IV-11 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates

 

 

 

Beratungen des EU-Ausschusses

des Bundesrates

 

 

 

 

Auszugsweise Darstellung

 

 

Dienstag, 20. Mai 2003

14.05 – 16.07 Uhr


 

Tagesordnung

1.             Konstituierung

2.             SON CONV 518/03

Die regionale und lokale Dimension in Europa

(8250/EU XXII. GP)


Beginn der Sitzung: 14.05 Uhr

 

Stellvertretender Vorsitzender Herwig Hösele eröffnet die Sitzung und begrüßt die Ausschussmitglieder, Botschafterin Dr. Eva Nowotny und die anwesenden kompetenten Vertreter der Bundesregierung sowie den EU‑Ausschuss‑Vorsitzenden des Steiermärkischen Landtages Landtagsabgeordneten Franz Majcen.

1. Konstituierung

Stellvertretender Vorsitzender Herwig Hösele teilt mit, dass er somit die konstituierende Sitzung des EU‑Ausschusses eröffne.

Er kündigt an, dass zunächst die Wahl des Vorsitzenden, der Stellvertretenden Vorsitzenden und der Schriftführer vorzunehmen sei.

Weiters stellt er fest, dass er nunmehr zur Wahl des Vorsitzenden komme und ihm ein auf Bundesrat Gottfried Kneifel lautender Wahlvorschlag vorliege.

Da es gegen diesen Vorschlag keine Einwendungen gibt, bringt er den Wahlvorschlag zur Abstimmung. – Dieser wird einstimmig angenommen.

Stellvertretender Vorsitzender Herwig Hösele fragt den neu gewählten Vorsitzenden Gottfried Kneifel, ob er die Wahl annehme.

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich) bestätigt, dass er die Wahl gerne annimmt.

Stellvertretender Vorsitzender Herwig Hösele teilt mit, dass er somit den Vorsitz an den neu gewählten Vorsitzenden übergebe.

Vorsitzender Gottfried Kneifel (den Vorsitz übernehmend) heißt zunächst den Vorsitzenden des Steiermärkischen EU‑Ausschusses Franz Majcen herzlich willkommen. Die Steiermark sei derzeit in der Führung der Landeshauptleutekonferenz tätig, daher sei es umso erfreulicher, dass Vorsitzender Majcen heute bei diesem Ausschuss als Gast anwesend sei.

Der Vorsitzende teilt mit, dass er somit zur Wahl der Stellvertretenden Vorsitzenden komme und dass ihm Wahlvorschläge lautend auf Roswitha Bachner und Jürgen Weiss vorliegen.

Er bittet jene Ausschussmitglieder, die dem Wahlvorschlag zustimmen, um ein Handzeichen. – Die Wahl wird einstimmig angenommen.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien) erklärt für die nicht anwesende Bundesrätin Roswitha Bachner, dass sie die Wahl annimmt.

Vorsitzender Gottfried Kneifel bemerkt, dass er davon ausgehe, dass auch der ebenfalls nicht anwesende neue Stellvertretende Vorsitzende Jürgen Weiss die Wahl annimmt.

Weiters teilt der Vorsitzende mit, dass man nunmehr zur Wahl der Schriftführer komme und ihm Wahlvorschläge lautend auf Günther Kaltenbacher und Ulrike Haunschmid vorliegen.

Er bittet jene Ausschussmitglieder, die diesem Vorschlag beitreten, um ein Handzeichen. – Der Wahlvorschlag wird einstimmig angenommen.

Der Vorsitzende gratuliert und bemerkt, dass er davon ausgehe, dass die Wahl angenommen werde.

Vorsitzender stellt fest, dass somit die Konstituierung des EU‑Ausschusses beendet sei.

2. SON CONV 518/03

Die regionale und lokale Dimension in Europa

(8250/EU XXII. GP)

Vorsitzender Gottfried Kneifel teilt mit, dass ihm ein Antrag der Bundesräte Albrecht Konecny, Wilhelm Grissemann und Gottfried Kneifel betreffend die Ladung von Auskunftspersonen gemäß § 33 Abs. 1 GO‑BR für den heutigen Tag und zu diesem Tagsordnungspunkt vorliege und dass die unterzeichneten Bundesräte die Ladung folgender Auskunftspersonen beantragen:

Dr. Hannes Farnleitner

Dr. Caspar Einem

Mag. Eduard Mainoni

Der Vorsitzende bringt diesen Antrag zur Abstimmung. – Der Antrag wird einstimmig angenommen.

Somit bittet der Vorsitzende die Experten in den Saal.

*****

Vorsitzender Gottfried Kneifel heißt die geladenen Experten herzlich willkommen.

Er merkt an, dass man in den Beratungen des EU‑Ausschusses nunmehr in eine der interessantesten Phasen der Entwicklung der Europäischen Union eingetreten sei. Man sei nun dabei, eine völlig neue europäische Verfassung zu erarbeiten, um das Friedenswerk Europäische Union auch für die Zukunft weiterzuentwickeln und abzusichern.

Der Vorsitzende betont, dass er einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Themenbereich habe. Er sei 1948 geboren und im damaligen Grenzgebiet Enns, und zwar in Ennsdorf in Niederösterreich, aufgewachsen. In seiner Kindheit, die noch in die Besatzungszeit gefallen sei, sei Enns ein sehr gefürchteter Checkpoint gewesen.

In diesem Zusammenhang erinnere er sich an ein Erlebnis: Er habe seinen Vater, der praktischer Arzt gewesen sei, bei einem Hausbesuch begleitet. Er, Kneifel, sei damals vier Jahre alt gewesen und habe, als sein Vater länger beschäftigt gewesen sei, um sich die Zeit zu vertreiben, dessen Identitätsausweis in Stücke zerlegt. Die Folgen seien verheerend gewesen: Vater und Sohn seien rund drei Stunden angehalten worden, bevor sie die Demarkationsgrenze wieder überschreiten dürfen hätten.

Heute würden solche Ereignisse bereits in Vergessenheit geraten. Man habe nun bereits eine Friedensperiode hinter sich, die in Europa Ihresgleichen suche. Früher seien in Europa viele Kriege geführt worden beziehungsweise seien Kriege häufig sogar von Europa ausgegangen, vor allem die beiden Weltkriege.

Nunmehr stehe man vor der Bilanz der bisherigen Arbeit der Europäische Union und habe eine Friedensperiode von mehr als 57 Jahren hinter sich. So lange habe es auf diesem Kontinent bisher noch nie Frieden gegeben. – In Anbetracht dessen lohne es sich wohl, an dem gegenständlichen Projekt weiterzuarbeiten.

Der Vorsitzende bedankt sich an dieser Stelle sehr herzlich bei den Vertretern Österreichs in allen Kurien des Konvents für deren Arbeit in dieser schwierigen Phase der Weiterentwicklung der Europäischen Union. Er stellt fest, dass die Bundesräte und Ländervertreter selbstverständlich massives Interesse an einer fortgesetzten positiven Entwicklung, an einer entsprechenden Wahrung der Interessen und an der Mitgestaltung dieser neuen europäischen Verfassung und Friedensordnung haben.

Der Vorsitzende bittet nun die Experten um deren Ausführungen.

Regierungsbeauftragter im EU‑Konvent Dr. Hannes Farnleitner führt wie folgt aus:

„Herr Vorsitzender! Hoher Ausschuss! Zunächst einige Vorbemerkungen: Der Konvent wurde – wenn ich mich an die Urprotokolle erinnere – eigentlich geschaffen, um Kompetenzen in Europa zu renationalisieren. In der Zwischenzeit arbeiten beziehungsweise feilen wir jedoch an einer Verfassung, die den größten Kompetenztransfer der Geschichte darstellt, weil wir nunmehr über eine gemeinsame Außenpolitik, über eine gemeinsame innere Sicherheitspolitik und über eine gemeinsame Verteidigung reden.

Der ursprünglich – um eine österreichische Stimme aus der Gründerzeit zu zitieren –als ‚Quatschbude’ bezeichneten Veranstaltung Konvent liegt zwischenzeitig ein Verfassungstext vor, der in Kernteilen lesbar beziehungsweise sogar auswendig lernbar ist, und das zum Entsetzen aller Rechtskommentatoren. Insofern betreibt man sozusagen Marktdiebstahl an Lehrkanzeln.

Auf Grund des Arbeitsstils des Konvents wurden in Arbeitsgruppen zunächst Sachdetails aufgearbeitet. Dadurch stehen weite Teile wie etwa die Rechtspersönlichkeit und eine bestimmte Art der Kompetenzverteilung bereits außer Streit. Nunmehr sind wir bei der Diskussion um Institutionen wie etwa jener des gewählten Präsidenten, über die Größe der Kommission und so weiter gelandet.

Besonders konzentrieren wir uns dabei auf die Frage der Rolle der Regionen und auf die regionale Dimension insgesamt. Unsere Strategie war zu Beginn – etwa mit dem Papier Farnleitner, Bösch, Tusek – darauf abgestellt, ein präventives Klagsrecht der Bundesländer beziehungsweise der Provinzen Europas zu ermöglichen. Wir haben dann aber gesehen, dass wir da a priori auf verlorenem Posten agieren.

