16.22

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Werte Kolleginnen und Kollegen, vor allem aber liebe Damen und Herren, die über das Fernsehen zugeschaltet sind! Ich glaube, das hat jetzt jeder mitbekommen: Wir debattieren heute über das Impfpflichtge­setz, ich befürchte aber, dass, ganz egal wie viel Unvernünftiges oder Vernünftiges heute hier gesagt werden wird, das vermutlich am Standpunkt, mit dem jeder und jede hier hereingekommen ist, wenig ändern wird.

Wenn ich jetzt zynisch wäre, dann könnte ich sagen: Na gut, dann stimmen wir einfach darüber ab und ersparen uns so manche Beschimpfung hier!, ich bin aber nicht zynisch und es entspräche auch nicht dem Wesen der Demokratie, und deshalb möchte ich ein paar Worte und Gedanken äußern, auch deshalb, weil sicherlich einige Menschen vor den Bildschirmen sitzen und Argumente und eine ehrliche, offene, sachliche Diskussion hören wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ja, ich bin für dieses Gesetz. Ich bin aber nicht für dieses Gesetz, weil ich für Pflichten in allen Bereichen des Lebens bin, ich bin auch nicht dafür, weil sich irgendjemand dieses Gesetz jemals gewünscht hätte – das ist nämlich nicht so (Bundesrat Hübner: Aber weil Sie auf eine Liste kommen wollen!) –, sondern ich bin dafür, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es die Impfung ist, die uns zur Normalität, die wir uns alle so sehr wünschen, zurückbringt.

Wie Sie vielleicht wissen, arbeite ich als Arzt in einem großen Grazer Krankenhaus. Dort retten wir Menschen – Gott sei Dank viele Menschen –, dort sterben aber auch Men­schen, und da sterben auch Menschen, weil sie nicht geimpft sind. Das ist etwas, was eigentlich nicht passieren müsste, es geschieht aber. (Bundesrat Steiner: Es sterben geimpfte Menschen auch!) Ich weiß – ich habe auf den Zwischenruf des Herrn Kollegen Steiner schon gewartet –, dass Sie das als persönliche Anekdote abtun (Bundesrat Stei­ner: Es sterben aber geimpfte Menschen auch!), aber kommen wir zu den Fakten zu­rück, vor allem nach den Ausführungen des Kollegen Ofner, und lassen wir bitte die Zahlen sprechen!

Die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, ist für einen Ungeimpften fünfmal höher als für einen Geimpften. (Bundesrat Steiner hält zwei Tafeln mit Diagrammen in die Höhe.) Das sind Zahlen, die Our World in Data errechnet hat – fünfmal so hoch! Das bedeutet, auf zehn geimpfte Menschen, die wir nicht retten können, kommen 50 Unge­impfte. Das sind 50 unnötige Todesfälle, die wir zu beklagen haben.

Weil immer wieder die Aussage kommt und auch heute schon gefallen ist: Na ja, aber Omikron tut eh nichts!, und: Omikron ist harmlos!, und: Die Impfung hilft gegen Omikron nicht!, sage ich: Das ist Unsinn! Es tut mir leid, aber das ist Unsinn! Auch wenn Omikron vielfach milder verläuft, haben wir trotzdem schwere Verläufe bei uns auf der Intensiv­station liegen, wir wissen wenig über die Langzeitwirkungen wie Long Covid, auch was Omikron betrifft (Bundesrat Spanring: Über die Impfung aber auch nicht! Blöd, oder?), und der Booster hilft ganz klar auch bei Omikron vor einem schweren Verlauf. (Bundesrat Steiner: Zu wie viel Prozent?)

Wenn Sie es mir nicht glauben: Das sind nicht meine Zahlen, sondern die der Gesund­heitssicherheitsagentur Großbritanniens, der UK Health Security Agency: Die Booster­impfung schützt zu 92 Prozent vor dem schweren, intensivpflichtigen Verlauf. Das sind die Daten, das sind die Fakten, und die sind unwiderruflich. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Was mich aber als Arzt, als Internist, ganz besonders – ich möchte fast sagen – schmerzt, ist, wenn Impfgegner glauben, möglichen Nebenwirkungen mehr Aufmerksamkeit wid­men zu können als der realen positiven Wirkung. Ich habe auch diesbezüglich ein paar recht eindrückliche Zahlen: Es gab im Jahr 2021 genau 16 471 273 Covid-Impfungen in Österreich, und diesen fast 16,5 Millionen Impfungen stehen genau 366 offene Anträge nach dem Impfschadengesetz gegenüber – 366 offene Anträge! (Bundesrat Steiner: Weil die Ärzte das nicht eingeben! Wir wissen das aus den Chats!) Jetzt wird Herr Kol­lege Steiner mit seinen Geschichten und Gerüchten und seiner Fama kommen, die Ärzte würden unterdrückt. Die Fakten schauen so aus: Es gibt 366 offene Anträge – und am Ende der Begutachtung dieser Anträge werden auch da sicherlich deutlich weniger übrig bleiben (Bundesrat Steiner: Das wissen wir jetzt schon!?), im Gegensatz zu den 16,5 Millionen Impfungen.

