Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 14. Sitzung / Seite 66

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Ich hätte mir folgendes gewünscht und wünsche es mir immer noch: daß zugegeben worden wäre beziehungsweise wird, daß es sich eindeutig um ein Notprogramm handelt – wobei man über die Prämissen auch noch diskutieren müßte im Sinne von Van der Bellen –, also um das Herbeikarren von Löschwasser, wo auch immer man es findet, damit man den vermeintlich brennenden Dachstuhl löschen kann. Wir hätten das dann verstanden und die Ehrlichkeit gelobt.

Wir sind der Meinung, es wäre viel besser, sich zu überlegen: Wie kommen wir zu einem neuen Sozialkontrakt? Wie kommen wir – in meinem Bild – zu einer feuerfesten Konstruktion? – Sodaß wir uns nicht von Jahr zu Jahr bemühen müssen, wieder irgendwo einen Kübel Löschwasser zu finden. Diesmal sind es zum Beispiel 4,9 Milliarden Schilling aus dem AMS-Bereich, dem Arbeitsmarktservice, die wir zu den Pensionen transferieren, um behaupten zu können, daß wir bei den Pensionen weniger zuschießen. In Wirklichkeit entziehen wir diese Mittel einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Es wird nur dadurch, daß diese Mittel im Umweg über die AMS transportiert werden, versucht, den Anschein zu erwecken, der Bund zahle um 4,9 Milliarden Schilling weniger an Pensionszuschuß. Ein typischer Fall von Tarnen und Täuschen.

Es wäre ein wirklicher Systemwechsel angesagt. Ich verstehe, daß das nicht in wenigen Tagen oder in wenigen Wochen zu machen ist und daß man froh war, überhaupt ein konsensfähiges Paket zwischen den beiden Regierungsparteien gefunden zu haben, auf das man einen Rütlischwur geleistet hat, aber es hätte doch möglich sein müssen, folgendes zu sagen: Wir ziehen das bis Ende April durch, und am 1. Mai setzen wir uns zusammen und reden darüber, wie es wirklich weitergehen soll, welche Reformen wir wirklich machen! – Wir hätten Verständnis gehabt dafür, daß man zuerst löscht und sich dann über die neue Architektur unterhält. Aber jetzt zu löschen und gleichzeitig zu behaupten, daß die Brandruine, die entsteht, die man notdürftig wieder eindeckt, eine neue Architektur sei, ist eine Verspottung des Parlaments, eine Verspottung der Öffentlichkeit, eine Verspottung der Wähler – sie werden das spätestens dann, wenn einige der Maßnahmen, die eindeutig unsozial sind, zu greifen beginnen, bemerken. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

Der akademische Mittelbau hat es vielleicht nur schneller überrissen, die Studenten haben es schneller bemerkt – sie hatten vielleicht auch ein bißchen mehr Zeit, sich das anzuschauen; ein kleiner zynischer Einwurf, aber so unrecht haben sie nicht. Denn wenn ein Systemwechsel diskutiert würde, würde man sich jetzt nicht überlegen, ob man die Familienbeihilfe für Studenten, und zwar nach dem Gießkannenprinzip, für alle um 100 oder um 300 S senkt, dafür aber um drei Jahre verlängert, sondern man hätte sich zurück an den Start begeben und hätte gefragt: Was ist das Problem? Die Situation ist folgende: Es gibt Menschen, die studieren wollen und ihren Lebensunterhalt absichern müssen, sie haben möglicherweise Unterhaltspflichtige, die diesen nicht leisten können, oder überhaupt niemanden, der sie unterstützt, wir wollen ihnen das Studium ermöglichen, daher finanzieren wir es durch ein Ausbildungsfinanzierungsmodell, das – selbstverständlich – an Erfolgskriterien gebunden ist, statt zu versuchen, mit irgendwelchen abstrakten Fristkürzungen oder Streichungen zu operieren. Die Unterhaltspflicht bleibt bestehen – mit oder ohne Familienbeihilfe; sie wird nur allen gleichmäßig entzogen.

Ich meine, wenn man sich bewußt macht, daß die Mitversicherungsproblematik daran hängt, daß man jetzt versucht, durch einen Rückverweis auf ein im Jahr 1992 in Geltung gestandenes Gesetz die Mitversicherung aufrechtzuerhalten, also lauter solche Bocksprünge macht, dann ist evident, daß es sich hiebei um eine Löschwasseraktion handelt und nicht um neue Architektur.

Wenn man sich auf eine neue Sozialarchitektur – und zwar auf eine, die sich zum Beispiel auf Existenzminimumabsicherung vereidigt, unabhängig davon, was versicherungsmäßig dabei noch einzutragen ist – nicht einigen kann, gefährdet man nicht nur den sozialen Frieden, sondern mittelfristig, vielleicht sogar kurzfristig auch unseren demokratiepolitischen Grundkonsens; und das wird politisch gefährlich. Es gibt dann nicht nur einige, die stärker in den sauren Apfel beißen müssen, dann sind vielleicht mehr Leute auf der Straße als die 30 000 oder 40 000 Studenten. Wenn man das sehenden Auges abschätzen kann, sollte man etwas dagegen tun.

Ich muß dem Herrn Bundesminister in einem Aspekt, was die Prognosen anlangt, ausdrücklich widersprechen. Selbstverständlich wissen wir alle, daß die Prognosen, die hier zugrunde liegen


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