In der zweiten Phase haben wir uns dann zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips für die Schaffung des so genannten Early‑Warning‑Systems’ eingesetzt: Die Kammern der nationalen Parlamente sollen künftig von der EU betreffend alle legistischen Vorhaben a priori gleichzeitig direkt – ohne Umweg über öffentliche Verwaltungen – informiert werden, damit sie selbst Position beziehen können, wenn eine bestimmte, noch nicht festgelegte Anzahl von Mitgliedstaaten Kompetenzverletzungen feststellt. In einem solchen Fall muss die Kommission sofort Neues überlegen. Sollte es zu einer Verletzung der Kompetenzrechte der Regionen mit Verfasstheit gekommen sein, dann können diese über die Parlamente das Klagsrecht ausüben.

Derzeit befinden wir uns noch in einem Streitzustand, ob beide Häuser der nationalen Parlamente oder jeweils nur ein Haus das Klagsrecht haben sollen. All unsere Sondierungen haben schon in der Vorphase ergeben, dass derzeit einige Staaten, zum Beispiel Italien und Spanien, zwar Provinzen mit mehr Kompetenzen als die österreichischen Bundesländer haben, aus Gründen der nationalen Identität jedoch kein Klagsrecht der Regionen haben wollen. Daher wurde auf einer Landeshauptleutekonferenz in Salzburg vor rund einem halben Jahr besprochen, dass, wenn wir es erreichen, dass die zweiten Häuser der Parlamente klagen können, national durch eine Art 15a‑Vereinbarung festgelegt werden kann, dass ein Bundesland klagen kann und der Bundesrat das dann transportiert.

Auf eine solche Lösung wird es im Endeffekt hinauslaufen. Der Kompromiss, der jetzt im Raum steht, ist, dass jeder Staat sozusagen zwei Stimmen hat, die in einem oder beiden Häusern ausgeübt werden können.

Einen heftigen Disput hatten wir auch über den Begriff ‚federal’. – Das Wort ‚federal’ bedeutet für einen der englischen Sprache durchschnittlich mächtigen Österreicher ‚föderal’. Das ist natürlich absoluter Unsinn, denn die Übersetzung des englischen Wort ‚federal’ lautet ‚zentral’. Daher habe ich mir gestattet – was zumindest in einem der kleineren Bundesländer Österreichs einigen Unmut hervorgerufen hat –, vorzuschlagen, das Wort ‚federal’ zu streichen, weil es nicht übersetzbar ist und der europäischen Realität nicht entspricht.

Außerdem wären mir und einigen meiner Freunde das Klagsrecht der Regionen wichtiger als das Klagsrecht des Ausschusses der Regionen. Das Image der Arbeitsweise des Ausschusses der Regionen ist weit besser, als mangels innerer Strukturiertheit heute tatsächlich gearbeitet wird. In Anbetracht dessen wäre es mir wichtig, wenn ein Bundesland oder der Bundesrat selbst klagen könnten, und daher habe ich vorgeschlagen, den Ausschuss der Regionen in drei Subkategorien zu teilen, nämlich in die Kategorie ‚Städte und Gemeinden’, welche momentan die Problemgebiete der Europäischen Union sind, in die Kategorie „verfasste Regionen“ und in die Kategorie „sonstige Regionen“.

Wie es jetzt aussieht, wird der Ausschuss der Regionen jedoch das Klagsrecht bekommen. Außerdem werden – wie bereits ausgeführt – die Regionen über die jeweiligen zweiten Häuser der nationalen Parlamente das Klagsrecht erhalten.

Konventsmitglied Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) bringt folgende Darstellung:

„Herr Vorsitzender! Hoher Ausschuss! Dr. Farnleitner hat in sachlicher Hinsicht zu dem Thema bereits berichtet, was zu berichten ist. Die Frage ist, welche Bedeutung dieser Teil unserer Debatten praktisch hat. Meiner Einschätzung nach hat dieser Teil geringe Bedeutung, und zwar deshalb, weil das Problem nicht darin besteht, dass des österreichische Parlament zu wenig Unterlagen von der Europäischen Union bekommt, sondern dass sich im Parlament niemand dafür interessiert. – Das ist zwar eine hässliche Aussage in einem EU‑Ausschuss, da ich aber auch Mitglied des EU‑Hauptausschusses bin, weiß ich, wovon ich spreche.

Das Problem besteht nicht darin, dass das Parlament keine Rechte hat, sondern dass sich das Parlament im Allgemeinen durch die Papiere, die von Brüssel kommen, eher belästigt fühlt und es umfangreicheren Gebrauch davon machen könnte, als es tatsächlich macht.

Betreffend Subsidiarität wurde im Konvent mit großer Inbrunst in einer Arbeitsgruppe und auch bei mehreren Diskussionen im Plenum die Frage behandelt, wie man sicherstellen kann, dass das Subsidiaritätsgebot, dass nämlich die Dinge jeweils auf jener Ebene geregelt werden, die dafür am besten geeignet ist, entsprechend durchgesetzt werden kann. Stattgefunden hat die Debatte jedoch nicht unter diesem Begriff der Subsidiarität, sondern gemäß der Definition ‚je weiter unten desto besser’. Die Vertreter von Bundesländern und Regionen haben im Wesentlichen darum gekämpft, genügend Kompetenzen auf ihren jeweiligen Ebenen zu behalten.

Ich meine, dass man sehen muss, dass die Frage, ob und inwieweit die Subsidiarität auf europäischer Ebene beeinträchtigt wird, zumindest bisher überwiegend eine Frage ist, die von nationalen Vertretern entschieden wird. Es greift ja nicht die Kommission die Subsidiarität der Mitgliedstaaten an, sondern diese wird dort angegriffen, wo ein entsprechender Beschluss der Gesetzgebungsorgane der Union – und das ist immer der Rat und manchmal das Europäische Parlament – entsprechend entscheidet. Und der Rat setzt sich nun einmal aus Vertretern der Nationalstaaten zusammen. Inwieweit die Subsidiarität beeinträchtigt ist, liegt also in erster Linie daran, wie die Vertreter der einzelnen Staaten darüber entscheiden, und daher müssen sich die Regionen das mit den eigenen nationalstaatlichen Vertretern ausmachen. – Das ist im Wesentlichen auch mein Standpunkt.

Ich meine, dass wir in Österreich dafür eine ganz gute Lösung gefunden haben, die auch verfassungsrechtlich entsprechend abgesichert ist.

Zur Frage der Klagsrechte: In der Einschätzung, was kommen wird und was nicht, stimme ich mit Dr. Farnleitner überein. Ich halte insbesondere ein Klagsrecht des Ausschusses der Regionen für verzichtbar, und wenn man ein Klagsrecht für Parlamente schafft, dann sollte man es in einer Weise schaffen, die sicherstellt, dass man nicht spezifisch auf erste und zweite Kammern Bedacht nimmt. Beide Kammern bilden gemeinsam das Parlament, und wenn es ein solches Recht gibt, dann soll es dieses für beide Kammern geben.

Ich glaube, dass viele praktischere Probleme, insbesondere für die Gemeinden und zum Teil auch für die Länder und für den Bund in anderen Segmenten liegen. In den vergangenen Monaten, insbesondere vor dem 31. März 2003, wurde auch in Österreich eine recht lebhafte Debatte über GATS und über die weiteren Liberalisierungsmaßnahmen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen geführt. – In der Tat ist das ein Gebiet von hoher Sensibilität, weil es hiebei unter anderem auch um die Gewährleistung eines typischen Elements der europäischen und auch der österreichischen Sozialstaatlichkeit geht: Konkret geht es dabei um bestimmte Dienste, die man für so zentral hält, dass jeder in gleicher Weise, diskriminierungsfrei und unabhängig vom jeweiligen Einkommen, Zugang dazu haben soll. Es handelt sich hiebei vor allem um die Gesundheitsversorgung, um alle Formen der grundlegenden Schulausbildung, um das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, um die Wasserversorgung et cetera. Diese Dienste soll es auch weiterhin so geben können, das ist Teil des europäischen Sozialstaatsmodells. 

Wenn wir diese Dienste gewährleisten wollen, dann muss politische Steuerungsfähigkeit auf allen Ebenen unseres Staatswesens auch weiterhin gewährleistet bleiben, damit entsprechende Regeln geschaffen werden beziehungsweise aufrecht erhalten bleiben können. Die Frage hiebei ist nur, unter welchen Bedingungen das möglich ist, wenn Außenhandelsverhandlungen ausschließlich von der Europäischen Union geführt werden. Ich halte Letzteres für prinzipiell richtig und vernünftig, allerdings enthält Art. 133 EGV heute zwar eine Regel, in welcher festgelegt ist, dass die Außenhandelsverhandlungen nach einheitlichen Gesichtspunkten zu führen sind, in welcher aber nicht spezifiziert ist, nach welchen Regeln das zu geschehen hat.

