19.08

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesrätinnen und Bundesräte! Das letzte Jahr hat aus meiner Sicht gezeigt, dass die großen Herausforderungen, die es gibt – natürlich allen voran die Gesundheitskrise, aber auch die weiteren Herausforderungen im Bereich der Demo­grafie, im Bereich des Klimas und in anderen Bereichen –, nur gemeinsam von der Europäischen Union, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten bewältigt werden können.

Gleichzeitig hat die Krise aber auch gezeigt, dass es in den Mitgliedstaaten sehr unter­schiedliche Voraussetzungen und auch unterschiedliche Ansätze gibt und dass es daher eine gewisse Vielfalt unter den Staaten geben muss, was die Maßnahmen betrifft, um eben national maßgeschneiderte Programme zu haben. Es geht also um das Gleich­gewicht zwischen gemeinschaftlicher Zusammenarbeit und nationaler Autonomie, und dieses Gleichgewicht ist in der EU durch das Subsidiaritätsprinzip verwirklicht, das die österreichische Bundesregierung als wichtig erachtet.

Der Bericht, der sich auf das Arbeitsprogramm der Kommission und das Achtzehn­mo­nats­programm des Rates bezieht, hat verschiedene Aspekte.

Im Bereich Arbeit geht es vor allem um drei Themen: Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei prekären, insbe­sondere atypischen Beschäftigungsverhältnissen und den Einsatz von flexiblen Arbeits­formen wie Telearbeit.

Die Kommission hat dem Programm den Titel „Eine vitale Union in einer fragilen Welt“ gegeben und legt den Fokus vor allem auf die europäische Säule sozialer Rechte. Am 4. März 2021 wurde ein Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte präsentiert, der drei beschäftigungs- und sozialpolitische Ziele für 2030 vorsieht und Maßnahmen im Arbeits- und Sozialbereich ankündigt.

Diesen Freitag findet der Sozialgipfel in Porto statt, bei dem unter portugiesischer Präsidentschaft und unter der Einbettung und Einbindung der Sozialpartner die Zukunft der europäischen Arbeits- und Sozialpolitik diskutiert werden wird. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Gipfel.

Unabhängig vom Aktionsplan haben die Europäische Union und die Kommission natür­lich weitere Maßnahmen vorgelegt, um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern und um zum Beispiel auch die Sozialwirtschaft zu unterstützen. Eine Maßnahme, die schon kurz angesprochen wurde, ist die Maßnahme zur Verbesserung der Lohntransparenz. Es gibt einen Richtlinienvorschlag zur Lohntransparenz, der sehr neu ist. Die ersten Sitzungen dazu haben in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen stattgefunden. Der Vorschlag wurde in Brüssel diskutiert und er wird derzeit genau geprüft. Wir sind froh, dass es in diesem Vorschlag gute und interessante Ideen zur Weiterführung und Verbes­serung der Lohntransparenz gibt.

Bereits im Oktober letzten Jahres hat die Kommission ihren Richtlinienvorschlag für angemessene Mindestlöhne vorgelegt. Ich glaube, jeder hier im Haus stimmt zu, dass faire und angemessene Löhne ein Ziel sein müssen. Die Frage ist natürlich, wie man dieses Ziel am besten erreicht. Es wird eine breite Diskussion über die Maßnahmen und über die Ebene, die dieses Ziel verfolgen sollte, in Europa, aber natürlich auch in Österreich geben, und das ist gut so.

Ein weiterer Punkt, der diskutiert werden wird, ist die Frage, ob die Europäische Union die Zuständigkeit für die Festsetzung von Löhnen hat. Das ist nämlich im EU-Vertrag ausgeschlossen, und die Expertinnen und Experten wissen, dass die rechtliche Anbindung dieses Richtlinienvorschlags für Mindestlöhne eine fragliche ist. Es ist eine spannende Diskussion, die ich als Nichtjurist auch nur rezipieren und nicht vorantreiben kann.

Es gibt aber klarerweise auch inhaltliche Aspekte. Mir geht es um eine EU-rechts­konforme, aber vor allem auch um eine Lösung, die sicherstellt, dass die bewährte Sozialpartnerschaft in Österreich erhalten bleibt und die Kollektivvertragsautonomie nicht eingeschränkt wird. Wir sind mit diesem System sehr gut gefahren.

Ich glaube, es ist auch wichtig, zu sagen, dass es Länder mit sozialdemokratischen Regierungen gibt, die den kritischen, skeptischen Brief an die EU-Kommission unter­schrieben haben; das sind zum Beispiel Schweden und Dänemark – beide haben sozial­demokratische Arbeits- und Sozialminister. In Ländern, die sozialdemokratisch regiert sind, gibt es also auch Vorbehalte, die noch ausgeräumt werden müssen, um sicher­zustellen, dass bewährte Systeme der Kollektivvertragsverhandlungen und der Lohnfin­dung erhalten bleiben und nicht eingeschränkt werden.

Die Priorität der Kommission liegt auch auf der vollständigen Umsetzung und Inan­spruchnahme des Programms Sure. Darin geht es um arbeitsmarktpolitische Instru­mente wie die Kurzarbeit und deren Finanzierung. Ich halte dieses Programm und diese Maßnahmen für ein sehr gutes Beispiel für das Zusammenspiel von EU-Ebene und nationaler Ebene, in dem die EU-Mitgliedstaaten maßgeschneiderte Systeme, Kurz­arbeitssysteme entwickeln und die EU das Ganze mit den richtigen Rahmenbedin­gungen unterstützt.

Wir haben die gesundheitliche Krise leider noch nicht überstanden. Der Ausblick ist aus meiner Sicht wieder optimistisch. Gemeinsam können wir es schaffen, als Europäische Union gestärkt aus der Krise zu gehen. Dabei ist noch viel zu tun, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Effekte dieser Krise auch mittelfristig möglichst rasch zu überwinden. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

19.14