11.03

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Ich glaube, heute ist nicht der Tag für große künstliche Aufgeregt­heiten, sondern es ist ein Tag der Erschütterung: Diese Republik wurde gestern durch die Vorkommnisse in ihren Grundfesten politisch erschüttert. Das ist hier festzuhalten. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir als Demokratinnen und Demokraten und Mitglieder dieses Hohen Hauses sollten dem auch Rechnung tragen. Es geht um ganz schwere Vorwürfe gegen den Kanzler dieser Republik: Untreue, Korruption, Verwendung von Steuermitteln für parteipolitische Interessen. – Das ist unerträglich! Wir haben erlebt, wie von einem Abgeordneten der ÖVP in unsachgemäßer Weise mit pauschaler Kritik auf die Justiz hingehauen wurde. – Auch das ist unerträglich, und das darf von uns Parlamentarierinnen und Parlamenta­riern nicht hingenommen werden! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Der ÖVP ist zu sagen: Sie müssen Ihre staatspolitische Verantwortung wahrnehmen! Ich bin sehr gespannt, wie sich die ÖVP-Landeshauptleute in diesem Fall verhalten wer­den. Von den Grünen haben wir bereits gehört, dass sie die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage stellen. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt! (Bundesrat Steiner: Endlich!) In dieser Form kann Politik nicht gemacht werden. Es geht um die Demokratie, es geht um das Vertrauen in die Politik, und so kann nicht weitergemacht werden. Wir hoffen, dass der Kanzler die Verantwortung übernimmt und – das hätte er bereits gestern machen müssen – seinen Rücktritt erklärt. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Nun zur Materie: Wir haben einen Coronaherbst im reinen Chaos hinter uns und noch vor uns. Der September verging ohne klare Coronaregelungen. Es hieß: Ja nicht hingrei­fen beim Thema Corona das war das Motto der Regierung –, das ist zu gefährlich für die Ergebnisse bei der Landtagswahl in Oberösterreich! – Das ist zynisch! Man nimmt lieber in Kauf, dass ein Land im Coronachaos versinkt. Man hat das Überbringen von unangenehmen Nachrichten vermieden beziehungsweise versucht, das irgendwo an­ders hinzuschieben – zu den Ländern, zu den Sozialpartnern, zur Ärzteschaft. Wir haben Chaos in den Schulen. Hunderte Klassen sind in Quarantäne, es gibt entsetzte Eltern. Mütter rufen mich und vielleicht auch Sie verzweifelt an und sagen: Ich packe nicht noch einmal Homeschooling! Nein, auf keinen Fall! – Pädagoginnen und Pädagogen hat man am Schulanfang eine Zerreißprobe des Machbaren aufgebürdet.

Somit sind wir beim Thema Sonderbetreuungszeit. Dieses Thema und der entsprechen­de Verlauf der Regelung sind so symptomatisch für dieses Coronachaos. Die Regierung hat ganz bewusst die Sonderbetreuungszeit auslaufen lassen: Weg mit dem Rechtsan­spruch! Weg mit dem Recht der Eltern, pro Elternteil drei Wochen Sonderbetreuungszeit zur Verfügung zu stellen, falls Klassen gesperrt sind!

Jetzt haben wir als Gewerkschaftsfrauen und als SPÖ Druck gemacht, weil wir wussten, dass wir die Sonderbetreuungszeit brauchen, denn bei dieser Impfrate in diesem Land war ja klar, dass der Herbst nicht locker und flockig ohne Corona über die Bühne gehen wird. Wir haben verlangt: Bitte, die Sonderbetreuungszeit muss wieder kommen! – Gut. Der Herr Minister hat zuerst gemeint: Nein, das ist nicht notwendig, das ist eh alles im Arbeitsrecht geregelt, und in den Betrieben kann man das schon jeweils lösen! – Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele verzweifelte Mütter, besonders aus dem Bereich des Handels, am Schulbeginn nicht gewusst haben, wie sie tun sollen. Sie haben sich für den Schulanfang freigenommen. Danach ist die Klasse in Quarantäne gegangen, und sie haben gar nicht mehr gewusst, wie sie all das irgendwie hinbringen sollen.

Es wurde Druck aufgebaut, die Sonderbetreuungszeit wurde eingeführt, aber im ersten Schritt erst ab 1. Oktober. Da erhob sich die Frage: Was aber machen wir jetzt im Sep­tember? Lassen wir es da so laufen? – Gut, es wurde noch einmal Druck aufgebaut. Jetzt gibt es die Sonderbetreuungszeit rückwirkend, aber zu kurz, denn bis Dezember werden wir das auch nicht über die Bühne kriegen. – So kann man beim Coronama­nagement nicht agieren!

Was Sie da machen, ist eine Form des Coronamanagements, die natürlich den Wider­stand der anderen Gruppen beziehungsweise der radikalisierteren Gruppen hervorruft. Das ist doch ganz klar! Wenn man nicht klar regelt, wenn man nicht sagt, dass das die Regeln sind und das mit den Virologinnen und Virologen ausgeforscht und vereinbart wurde, dann lässt man doch alle Türen und Tore offen für alle Möglichkeiten der Inter­pretation und der Desinformation. (Zwischenruf des Bundesrates Hübner.) Das ist nicht die Form, wie man mit Corona- und Pandemiebekämpfung umgehen kann, und das hat diese Regierung zu verantworten! (Beifall bei der SPÖ.)