Zusammengefasst kann man sagen: Die Impfung ist gut, die Impfung ist sehr gut. Sie schützt nicht nur einzelne Menschen, sie schützt die gesamte Gesellschaft, vor allem bei entsprechender Impfbeteiligung, und sie schützt die Spitäler vor einer Überlastung, die wir nicht haben wollen. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Jetzt kann man die Frage stellen: Brauchen wir deswegen eine Impfpflicht? – Nun ja, wenn wir uns die derzeitige Situation anschauen, ist es so: Drei Viertel der impfbaren erwachsenen Bevölkerung, die ja das Impfpflichtgesetz auch betrifft, bräuchten sie ei­gentlich nicht. Warum? – Weil sie bereits aus Überzeugung einen Impfschutz haben. Warum wir sie aber brauchen, ist, weil wir jene schützen wollen, die sich nicht impfen lassen können, und die gibt es, weil wir jene schützen wollen, die an einer Immunkrank­heit leiden, weil wir die Kleinsten in unserer Gesellschaft, die Kinder unter fünf Jahren, schützen wollen. Deshalb brauchen wir eine höhere Impfbeteiligung (Bundesrat Steiner: So ein Schwachsinn!), und es tut mir leid, dass wir es trotz aller Maßnahmen nicht ge­schafft haben. Das geht offenbar ohne die Impfpflicht leider nicht.

Das Paradoxon an der ganzen Sache ist – und jetzt schaue ich bewusst auch in Ihre Richtung (in Richtung FPÖ) –, dass wir die Impfpflicht, wenn man es ganz genau nimmt, denjenigen – unter Anführungszeichen – „verdanken“, die am lautesten gegen sie schreien und polemisieren (Bundesrat Steiner macht die sogenannte Scheibenwischer­bewegung), genauso, wie Sie wider jegliches Wissen und wider die wissenschaftlichen Fakten gegen die Impfung an sich sind (Bundesrat Ofner: Nein! Das ist die typische Heuchelei!), gegen die Masken, gegen das Abstandhalten, gegen alle Maßnahmen, die jemals getroffen wurden, um die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher zu schützen. Sie waren bisher gegen alles und haben nichts Konstruktives beigetragen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Im Gegensatz zu Ihnen gibt es aber auch diejenigen, die die Covid-19-Impfung im Ein­klang und in der Zusammenschau der wissenschaftlichen Fakten für hilfreich halten, die aber ein Problem mit der Pflicht haben. Mit deren Bedenken müssen wir uns auseinan­dersetzen. (Vizepräsidentin Zwazl übernimmt den Vorsitz.)

Da gibt es zum einen das Freiheitsargument. Ja, das ist heute schon gesagt worden: Die Pflicht zur Impfung ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit. Sie ist gleichzeitig aber auch die Grundlage dafür, dass uns die Freiheit der Nähe, die Freiheit der Begegnung, die Freiheit der Bewegung vollständig zurückgegeben wird. (Bundesrätin Schartel: Die Lüge glaubt euch keiner mehr, weil das habt ihr vor einem halben Jahr schon gesagt!) Denn eines dürfen wir nicht vergessen, Frau Kollegin Schartel: Auch ein Lockdown ist ein Eingriff in die Grundrechte, und niemand hier in diesem Saal kann weitere Lock­downs, ein weiteres Auf- und Zusperren der Republik wollen. (Beifall bei ÖVP und Grü­nen. – Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.)