Wenn es uns gelänge, im Art. 3 betreffend die Ziele der Union auch eine entsprechende Bestimmung zu verankern, nach welcher der allgemeine und diskriminierungsfreie Zugang zu Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – wie diese Daseinsvorsorgeleistungen europasprachlich heißen – als Ziel festgelegt wird, dann gäbe es hinkünftig einen Maßstab für die Außenhandelsverhandlungen des jeweiligen Außenhandelskommissars und dann müsste er darauf Rücksicht nehmen, dass die Liberalisierungsschritte nicht eine Dimension erreichen können und dürfen, welche diese Art von Leistungen unmöglich oder fast unmöglich machen.

In diesem Bereich findet noch ein Kampf statt, und wie er ausgehen wird, ist derzeit nach wie vor offen. Ich meine aber, dass gute Chancen bestehen, dass im Art. 3 tatsächlich etwas über die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu sehen sein wird. – Ich glaube, dass das ein Punkt ist, der in mancher Hinsicht von größerer praktischer Bedeutung ist als die Themen der Subsidiarität oder des Klagsrechts des Ausschusses der Regionen.“

Konventsmitglied Abgeordneter Mag. Eduard Mainoni (Freiheitliche) bringt folgende Ausführungen:

„Ich möchte mich zunächst herzlich dafür danken, dass die Beschlussfassung, uns hier als Experten zu hören, einstimmig war.

Ich selbst bin seit gut einem Monat Ersatzmitglied im Konvent und habe jetzt die Gelegenheit, meine Aussagen noch aus einer gewissen Distanz zur Materie und zum Inhalt zu treffen.

Zum Thema Subsidiarität gibt es eine Reihe von Unterlagen, zu welchen Ihnen meine Kollegen erschöpfender Auskunft geben können, weil sie selbst in dieser Angelegenheit bereits lange vor meiner Zeit in den Ausschüssen tätig waren. Für mich betrifft das Thema Subsidiarität eigentlich nichts anderes als die Frage, wo es noch möglich ist, nationalen und regionalen Einfluss innerhalb der Europäischen Union geltend zu machen. Ich möchte Ihnen meine Eindrücke betreffend sehr wichtige Verhandlungen in diesem Zusammenhang schildern, nämlich hinsichtlich der Organe und der gemeinsamen Außen‑ und Sicherheitspolitik.

In welche Richtung wird gegangen? – Ich habe auf Grund der Debattenbeiträge der Mitglieder des Europäischen Konvents den Eindruck, dass zumindest von einem Teil gewünscht wird, das es zu einem kompletten Umbau der Verfassung kommt, und zwar dahin gehend, dass Europa in seiner Gemeinsamkeit verfassungsmäßig noch weiter zusammenrückt. Gerüchteweise war zu hören, dass sich der Vorsitzende des Europäischen Konvents, bevor er diese Funktion übernommen hat, sehr eingehend über die verfassungsrechtlichen Ursprünge der Vereinigten Staaten von Amerika informiert hat.

Auf Grund der Diskussion im Europäischen Konvent habe ich den Eindruck, dass einige Staaten, und zwar vor allem natürlich die größeren Staaten mit ihren jeweiligen Interessen, in diese Richtung tendieren, während es kleineren Staaten, vor allem aber auch sämtlichen neuen Mitgliedstaaten, überwiegend darum geht, dass nationale Interessen gewahrt bleiben und dass sie ihre Identität innerhalb der Europäischen Union wahren beziehungsweise wahrnehmen können, indem sie jedenfalls ein Kommissionsmitglied entsenden können und das Rotationsprinzip betreffend Präsidentschaft beibehalten wird. Wir alle kennen die Vor‑ und Nachteile, und ich weiß, dass Herr Minister außer Dienst Farnleitner derselben Meinung ist, dass es nämlich im Hinblick auf die Interessen Österreichs wichtig ist, dass der Einfluss und die Repräsentation Österreichs gegenüber den großen Mitgliedstaaten in jedem Fall gewahrt bleibt.

Außerdem stellt die gemeinsame Verteidigungspolitik einen ganz wichtigen Bereich dar, der uns Österreicher auch hinsichtlich der sehr grundlegenden Diskussion um die Neutralität betrifft. Die herrschenden Tendenzen zeichnen sich durch Zweckmäßigkeit aus. Anlässlich des Irak‑Krieges und auch des Balkankonfliktes insgesamt wurde uns vor Augen geführt, dass zwar die engen wirtschaftlichen Verflechtungen und die gemeinsame Währung der Europäische Union sehr wohl eine starke Wirkung nach außen haben, dass aber gerade die gemeinsame Außenpolitik eine Schwachstelle war. Man ist diesbezüglich jetzt um neue Ansätze bemüht, und es ist sehr erfreulich, dass man gerade betreffend die gemeinsame Außen‑ und Sicherheitspolitik gar nicht so weit auseinander liegt.

Aus meiner Sicht herrscht derzeit in diesem Punkt folgende Stimmung im Europäischen Konvent: Einerseits wird immer von der ‚politischen Familie’ gesprochen, was nichts anderes bedeutet, als dass die großen internationalen Gruppierungen jeweils ihre Interessen vertreten wollen. Andererseits haben natürlich gerade die neuen Staaten größtes Interesse daran, ihre Stimme in der Kommission geltend zu machen und regelmäßig den Ratsvorsitz einzunehmen.

Ich glaube, dass Österreich auch diesbezüglich eine sehr wichtige Rolle einnehmen können wird, dass wir nämlich mit der Wahrung unserer Interessen gleichzeitig auch die neuen Mitgliedstaaten stärken. Obwohl wir nur ein sehr kleiner Bruchteil des gesamten europäischen Unionskonzeptes sind, können wir dennoch an Gewicht gewinnen, denn wir sprechen jetzt nicht nur für unsere eigenen Interessen, sondern wir vertreten damit auch die Interessen der kleinen Beitrittsstaaten.   

Abschießend zum Thema Subsidiarität: Es gibt diverse Papiere, die schon vor meiner Zeit verfasst wurden und auf deren Grundlage die heutige Sitzung stattfindet. Im Zusammenhang mit der Operationalisierung des Subsidiaritätsprinzips gibt es das Papier Farnleitner/Bösch, welchem wesentliche Auskünfte zu entnehmen sind.

Insgesamt kann ich dazu bemerken, dass die Sache noch nicht abschließend geklärt ist. Unser Interesse besteht – und zwar, wie ich meine, über die Interessen der politischen Gruppierungen hinaus gehend – in der Wahrung der regionalen Bedeutung innerhalb der nationalen Bedeutung, wozu auch die Durchsetzung eines entsprechenden Klagsrechts beitragen wird.  

Botschafterin Dr. Eva Nowotny bringt ergänzend folgende Ausführungen:

"Die Einsetzung des Konvents war aus unserer Sicht nicht von den Entwicklungen und Diskussionen, die sich in und um Nizza und im Zusammenhang mit dem damals zustande gekommenen Vertrag ergeben haben, nicht loszulösen, und aus unserer Sicht kann man sagen, dass sich die Hoffnungen, die wir in den Konvent gesetzt haben, durchaus erfüllt haben. Das, was bisher geleistet wurde, hätte eine Regierungskonferenz traditionellen Zuschnitts nicht zustande bringen können.

Bereits die Diskussionen der ersten Phase der Konventsarbeit haben unsere Hoffnungen, dass hier ein tief greifendes Reformwerk zustande kommen wird, voll bestätigt.

Nunmehr ist der Konvent in die letzte und entscheidende Phase getreten, in welcher der neue Vertrag geschrieben werden soll, und die Zeit drängt. In einigen Wochen wird der Europäische Rat von Thessaloniki stattfinden, bei welchem der Konventspräsident den europäischen Staats‑ und Regierungschefs den vollständigen Entwurf für den Verfassungsvertrag vorlegen soll, und das Arbeitspensum, das nun auf den Konvent zukommt, ist beachtlich. Es besteht bereits weitgehend Konsens, nach wie vor gibt es aber auch einige wichtige strittige Themen.

Am 26. Mai wird das Präsidium des Konvents also den vollständigen Entwurf des Vertrages vorlegen, und ab diesem Zeitpunkt bis zur Schlussredeaktion und Vorlage an den Europäischen Rat von Thessaloniki werden es nur mehr wenige Wochen beziehungsweise Tage sein. Im Rat Auswärtige Angelegenheiten – und wir nehmen an, dass das auch die Position des Europäischen Rats sein wird – ist man durchaus bereit, einer kleinen Terminverschiebung zuzustimmen, wenn noch weitere redaktionelle Arbeiten notwendig sind, aber grosso modo sollte das Gerüst dieses Vertrages in Thessaloniki doch feststehen.

