachrichten von Tho­mas Schmid, dem aktuellen Alleinvorstand der Öbag, die für die Republik Unterneh­mensbeteiligungen in Höhe von 26 Milliarden Euro verwaltet. Zuvor war Schmid Kabi­nettschef und Generalsekretär im Finanzministerium.

Bereits seit Längerem ist klar, dass der neue Stil, den Kanzler Kurz 2017 beschworen hat, in Wirklichkeit der Geruch eines Sumpfs aus Korruption, Gemauschel, Überheblich­keit und ein bisschen Anstandslosigkeit ist. Nicht zuletzt die regelmäßigen Enthüllungen im Ibiza-Untersuchungsausschuss haben diesen Eindruck in den letzten Monaten ver­festigt.

Die nun aufgetauchten Chats sind aber nur ein Teil des türkisen Kartenhauses, das nun langsam einzustürzen beginnt. Gleich zu Beginn ist da mit einem bedauerlichen Miss­verständnis aufzuräumen, nämlich damit, was der neue Spin zu sein scheint: Die 5 Mil­liarden Euro, die die Öbag besser bilanziert, sind nicht das Verdienst des Alleinvorstands Schmid, sondern vielmehr ist das das positive Ergebnis der Börsenkurse. Das ist umso deutlicher zu sagen, da wir die Mär vom erfolgreichen Vorstand Schmid in den nächsten Debattenbeiträgen der ÖVP mit Sicherheit noch hören werden. (Ruf bei der ÖVP: Rich­tig!)

Wenn es um die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen der Öbag geht: Für einige Unternehmen könnte man über die schlechten Zustände für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr wohl einiges berichten.

Gestern hat man einen Nationalratsabgeordneten der ÖVP in die „ZIB 2“ geschickt (Bun­desrat Steiner: Und der Gerstl ... wirklich nicht der Beste, deshalb haben sie den nicht mehr geschickt!), weil sich die wirklich Verantwortlichen, vom Bundeskanzler abwärts, keine lästigen Fragen stellen lassen wollten. Heute, Herr Bundeskanzler, ersparen wir Ihnen das aus mehreren Gründen nicht: zum einen, weil das Sittenbild, das sich da zeigt, tiefe Einblicke in die Gedankenwelt und die moralische Haltung der türkisen ÖVP bietet. Das türkise System und seine Hauptdarsteller zeigen ihr wahres Gesicht. (Beifall bei der SPÖ.)

Lassen Sie mich die Gegensätze deutlich umreißen! Auf der einen Seite gesteht man bei der Arbeitslosigkeit keine höhere Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu, schafft die Hacklerpension ab, lässt Unternehmen in der Krise hängen, versagt bei der Bewältigung der Pandemie und greift ungeniert die Justiz an; auf der anderen Seite werden Lieblinge versorgt, der Staat im engsten Kreise aufgeteilt und die politische Fa­milie versorgt. „Du bist Familie“, liest man da in den Chatprotokollen zwischen Schmid und dem jetzigen Finanzminister – eine eigenartige Formulierung für eine dienstliche Kommunikation.

Ich komme auf die Menschen zurück, die jetzt mit 55 Prozent ihres Einkommens aus­kommen müssen, weil Sie, Herr Bundeskanzler, sich vehement weigern, eine Verbesse­rung aus der Arbeitslosenversicherung zu gewährleisten. Wie sehr würden sich diese Menschen freuen, würden sie von Ihnen hören: „kriegst eh alles was du willst“! Sie wären schon zufrieden damit, zu hören: Kriegst eh alles, was du zum Leben brauchst!

Das betrifft auch die Menschen, die verzweifelt auf die Impfung warten, oder jene Unter­nehmen, die seit Monaten in den Seilen hängen und nicht mehr wissen, was sie tun sollen – „kriegst eh alles was du willst“, das gilt offenbar nur für Ihre Freunde, Herr Bun­deskanzler. Anscheinend haben Sie vielleicht, muss man konstatieren, einfach zu viel „House of Cards“ geschaut, wissen aber nicht, wie man Politik für echte Menschen macht. (Beifall bei der SPÖ.) Anders ist das nicht zu erklären. Sie haben alle Hemmun­gen fallen lassen, Posten geschaffen und türkis gefärbt, moralische Grenzen verschoben und uns auch im Ausland alles andere – ganz ehrlich: alles andere! – als einen Gefallen getan. (Bundesrat Spanring: Das glaube ich auch!)