Dieses Impfpflichtgesetz erfüllt die notwendigen Voraussetzungen dafür. Erstens: Es dient einem Ziel, nämlich dem Gesundheitsschutz. (Bundesrätin Schartel: Nein, der pharmazeutischen ...!) Zweitens: Wir haben ein Mittel, das wirkt. Da können Sie noch so laut schreien, das ist durch eine Vielzahl von Studien bewiesen. (Bundesrätin Schartel: Ja, aber nur von regierungstreuen Studien!) Und drittens, ein Punkt, der heute schon gefallen ist und der mir persönlich sehr wichtig ist: Es muss verhältnismäßig sein. Vor allem die Tatsache, dass diese Verhältnismäßigkeit permanent überprüft und evaluiert wird, ist wichtig, weil wir dadurch flexibel auf neue Entwicklungen reagieren können. Die­ses Gesetz ist damit, wenn man so will, mittel- und langfristig eine Notbremse auf Zeit. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch zu einem Punkt kommen, für den ich keinerlei Verständnis habe und der mich mitunter sogar zornig werden lässt (Bundesrätin Schartel: Warte, was mich zornig werden lässt!), und das ist etwas, was ich wirklich selten bin, nämlich dass Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflege, Ärztinnen und Ärzte von teils extremistischen Impfgegnern an ihren Arbeitsplät­zen dermaßen bedroht werden, dass sie um ihre eigene Gesundheit und sogar um ihr Leben fürchten müssen. Und wenn Mitglieder dieses Hauses, wie es der von mir hochge­schätzte Kollege Appé geschildert hat (Bundesrat Spanring: Jetzt auf einmal ist er hoch­geschätzt!), Morddrohungen bekommt, wenn meine beiden Töchter Angst haben, weil ihr Papa nach Wien fährt und im Vorfeld Drohanrufe bekommen hat (Bundesrat Ofner: Mah! – Heiterkeit bei BundesrätInnen der FPÖ), dann werden da Grenzen überschritten. Und das ist auf das Allerschärfste zurückzuweisen, meine Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Sie lachen! (Bundesrat Spanring: Unglaublich! Heuchler!) Kollege Spanring findet es noch komisch, wenn Morddrohungen gegen Kollegen ausgesprochen werden. Das ist erschütternd! Sie sollten sich schämen! (Beifall bei ÖVP und Grünen.) Ich sage Ihnen eines: Ich bin nicht nur Arzt, ich bin auch Politiker, ich halte das aus. (Bundesrat Span­ring: Ja, ja!) Ich halte harte Bandagen aus. Ich halte auch aus, wenn Sie permanent unter die Gürtellinie schlagen (Bundesrätin Schartel: Ah geh!), aber die Assistenzärztin und der Pfleger, die einfach ein Leben retten wollen, die Mitarbeiterin im Handel oder in der Gastronomie, die einfach nur höflich nach dem 2G-Nachweis fragt (Bundesrat Ofner: Ja, warum muss sie das? Weil ihr ihr sagt, dass sie das muss!), die dürfen niemals um ihre Gesundheit fürchten müssen. Niemals! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky. – Bundesrätin Steiner-Wieser: Die Leute sekkieren! Die Menschen sekkieren!)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn dieses Gesetz heute den Bundesrat passiert, entbindet uns das natürlich nicht von der Pflicht, weiter und mehr und noch besser über die Vorteile der Impfung zu informieren und generell über die Sinnhaftigkeit von Imp­fungen zu informieren. Ich frage immer: Wo wären wir heute als Menschheit, wenn wir in der Vergangenheit nicht immer auf die großen Errungenschaften von Wissenschaft und Medizin vertraut hätten? Jeder Mensch in Österreich, der sich aus Überzeugung impfen lässt, muss uns lieber sein als einer, der es nur aus einer Pflicht heraus tut.

Einen herzlichen Dank möchte ich aussprechen – und bald zum Ende kommen – unse­rem Regierungspartner einerseits, den Grünen, vor allem aber auch den Oppositions­parteien SPÖ und NEOS. Ich weiß, das ist eine Entscheidung, die sich hier und heute niemand leicht gemacht hat. Mein Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer hat aber unlängst einmal in einem Interview gesagt: Politik hat die Aufgabe, immer das Richtige populär zu machen. Wenn uns das nicht gelingt, und das ist leider manchmal so, dann müssen wir noch immer das Richtige tun. Und dafür sind wir gewählt. (Bundesrätin Stei­ner-Wieser: Ja keinen Fehler zugeben!)

Jetzt stellt sich die Frage: Ist dieses Impfpflichtgesetz zu streng oder ist es nicht streng genug? Die einen sagen so, die anderen so; da gehen die Meinungen auseinander. Für mich persönlich zeigt es sehr schön, dass wir gemeinsam den richtigen, den goldenen Mittelweg gefunden haben. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich auch für die vielen Stellungnahmen, die eingegangen sind und die in der Folge auch in den Geset­zestext eingearbeitet wurden.

Sehr geehrte Damen und Herren, mein abschließender Appell: Vergessen wir bitte nie, dass das Miteinander dieses Österreich zu einem großartigen und wunderbaren Land gemacht hat und dass das Gegeneinander immer zerstörerisch wirkt! Ich bin Steirer, ich glaube, das hört man zwischendurch raus, und als solcher darf ich von ihm erzählen, nämlich vom viel zitierten steirischen Weg des Miteinanders (Bundesrat Spanring: Ist der auch so gut wie der restliche Weg des Miteinanders der ÖVP?), dem steirischen Weg des Miteinanders über alle Parteigrenzen und sämtliche Ideologien hinweg. (Bun­desrätin Schartel: Moment!) Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der steirische Weg des Miteinanders auch ein Wiener, ein Tiroler und ein Vorarlberger Weg sein kann. Bleiben wir auf diesem Weg des Miteinanders, des Respekts voreinander, auch wenn wir manchmal völlig unterschiedlicher Meinung sind! – Herzlichen Dank und bleiben Sie gesund! (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.35

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Kollege Spanring zu Wort gemeldet. – Bitte.