Nun zur Arbeitsmarktpolitik – Herr Bundesminister, Sie sind heute bei uns –: Die Arbeits­marktzahlen gehen zurück, und wir alle, die wir hier sind, freuen uns über jeden Arbeits­losen und jede Arbeitslose weniger, gar keine Frage. Trotzdem müssen wir hinschauen und feststellen, wie die Zahlen denn genau ausschauen: Wie sehen die Arbeitsplätze aus? Kann man von der Arbeit leben? Wie schauen die Arbeitsbedingungen aus? Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht nicht zurück. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer haben es sehr, sehr schwer auf dem Arbeitsmarkt, das können Sie wirklich nicht leugnen, Herr Bundesminister! (Bundesminister Kocher: Doch!) Sie haben es wirklich schwer. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt ältere ArbeitnehmerInnen, die Hunderte von Be­werbungen schreiben, und bei großen Unternehmen, die in den Bewerbungsvorgängen Algorithmen im computerisierten Vorgang laufen haben, haben Ältere keine Chancen. – Genau da muss man ansetzen! Da braucht es wirklich Maßnahmen, um auch Langzeit­arbeitslose in Beschäftigung zu bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen 70 000 Pflegekräfte – dabei sehen wir jetzt, dass in diesem Budget nicht das Geld für eine Pflegereform zur Verfügung gestellt wird. – Nein, wir entlasten Konzer­ne, wir schaffen für sie mehr Gewinne; nein, wir stellen nicht mehr Geld für die Pflege bereit, wir geben nicht mehr Geld für den Ausbau der Elementarpädagogik aus. Das ist nicht die Politik, die wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns vorstellen, um Menschen helfen und diesen Staat wirklich sozial gestalten zu können.

Auf einen Punkt möchte ich ganz stark hinweisen, weil wir am Montag wieder eine Pres­sekonferenz der SozialpartnerInnen zu diesem Thema haben werden: Es gibt die For­derung der SozialpartnerInnen auf Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr – leistbar und mit Vollzeitarbeit vereinbar. Das ist eine ganz, ganz wichtige Forderung – besonders auch an Sie, Herr Arbeitsminister, ge­richtet. Es geht darum, wie man es schaffen kann, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich wird. Wir brauchen diesen Austausch! (Beifall bei der SPÖ.)

Auch wenn wir sagen, es fehlen die Fachkräfte: Das Potenzial der Frauen und ihre Chan­cen am Arbeitsmarkt werden zukünftig ganz, ganz wichtig sein, und wenn man die Rah­menbedingungen dafür nicht schafft, dann wird es nicht möglich sein, darauf zurückzu­greifen. Herr Bundesminister, bitte unterstützen Sie also auch da! Im Budget sehen wir dafür kein Geld, aber es ist jetzt mehr als notwendig, da Handlungsschritte zu setzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Eines lassen Sie mich noch sagen: Es wird kalt, es wird Winter, es gibt eine Teuerung, die unvorstellbar ist, und in der Zeitung lesen wir heute, es wird auch wieder angekün­digt, dass die Milchpreise steigen werden. Das ist aus der Sicht der Bauern verständlich, aber es ist ein Problem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Menschen. Man muss sich diese Teuerung irgendwie leisten können, aber wir wissen, dass sehr viele Menschen bereits jetzt keine Chance haben, gut über einen Monat zu kommen, die sich am 15. überlegen: Wie kriege ich diesen Monat noch hin? Wie kriege ich meine Kinder satt? – Das ist nicht nur eine kleine Gruppe, sondern das ist eine große Gruppe. (Bundesrat Köck: So geht es den Bauern auch!)

Die Teuerung trifft alle. Die Kosten für das Heizen sind ganz extrem gestiegen, auch inklusive der Stromkosten. Das ist ja nicht nichts! Dann zu sagen, mit dem Klimabonus, den man dann hergibt – der eh erst ab 1.7.2022 kommt, aber dazwischen haben wir halt leider einen kalten Winter, in dem die Leute heizen und sich etwas zu essen kaufen müssen –, deckt man davon ein bisschen etwas ab: Das wird so nicht funktionieren.

Noch eines sei gesagt: Es ist nicht gut, durch politisches Handeln die Gesellschaft zu spalten – in Jung und Alt, in Reich und Arm, in Stadt und Land. Gerade die Spaltung in Stadt und Land ist nicht klug, sie sollte nicht vorangetrieben werden. Natürlich ist es für die Türkisen und für die Grünen vielleicht ganz nett, politisch auf Wien hinzuhauen, aber es ist nicht klug! Die Wienerinnen und Wiener zu den VerliererInnen dieser Klimapolitik zu erklären – ja was ist Ihnen da bitte eingefallen?! Das kann doch nicht wahr sein! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Köstinger!)

Österreich kann nur in Form eines guten Miteinanders, in einem respektvollen Miteinan­der von Stadt und Land, von Jung und Alt, in dem Erkennen von- und Verständnis für­einander stark und erfolgreich sein, aber doch nicht im Auseinanderdividieren! Das ist doch keine Politik, die wir wollen!

Wir werden sehen, wie sich die Politik in den nächsten Tagen und Wochen weiterentwi­ckeln wird, aber eines ist sicher: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden niemanden zurücklassen. Wir wollen eine Gesellschaft, die das Verbindende sucht und nicht das Trennende fördert. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.14

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster ist Herr Bundesrat Ingo Appé zu Wort ge­meldet. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.