Gestern hat beim Rat der Außenminister auch eine Diskussion über den weiteren Zeitplan stattgefunden. In der Folge muss dieser Vertragsentwurf ja einer klassischen Regierungskonferenz zugeführt werden, weil die eigentliche Vertragsausarbeitung immer noch eine Prärogative der Staats‑ und Regierungschefs und der Regierungen ist. Von sehr vielen Mitgliedern den Europäischen Union wurde der Wunsch geäußert, dass eine Regierungskonferenz auf keinen Fall vor dem 20. September 2003, also nicht vor dem letzten Referendum der Beitrittsstaaten, einberufen werden soll.

Ebenso ist bereits festgelegt, dass die formelle Fertigstellung dieses neuen Vertrags und seine Unterzeichnung auf keinen Fall vor dem 1. Mai 2004 stattfinden soll. Das steht ebenfalls im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union, denn dieses Datum ist das Zieldatum für die formelle Aufnahme der neuen Mitglieder, und dann können diese den neuen Vertrag gleich mit unterzeichnen.

Der neue Vertrag wird fünf Teile umfassen: Zunächst wird er eine Präambel enthalten. Der erste Teil wird sich mit den Institutionen und den grundsätzlichen Fragen der Verfassung befassen. Der zweite Teil wird die Grundrechts‑Charta beinhalten. Ein dritter Teil wird die verschiedenen Politikbereiche beinhalten, und der vierte Teil wird aus Schlussbestimmungen und Zusatzprotokollen bestehen.

Es besteht Konsens darüber, dass es einen einheitliche Verfassungsvertrag geben soll. Dass die Europäische Union eine einheitliche Rechtspersönlichkeit bekommen soll, mag auf den ersten Blick wie eine Spitzfindigkeit aussehen, es ist dies aber deshalb von Bedeutung, weil die EU damit als Rechtsperson internationalen Verträgen beitreten kann, zum Beispiel der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Weiters ist man sich darüber einig, dass auf diese Weise die einzelnen Abstimmungs‑ und Beschlussfassungsinstrumente et cetera vereinfacht werden sollen und es zu einer klaren Definition der Kompetenzen kommen soll. Weiters soll es zu einer Vereinfachung der Haushaltsverfahren und, wie gesagt, zu einer Rechtsverbindlichkeit der Grundrechts‑Charta kommen.

Darüber hinaus besteht auch Konsens über den so genannten Frühwarnmechanismus im Zusammenhang mit der Subsidiaritätskontrolle und über die verstärkte Einbindung der nationalen Parlamente in diesen Themenkomplex. Ebenso herrscht Einigkeit darüber, dass ein europäischer Außenminister installiert werden soll und dass es zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik auf Basis einer gestärkten Außenpolitik der Europäischen Union kommen muss.

Wie schon erwähnt, gibt es auch noch eine Reihe von strittigen Fragen, vor allem im Hinblick auf das Gleichgewicht der Institutionen. Dahinter verbirgt sich natürlich auch die Frage von Macht und Einfluss.

Ein wesentlicher Punkt, den wir wachsam verfolgen und der in der Schlussphase von Bedeutung sein wird, ist die Frage, wie man im Konvent einen Konsens feststellt. – Dabei geht es vor allem darum, wie die Formulierungen letztlich getroffen werden: Wird man die Meinung des Präsidiums beziehungsweise des Konventspräsidenten darstellen und nur in einer Fußnote anführen, dass es auch einige abweichende Meinungen gegeben hat, oder wird man sich dazu bereit finden, wie es im Mandat des Konvents fest geschrieben wurde, auch festzuhalten, dass es in diesem oder jenem strittigen Punkt Optionen beziehungsweise Alternativen gibt, die in den Regierungskonferenzen noch zu behandeln sind?

Zur Rolle der Regionen: In dem Dokument, das Ihnen als Grundlage für die heutige Sitzung vorliegt, findet sich folgende Formulierung: ‚Die Europäische Union wird etwa 100 000 Gebietskörperschaften umfassen, deren gewählte Vertretungen und Exekutiven das Recht und die tatsächliche Fähigkeit haben, im Rahmen der nationalen Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohle ihrer Einwohner zu regeln und zu gestalten.’ – Das ist eine sehr schöne Aussage, von grundsätzlicher Bedeutung dabei ist aber, dass Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips einklagbar werden. Das direkte Klagsrecht beider Kammern des Parlaments direkt beim EuGH ohne Mediation der Bundesregierungen ist unserer Meinung nach in diesem Zusammenhang der springende Punkt. Dann wird das Prinzip der Subsidiarität und der Verantwortung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften mit Leben erfüllt werden können." (Allgemeiner Beifall.)

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien) bedankt sich zunächst bei den im Konvent Tätigen, dass sie ihren Sachverstand eingebracht, insgesamt eine große Leistung erbracht und Österreichs Interessen auf diese Weise bestmöglich vertreten haben.

Er kündigt an, dass er im Rahmen seines Redebeitrags zunächst weniger die großen politischen Fragen ansprechen wolle. Vielmehr interessiere ihn persönlich in der gegenwärtigen Situation vor allem die schon mehrfach angesprochene Prinzipienfrage betreffend Subsidiarität und die Grundrechts‑Charta. 

Als Prozessualist habe er, Böhm, hinsichtlich Subsidiarität vor allem Interesse an der entsprechenden Durchsetzbarkeit des Klagsrechts. Daher sei für ihn vor allem die Frage relevant, ob es eine Konkretisierung beziehungsweise eine klare Definition dafür geben werde, was Subsidiarität letzten Endes wirklich bedeute, was er allerdings bezweifle. Dennoch sollte einigermaßen klargestellt sein, was man derzeit unter Subsidiarität verstehe.

Es sei das Bestreben mancher Mitgliedstaaten gewesen, etwa der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere des Freistaates Bayern, zu einer klaren Kompetenzabgrenzung zu kommen, was EU‑Recht und was Recht der Nationalstaaten sei und was in der weiteren Folge jeweils Bundes‑ und Landeskompetenz sei. – Das sei jedoch letztlich nicht die Zielvorstellung gewesen und habe sich daher nicht durchgesetzt. Vielmehr gebe es eher schwammige Zielvorstellungen, wie diese Vorhaben konkret umzusetzen seien.

Im Hinblick darauf vertritt der Redner die Auffassung, dass es, wenn es zu keinem klaren Kompetenzkatalog kommen werde, umso wichtiger sei zu wissen, was man unter Subsidiarität materiell und inhaltlich tatsächlich verstehe, und bittet die anwesenden Experten um Beantwortung dieser Frage.

Im Zusammenhang mit der Grundrechts‑Charta sei es ein Fortschritt, dass man den ganzen Themenkomplex angedacht und bereits entsprechende Formulierungen getroffen habe. Im Einzelnen seien die Formulierungen nicht durchwegs geglückt, da sie nicht wirklich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang stünden, soweit es diesbezüglich Überschneidungsbereiche gebe. Zu begrüßen sei, dass auch darüber hinaus gehende Rechte wie etwa soziale Grundrechte formuliert worden seien. Es seien jedoch auch kongruente Formulieren gefunden worden, die sehr vage seien.

Ein Kritikpunkt dabei sei, dass man bisher eher programmatisch vorgegangen sei. Wenn das formulierte Recht nun verbindlich werden sollte, erhebe sich die Frage, wie man den entsprechenden Bezug zur Menschenrechtskonvention schaffen würde. welche Gerichtshöfe im Rahmen welcher Kompetenz jeweils zuständig sein würden und wie das klar abgrenzbar sein würde. Problematisch sei vor allem, welche inhaltlichen Auswirkungen es im Überschneidungsbereich zwischen Individualrechten und Gemeinschaftsrechten jeweils geben würde. So sei zum Beispiel fraglich, ob der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bereit sein würde, sich etwa der bereits sehr gefestigten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anzuschließen.

Bundesrat Paul Fasching (ÖVP, Burgenland) teilt mit, dass es ihn als Ländervertreter vor allem interessiere, was sich insbesondere die Länder von der Verfassung der Union erwarten könnten. Im Hinblick darauf bittet der Redner Bundesminister außer Dienst Farnleitner, insbesondere die Frage zu beantworten, inwieweit man seiner Meinung nach seitens der Union die Länderrechte künftig berücksichtigen werde.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien) bittet die anwesenden Experten, vor allem zu dem Vorschlag der Etablierung einer zweiten parlamentarischen Kammer auf EU‑Ebene Stellung zu nehmen.

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien) hält fest, dass ihn insbesondere die Beantwortung der Frage interessiere, was der Konvent den Bürgerinnen und Bürgern in Europa letztlich konkret bringen werde.

Weiters bittet der Redner, die Frage zu beantworten, inwieweit und in welcher Form der gesamte Komplex der Sozialcharta in einer künftigen europäischen Verfassung beinhaltet sein werde.

Schließlich ersucht der Redner die anwesenden Auskunftspersonen, zu dem immer wieder erwähnten Vorhaben Stellung zu nehmen, in welcher Weise man beabsichtige, Gott in der europäischen Verfassung zu verankern.

Bundesrat Hans Ager (ÖVP, Tirol) stellt die Frage, ob auch der Austausch der Mitarbeiter der zukünftigen Mitgliedstaaten der EU Thema des Konvents sei und ob entsprechende Übergangsfristen geplant seien.

