Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 116. Sitzung / 140

"Diese neue sicherheitspolitische Lage bedingt die Notwendigkeit, die bisherige Sicherheitsarchitektur von Grund auf neu zu überdenken." - Das ist richtig! Gerade das tun wir, meine Damen und Herren von der Freiheitlichen Partei! Wir wissen auch, daß die neuen Herausforderungen an unsere Sicherheitpolitik aus Bereichen kommen, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit der militärischen Verteidigung zu sehen sind. Daher bedeutet Sicherheit alle Maßnahmen, die eine bedrohungsfreie und lebenswerte Existenz für die Menschen sicherstellen. Daher gehen wir Sozialdemokraten zu Recht vom umfassenden Sicherheitsbegriff aus, der weit über den militärischen Bereich hinausgeht, der auch die soziale, wirtschaftliche und ökonomische Dimension mit einschließt. Wer daher eine Mitgliedschaft in der NATO oder in der WEU fordert und als unabdingbare Voraussetzung für unsere Sicherheit bezeichnet, vergißt somit, daß Sicherheit nicht mehr ausschließlich militärisch definiert werden kann. Nur im Falle des Scheiterns aller friedlichen Mittel der Konfliktbewältigung kann es in letzter Konsequenz erforderlich werden, militärische Mittel zur Friedenssicherung beziehungsweise zur Wiederherstellung des Friedens einzusetzen.

In der europäischen Sicherheitspolitik ist der militärische Stellenwert - das wissen all jene, die sich mit diesem Thema ernsthaft auseinandersetzen - ein anderer geworden. Sowohl die NATO als auch die WEU sind als militärische Bündnisse - das sind sie, und das ist ja an sich nichts Schlechtes - in ihrer jetzigen Form nicht in der Lage, die präventiven Maßnahmen für die umfassende Sicherheit zu leisten.

Die NATO ist eine gut funktionierende militärische Einrichtung, aber allein kann und wird sie nicht die neue europäische Sicherheitsarchitektur sein. Es gibt daher für uns keine zwingende sicherheitspolitische Notwendigkeit, der NATO beizutreten, denn - das wissen wir - ein Beitritt zur NATO führt nicht zu einem Mehr an Sicherheit, sondern verringert nur unseren sicherheitspolitischen Spielraum.

So wie die WEU und die NATO heute noch strukturiert sind, kann dort nichts ohne den Willen der größeren Mitgliedsländer entstehen, und eine solche Fremdbestimmung durch die größeren NATO-Mitgliedsländer kann gerade in der Frage der Verteidigung nicht in unserem Interesse liegen.

Es wurde heute hier auch die Neutralität angesprochen beziehungsweise behauptet, die Neutralität sei sicherheitspolitisch nutzlos.

Meine Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß sich die Neutralität in den letzten Jahren gewandelt hat. Aber gerade eine gewandelte Neutralität, die selbstverständlich mit Einsätzen unter dem Mandat der Vereinten Nationen vereinbar ist und Sanktionen zuläßt, ist sehr wohl zukunftsträchtig, hat sehr wohl noch Zukunft.

Meine Damen und Herren! Wir Österreicher befinden uns in der Neutralitätspolitik in guter Gesellschaft, denn von den 15 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union sind immerhin vier Staaten, nämlich Schweden, Finnland, Irland und Österreich, dem Neutralitätsgedanken verhaftet.

Zum neutralen Verhalten gehört, sich nicht an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen und keine Beistandsverpflichtungen im Rahmen eines Militärbündnisses einzugehen und auch - das ist richtig - keine fremden Truppen auf eigenem Territorium zu stationieren.

Meine Damen und Herren! Wir sehen daher unter den gegebenen Umständen derzeit keine Notwendigkeit, wie Sie es in Ihrem Antrag verlangen, in Verhandlungen einzutreten, damit ein Beitritt zur NATO zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattfinden kann. Ich bin überzeugt davon, daß wir in dieser zweifellos wichtigen Frage mit unserem Koalitionspartner eine gemeinsame Position finden werden, auch wenn es beim ersten Versuch und Bemühen nicht ganz geklappt hat.

Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung gestern durch den Beschluß des Nationalen Aktionsplanes zur Beschäftigung bewiesen hat, daß es möglich ist, in wichtigen zentralen Fragen, die die Menschen bewegen - und Beschäftigung ist eine solche -, zu einer


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