Erinnern wir uns an Ihren Auftritt infolge des Bekanntwerdens des Ibizavideos! Ideen des Machtmissbrauchs unterstellten Sie Ihrem damaligen Vizekanzler Strache. Gestern haben Sie dann unter anderem auf Twitter zu Recht zahlreiche Menschen gefragt: War das Ibizavideo ärger als dieser SMS-Verkehr? – Wir finden, es ist beides unerträglich. Herr Bundeskanzler, das geht nicht! (Beifall bei der SPÖ.)

Schauen wir noch weiter in die türkise Gedankenwelt: Leistung muss sich lohnen, die viel zitierte soziale Hängematte, der neue Stil – das waren die Schlagworte, mit denen Sie angetreten sind. Und was haben Sie in Wirklichkeit getan? – Jobausschreibungen passend gemacht, Familienmitglieder empfohlen, Zusatzeinkommen für Gutverdienende geschaffen. Herr Bundeskanzler, das ist unfassbar und verwerflich!

Und noch etwas hat sich gezeigt: Sie und Ihre Mannen oder auch deren BeraterInnen haben ein Problem mit Frauen. „Mir gehen die Weiber so am Nerv“, „Scheiß Quote“ (Beifall bei der SPÖ – Zwischenrufe bei der FPÖ), diese Nachricht sandte Gabi Spiegel­feld, eine emsige türkise Netzwerkerin, wie „Der Standard“ schreibt, im Rahmen der Su­che nach steuerbaren Frauen für Aufsichtsräte an Schmid. (Bundesrat Steiner: Deswe­gen hat er heute zwei Ministerinnen mit!)

Konkret hörte sich das von Schmid dann so an: „Lieber Gernot, diese“ H. „ist gut. Habe mir erlaubt das auch an HBK zu schicken: Susanne“ H. „ist wirklich eine gute!“, „Com­pliant“, „Finanzexpertin“, „Steuerbar“, „Raiffeisen und“, „Sehr gutes Niederösterreich Netzwerk“, „Sie hat für NÖ“ – Niederösterreich – „auch delikate Sachen sauber erle­digt.“ – Ja, Herr Bundeskanzler, ist das der Ton, der in Ihrem Umfeld gepflegt wird? (Bundesrat Spanring: Aha, spannend!) Wird in Ihren Reihen so über Frauen gespro­chen? Und was heißt diese Aussage für Ihr Regierungsteam? Herr Bundeskanzler, da tun sich wirklich Gräben auf.

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind wir von diesem sexistischen und frauenverachtenden Tonfall in Ihrem Umfeld erschüttert. (Beifall bei der SPÖ.) Frauen sind doch keine Verschubmasse, die man einfach einmal hierhin, einmal dorthin steuert. Das hat ja auch Ihre ehemalige Finanzministerin Fekter in ihrer Abschiedsrede im Natio­nalrat so brillant betont, als sie eine Lanze für die Quote gebrochen hat, weil es die Quote nämlich immer noch braucht, um Frauen Chancen zu geben.

Insofern ist die Aussage von Frau Spiegelfeld mehr als bemerkenswert, hat sie doch unabsichtlich auch einen erschreckenden Befund über Ihre ÖVP erstellt. Ihre Perso­naldecke ist offenbar mittlerweile sehr dünn, Frauen werden nicht gefördert und schon gar nicht empowert. Und bitte ganz ehrlich: Wo ist der Aufschrei der türkisen Frauen? (Zwischenrufe der BundesrätInnen Steiner und Steiner-Wieser.)