Regierungsbeauftragter im EU‑Konvent Dr. Hannes Farnleitner nimmt zu den aufgeworfenen Fragen folgendermaßen Stellung:

"Die zuletzt von Bundesrat Ager gestellte Frage war im Konvent kein Thema. Hiebei handelt es sich um Umsetzungspolitik. Fünf Staaten haben bis jetzt auf die Anwendung von Übergangbestimmungen verzichtet. Die restlichen Staaten werden sich das bald überlegen und entsprechende Übergangsszenarien schaffen müssen.

Hinsichtlich der Verankerung von Gott in der Verfassung befinden wir uns im Einklang mit der Österreichischen Bischofskonferenz, dass wir das, was jetzt im Art. 37 enthalten ist, in der Verfassung haben wollen und dass das Konkordatsrecht nationales Kirchenrecht bleiben soll. Die Respektierung der Glaubensgemeinschaften wird übertragen. Alles andere fällt meiner Meinung nach in die esoterische Diskussion. Ich glaube aber, dass wir mit den vorgesehenen Bestimmungen über die Runden kommen werden.

Insgesamt meine ich, das es weder in diesem Zusammenhang noch überhaupt eine Präambel zu der Verfassung geben soll. Es gibt in der Grundrechts‑Charta bereits eine Präambel, in welcher das "geistige Erbe" verankert ist, welches aber wiederum mit „spiritual heritage“ übersetzt wird, weshalb dann natürlich allen, die nicht Englisch können, das Wort "religiös" fehlt.

Wir haben in der sozialen Arbeitsgruppe den Fehler vermieden, wieder politische Familien als Blöcke einander gegenüberzustellen, und haben für die europäische Verfassung die Formulierung neuer Ziele vorgeschlagen, etwa der sozialen Marktwirtschaft, der Vollbeschäftigung und des sozialen Friedens. In letzteren Punkten waren wir ziemlich konsensual und hatten nur Probleme mit dem geschätzten Herrn Präsidenten, weil sein Ratgeber das nicht haben will. Im Hinblick darauf werden wir noch einige Diskussion zu führen haben.

Außerdem glauben auch wir, auch wenn die Ecofin‑Minister diesbezüglich anderer Meinung waren, dass die Union wirtschaftliche und soziale Zielsetzungen gleich wichtig nehmen muss und folglich der wirtschaftspolitische Prozess und der sozialpolitische Prozess besser koordiniert werden müssen.

Ein finnischer Kollege hat gesagt: Im Vorschlag unseres geschätzten Präsidenten waren drei signifikante Elemente enthalten: Es soll einen Präsidenten wie in den USA, ein Politbüro wie in der früheren Sowjetunion und einen Volkskongress wie in China geben.– Das wird er aber nicht schaffen! (Allgemeiner Beifall.)

Zur Mehrheitsfindung möchte ich sagen: Wir haben in der Familie der kleinen Koalition festgelegt, dass wir ab sofort mitzählen. Auf diese Weise haben wir uns koordiniert, und der Präsident wird zählen lernen müssen! Ich glaube aber, dass er das in der Zwischenzeit ohnedies begriffen hat.

Betreffend die Frage der Regionen haben wir gemeinsame Papiere vorgelegt, in welchen die diesbezüglichen österreichischen Wünsche eindeutig enthalten waren. Wir mussten allerdings feststellen, dass wir dafür kaum Mehrheiten finden werden. Daher haben wir uns mit der Landeshauptleutekonferenz auf eine Lösung geeinigt: Es war klar, dass es drei alte dominante EU‑Familien gibt, nämlich zunächst die deutsch‑französische Allianz, die Beneluxstaaten als traditionelle Mittler und schließlich die neue englisch‑französische Achse. Im Hinblick darauf haben wir eine Achse der Kleinen gebildet, innerhalb welcher in einigen Punkten Einigkeit herrscht, etwa betreffend die Ablehnung des Abgehens vom Rotationsprinzip und betreffend die Frage des Kongresses. Dass das Rotationsprinzip bislang so fehlerhaft war, liegt beispielsweise nur daran, dass es bislang keine konstanten Programme gegeben hat.

Zur Subsidiarität: Unser wirkliches Problem ist der alte § 308. Wir brauchen eine neue Empowerment‑Klausel. Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass die Frage der Subsidiarität weit überbewertet wurde. Sehen Sie sich die Kompetenzverteilung im Entwurf einmal an! – Erstens finden sich darin die der EU übertragenen Kompetenzen, zweitens die gemeinsamen Kompetenzen und drittens die nationalen Kompetenzen. Und in Kürze kann gesagt werden: Jene Bereiche, die sozusagen nahe am Menschen sind – zum Beispiel Schule, Erziehung, Kultur, Gesundheit und Soziales – verbleiben im nationalen Kompetenzbereich, hingegen werden andere sensible Bereiche wie innere Sicherheit, Asylrecht et cetera kommunitarisiert, und es muss dann nur klargestellt werden, welche Einrichtungen in Österreich nach wie vor wofür zuständig sind."

Konventsmitglied Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) geht auf die gestellten Fragen wie folgt ein:

"Für die Fragen im Zusammenhang mit der Grundrechts‑Charta fühle ich mich deswegen in besonderer Weise zuständig, weil ich an deren Ausarbeitung mitgewirkt habe.

In der Grundrechts‑Charta selbst werden Aussagen zu deren Verhältnis zur EMRK getroffen, und zwar vor allem in Art. 51 bis Art. 54.

Das Grundprinzip, das in der Grundrechts‑Charta verankert ist, ist die Klarstellung, dass die EMRK die Grundlinie ist, hinter welche es kein Zurückfallen geben kann. Und in Punkten, in welchen die Grundrechts‑Charta ähnliche Themen zum Gegenstand hat wie die EMRK, geht sie darüber hinaus. Betreffend gewisse Formulierungen hat es sprachliche Probleme gegeben, diese Feinheiten kann man meines Erachtens aber der Wissenschaft überlassen. Das Grundmuster entspricht jedoch der soeben beschriebenen Form.

Die Frage, welches Gericht dafür zuständig sein wird, kann ich damit beantworten, dass in der Grundrechts‑Charta auch Gerichtshofklauseln enthalten sein werden. Grundsätzlich wird für die Grundrechts‑Charta der Luxemburger Gerichtshof zuständig sein. Es waren allerdings schon bei der Ausarbeitung der Grundrechts‑Charta sowohl jeweils ein Vertreter des Luxemburger als auch des Straßburger Gerichtshofs mit dabei, um die Fragen der Abgrenzung beziehungsweise Abstimmung von vornherein einer Klärung zuzuführen. Wir sind an diese Frage relativ gelassen herangegangen, weil man seitens beider Gerichtshöfe verlauten ließ, dass man sich diesbezüglich sicherlich einigen können werde. Und es zeigt auch die Praxis anderer Gerichtshöfe mit konkurrierender Zuständigkeit, dass es im Allgemeinen, wenn es sich dabei um Höchstgerichte handelt, keine Probleme gibt, denn Höchstgerichte sind in der Regel fähig, einen vernünftigen Weg zu finden.

Spannend wird die Frage nur dann werden, wenn – wie es die überwiegende Mehrheit des Konvents nach meinem Eindruck wünscht – die Europäische Union mit ihrer Rechtspersönlichkeit tatsächlich der EMRK beitritt. Diese Frage wird aber frühestens 2007 zu entscheiden sein, denn vorher wird die künftige Verfassung, die wir jetzt ausarbeiten, noch nicht in Kraft sein.

Zur Frage, was diese Verfassung den europäischen Bürgerinnen und Bürgern bringen wird, möchte ich festhalten, dass es hiefür prinzipiell zwei Antworten gibt.

Die eine Antwort lautet: Die Verfassung bringt den europäischen Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechte, und zwar insbesondere durch die Stärkung des Europäischen Parlaments und durch die grundsätzliche Festlegung, dass die Gesetzgebung in Europa hinkünftig einem Zwei‑Kammern‑System folgen und das Europäische Parlament dabei jeweils mitwirken wird. Dadurch bekommt das Europäische Parlament mit den direkt gewählten Abgeordneten eine stärkere Position und gewinnen die europäischen Bürger mittelbar eine stärkere Rolle.

Das ist von entscheidender Bedeutung, weil sich die lebensnahe Behandlung verschiedener Themen bei den Parlamenten und bei Regierungsvertretern sehr wohl unterschiedlich darstellt. Ich war auf beiden Seiten und meine, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Regierungsvertreter bestimmte Branchen, Standorte und deren Interessen vertritt, größer ist, als dass er einzelne Bürger oder Anrainerinteressen vertritt. Umgekehrt ist es wahrscheinlicher, dass sich Abgeordnete mehr um die Wählerschaft ihres Wahlkreises als um spezifische Brancheninteressen kümmern. – Jedenfalls resultieren bessere Rechte des Bürgers und der Bürgerin daraus, dass das von ihm oder von ihr gewählte Organ Europäisches Parlament mehr Gewicht erhält. 

Die zweite Antwort lautet: Aus der Verbindlichkeit der Grundrechts‑Charta resultieren mehr Rechte für die BürgerInnen. Die Menschen werden künftig verbindliche, einklagbare Grundrechte haben. Weiters ist  die Grundrechts‑Charta der EU derzeit das einzige Menschenrechts‑ und Grundrechtsdokument, welches auch soziale Grundrechte enthält.

Ein weiterer Punkt, der uns als österreichische Delegierte vereint, ist die Frage des direkten Klagsrechtes bei Verletzungen der Rechte des Einzelnen und auch der Grundrechte. Ob und inwieweit wir das erreichen werden, ist noch nicht ganz sicher, denn das, was uns vom Präsidium vorgelegt wurde, ist für uns noch eine zu schwache Lösung. Es gibt hier massivsten Widerstand der britischen Vertreter und auch der Vertreter anderer Mitgliedstaaten. Wir müssen daher noch weiter um die Durchsetzung unserer Interessen kämpfen. 

Die Verfassung gibt nicht die Politik selbst vor, die gemacht werden soll oder kann, sondern sie formuliert nur den Rahmen, innerhalb dessen unter Umständen auch bessere Politik gemacht werden kann. Wenn aber zum Beispiel in Art. 3 der künftigen Verfassung im Gegensatz zum jetzigen Art. 2 EGV, in welchem es heißt, dass ein hohes Niveau der Beschäftigung anzustreben ist, die Formulierung zu finden sein wird, dass die Europäische Union als Ziel die Vollbeschäftigung hat, dann mag das zunächst als Wortklauberei erscheinen. Allerdings besteht in dieser Hinsicht eindeutig ein Unterschied, wenn er auch nicht sofort schlagend wird. Mit der Zielvorgabe der Vollbeschäftigung in der Verfassung muss man aber tatsächlich eine andere und wirksamere Wirtschaftspolitik verfolgen. Auf diese Weise werden jedenfalls Voraussetzungen für eine bessere und bürgernähere Politik für Europa geschaffen.

Eine Anmerkung zu Kongress: Ob dieser kommen wird oder nicht, wissen wir derzeit nicht. Jene Parlamentarier, die der COSAC angehören, zeigen eine erstaunlich große Liebe dafür, die COSAC aufzublasen und dieser zusätzliche Instrumente zu geben. Ich gehöre der COSAC erst seit kurzem an und bin an sich für deren Abschaffung, weil sie eigentlich für nichts mehr gut ist. Die COSAC aufzublasen und einen Volkskongress zu schaffen, mit welchem ein paar Hundert Parlamentarier einmal im Jahr irgendwo hinfahren, wäre meines Erachtens ein absoluter Luxus! Ich bin in den vergangenen eineinhalb Jahren genug gereist. Ich brauche keinen Kongress, um es sehr deutlich zu sagen!"

Konventsmitglied Abgeordneter Mag. Eduard Mainoni (Freiheitliche) bringt folgende Darstellung:

"Die soeben angerissenen Themen bringen mich jetzt zu der Frage der Rolle des Präsidenten Giscard d'Estaing, die insofern zentrale ist, als man jetzt schon erkennt, dass er tatsächlich gern an der Mehrheitsmeinung vorbeigeht, um die Interessen verschiedener Gruppen zu wahren, ob es nun um die Rolle des Kongresse oder um Diskussion betreffend die Organe geht. Eigentlich werden auf diese Weise viele Interessen einfach weggewischt, und ich mache mir sehr wohl Sorgen, was nach dem 26. Mai kommen wird und wie das Ganze im Endeffekt dem Rat vorgelegt werden wird.

Es besteht nämlich sehr wohl ein Unterschied, ob letztlich das im Rat zur Diskussion gestellt wird, was das Präsidium des Konvents, gegebenenfalls mit diversen Amendments, vorlegt, oder das, was die Mehrheit des Willens des Konvents dokumentiert. – Ich habe derzeit den Eindruck, dass Giscard d'Estaing sich eher für Ersteres entscheiden wird. Darin besteht die Problematik.

Damit komme ich zu dem Punkt, dass einer der wesentlichen Gründe, der Europäischen Union eine neue Verfassung zu geben, natürlich einerseits der Erweiterungsprozess ist, andererseits aber auch die Akzeptanz der Bevölkerung der Europäischen Union gegenüber der Europäischen Union. Wenn man nun aber bereits bei der Entstehung dieser Verfassung den Wunsch einiger, wenn auch zweifellos großer Mitgliedstaaten unbedingt durchdrücken will, dann erhebt sich die Frage, ob das nicht im Endeffekt wiederum genau zum Gegenteil führen wird, dass nämlich weiterhin eine gewisse Unzufriedenheit bestehen bleiben beziehungsweise in manchen Staaten sogar passiver Widerstand geleistet werden wird.  

Ich bin ganz begeistert von den Debattenbeiträgen der neuen Mitgliedstaaten, die sehr selbstbewusst auftreten und die es auch schon verstehen, ihre jeweiligen Interessen zu vertreten. Ich hoffe, dass sie den Mut gegenüber Giscard d'Estaing nicht verlieren und dass vor allem der Koordination, die Minister Farnleitner bewirkt hat, tatsächlich Rechnung getragen werden wird.

Zu der Frage des Austauschs von Mitarbeiten und entsprechender Übergangsfristen: Wir wissen nicht, wie sich dieser Komplex entwickeln wird. Es treten hier zahlreiche Probleme auf, etwa im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Sprachen und Mentalitäten. Die tatsächlichen Auswirkungen sind jetzt aber, wie gesagt, noch nicht absehbar.

Zur Frage der Verlegung der Schengen‑Grenzen nach außen: Dieses Thema ist, obwohl geplant ist, dass letztlich gemeinsamer Grenzschutz geübt werden soll, von großer Brisanz. Ich erkenne, dass die Beitrittsstaaten großes Interesse daran haben, in diesem Bereich die Unterstützung der Kernunion zu bekommen. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass wir damit sehr wohl einige sehr problematische Außengrenzen bekommen werden. Das Thema Kriminalität wird nicht sehr gerne angesprochen, dennoch ist es allgegenwärtig, dass die Kriminalität in diesem Zusammenhang sicherlich auch noch eine Rolle spielen wird."

Botschafterin Dr. Eva Nowotny stellt zur Wortmeldung des Bundesrates Ager fest, dass diese Frage nicht den Konvent betreffe. Diese Frage werde im Beitrittsvertrag geregelt, und auf dieser Basis bestehe noch sieben Jahre lang die Möglichkeit, Kontrolle über die Entwicklung auf dem österreichischen Arbeitsmarkt auszuüben.

Es gebe für die Kommission drei grundlegende Prinzipien, die deren Tätigwerden regeln, erstens das Prinzip der Zuordnung, was bedeute, dass die Kommission nur auf Basis von Kompetenzen tätig werden könne, die ihr ausdrücklich von den Mitgliedstaaten übertragen worden seien, zweitens das Prinzip der Subsidiarität und drittens das Prinzip der Proportionalität, dass die Kommission in ihren Vorschlägen nicht über das hinausgehen dürfe, was für die Umsetzung der Zielsetzungen der Europäischen Union unbedingt notwendig sei. Jedem Vorschlag der Kommission müsse ein Begleittext beigeschlossen sein, in welchem die Auswirkungen auf die genannten Prinzipien festgeschrieben sein müssten, insbesondere die Auswirkungen auf das Prinzip der Subsidiarität.

Bundesrat Mag. Dr. Andreas Schnider (ÖVP, Steiermark) bittet um Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen die Spaltung der EU in der Irak‑Frage im Hinblick auf deren gemeinsame Außen‑ und Sicherheitspolitik gehabt habe und ob das ein Thema im Rahmen der Konventsarbeit gewesen sei.

Bundesrat Mag. Gerhard Tusek(ÖVP, Oberösterreich) bringt folgenden Redebeitrag:

„Gestatten Sie mir, als Stellvertreter des Kollegen Farnleitner im Konvent jetzt nicht als Experte, aber doch als Mitglied dieses Gremiums einige Ergänzungen anzubringen.

Eine Ergänzung im Hinblick auf die Fragen von Herrn Professor Böhm erscheint mir besonders wichtig: Herr Professor Böhm hat um die Zuständigkeiten gefragt. – Dazu muss man klipp und klar und generell sagen, dass mit diesem Verfassungsvertrag durchaus die bestehenden Gemeinschaften EG, EU und auch Euratom angesprochen sind, auch wenn das nicht die dezidierte Lösung sein wird, weil sich gerade bei Euratom die Problematik ergibt, dass wenige Staaten Interesse daran haben, die Euratom‑Bestimmungen irgendwie aufzumachen; daher werden Euratom‑Verträge in einem Protokoll dazu kommen.