Und noch einen Bruch mit allen guten Sitten stellt man bei der türkisen ÖVP fest, der uns wohl bislang als undenkbar erschienen ist, und dazu möchte ich Ihnen etwas im Wortlaut vorlesen. Sie, Herr Bundeskanzler, kennen ihn ja ohnehin und er ist heute auch im „Profil“ abgedruckt. Der interessierten Öffentlichkeit darf man das nicht vorenthalten, auch wenn es wehtut.

Am 13. August 2019 fand folgende Konversation zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, und dem Öbag-Chef Schmid per iMessage statt. Schmid: „Heute ist die Kirche bei uns“, „Schipka kommt um 16.00“ Uhr. „Wir werden Ihnen ordentliches Package mitgeben“. „Im Rahmen eines steuerprivilegien Checks aller Gruppen in der Republik wird für das BMF auch die Kirche massiv hinterfragt“. „Alles sind gleich“. „Dann gehen wir unsere Liste durch.“ „LG“ – liebe Grüße – „Thomas“.

Kurz replizierte: „Ja super. Bitte Vollgas geben.“

Darauf Schmid: „Yea! Das taugt mir voll“.

Noch am selben Tag erstattete Ihnen Schmid dann Bericht: „Also Schipka war fertig!“ „Steuerprivilegien müssen gestrichen werden“, „Förderungen gekürzt“, „Und bei Kultus und Denkmalpflege wesentliche Beiträge“. „Heimopfergesetz werden wir deckeln“. „Er war zunächst rot dann blass dann zittrig“. „Er bot mir Schnaps an den ich in der Fasten­zeit ablehnte weil Fastenzeit“. „Waren aber freundlich und sachlich“.

Der Kanzler bedankt sich: „Super danke vielmals!!!! Du Aufsichtsratssammler“.

Darauf antwortet Schmid mit zwei Kusssmileys. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ja, Herr Bundeskanzler, was soll das denn sein? Was ist denn das für ein Stil? Und ich möchte Ihnen hier nur eine Frage stellen, nämlich die Gretchenfrage: „Nun sagʼ, wie hast du’s mit der Religion?“ – Herr Bundeskanzler, vielleicht fällt es Ihnen ähnlich schwer wie Faust, die Frage zu beantworten, aber nicht wegen der hohen Moral und auch nicht wegen der Bedenken, sondern vielmehr, weil Sie sich hoffentlich dafür genieren, wie Sie mit Menschen und mit für dieses Land so wichtigen Institutionen umgehen. All das, Herr Bundeskanzler, wirft viele Fragen auf. (Beifall bei der SPÖ.)

72 davon stellen wir Ihnen heute, und wir erwarten uns wirkliche Antworten, weil es uns als Parlament zusteht, seriös informiert zu werden, und weil Sie der Öffentlichkeit ein Bild gezeigt haben, das wirklich nicht hinzunehmen ist. Und da die Spitzen der Grünen, Vizekanzler Kogler, Klubobfrau Maurer, gestern ja angekündigt haben, dass Schmid nicht mehr ihr Vertrauen genießt, würde es uns heute freuen, hoffentlich einen Vierpar­teienentschließungsantrag zustande zu bringen. Wir werden nämlich den Antrag stellen, den Öbag-Chef abzuberufen, und sind gespannt, wie sich die Kolleginnen und Kollegen der Grünen verhalten werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erleben jetzt fortlaufend den Niedergang des türki­sen Systems (Bundesrat Steiner: Gott sei Dank!), das in einem Korruptionssumpf ver­sinkt und trotzdem von Herzlosigkeit, Selbstherrlichkeit und Arroganz getragen wird. Ih­nen „fehlt der moralische Überbau“, wie es die „Salzburger Nachrichten“ so treffend for­mulierten. Das türkise Kartenhaus bricht zusammen! Sie müssen sich jetzt bitte Ihrer Verantwortung stellen, ob Sie wollen oder nicht, da helfen keine Unwahrheit im Un­tersuchungsausschuss und keine Messagecontrol mehr, sondern nur noch eines: ein­fach die Wahrheit zu sagen und Verantwortung zu übernehmen! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.12

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zur Beantwortung hat sich der Herr Bundes­kanzler zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.