Aus dieser Zusammenführung der einzelnen bestehenden Verträge soll ein Gebilde geschaffen werden, dessen Name noch immer nicht feststeht. In Art. 1 des vorliegenden Vertrages findet sich der Name „Europäische Union“, im ersten Skeleton‑Vertrag beziehungsweise Entwurf war aber auch von den „Vereinigten Staaten von Europa die Rede“. – Ich glaube, der Name „Europäische Union“ wird sich durchsetzen, in den jetzigen Entwürfen hat man sich aber noch nicht endgültig entschieden.

Wichtig ist, dass dieses einheitliche Gebilde Rechtspersönlichkeit besitzen wird, und es wird dann die Möglichkeit bestehen, mit dieser Rechtspersönlichkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Wenn dieser Beitritt erfolgt sein wird, dann wird klarerweise für EU‑interne Fragen nach wie vor der Europäische Gerichtshof zuständig sein. Über die Erweiterung des Klagsrechtes wurde schon gesprochen. Für die weiter gehenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention wird dann aber rechtlich klar und eindeutig der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zuständig sein.

Ich bin mit Kollegen Einem absolut einer Meinung, dass die Punkte, die er zu den Fragen der Transparenz aufgezählt hat, wichtig sind. Ergänzend scheint mir noch wichtig zu sein, dass es auch in der Gesetzgebungsstruktur der Europäischen Union zu wesentlich mehr Transparenz kommen wird. Vorausgesetzt, dass die Drei‑Säulen‑Struktur fällt, wird im Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich die Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit im Rat gemeinsam mit dem Mitentscheidungsverfahren im Europäischen Parlament das Übliche sein. Das wird zur Norm werden und die jetzigen zahlreichen und sehr komplizierten Entscheidungsverfahren ersetzen.

Außerdem wird es zu den Rechtsakten auch klare und transparente Verordnungen und europäische Entscheidungen geben, die für die Mitgliedstaaten verbindlichen Charakter haben; bei nicht verbindlichen Rechtsakten wird es Empfehlungen und Stellungnahmen geben.

Im weitesten Sinn sind jetzt sechs verschiedene Gesetzgebungsakte geplant, während es bis jetzt fünfzehn oder siebzehn waren. Ich glaube, dass das wesentlich mehr Transparenz bringen wird.“

Vorsitzender Gottfried Kneifelbemerkt anschließend an die Frage des Bundesrates Dr. Schnider, dass die Europäische Union im Zusammenhang mit dem Irak‑Krieg tatsächlich ein sehr gespaltenes Bild abgegeben habe und bittet um Beantwortung der Fragen, ob die Europäische Union beziehungsweise der Konvent daraus Lehren gezogen hätten und es diesbezüglich Konsequenzen gebe.

Regierungsbeauftragter im EU‑Konvent Dr. Hannes Farnleitner geht auf die gestellten Fragen folgendermaßen ein:

“Zur letzten Frage ist zu bemerken: Die Isolation der zwei Großen in der EU ist im Zuge der Irak‑Krise sehr wohl dramatisch größer geworden, und die kleinen Mitgliedstaaten zeigen Tendenzen, sich frei zu spielen und andere Verbündete zu suchen, anstatt immer nur sozusagen im Vorzimmer einiger Großen zu sitzen.

Einige Ziffern wurden schon genannt, und man kann sagen, dass wir als Europäer wirklich „global payers“, aber keine „global players“ sind. So zahlen wir etwa 35 Prozent der UNO beziehungsweise 55 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe und 60 Prozent der humanitären Hilfe, wenn es aber um Entscheidungen geht, dann pilgern alle nach Washington.

So haben wir etwa einen Vorschlag betreffend den Wirtschaftsbereich gemacht: Würden wir von unserem Stimmgewicht im IFM Gebrauch machen, dann müsste der Sitz des IMF nach Europa verlegt werden. – Jedenfalls würde Europa als „global payer“ von entsprechenden Veränderungen auch als „gobal player“ profitieren.

Im Bereich der Sicherheitspolitik gibt es relativ große Konsensbereiche, ich glaube aber, dass es in der Umsetzung dennoch Schwierigkeiten geben wird. Brutal gesagt gibt es nämlich einige Große, die sagen, dass man in den neuen Tätigkeitsbereichen Außenpolitik, innere Sicherheit und Verteidigung zunächst verstärkt intergouvernemental arbeiten wird, bevor das parlamentarische Verfahren voll wirksam werden wird.“

Konventsmitglied Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) bringt folgende Darstellung:

„Zur Frage betreffend die Auswirkungen der Irak‑Krise: Nach dem Debakel für alle Beteiligten – denn es hat ja keiner gewonnen – hat es zunächst tatsächlich eine gewisse Depression im Konvent gegeben. Schließlich haben wir aber in dem Bemühen, letztlich zu einer gemeinsamen Außen‑ und Sicherheitspolitik zu kommen, doch obsiegt.

Das Problem dabei ist, dass, zum Teil auch der Logik der Öffentlichkeit und der Medien folgend, manche Dinge sehr stark in den Vordergrund gespielt wurden, die grundsätzlich gar nicht so bedeutsam sind. So würde wahrscheinlich die bloße Schaffung der Position eines Außenministers der Union zunächst nicht allzu viel bringen, weil dieser Außenminister natürlich auch entsprechende Mandate von jenen, welche die Macht haben, braucht. Was im Falle der Irak‑Krise gefehlt hat, war die Bereitschaft jedes einzelnen Mitglieds des Europäischen Rates, das Thema Irak überhaupt ernsthaft zum Gegenstand einer Beratung zu machen.

In Anbetracht dessen meine ich, dass wir einen besser funktionierenden Europäischen Rat mit größerer Kontinuität der damit in Zusammenhang stehenden Arbeit brauchen. So müsste zum Beispiel hinter dem Außenminister ein entsprechender diplomatischer Dienst stehen, der allmählich Kontinuität und Substanz aufbaut. Für den Europäischen Rat müsste zwar nicht unbedingt eine eigene Bürokratie geschaffen werden, um Kontinuität zu wahren, es bedürfte aber dennoch eines entsprechenden Stabs von Beamten. – Es wird also ganz wesentlich sein, die Strukturen der Verfassung mit Leben zu erfüllen.

Es könnte heute der Eindruck entstanden sein, dass das Hauptproblem im Konvent die Spannungen zwischen den Großen und den Kleinen waren: Dass Kollege Farnleitner das so wahrnimmt, verstehe ich, weil er der Organisator der Kleinen und Mittleren ist. Ich sehe das nicht als primäres Problem. Ich meine, dass es wichtig war, in einer bestimmten Phase des Konvents deutlich zu machen, dass bestimmte Vorschläge, die Giscard d’Estaing auf den Tisch gelegt hat und die überwiegend von Initiativen größerer Staaten ausgegangen sind, so nicht konsensfähig sind. Ich meine daher, dass es uns jetzt vor allem darum gehen muss, Konsens zu finden, um Pattstellungen der Großen und Kleinen zu vermeiden.“

Regierungsbeauftragter im EU‑Konvent Dr. Hannes Farnleitner stellt ergänzend fest, dass man, wenn man laut Art. 1 ein Europa der Mitgliedstaaten und der Bürger machen wolle, die Repräsentanz der Bürger im Europäischen Parlament und die Repräsentanz der Mitgliedstaaten im Rat zu sehen habe. Im Hinblick darauf sei die Einführung von Mischfunktionen nicht zweckmäßig und geradezu kontraproduktiv.

Konventsmitglied Abgeordneter Mag. Eduard Mainoni (Freiheitliche) beantwortet die aufgeworfenen Fragen ergänzend wie folgt:

„Im Zusammenhang mit der Frage der gemeinsamen Außen‑ und Sicherheitspolitik und des EU‑Außenministers haben wir erst vergangenen Freitag das entsprechende Dokument bearbeitet: Der Vorschlag sieht die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union vor, und es wird sogar auf vertragliche Verpflichtungen zur NATO in der künftigen Verfassung Bezug genommen. Es ist aber festgelegt, dass die Politik der Union nicht den besonderen Charakter der Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten berührt.

Laut diesem Vorschlag soll konkret festgeschrieben werden, dass die Union die Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten achtet, ihre gemeinsame Verteidigung in der Nordatlantikvertragsorganisation zu verwirklichen, und dass die Mitgliedstaaten für die gemeinsame Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik militärische und zivile Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Rat festgelegten Maßnahmen zur Verfügung stellt. – Wörtlich ist in diesem Vorschlag zu lesen: ‚Die Mitgliedstaaten, die untereinander multinationale Streitkräfte zusammenstellen, können diese auch für die gemeinsame Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen.’

In diesem Zusammenhang wird selbstverständlich das Einstimmigkeitsprinzip gelten, und es wird sich erst in der Praxis herausstellen, wie sinnvoll das Institut eines gemeinsamen Außenministers sein wird. Art. 8 sieht vor, dass in den Fällen, in denen eine rasche Entscheidung notwendig ist, der Minister für auswärtige Angelegenheiten von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaates innerhalb von 48 Stunden und bei absoluter Notwendigkeit in kürzerer Zeit eine außerordentliche Tagung des Rates einberuft.

Bundesrat Mag. Gerhard Tusek(ÖVP, Oberösterreich) bemerkt in Beantwortung der vom Vorsitzenden und von Bundesrat Dr. Schnider gestellten Frage, inwieweit der Konvent Lehren aus der Irak‑Krise gezogen habe, dass die Beratungen im Konvent von diesem Thema tatsächlich überschattet gewesen seien. Die Spaltung der Europäischen Union in dieser Frage habe sich auch in der Arbeitsgruppe „Außenpolitisches Handeln“ widergespiegelt. Alle Mitgliedstaaten, aber auch alle Beitrittskandidaten hätten sowohl in der Arbeitsgruppe als auch im Plenum des Konvents befürwortet, dass es eine gemeinsame Außenpolitik geben muss. Darüber habe absolute Einigkeit geherrscht.

Probleme hätten sich erst im Zusammenhang mit der Frage ergeben, wie sich die gemeinsame Außenpolitik de facto darstellen und wo sie angesiedelt sein werde. Vertreter einiger Staaten hätten dafür plädiert, dass ausschließlich die Kommission das angemessene Gremium dafür darstelle, andere hätten wiederum gemeint, dass ausschließlich der Rat dafür zuständig sei. In Anbetracht dessen habe sich dann ein Kompromiss unter dem heute in EU‑Kreisen schon üblichen Terminus technicus des ‚Doppelhutes’ entwickelt, dass nämlich eine Person sowohl in der Kommission als auch im Rat verankert sein solle und diese Person europäischer Außenminister heißen sollte.  

Inwieweit sich diese Konstruktion, die tatsächlich einen Kompromiss zwischen den beiden Linien gebildet habe, verwirklichen lassen und sich diese Person tatsächlich durchsetzen können würde, sei noch fraglich. Durchsetzungsvermögen würde dieser Außenminister aber jedenfalls, wie Abgeordneter Dr. Einem schon angedeutet habe, nur dann haben, wenn ihm auch entsprechende Instrumente eines diplomatischen Dienstes auf EU‑Ebene zur Verfügung gestellt werden.

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien) bringt abschließend noch folgende Ausführungen:

„Obwohl mich diese allgemein politischen Themen auch sehr interessieren, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich jetzt wieder auf rechtstechnische Fragen, die mir fachlich näher liegen, zu sprechen komme.

Zum Stichwort ‚Europäische Staatsanwaltschaft’: Ich hoffe, dass mir Herr Bundesminister Dr. Farnleitner nicht böse ist, wenn ich feststelle, dass ich diesbezüglich sehr reserviert bin. Ich habe viel Verständnis dafür, dass es zu einer Vereinheitlichung materieller Strafrechtsbestimmungen kommt. Auch wir stehen noch unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September 2001. Dennoch sollten wir nicht bereit sein, im Sinne übertriebener Sicherheitsmaßnahmen etwa eine Einschränkung von Grundrechten vorzunehmen.

Ich halte es für richtig, dass wir in den Bereichen, in welchen es wirklich um klassische gemeinschaftsrechtliche Kriminalität geht – also etwa um Finanzkriminalität, Subventionsmissbrauch und Ähnliches, wofür bereits neue gemeinschaftsrechtliche Institute geschaffen wurden, oder auch um grenzüberschreitende organisierte Kriminalität –, die Zusammenarbeit verbessern und ausbauen. In diesem Zusammenhang dürfen die nationalen Eitelkeiten wirklich keine Rolle spielen.

Ich meine jedoch, dass die Strafjustiz im Prinzip zum Kernbereich der nationalstaatlichen Souveränität gehört, und ich bin grundsätzlich nicht für eine generelle europäische Staatsanwaltschaft.

Auch hinsichtlich Ziviljustiz meine ich: Es ist schön und gut, wenn wir vom Proportionalitätsprinzip reden. Auch ich bin damit einverstanden, dass das, was im Bereich der Ziviljustiz bisher in intergouvernementaler Zusammenarbeit geregelt wurde, partiell, soweit es sich um grenzüberschreitende Fälle handelt, von der dritten in die erste Säule verlagert wird.   

Dennoch möchte ich jetzt ein Beispiel anführen: In der Familiengerichtsbarkeit einschließlich Scheidungsgerichtsbarkeit haben manche Mitgliedstaaten eine sehr liberale Gesetzgebung, andere Staaten nehmen etwa im Scheidungsrecht eine striktere Haltung ein. Allerdings war man offenbar nicht in der Lage, das materielle Familien‑ und Scheidungsrecht europaweit zu vereinheitlichen; man war nicht einmal in der Lage, das Internationale Privatrecht zu vereinheitlichen und zu bestimmen, welches Gericht jeweils zuständig ist.

Dann hat man das Verfahrensrecht vereinheitlicht, indem man exzessive Zuständigkeitsregelungen getroffen hat, die mit der Sache an sich nichts zu tun hatten, und hat alle Staaten verpflichtet, die Urteile der jeweils anderen Staaten automatisch anzuerkennen.

Dieses Vorgehen empfinde ich als eine unehrliche Art der Rechtspolitik in der EU, denn ich meine, dass man sich nicht über die Nichtvereinheitlichung des materiellen Rechts in der Weise hinwegsetzen kann, dass man auf Grund exzessiver Zuständigkeitsanknüpfungen die Verpflichtung für alle Staaten schafft, Urteile unter Hintansetzung des angewandten materiellen Rechts eins zu eins anzuerkennen und zu vollstrecken.

Ich meine, dass man da wirklich ehrlich sein und nicht exzessiv vorgehen sollte. Wenn Vereinheitlichungsbedarf in diesem Bereich besteht, dann soll man diesen ehrlich in Angriff nehmen und umsetzen. Wenn man hingegen meint, dass gewisse Bereiche in der Souveränität der Nationalstaaten verbleiben sollen, weil zum Beispiel im Familien‑ und Erbrecht nach wie vor sehr spezifische und tradierte Vorstellungen herrschen, dann kann man das nicht auf dem Umweg von Vereinheitlichungsversuchen quasi durch die Hintertür auf kaltem Weg überspielen.

In Hinblick darauf bitte ich, dass auch die österreichischen Vertreter Farbe bekennen und für eine klare Regelungstechnik eintreten.“

Regierungsbeauftragter im EU‑Konvent Dr. Hannes Farnleitner bringt abschließend folgende Darstellung im Zusammenhang mit den angesprochenen Themen:

„Betreffend den europäischen Staatsanwalt war den meisten in der Arbeitsgruppe klar, dass der frühere Außenminister Schüssel für den europäischen Staatsanwalt war und dass wir auch noch in Nizza für diese Institution eingetreten sind. Im Regierungsprogramm steht jetzt plötzlich aber etwas ganz anderes. Das müssen Sie als Vertreter des Bundeskanzlers erst einmal erklären!

Es gibt diesbezüglich jetzt gewissermaßen einen Streit um des Kaisers Bart. Ich meine, dass wir diese Institution momentan wirklich nicht brauchen. Ich meine, wir sollten diese Frage nicht hochspielen.

Im Bereich des Strafrechts gibt es eigentlich mit Ausnahme der Definition der transeuropäischen Verbrechen keinen Konsens im Konvent. Und auch im Privatrecht herrschen nach wie vor große Divergenzen.

Insgesamt meine ich, dass wir uns in Europa vor der Schaffung einer weiter überbordenden Rechtsindustrie schützen müssen.“

Vorsitzender Gottfried Kneifel dankt den Experten sowie den Diskutanten und Botschafterin Dr. Nowotny herzlich für deren Einsatz.

Er betont, dass im Rahmen dieser Sitzung eine Fülle von Informationen zu wichtigen Beratungspunkten gegeben worden seien. Der Einsatz und das Engagement für diese neue Verfassung Europas habe selbstverständlich auch die Länderkammer zu interessieren.

Persönlich sei er der Meinung, dass die Bedeutung dieses Werkes in der Öffentlichkeit derzeit unterschätzt werde. Daher sei es die Aufgabe jener, die jetzt bereits einen besseren Informationsstand hätten, den Bürgern und Bürgerinnen die entsprechenden Kenntnisse und Bewusstseinsinhalte weiterzugeben.

Der Vorsitzende wünscht den Vertretern weiterhin viel „fighting spirit“, damit dieses europäische Friedenswerk EU seine Rolle in Zukunft noch besser erfüllen könne, und dankt allen für ihr Erscheinen. (Allgemeiner Beifall.) 

Abschließend teilt der Vorsitzende mit, dass es, da die neu gewählte Schriftführerin heute nicht anwesend sei, formal notwendig sei, einen Ersatzschriftführer für diese Sitzung zu wählen.

Im Einvernehmen aller Fraktionen schlägt der Vorsitzende vor, Bundesrat Reinhard Todt für die heutige Sitzung die Funktion des Schriftführers zu übertragen. – Dieser Vorschlag wird einstimmig angenommen.

Damit schließt der Vorsitzende die Sitzung.

 

Schluss der Sitzung: 16.07 Uhr


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